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Zwanzigstes Kapitel.
Glücklicher Ausgang

Als Leon so plötzlich Byasson und Madeleine verlassen hatte, gebrauchten diese Letzteren eine längere Zeit, um sich von dem Erstaunen und der Aufregung, die Beide ergriffen hatten, zu erholen. Dann aber drang der alte Herr mit Fragen auf Madeleine ein und erfuhr zu seiner größten Freude, wie schnell und merkwürdig sich die Verhältnisse geändert hatten. Er tröstete das weinende junge Mädchen in wahrhaft väterlicher Weise, und seinem liebevollen Zuspruche gelang es, daß Madeleine versprach, von nun an ihr Schicksal wieder in die Hände ihres Onkels legen zu wollen.

»Ich kann's verbürgen,« sagte Herr Byasson, »daß es meinem alten Freunde niemals in den Sinn gekommen ist, Ihre Ehre zu beleidigen. Wenn er in jenem Briefe davon sprach, Sie aus den bedrängten Verhältnissen, in welchen Sie sich befinden, herauszunehmen, im Falle Sie geneigt seien, auch das Ihrige zu thun, um Leon wieder dem elterlichen Hause zuzuführen, so trieb ihn zu diesem Anerbieten einzig und allein die Reue über sein früheres unvorsichtiges Benehmen gegen Sie und seinen eigenen Sohn. Gewiß, es ist jetzt seine und seiner Gemahlin liebste Hoffnung, Sie und Leon als Kinder wieder an die Brust zu drücken.«

»Ich fürchte mich, meinem Onkel und meiner Tante wieder vor die Augen zu treten. Sie werden mir Vorwürfe machen, die ich nicht verdient habe.«

»Das soll nicht geschehen, mein liebes Kind. Verweilen Sie eine Stunde hier in meiner Wohnung und lassen Sie mich Herrn Haupois und seiner Gemahlin die Glücksbotschaft sofort mittheilen. Ich sage eine Glücksbotschaft, denn ich zweifle nicht, daß Leon jetzt ebenfalls ins elterliche Haus zurückkehren wird. Ich habe die Worte gehört, welche er Ihnen sagte, und können Sie selbst zweifeln, daß sie ehrlich und aufrichtig gemeint waren? Wenn er sagte: ›zu spät‹, so ist er ohne Zweifel der Meinung, daß die kirchliche Ehe mit Cara ihn auf ewig von Ihnen trenne. Doch haben wir gegründete Hoffnung, daß dieselbe auch vom kirchlichen Gerichtshöfe null und nichtig erklärt wird.«

Byasson entfernte sich und kam schon vor Ablauf einer Stunde mit freudestrahlendem Gesichte zurück. Herr und Frau Haupois-Daguillon hatten ohne Weiteres eingewilligt, Madeleine wie ihr eigenes Kind aufzunehmen und das Vergangene zu vergessen. Als das junge Mädchen in den Salon ihres Onkels trat, fiel sie diesem und ihrer Tante weinend in die Arme, aber ein Hoffnungsstrahl verklärte doch die Gesichter aller derjenigen, die im letzten Jahre so schweres Leid und so kummervolle Sorgen hatten ertragen müssen. Freude herrschte in dem kleinen Familienkreise, die nur dadurch etwas gestört wurde, daß Leon abwesend war. Die Gedanken aller waren bei ihm, aber Madeleine gedachte seiner am meisten, und unaufhörlich klangen ihr noch seine Abschiedsworte ins Ohr: »Wenn ich jetzt sterben soll, so sterbe ich glücklich!« War dies nur eine Phrase? Ein pathetischer Ausdruck seiner wiedergefundenen Liebe? Als der Abend herabsank und Leon noch immer nicht heimkam, gerieth Madeleine in große Unruhe. Es war ihr, als ob ein düsterer Schatten um sie war und nicht ruhete ihr zuzuflüstern, daß dem Geliebten Unheil drohe. Endlich ertrug sie das Stillschweigen nicht mehr und äußerte vor den anderen ihre Befürchtung; doch als diese sie zu beruhigen suchten, wuchs ihr Angstgefühl nur noch mehr. Byasson machte sich endlich auf den Weg, um Leon zu suchen. Aber wo ihn finden? Sollte er wirklich wieder zu Cara zurückgekehrt sein? Byasson glaubte es nicht, aber dennoch lenkte er seine Schritte nach der Rue Auber. Er kam in der Wohnung Cara's ungefähr 10 Minuten später an als der Brief, welchen Leon ihr durch einen Commissionär geschickt hatte. Luise öffnete ihm mit einer bestürzten Miene die Thüre.

