Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Zweiunddreißigstes Kapitel.

Von der Anstrengung des vorigen Tages ermattet, hatte sich auch Philipp neben Krantz niedergelegt und war eingeschlafen. Am andern Morgen früh wurde er durch die Stimme des Kommandanten und das Rasseln seines langen Säbels auf dem Pflaster geweckt. Unser Held erhob sich und fand, daß der kleine Mann seine Soldaten musterte und dabei den einen mit dem Gefängnisse, anderen mit Strafdiensten drohte. Krantz hatte sich, noch ehe der Kommandant mit seiner Morgenvorlesung zu Ende gekommen war, gleichfalls auf die Beine geholfen. Endlich wurden unsere Abenteurer bemerkt; mit strenger Stimme gebot ihnen der Befehlshaber, ihm nach seinem Gemache zu folgen. Sie gehorchten; der Kommandant warf sich auf sein Sopha und fragte, ob sie bereit wären, das besprochene Papier zu unterzeichnen, da sie andernfalls wieder der Haft überantwortet werden sollten. Krantz antwortete, sie hätten alle Möglichkeiten berechnet und sich so vollkommen von dem Tode des Kapitäns überzeugt, daß sie keinen Anstand nähmen, die Thatsache zu beglaubigen – eine Erwiderung, auf welche der Kommandant augenblicklich sehr gnädig wurde. Er ließ Schreibmaterialien herbeibringen und setzte das Dokument auf, das sodann gebührendermaßen von Krantz und Philipp unterzeichnet wurde. Sobald dies geschehen und der kleine Mann im Besitze des kostbaren Papiers war, wurde er so vergnügt, daß er unsere beiden Abenteurer einlud, an seinem Frühstück Theil zu nehmen.

Während des Mahles versprach er ihnen, daß sie bei ehester Gelegenheit die Insel sollten verlassen dürfen. Philipp blieb sehr schweigsam; aber Krantz wußte sich so angenehm zu machen, daß sie der Kommandant auch zum Diner einlud. Nachdem sie vertraulicher mit einander geworden waren, theilte ihm Krantz mit, sie hätten noch einige Goldstücke und wünschten ein Zimmer zu bekommen, wo sie ihre Tafel halten könnten. War es nun aus Liebe zur Geselligkeit, oder der Wunsch, das Gold zu kriegen – vielleicht auch beides, kurz der Kommandant erbat sich, daß sie an seinem Tische mitspeisen und ihren Antheil an den Kosten tragen sollten – ein Vorschlag, den sich unsere Freunde bereitwillig gefallen ließen. Die Bedingungen wurden festgesetzt, und Krantz bestand darauf, für die erste Woche vorauszubezahlen. Von diesem Augenblick an stand der Kommandant auf dem besten Fuße mit ihnen und wußte der Liebkosungen kein Ende, obschon er sie früher so gar höflich in einen unter dem Wasserspiegel gelegenen Kerker geschoben hatte. Am Abende des dritten Tages, als sie, ihre Manilla Cheroots rauchend, beisammen saßen, war der Kommandant in besonders guter Stimmung, weßhalb sich Krantz die Frage erlaubte, warum ihm so viel an des Kapitäns Todtenschein gelegen sei. Zu Philipps großem Erstaunen lautete die Antwort: Amine habe ihm versprochen, ihn zu heirathen, sobald er ein derartiges Dokument beibringe.

»Unmöglich!« rief Philipp von seinem Sitze auffahrend.

»Unmöglich, Signor? Und warum unmöglich?« versetzte der Kommandant mit der Miene des Zorns und der Ueberraschung, während er seinen Schnurrbart mit den Fingern drehte.

»Ich würde auch so gesagt haben,« unterbrach ihn Krantz, der die Folge von Philipps Unbesonnenheit fürchtete; »denn wenn Ihr gesehen hättet, Kommandant, mit welcher Innigkeit dieses Weib an ihrem Gatten hing, und wie zärtlich sie mit ihm that, so würdet Ihr es gleichfalls für unmöglich gehalten haben, daß sie ihre Liebe so schnell auf einen Andern übertrug. Doch Weiber sind Weiber, und Soldaten haben einen großen Vortheil über andere Leute; vielleicht ist sie einigermaßen zu entschuldigen, Kommandant. – Eure Gesundheit und gut Glück.«

»Gerade dieß wollte ich auch bemerken,« fügte Philipp bei, auf den Plan seines Freundes eingehend; »und zuverlässig ist sie sehr zu entschuldigen, Kommandant, wenn ich mir ihren Gatten vergegenwärtige und Euch dabei in's Auge fasse.«

Durch diese Schmeichelei beschwichtigt, entgegnete der Kommandant:

»Nun ja, es heißt, das Militär habe stets besonderes Glück bei dem schönen Geschlechte. – Vermuthlich liegt der Grund darin, daß sie zu uns um Schutz aufsehen, und wo können sie dessen mehr versichert sein, als bei einem Manne, der ein Schwert an seiner Seite trägt? – Kommt, Signores, wir wollen ihre Gesundheit trinken. Das Wohl der schönen Amine Vanderdecken!«

»Das Wohl der schönen Amine Vanderdecken!« rief Krantz, sein Glas erhebend.

