Kapitän Marryat
Der fliegende Holländer
Kapitän Marryat

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Vierundreißigstes Kapitel.

Es war ein schöner Morgen, als das portugiesische Schiff, welches Amine an Bord genommen hatte, in der Bay und Rhede von Goa einlief. Goa stund damals in seinem Zenith – stolz, üppig, prächtig, reich, die Hauptstadt des Ostens, eine Stadt von Palästen, in der ein Vicekönig fast unumschränkte Gewalt übte. Als sie sich dem Flusse näherten, zwischen dessen beiden Mündungen Goa auf einer Insel liegt, eilten sämmtliche Passagiere auf das Deck, und der portugiesische Kapitän, der schon oft an Ort und Stelle gewesen war, machte Amine auf die merkwürdigsten Gebäude aufmerksam. Sie fuhren an den Festungswerken vorbei und liefen in den Strom ein, dessen Ufer zu beiden Seiten mit den Landsitzen des Adels und der Hidalgos besetzt waren – prachtvolle Gebäude, von Orangenhainen umgeben, deren Wohlgerüche die Luft durchdufteten.

»Dies, Signora, ist der Landpalast des Vicekönigs,« sagte der Kapitän, auf ein Schloß deutend, das beinahe drei Acker Landes bedeckte.

Das Schiff segelte weiter, bis es fast die Stadt erreichte. Der Kapitän machte jetzt Amine auf die stolzen Kirchthürme und die andern öffentlichen Gebäude aufmerksam – denn sie hatte in ihrem Leben nur wenig große Städte gesehen, wie man sich leicht denken kann, wenn man sich ihre Geschichte in's Gedächtniß ruft.

»Das ist die Jesuitenkirche mit ihrem Collegium,« sagte der Kapitän, auf eine prachtvolle Masse von Gebäuden hindeutend. »In der Kirche, die wir jetzt ganz vor uns liegen sehen, befinden sich die canonisirten Gebeine des heiligen Franziscus, der seinem Eifer, das Evangelium in diesen Gegenden zu verbreiten, das Leben zum Opfer brachte.«

»Ich habe Vater Matthias von ihm sprechen hören,« versetzte Amine; »doch was ist dies für ein Gebäude?«

»Das Augustinerkloster; das andere zur Rechten gehört den Dominikanern.«

»In der That prachtvoll,« bemerkte Amine.

»Das Gebäude, das Ihr am Ufer seht, ist der Palast des Vicekönigs, das zur Rechten das Kloster der baarfüßigen Carmeliter. Jener hohe Thurm gehört zu der Kathedrale der heiligen Katharina, und jener schöne, leichte Dom ist die Kirche unserer lieben Frau der Barmherzigkeit. Ihr bemerkt dort gleichfalls ein Gebäude mit einem Dome – unmittelbar hinter dem Palaste des Vicekönigs?«

»Ja,« antwortete Amine.

»Das ist die heilige Inquisition.«

Obgleich Amine ihren Philipp schon von der Inquisition hatte sprechen hören, so wußte sie doch wenig von ihren Eigentümlichkeiten; aber dennoch überflog bei Nennung dieses Namens ihren Körper ein plötzlicher Schauder, den sie sich nicht zu erklären vermochte.

»Wir kommen jetzt an den Palast des Vicekönigs. Ihr bemerkt, welch ein schönes Gebäude er ist,« fuhr der Kapitän fort; »das große Haus ein wenig weiter oben ist das Zollhaus, vor dem wir Anker werfen werden. Ich muß Euch jetzt verlassen, Signora.«

Einige Minuten nachher ankerte das Schiff vor dem Zollhause. Der Kapitän und die Passagiere begaben sich an's Land, Amine ausgenommen, welche in dem Schiffe blieb, während Pater Matthias einen passenden Aufenthalt für sie suchte.

Nächsten Morgen kehrte der Priester mit der Nachricht zurück, daß er für Amine im Kloster der Ursulinerinnen, mit deren Aebtissin er bekannt sei, ein Unterkommen ausgewirkt habe. Ehe Amine an's Land ging, bemerkte er ihr, daß die Aebtissin eine sehr pünktliche Frau sei und es gerne sehen werde, wenn auch sie so viel wie möglich die Klosterregel mitmache; das Kloster selbst nehme nur junge Personen aus den höchsten und reichsten Familien auf, und er hoffe, sie werde sich dort glücklich fühlen; zugleich versprach er ihr, sie zu besuchen und die Gegenstände mit ihr zu besprechen, welche seinem Herzen so theuer und zu ihrer Erlösung so nothwendig seien. Der Ernst und das Wohlwollen, womit der alte Mann sprach, rührten Aminen bis zu Thränen, und der hochwürdige Vater, der sich jetzt in den Raum hinunter begab, um ihr Gepäcke zu sammeln, verließ sie mit einer Wärme des Gefühls, die er selten zuvor empfunden hatte, mehr als je sich der frohen Hoffnung hingebend, daß jene Bekehrungsbemühungen doch am Ende zum Ziel führen würden.