»Befindet sich Herr Leon Haupois zu Hause?« fragte Byasson.

»Nein, mein Herr, ich fürchte, es ist etwas Schreckliches geschehen.«

»In wiefern?«

»Madame hat soeben einen Brief von Herrn Haupois erhalten und ist gleich darauf wie leblos mit einem Schrei zusammen gebrochen.«

Byasson kam diese Nachricht nicht unerwartet. Der Bruch zwischen Leon und Cara war also plötzlich, wie er geahnt hatte, eingetreten.

Luise stand zitternd vor ihm und hielt Herrn Byasson zurück, als er sich wieder der Treppe zuwenden wollte.

»Mein Herr, Sie sind ein Freund von Herrn Haupois, wie ich weiß. Glauben Sie nicht, daß es sich hierbei blos um einen Bruch zwischen ihm und meiner Herrin handelt. Ein Satz in dem Briefe erschreckte meine Herrin so sehr …«

Byasson schaute das Mädchen erstaunt an.

»Ich glaube, einen solchen Brief hat nur ein Mann schreiben können, der nicht weiß, ob er morgen noch lebt.«

»Wie sagen Sie?« fuhr Byasson erschreckt auf.

Luise brach in Weinen aus.

»O, der gute, brave Herr Leon!«

»Reden Sie, reden Sie! Wo ist der Brief! Was steht darin?«

»Kommen Sie mit mir, mein Herr. Lesen Sie selbst.«

Und Luise führte den alten Herrn in den Salon, wo Cara noch bewußtlos auf dem Sopha lag. Er sah ein Blättchen auf dem Tische liegen, las es und erbleichte.

»– – – wenn ich morgen noch unter den Lebenden weilen werde!«

Ja, das hatte jemand geschrieben, der dem Tode entgegenzugehen bereit war. Mit einem Male schoß wie ein Blitz der Gedanke durch Byassons Kopf, daß Leon am Vorabend eines Duelles stehe. Mit wem, war leicht zu errathen: Mit Evenson.

»Unglückseliger Knabe!« rief Byasson aus und ließ das Blättchen zur Erde fallen. Dann verließ er mit eilenden Schritten die Wohnung Cara's.

Auf der Straße überlegte er, was nun zu thun sei. Er sah die Unmöglichkeit ein, Leon aufzufinden. Wo sollte er ihn suchen?

Der alte Mann blieb im dunklen Schatten einer Mauer stehen und bedeckte die Stirne mit der Hand. So dachte er angestrengt nach. Endlich hatte er einen Entschluß gefaßt. Er ging in seine Wohnung, schrieb dort einige Zeilen an Herrn Haupois, in welchen er denselben benachrichtigte, daß er mit Leon morgen früh zu ihm kommen werde. Man möge sich daher nicht weiter beunruhigen.

Mit fieberhafter Eile kleidete er sich sodann um. Er wechselte seine Kleider aus leichterem Stoffe mit schweren Winterkleidern und hing einen dicken Pelz über den Arm. Nachdem er unten den Concierge beauftragt hatte, den Brief an Herrn Haupois schleunigst besorgen zu wollen, nahm er sich einen Wagen und fuhr zu einem alten Freunde, der als geschickter Arzt und Wundarzt sich eines guten Rufes in Paris erfreute. Diesem theilte er seine Befürchtungen mit und berieth mit ihm, was zu thun sei, um diesem Duelle vorzubeugen.