»Das Wohl der schönen Amine Vanderdecken!« stimmte Philipp ein. »Aber, Kommandant, wie mochtet Ihr sie auch nach Goa lassen, wo ein Weib so viele Verlockungen findet und auf ihr Geschlecht so viele Schlingen lauern?«

»Das ficht mich nicht im Geringsten an – ich bin überzeugt, daß sie mich liebt – ja, unter uns gesagt – sie betet mich an.«

»Ha, der Lüge!« rief Philipp.

»Wie, Signor – soll das mir gelten?« rief der Kommandant, nach seinem Säbel greifend, der auf dem Tische lag.

»Nicht doch,« erwiderte Philipp, sich fassend; »ich meinte sie damit, denn ich hörte mit meinen eigenen Ohren, wie sie ihrem Gatten schwor, daß sie für Niemand leben wolle, als für ihn.«

»Ha, ha! ist das Alles?« sagte der Kommandant. »Mein Freund, Ihr kennt die Weiber nicht.«

»Nein; auch hat er keine besondere Zuneigung für dieselben,« versetzte Krantz, indem er sich gegen den Kommandanten hinneigte und ihm in die Ohren flüsterte: »er treibt's stets so, wenn von Frauenzimmern die Rede ist. Er wurde einmal grausam getäuscht und haßt nun das ganze Geschlecht.«

»Dann müssen wir barmherzig gegen ihn sein,« entgegnete der kleine Offizier. »Ich denke, wir wollen das Thema wechseln.«

Als sie sich wieder nach ihrem eigenen Gemach begaben, machte Krantz unsern Helden auf die Nothwendigkeit aufmerksam, daß er seine Gefühle beherrsche, weil sie andernfalls zu gewärtigen hätten, wieder in den Kerker geworfen zu werden. Philipp gestand seine Uebereiltheit zu, bemerkte übrigens gegen seinen Freund, der Grund seiner Aufwallung habe in dem Umstande gelegen, daß Amine dem Kommandanten das Versprechen gab, ihn zu heirathen, im Falle er sichere Nachrichten über seinen Tod beibringe.

»Ist es möglich, daß sie so falsch sein konnte!« rief Philipp; »und doch scheint der Eifer, den er bei Erwerbung dieses Dokuments an den Tag legte, die Wahrheit seiner Angabe zu bekunden.«

»Ich glaube, Philipp, und es dünkt mich sehr wahrscheinlich, daß sich's wirklich so verhält,« versetzte Krantz gleichgültig. »Ihr könnt übrigens daraus weiter nichts entnehmen, als daß sie sich in einer sehr gefährlichen Lage befand und daß sie so gehandelt hat, um sich für Euch zu retten. Verlaßt Euch darauf, wenn sie mit Euch zusammentrifft, wird sie Euch den vollen Beweis liefern, daß sie ihn in dieser Weise täuschen mußte, da sie sonst jetzt wahrscheinlich seiner Gewaltthätigkeit zur Beute geworden wäre.«

»Möglich,« entgegnete Philipp düster.

»Nicht nur möglich, Philipp, sondern ich setze mein Leben daran, daß sich's so verhält. Bergt ja keinen Augenblick einen so gehässigen Gedanken gegen ein Wesen, das nur in Eurer Liebe lebt – Argwohn gegen jenes holde und aufopfernde Wesen! Ich erröthe für Euch, Philipp Vanderdecken.«

»Ihr habt Recht und ich bitte sie um Verzeihung, daß ich mich nur einen Augenblick von derartigen Gefühlen oder Gedanken überwältigen ließ,« erwiderte Philipp; »aber es wird einem Gatten, der mit einer Glut liebt, wie ich, schwer, den Namen seines Weibes zum Spielball machen zu sehen und mit anhören zu müssen, daß ihre Ehre durch einen so verächtlichen Wicht, wie dieser Kommandant ist, angegriffen wird.«

»Ich will das zugeben, obschon es noch immer besser ist, als wenn wir in einem Kerker schmachteten,« versetzte Krantz. »Und nun, gute Nacht.«

Drei Wochen blieben sie in dem Fort und wurden jeden Tag vertrauter mit dem Kommandanten, der in Philipps Abwesenheit das Gespräch oft auf seine Liebe zu Amine lenkte und Alles, was vorgegangen war, auf's Umständlichste berichtete. Krantz bemerkte mehr und mehr, daß seine Ansicht richtig war und Amine ihrem Zwingherrn nur geschmeichelt hatte, um ihm entrinnen zu können. Indessen schwand unsern Freunden die Zeit furchtbar langsam dahin, denn immer wollte sich noch kein Schiff blicken lassen.