»Er ist ein guter Mann,« dachte Amine, als sie an's Land stieg. –

Sie hatte Recht: Pater Matthias war ein guter Mann, aber – wie alle Menschen – nicht vollkommen. Ein Eiferer für die Sache seiner Religion, würde er mit Freuden sein Leben dem Märtyrertode hingegeben haben; aber wenn etwas seinen Planen in den Weg trat, konnte er auch grausam und ungerecht sein.

Pater Matthias hatte viele Gründe, um Aminen in dem Kloster der Ursulinerinnen unterzubringen. Er fühlte sich verpflichtet ihr denselben Schutz angedeihen zu lassen, den er so lange unter ihrem Dache genossen hatte, und wünschte zugleich, sie unter die Aufsicht der Aebtissin zu stellen, denn er konnte sich des Gedankens nicht erwehren, daß sie noch immer verbotene Künste versuche oder übe, obgleich er keine Beweise dafür hatte. Allerdings äußerte er hierüber nichts gegen die Aebtissin, da es ungerecht gewesen wäre, einen Argwohn zu erregen; aber dennoch stellte er sie als eine Person vor, die noch nicht ganz zum katholischen Glauben bekehrt sei, obschon sie demselben mit der Zeit Ehre machen werde. Schon der Gedanke, zu einer Bekehrung mitzuwirken, wird für die Bewohner eines Klosters von hinreißendem Interesse, und die Aebtissin war weit mehr erfreut, eine Frau aufzunehmen, die ihres Raths und Zuspruchs bedurfte, als wenn man ihr eine fromme Christin übergeben hätte, die ihr keine Mühe gemacht hätte. Amine ging mit Pater Matthias an's Land, ohne von dem Palankin, den man für sie zubereitet hatte, Gebrauch zu machen, und begab sich nach dem Kloster. Zwischen dem Zollhause und dem Palaste des Vicekönigs verfügten sie sich nach dem hinten liegenden großen freien Platz und dann die Strada Diretta, oder gerade Straße hinauf nach der Kirche der Barmherzigkeit, in deren Nähe das Kloster lag. Genannte Straße ist die schönste in Goa und hat ihren Namen von der einfachen Thatsache, daß fast alle andern Straßen aus Quadranten oder Kreissegmenten bestehen. Amine war erstaunt über die hohen, massiven Steingebäude, deren sämmtliche Stockwerke mit schön gemeißelten Marmorbalkonen versehen waren, während sich über jeder Thüre das Wappen des Adeligen oder Hidalgos befand, welchem das Haus gehörte. Der freie Raum hinter den Palästen und die weiten Straßen waren mit lebenden Wesen erfüllt. Elephanten mit prachtvoller Verzierung; Pferde, an der Hand geführt, oder beritten, mit stolzen Schabracken; Palankins, die von Eingebornen in bunten Livreen getragen wurden; hin- und herlaufende Bedienten; Angehörige aller Nationen vom stolzen Portugiesen, bis zu dem halb nackten Eingebornen hinab; Moslemen, Araber, Hindus, Armenier; Offiziere und Soldaten in ihren Uniformen, bunt durcheinander gedrängt – kurz Alles voll rühriger Bewegung. So verhielt sich's mit dem Reichthum, dem Glanze und dem Luxus der stolzen Stadt Goa, der Kaiserin des Ostens, in der Zeit, von der wir jetzt schreiben.

Nach einer halben Stunde hatten sie das Gewühl hinter sich und waren an dem Kloster angelangt, wo Amine bei der Aebtissin gute Aufnahme fand. Pater Matthias verabschiedete sich bald, und die Aebtissin zögerte nicht, ihr Bekehrungswerk zu beginnen. Sie ließ zwar zuvörderst einige getrocknete süße Früchte bringen – kein so übler Anfang, da sie sehr schmackhaft waren – brachte aber damit ihre Beweisgründe in Verbindung, welche ihrem Gaste nicht so gut zusagen wollten, da die gnädige Oberin sehr unwissend und nicht an theologische Disputationen gewöhnt war. Nachdem die alte Dame etwa eine Stunde ziemlich wirre gesprochen, hatte sie die Sache bereits satt und meinte Wunder was gethan zu haben. Amine wurde nun den Nonnen vorgestellt, die meistens jung waren und den besten Familien angehörten. Man wies ihr sodann ihr Schlafgemach an, und da sie den Wunsch äußerte, allein zu sein, so folgten ihr nur sechszehn nach ihrer Zelle, was ungefähr die Zahl war, welche der Raum fassen konnte.