Byasson hatte einen Plan entworfen, welchem der Arzt seine Zustimmung gab. Die Polizei sollte nicht benachrichtigt werden, da Byasson jedes Aufsehen vermeiden wollte und auch fürchtete, Leon durch eine solche Maßregel aufs neue zu erzürnen, denn er kannte dessen tapfere Gesinnung.

Tief in der Nacht, ehe noch die erste Morgenröthe am östlichen Himmel emporstieg, fuhren Byasson und sein Freund in einer bequemen Kalesche hinaus nach dem muthmaßlichen Schauplatz des Duells, dem Bois de Boulogne. Es war anzunehmen, daß hier das Duell stattfinden würde, da die kurze Spanne Zeit den Duellanten nicht erlaubte, einen entfernteren Ort aufzusuchen.

An einer der verstecktesten Stellen des Gehölzes hielt der Wagen stille, beide Herren stiegen aus und trennten sich dann. Der Arzt ging langsam nach rechts, Byasson nach links. Es war allmählich heller geworden, aber noch konnte man auf einige Meter Entfernung die Gegenstände nicht genau unterscheiden. Byasson wanderte langsam weiter, oft stehen bleibend und horchend. Er hoffte in der Stille der Nacht die Räder eines Wagens rollen zu hören und wollte dann dem Geräusche derselben nachgehen. Aber kein verdächtiger Laut klang aus dem stillen Dickicht zu ihm hinüber. Wohl eine Stunde wanderte Byasson auf und nieder, ohne das ersehnte Geräusch zu hören. Sein Herz pochte, seine Pulse flogen und dicker Schweiß perlte von seinem Antlitze, als er daran dachte, daß er sich in seiner Annahme getäuscht haben könnte. Wenn Leon und Evenson schon gestern mit dem Abendzuge nach Fontainebleau gefahren wären!

Die lautlose Stille wurde plötzlich unterbrochen. Ein dumpfer Knall hallte von dem Seineufer zu ihm herüber. Byasson zuckte zusammen. Dann aber bezwang er mit fast übermenschlicher Gewalt seine Aufregung, um aufmerksam zu horchen, aus welcher Richtung sich der Knall wiederholen würde. Schon hoffte er, daß sein Ohr sich getäuscht hatte … da erklang's zum zweiten Male, und ohne sich länger zu besinnen, durchbrach der alte Herr das nächste Gebüsch und eilte in der Richtung des Seineufers davon.

Wenn ein Geist über dem Gehölz hätte schweben können, so würde er bemerkt haben, wie zwei menschliche Gestalten fast in grader Linie aus einen bestimmten Punkt zueilten. Dieser Punkt lag in einer kleinen versteckten Lichtung des Gehölzes und aus demselben stieg Pulverrauch in die reine frische Morgenluft empor. Als dieser verzog, konnte man sehen, daß zwei Menschen einander gegenüberstanden und die Waffen erhoben. Waren Byasson und der Arzt noch früh genug gekommen, um die Wiederholung des schrecklichen Schauspiels zu verhindern?

Zu spät! Der kleine blondhaarige Amerikaner hatte den ersten Schuß … die Kugel verließ den Lauf des Revolvers und Leon Haupois fiel in die Arme seines Freundes Clergeau.

In demselben Augenblick brach Byasson athemlos und erschöpft aus dem Gebüsche hervor und eine Secunde später erschien sein Freund auf dem Schauplatze des Duells.

»Wir sind verrathen!« rief der Secundant des Amerikaners. »Schnell, Sir, wenn Ihnen Ihre Freiheit lieb ist.«

Während Clergeau, Byasson und der Arzt sich mit dem bewußtlosen Leon beschäftigten, entfernten sich Evenson und sein Secundant.

Der Arzt untersuchte Leons Wunde. Die Kugel war ihm in die rechte Schulter gedrungen.

»Um Gottes Willen sprechen Sie,« rief Byasson aus. »Was fürchten Sie?«

»Die Wunde ist nicht lebensgefährlich,« erklärte der Arzt in bestimmtem Tone.