»Wann werde ich sie wiedersehen?« sagte Philipp zu sich selber, als er eines Morgens mit Krantz auf der Böschung lehnte.

»Wen wollt Ihr wieder sehen?« sagte der Kommandant, der zufällig hart an seiner Seite gestanden hatte.

Philipp wandte sich um und murmelte etwas Unverständliches vor sich hin.

»Wir sprachen von seiner Schwester, Kommandant,« antwortete Krantz, seinen Arm ergreifend und ihn hinwegführend. »Ihr müßt vor meinem Freunde den Gegenstand nicht zur Sprache bringen, denn er ist sehr schmerzlich für ihn und bildet mit einen Grund zu dem Grolle, den er gegen das zweite Geschlecht hegt. Sie war an einen Freund, den er sehr liebte, verheirathet und entlief ihrem Gatten. Sie war seine einzige Schwester; die Schande brach seiner Mutter das Herz und hat ihn selbst elend gemacht. Ich bitte, achtet nicht darauf.«

»Nein, nein, gewiß nicht,« erwiderte der Kommandant. »Es nimmt mich auch gar nicht Wunder, denn die Ehre einer Familie ist eine ernstliche Angelegenheit. Der arme junge Mann; bei einem solchen Benehmen seiner Schwester und bei der Falschheit der eigenen Geliebten finde ich es nur natürlich, daß er so ernst und schweigsam ist. Gehört er einer guten Familie an, Signor?«

»Einer der edelsten in Holland,« antwortete Krantz. »Er hat ein großes Vermögen zu hoffen und ist bereits unabhängig durch die Hinterlassenschaft seiner Mutter. Aber diese beiden unglücklichen Ereignisse bewogen ihn, heimlich die Staaten zu verlassen und in fremde Länder zu ziehen, um dort seinen Schmerz zu vergessen.«

»Einer der edelsten Familien?« versetzte der Kommandant; »dann reist er unter einem angenommenen Namen – Jakob Vantreat ist natürlich nicht der rechte.«

»Ihr habt Recht,« entgegnete Krantz, »er heißt nicht so – aber über diesen Punkt sind meine Lippen versiegelt.«

»Versteht sich, gegen einen Freund etwa ausgenommen, der ein Geheimniß bewahren kann. Ich will jedoch nicht weiter darüber fragen. Er ist also wirklich von hohem Adel?«

»Wie gesagt, er gehört einer der höchsten Familien des Landes an, besitzt große Reichthümer und Einfluß, und ist mit dem spanischen hohen Adel durch Heirathen verwandt.«

»Wirklich?« versetzte der Kommandant nachsinnend; »so kennt er ohne Zweifel auch viele portugiesische Granden?«

»Freilich; sie stehen ja alle mehr oder weniger mit einander in Verbindung.«

»Da muß er Euch wohl ein sehr werthvoller Freund sein, Signor Richter.«

»Ich halte mich für Lebenszeit versorgt, sobald wir in die Heimath zurückkommen. Er ist von sehr dankbarem und edelmüthigem Charakter, wie er auch Euch beweisen wird, wenn Ihr je wieder einmal mit ihm zusammentreffen solltet.«

»Ich zweifle nicht daran und kann Euch versichern, daß ich es herzlich satt habe, auf dieser Insel zu bleiben. Ich werde wahrscheinlich noch ein paar Jährchen ausharren müssen, ehe ich abgelöst werde, und gehe dann zu meinem Regiment nach Goa, wo ich wahrscheinlich keinen Urlaub in die Heimath erhalten werde, wenn ich nicht auf mein Offizierspatent verzichte. Doch da kömmt er eben.«

Nach diesem Gespräche mit Krantz war die Veränderung in dem Benehmen des portugiesischen Kommandanten, der die höchste Achtung vor dem Adel hatte, sehr auffallend. Er behandelte Philipp mit einer Ehrerbietung, die keinem Bewohner des Forts entgehen konnte und auch Philipp in Erstaunen setzte, bis ihm Krantz die Ursache erklärte. Der Kommandant brachte gegen Letzteren die Sache öfters zur Sprache und holte ihn aus, ob sein Benehmen gegen Philipp auch von der Art gewesen sei, um einen günstigen Eindruck zu machen, denn der kleine Mann hoffte jetzt, durch einen so einflußreichen Kanal einige wohlthätige Früchte zu ernten.