Wir müssen nun die zwei Monate überspringen, welche Amine in dem Kloster verbrachte. Pater Matthias hatte Sorge getragen, daß Erkundigungen eingezogen wurden, ob sich ihr Gatte an eine der Inseln unter portugiesischer Herrschaft gerettet habe, konnte aber keine Auskunft erhalten. Amine hatte das Klosterleben bald satt; sie wurde unablässig von dem Zuspruch der alten Aebtissin verfolgt, faßte aber einen noch weit größeren Widerwillen gegen das Benehmen und das Gespräch der Nonnen. Alle hatten ihr Geheimnisse anzuvertrauen – Geheimnisse, die zuvor schon dem ganzen Kloster bekannt waren, und zwar von einer Art, daß sich Aminens züchtiger Sinn mit Widerwillen davon abwandte. Wie konnte es übrigens auch anders sein? Die armen Geschöpfe waren unter einer schnell reifenden Sonne in der vollen Blüthe ihrer Jugend aus der Welt gerissen und unnatürlicherweise in ein Kloster eingemauert worden, um den Geiz und den Stolz ihrer Familien zu befriedigen. Da die Nonnen durchgängig aus den besten Häusern stammten, so war die Ordensregel nicht so streng, wie in andern Klöstern; man ertheilte Licenzen, nahm sich noch größere – und Amine fand zu ihrem Erstaunen, daß sich in dieser dem Himmel geweihten Gesellschaft mehr schlimme Leidenschaften der menschlichen Natur entfalteten, als sie je zuvor getroffen hatte. Beständig unter Aufsicht und keinen Augenblick sich selbst überlassen, wurde ihr der Aufenthalt im Kloster ganz unerträglich, und nach drei Monaten bat sie Pater Matthias, er möchte ihr einen andern Zufluchtsort aufsuchen, indem sie ihm offen zu verstehen gab, daß dieser Ort nicht sehr geeignet sei, ihre Bekehrung zu den Grundsätzen seines Glaubens zu erwirken. Pater Matthias verstand sie vollkommen, erwiderte aber: »Ich habe keine Mittel.«

»Hieran soll's nicht fehlen,« versetzte Amine, den Diamantring von ihrem Finger nehmend. »Dies ist in unserem Lande achthundert Dukaten werth; was hier daraus erzielt werden kann, weiß ich nicht.«

Pater Matthias nahm den Ring.

»Ich werde morgen wieder herkommen und Euch wissen lassen, was ich ausgerichtet habe. Der Aebtissin werde ich sagen, Ihr gehet zu Eurem Gatten, denn es wäre nicht gerathen, sie glauben zu lassen, daß Ihr Gründe habt, ihr Dach zu meiden. Was Ihr angebt, habe ich wohl auch früher gehört, es aber für bloße Lästerung gehalten. Indeß weiß ich, daß Ihr einer Verläumdung unfähig seid.«

Am andern Tage kehrte Pater Matthias zurück und besprach sich mit der Aebtissin, welche nach einer Weile Amine holen ließ und ihr mittheilte, es sei nöthig, daß sie jetzt das Kloster verlasse. Sie tröstete sie so gut wie möglich über das Ungemach der Trennung von einem so glücklichen Aufenthalte, ließ, um das Scheiden weniger schmerzlich zu machen, einige Confitüren bringen, segnete sie und übergab sie dem Pater Matthias, der Aminen, als sie mit einander allein waren, mittheilte, er habe ihren Ring für achtzehnhundert Dollars verkauft und ihr ein Unterkommen in dem Hause einer verwittweten Dame von Stand verschafft.

Nachdem sich Amine von den Nonnen verabschiedet hatte, verließ sie mit Pater Matthias das Kloster und befand sich bald in ihrer neuen Wohnung, welche an einem geräumigen freien Platze, Terra di Sabaio genannt, stand. Pater Matthias stellte sie ihrer Wirthin vor und entfernte sich. Die Zimmer, welche Aminen zugedacht waren, gingen nach dem freien Platze hinaus, waren luftig und boten alle Bequemlichkeit. Die Besitzerin des Hauses begleitete Aminen nach ihren Gemächern.

»Was ist das für eine große Kirche auf der andern Seite des Platzes?« fragte der Gast.

»Die Himmelfahrtskirche,« versetzte die Dame. »Die Musik ist dort sehr schön. Wenn Ihr wollt, können wir morgen hingehen und sie mit anhören.«

»Und das massenhafte Gebäude vor uns?«

»Das ist die heilige Inquisition,« antwortete die Wittwe sich bekreuzend.

Amine fuhr wieder zusammen, ohne sich einen Grund angeben zu können.

»Ist das Euer Kind?« fragte sie, als ein etwa zwölf Jahre alter Knabe in das Zimmer trat.

»Ja,« erwiderte die Wittwe; »das einzige, das mir geblieben ist. Möge Gott es erhalten.«

Der Knabe war schön und verständig. Amine, die ihre eigenen Gründe hatte, that Alles, um ihn zu ihrem Freunde zu machen, und erreichte bald ihren Zweck.


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