Thränen der Aufregung und Freude entströmten den Augen des alten Byasson, doch er faßte sich schnell.

»Bestellen Sie den Wagen hierher,« fuhr der Arzt fort, während er Verbandzeug und sein Besteck aus der Tasche holte, »unterdessen werde ich die Wunde verbinden.«

Eine halbe Stunde später bewegte sich eine dichtverschlossene und verhangene Kalesche dem Ausgange des Gehölzes zu. Als sie die Chaussee erreicht hatte, erlaubte der Arzt, daß der Wagen etwas schneller fuhr, und so trafen die Insassen, ohne Aufsehen zu erregen, in einer Stunde in der Rue Rivoli in Paris ein.

Der Schreck, das Erstaunen, die Aufregung waren groß in der Haupois'schen Familie, als der verwundete Leon die Treppe hinaufgetragen wurde. Aber die Versicherungen des Arztes beruhigten die Gemüther allmählich. Madeleine allein konnte keinen Trost und keine Ruhe finden. Sie klagte sich an, Leon in den Tod getrieben zu haben und warf sich weinend vor seinem Bette nieder, während die Mutter, den Worten des Arztes mehr vertrauend, in emsiger Thätigkeit um die Pflege ihres Sohnes bemüht war. Herr Haupois war tief erschüttert von dem Unglücksfall, aber er konnte sich doch nicht enthalten, mit Stolz auf seinen Sohn zu blicken, der für die Ehre seines Namens so tapfer gekämpft hatte …

Zwei Wochen vergingen. Wir wollen den Leser nicht mit einer ausführlichen Schilderung des Krankenlagers Leons behelligen. Unter der sorgsamen Pflege der Mutter und der Geliebten, welche fast nie von seiner Seite wich, auch dann nicht, als Leon bereits das Lager verlassen konnte, erholte sich der Kranke schnell. Was sollen wir von den zärtlichen Gesprächen und den Selbstvorwürfen erzählen, welche zwischen den Liebenden stattfanden! Wer je einmal geliebt und dieser Liebe wegen Sorge und Kummer erlitten hat, wird sich unschwer die Glückseligkeit ausmalen können, welche in den Herzen Leons und Madeleinens einzog, als sie sich wiedergefunden hatten. Nur ein Schatten drängte sich zwischen beide und oft verursachte dieser ihnen dunkle Stunden des Zweifels und der Wehmuth. Leon war verheirathet, zwar nicht vor dem Gesetze, aber doch vor Gott! Durfte er es wagen, sich von seinem Schwur loszusagen, durfte Madeleine sich zwischen zwei Menschen drängen, die Gott verbunden hatte?

Herr und Frau Haupois, deren Gemüther in der langen Prüfungszeit milde und weich gestimmt waren, und deren höchster Wunsch jetzt eine Verbindung zwischen Leon und Madeleine war, suchten die Scrupel ihrer Kinder zu verscheuchen, indem sie eine kirchliche Trennung der Ehe in nahe Aussicht stellten. Auch Byasson war dieser Ansicht und suchte die Grillen Leons zu verscheuchen. Aber dieser hatte dennoch trübe Stunden. Er dachte doch bisweilen an Cara, und jetzt, wo er dem Glücke so nahe war, gedachte er milderen Sinnes des unglückseligen Weibes, welches ihn einstmals verführt hatte. Es war keine Liebe mehr, es war nur noch Mitleid, welches die Erinnerung an Cara in ihm wach hielt.

Eines Tages, als er mit Byasson allein im Zimmer war, bat er diesen einen Augenblick in einer wichtigen Angelegenheit um Gehör.

»Ich werde jetzt ein neues Leben anfangen,« sagte er, »und den Wünschen meiner Eltern gehorchen. Mein Vater hat mich als Associé in sein Geschäft wieder aufgenommen und ich werde mich bemühen, endlich ›schwimmen‹ zu lernen, wie meine Mutter sich ausdrückt. Vordem möchte ich aber zwei wichtige Angelegenheiten ordnen.«

»Sprich, mein Sohn,« erwiderte Byasson. »Wenn ich dir mit Rath oder That nützen kann, so soll's gewiß geschehen.«

»Haben Sie genug Vertrauen zu dem Associé des Hauses Haupois-Daguillon, um ihm eine halbe Million Franken zu leihen?«

Byasson sah ihn erstaunt an.