Etliche Tage nach diesem Gespräch saßen alle drei bei Tische, als ein Korporal eintrat, vor dem Kommandanten salutirte und ihm meldete, daß ein holländischer Matrose in dem Fort angekommen sei und um Zulassung bitte. Philipp und Krantz erblaßten über diese Meldung, denn sie ahneten Unheil, verhielten sich aber stumm. Der Matrose wurde vorbeschieden und nach einigen Augenblicken trat ihr Quälgeist, der einäugige Schriften ein. Als er Philipp und Krantz an dem Tische sitzen sah, rief er augenblicklich:

»Ah, da treffe ich ja den Kapitän Philipp Vanderdecken und meinen Freund Mynheer Krantz, den ersten Maten des Schiffes Utrecht. Freut mich recht, Euch wieder zu sehen!«

»Kapitän Philipp Vanderdecken!« brüllte der Kommandant, von dem Stuhle aufspringend.

»Ja, das ist mein Kapitän, Mynheer Philipp Vanderdecken, und dieß mein erster Mate, Mynheer Krantz, beide zu dem guten Schiffe Utrecht gehörig. Wir litten miteinander Schiffbruch – ist's nicht so – Mynheer? Hi, hi!«

»Sangue de – Vanderdecken – ihr Gatte? Corpo del Diavolo – ist es möglich?« rief der Kommandant, nach Luft haschend, während er mit beiden Händen nach seinem Säbel griff und ihn wüthend umfaßte. »Ha, ich bin also getäuscht, hinter's Licht geführt und verlacht worden!«

Die Adern seiner Stirne schwollen fast zum Bersten an und nach einer Pause fuhr er mit unterdrückter Stimme fort:

»Höchstedler Herr, ich danke Euch – aber jetzt ist die Reihe an mir. – Heda, ho! Korporal – Soldaten – augenblicklich herbei – hurtig!«

Philipp und Krantz fühlten sich überzeugt, daß alles Läugnen vergeblich sei. Der erstere kreuzte seine Arme, ohne zu antworten, während der erste Mate bloß bemerkte:

»Ein kurzes Nachdenken wird Euch beweisen, Signor, daß Ihr keinen Grund zu dieser Entrüstung habt,«

»Keinen Grund?« entgegnete der Kommandant mit einem Hohngelächter. »Ihr habt mich getäuscht, seid aber in Eurer eigenen Falle gefangen worden. Ich habe das unterzeichnete Papier und werde nicht ermangeln, davon Gebrauch zu machen. Ihr, Kapitän, seid todt, wie Ihr wißt, denn ich habe es von Eurer eigenen Hand und Euer Weib wird der Kunde mit Freuden Glauben schenken.«

»Sie hat Euch getäuscht, Kommandant, um Eurer Gewalt zu entkommen, weiter nicht,« sagte Vanderdecken; »denn selbst wenn sie frei wäre, wie der Wind, würde sie einen so verächtlichen, welken Tropf, wie Ihr seid, verschmähen.«

»Nur so fortgemacht – nur so fort gemacht – die Reihe wird bald an mich kommen – Korporal, werft diese beiden Menschen in den Kerker – eine Schildwache vor die Thüre, bis auf weitere Ordre. Hinweg mit ihnen. Höchst edler Signor, vielleicht werden Euch Eure einflußreichen holländischen und spanischen Freunde in den Stand setzen, wieder herauszukommen.«

Philipp und Krantz wurden von den Soldaten abgeführt, die über diesen Wechsel nicht wenig erstaunt waren. Schriften folgte ihnen, und als sie über den Wall nach der Treppe gingen, die zu ihrem Gefängniß führte, riß sich Krantz wüthend von den Soldaten los und versetzte dem Piloten einen so derben Fußtritt, daß dieser mehrere Schritte weit taumelte und auf sein Gesicht niederstürzte.

»Das war gut ausgeführt – hi, hi!« rief Schriften, der, sobald er sich wieder auf die Beine geholfen hatte, Krantz lächelnd ansah.

Als sie die Treppe nach ihrem Kerker hinunterstiegen, begegneten sie einem Auge, das ihnen bedeutungsvoll zuwinkte; es gehörte dem Soldaten Pedro und sagte ihnen, daß wenigstens ein einziger Freund vorhanden sei, auf den sie sich verlassen könnten und der keine Mühe scheuen würde, ihnen in dieser neuen Schwierigkeit beizustehen. Welch ein Trost für die Beiden! Ein Hoffnungsstrahl war ihnen wenigstens geblieben, als sie wieder die enge Treppe hinunterstiegen und den schweren Schlüssel klirren hörten, der sie in ihren Kerker einschloß.


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