»Es handelt sich zuerst,« fuhr Leon fort, »um Verpflichtungen, welche Madeleine jenem Amerikaner gegenüber eingegangen ist …«

»O, du brauchst dich deswegen nicht zu beunruhigen, deine Mutter ist bereits mit Herrn Evenson in Verbindung getreten und hat ihn abgefunden, obgleich der Schurke diese Rücksicht nicht verdiente.«

»Gott Lob! Aber nun die zweite Angelegenheit! Es handelt sich diesmal um Cara. Sie hat meinetwegen ihr ganzes Mobiliar verkauft und ich schulde ihr aus diesem Grunde eine große Summe. Sie hat mir außerdem Geld geliehen. Im Ganzen möchte ich ihr dreimalhunderttausend Franken zukommen lassen. Wollen Sie ihr diese auszahlen? Ich will sie nicht wiedersehen. Wenn Sie mir diese Bitte abschlagen, müßte ich mich an meine Eltern wenden, was mir außerordentlich schwer wird.«

»Gut, ich werde dir diese Summe leihen, aber nur unter der Bedingung, daß ich sie Cara erst dann bringe, wenn du mit Madeleine verheirathet bist. Gleich morgen will ich diese Angelegenheit mit Cara ordnen.«

Leon willigte ein und Byasson begab sich schon am anderen Morgen in die Rue Auber.

Ehe wir diese dritte Begegnung Byassons mit Cara schildern, müssen wir noch einschalten, daß Letztere während der letzten vierzehn Tage fast täglich einen Boten nach der Rue Rivoli geschickt hatte, welcher sich nach dem Befinden Leons erkundigen sollte. Derselbe wurde stets ohne Antwort abgewiesen. Außerdem hatte Cara mehrfach Briefe an Herrn und Frau Haupois gerichtet, in welchen sie anfangs in höflicher und flehender Weise gebeten hatte, Leon besuchen zu dürfen. Später hatte sie die Sprache gewechselt und drohte den Eltern, daß sie auf Grund ihrer Verheirathung mit Leon ein Recht habe, ihn zu sehen, und die Erlaubnis erzwingen werde. Diese Briefe wurden nie beantwortet und Cara verzehrte sich deshalb in ohnmächtiger Wuth gegen die ganze Haupois'sche Familie. Mit großem Erstaunen empfing sie daher den Besuch Byassons und ihre erste Frage war:

»Wo ist Leon? Wie ist sein Befinden?«

»Beruhigen Sie sich,« erwiderte Byasson, »er befindet sich wieder wohl und ist in guter Obhut bei seinen Eltern, deren Associé er geworden ist. Die Eltern haben ihre Einwilligung gegeben mit der Aussicht auf die baldige Heirath zwischen ihm und seiner Cousine Madeleine.«

»Seine Cousine? Wer ist sie?«

»O, Sie haben sicherlich von Fräulein Bourdon gehört. Es ist eine und dieselbe Dame.«

Cara erbleichte. Nun erst errieth sie, weshalb Leon die Mittheilung, daß Fräulein Bourdon die Geliebte des Mr. Evenson sein sollte, so heftig aufgenommen hatte.

»Diese Heirath,« fuhr Byasson fort, »wird stattfinden, sobald die Ihrige von dem geistlichen Gerichte in Rom für null und nichtig erklärt worden ist.«

»O, das wird nie und nimmer geschehen!«

»Ihr Sträuben dagegen wird Ihnen wenig helfen und Sie werden es nicht verhindern. Leon liebt seine Cousine, er liebte sie schon, ehe er Sie kannte, und diese Liebe ist jetzt leidenschaftlicher als je in ihm erwacht. Sie wissen, daß eine neue Liebe die alte schnell vergessen macht. Jeder Versuch Ihrerseits würde also vergeblich sein, Sie wissen das besser als ich. Jedoch, da Sie vielleicht einen Scandal beabsichtigen, der weniger gefährlich als unangenehm wäre, so biete ich Ihnen im Namen von Leon dreimalhunderttausend Franken an, welche ich am Tage der Hochzeit Leons auszahlen werde, wenn Sie uns in Ruhe und Frieden lassen.«

»Und wie viel bieten Sie mir, wenn ich freiwillig die Auflösung unserer Ehe unterstütze?«

»Nichts. Wir sind unserer Sache sicher und brauchen Sie deshalb für Ihre Hilfe nicht zu bezahlen. Uebrigens sind dreimalhunderttausend Franken eine ganz hübsche Summe und ersetzen die Opfer, welche Sie unserem Freunde brachten, vollständig.«

Cara erbleichte und ihre Lippen verfärbten sich. Aber sie bekämpfte ihren Zorn und suchte zu lächeln.

»Sie sagten mir einmal,« erwiderte sie, »daß Sie mich wie ein wildes Thier hätten erdrosseln mögen. Heute ist Ihr Wunsch erfüllt.«

»Sie müssen aber zugestehen, daß ich meine Nägel zuvor mit dem weichen Papier von Banknoten umwickelt habe. Es schmerzt nicht …«

Cara wußte sehr wohl, daß eine neue Liebe schwer zu bekämpfen sei. Trotzdem wollte sie es versuchen, sich die Liebe Leons zurückzuerobern. Sie eilte nach der Unterredung mit Byasson zu Riolle, welcher sich wohl gehütet hatte, ihr mitzutheilen, daß er sie vornehmlich bei Leon angeschwärzt hatte.

Der Advocat empfing sie mit seinem gewöhnlichen cynischen Lächeln. Als er aber ihr Verlangen hörte, daß er Madeleine auf Grund des Contractes mit ihr fortschaffen sollte, schüttelte er den Kopf.

»Ich kann dir nicht helfen. Meine Ansprüche an das Mädchen habe ich an Evenson verkauft und dieser ist von Herrn Haupois-Daguillon abgefunden worden.«

Cara hatte jetzt nur noch die einzige Hoffnung, daß ihre Ehe mit Leon von Rom aus bestätigt werden würde. Sie beschloß, den entscheidenden Spruch ruhig abzuwarten und im schlimmsten Falle sich mit dem von Byasson angebotenen Schmerzensgelde zu trösten.

Trotz des anscheinenden Sicherheitsgefühles, welches Byasson zur Schau getragen hatte, war es noch keineswegs gewiß, daß Rom die Nullität aussprechen würde. Herr und Frau Haupois hatten sich an eine einflußreiche Persönlichkeit gewendet, welche bereits einmal die Scheidung zwischen einem deutschen Banquier und einer Französin bewirkt hatte, aber diese Persönlichkeit erreichte diesmal nichts, obgleich Herr Haupois es an Geld nicht fehlen ließ. Er erwiderte stets, daß der Fall ein sehr ernster sei, daß man warten müsse u. s. w.

Des Wartens müde, unternahm Frau Haupois selbst eine Reise nach Rom, warf sich zu den Füßen des Papstes nieder und erklärte ihm mit beredten Worten einer Mutter, auf welche Weise die Heirath ihres Sohnes mit Cara zu Staude gekommen war. Sie erreichte damit, daß dem Erzbischof von Paris, gemäß der Bulle von Benedict XIV., ( Dei miseratione) befohlen wurde, eine Untersuchung in dieser Sache anzustellen und das Resultat derselben dem Cardinalscollegium zu unterbreiten, welches die Giltigkeit der Ehe prüfen solle.

Vor diesem geistlichen Gerichte in Paris erschienen Leon und Cara, Herr und Frau Haupois-Daguillon, Byasson und alle, welche in irgend einer Beziehung zu der Heirath Leons standen. Trotz ihrer großen Geschicklichkeit in der Vertheidigung wurde es Cara bewiesen, daß sie die kanonischen Gesetze umgangen und den Abbé O'Connor getäuscht habe. Die Ungiltigkeit der Ehe wurde decretirt.

Gleich darauf wurden alle Vorbereitungen zu der neuen Ehe mit Madeleine getroffen.

Obgleich Cara sich der Bedingung, welche Byasson gestellt hatte, gefügt hatte, so war dieser doch nicht ohne Furcht, daß sie am Hochzeitstage selbst noch einen Scandal provoziren würde. Er traf daher Anordnungen, daß es ihr unmöglich wurde in die Kirche einzutreten und sich am Fuße des Altars zwischen Leon und Madeleine zu werfen. Doch diese Anordnungen erwiesen sich als überflüssig; weder die kirchliche Ceremonie noch die Gesellschaft nach derselben wurden in irgend einer Weise gestört.

Von allen Freunden der Familie Haupois fehlte Byasson allein beim Hochzeitsmahle. Er verließ das Haus seines Freundes und eilte um 10 Uhr Abends in die Rue Auber, um Cara die versprochenen dreimalhunderttausend Franken zu bringen.

Cara erwartete ihn. Sie empfing die Werthpapiere und zählte sie mit vollkommener Ruhe nach.

»Jetzt,« sagte sie, »haben wir noch über ein zweites Geschäft zu reden. Was zahlen Sie mir für diese dreiunddreißig Briefe, welche ich im Laufe der Zeit von Leon erhalten habe? Sie sind zum Theile sehr zärtlich, sehr leidenschaftlich, und wenn ich der jungen Frau Haupois jeden Tag einen derselben zuschicke, so denke ich, daß ihr der Honigmond dadurch etwas verbittert wird.«

Byasson gerieth in gelinde Verlegenheit und antwortete nicht gleich. Dann griff er nach dem Päckchen Briefe und sagte:

»Sie erlauben?«

»Wenn Sie wollen, will ich Ihnen zwei oder drei vorlesen.«

»Nein, ich danke, es genügt, wenn ich sie selbst ansehe.«

Er blätterte in den Briefen, die unordentlich in einander geschoben waren, und fuhr dann fort:

»Sie sind weder mit Umschlägen versehen, noch tragen sie Adressen. In diesem Zustande sind sie nichts werth. Wenn Sie Frau Haupois dieselben zuschicken, so wird sie glauben, daß Sie die Briefe selbst fabricirt haben. Ich bin deshalb in Verzweiflung, Madame, dies kleine Geschäft mit Ihnen nicht machen zu können, aber ich hoffe, daß die dreimalhunderttausend Franken Sie in den Stand setzen werden, auf anständige Weise als Witwe Leons leben zu können, was ja einstmals Ihr Wunsch war …«

Die dreimalhunderttausend Franken genügten nicht, denn zwei Jahre später erhielt Herr Haupois-Daguillon am Tauftage seines zweiten Enkels den folgenden Brief, welcher ihn von der verzweifelten Lage Cara's in Kenntnis setzte:

 

»Mein Herr!

Beiliegend erhalten Sie eine Anzahl Briefe, welche mir Ihr Herr Sohn einst geschrieben hat. Sie sind das Einzige, was mir von ihm geblieben ist.

Ich schicke diese Briefe Ihnen, weil ich mich schäme, Ihrem Sohne die verzweifelte Lage einzugestehen, in welcher ich mich befinde. Meine Gläubiger drohen, mich aus meiner Wohnung zu vertreiben und mein geringes Mobiliar zu verkaufen, wenn ich nicht bis zum Montag viertausend Franken bezahle, oder wenn nicht ein Anderer diese Summe in meinem Namen an den Executor Bonnot, Rue Drouot Nr. 1., schickt.

Genehmigen Sie, mein Herr, die Gefühle der Hochachtung einer Frau, welche einst die Ehre hatte, Ihren Namen zu tragen und fortan für Sie und alle Anderen nur noch Cara sein wird.

Hortense Binoche.«

 

Ende.

 


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