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Siebenzehntes Kapitel.
Das Debüt und seine Folgen

Leon und Hortense, oder besser gesagt, Cara und ihr »Gatte«, lebten seit ihrer Rückkunft nach Paris eingezogener und stiller als je. Die Begegnung, welche Leon mit seiner Mutter gehabt hatte, hatte auf den Ersteren einen tiefen Eindruck gemacht, und zum ersten Male wurde es Cara schwer, die Melancholie ihres Gatten zu verscheuchen, als er an jenem Nachmittage zu ihr zurückkehrte. Vielleicht auch war sie selbst schuld daran, daß sich Leon dem süßen ehelichen Glücke nicht mehr so voll und ganz hingab, wie früher. Cara hatte ein Ziel erreicht, dessen Erreichung ihr nach monatelanger angestrengter Heuchelei erst möglich wurde. Sie erschlaffte jetzt ein wenig, und trachtete auf ihren Lorbeeren auszuruhen, obgleich sie sehr gut wußte, daß ihr Werk erst halb vollendet war. Es ist der menschlichen Natur ein nothwendiges Bedürfnis, nach angestrengter Arbeit auszuruhen und zu pausiren. Gegen ihren Willen wurde Cara von einer Apathie ergriffen, gegen welche sie vergeblich ankämpfte. Sie spielte noch immer die Zärtliche, die Liebenswürdige, die Anspruchslose mit einer Virtuosität, um welche sie ihre Berufsschwestern hätten beneiden können; aber die Verhältnisse hatten sich geändert. Leon war nicht mehr der nämliche leidenschaftliche liebesdurstige Jüngling, dessen Verstand von Küssen und Umarmungen eingelullt werden konnte. Das erneuerte Vorgehen seiner Familie gegen ihn, die Drohung, die Ehe mit Cara ungiltig erklären zu lassen, die Sorge, daß er demnächst keinen rothen Heller mehr im Besitze haben werde und dann mit Cara zusammen auf dem Trockenen sitze, die Ungewohnheit des verzogenen Jünglings, sich einschränken zu müssen … Alles dieses wirkte lähmend auf seine Leidenschaft ein. Es kamen nun auch Gedanken, die er früher schnell unterdrückte, wieder zurück; Gedanken darüber, daß er von dem Gelde seiner Maitresse, seiner »Gattin«, lebe, daß Cara ihm Manches geopfert habe und er ihr zu Dank verpflichtet sei. Dank erzeugt Undank, wenn der Dankverpflichtete unvermögend ist. Er machte sich Selbstvorwürfe, daß er diese Opfer jemals hatte annehmen können, und diese Vorwürfe erstreckten sich bald auf diejenige, welche ihn zu der Annahme der Opfer verführt hatte.

Noch vor kurzem hatte Leon seine Geliebte zur Vertrauten aller seiner Gedanken und Gefühle gemacht, jetzt aber wurde er verschlossener. Cara war so klug, daß sie die leise Veränderung in Leons Benehmen bemerkte; aber es fehlte ihr die Energie, um mit verdoppelter Kraftanstrengung den ihr feindlichen Geist, welcher sich in die Seele Leons schlich, zu bekämpfen. Die Zärtlichkeit Beider nahm äußerlich nicht ab, aber sie hatte den Reiz des Neuen und der frischen Jugend eingebüßt. Die kirchliche Einsegnung ihrer Verbindung hatte derselben den pikanten Beigeschmack des Verbotenen benommen, sie lebten wie rechtmäßige Ehegatten nebeneinander, die es müde wurden, stets von Liebe zu sprechen und den Wunsch hegten, nun auch nach der langen Zeit der intimen Genüsse sich den Freuden der übrigen Welt anzuschließen. Aber sie waren und blieben allein auf sich angewiesen.

Leon empfand die Einsamkeit am stärksten. Er wurde es müde, immer das eine Gesicht vor sich zu sehen, und Cara ihrerseits sehnte sich auch nach dem rauschenden Leben inmitten der Gesellschaft ihrer früheren Freunde zurück. Wenn sie auch in erster Linie Verstandesmensch war, so war sie doch auch Weib, und lange genug hatte sie ihre Eitelkeit unterdrückt und die empfindsame hingebungsvolle Geliebte geheuchelt, um nicht endlich ungeduldig zu werden. Ihre Ungeduld riß sie bisweilen zu Worten hin, die Leon mißtrauisch machten. Es schlich sich bei ihm die Empfindung ein, daß er Rosenketten trage, welche bisweilen schwer wie Eisen auf ihm lasteten.

Es wäre vielleicht zu einem schnelleren Bruche zwischen den beiden Gatten gekommen, wenn nicht die Gewohnheit gewesen wäre, die süße, liebe Gewohnheit, welche so nahe verwandt mit der Trägheit ist. Trägheit des Körpers und Trägheit des Geistes, das sind die unangenehmsten Krankheiten, sie vergrößern die Empfindungen der Unruhe und der Ungemüthlichkeit, und schwächen zu gleicher Zeit die Energie, sich aus der Lethargie aufzuraffen. Gewohnheit übt dieselbe Macht aus. Bei Cara sowohl wie bei Leon stellte sich das Gefühl der Apathie ein. Erstere hatte den Vortheil, daß sie sich eines Triumphes bewußt war, welcher ihr nicht geraubt werden konnte. Sie lebte mit Leon in kirchlich eingesegneter Ehe, und Convenienz und Gesellschaft erkannten dieselbe als eine legitime an. Was fragte sie nach juristischen Zweifeln!

Eines Tages erhielt Leon eine Einladung von dem Advocaten, der seinen Prozeß führte. Dieser empfing den jungen Mann mit ernster Miene.

»Mein Herr,« sagte er, »der Augenblick ist gekommen, wo ich nach Ihren Instructionen zum dritten und zum letzten Male im Sinne des Artikels 152 Ihrem Herrn Vater und Ihrer Frau Mutter mittheilen soll, daß Sie auf Ihrem Entschluß bestehen. Erst nach dieser Erklärung darf der Nullitätsantrag seitens Ihrer Eltern gestellt werden. Ehe ich aber diese Erklärung abgebe, halte ich es für meine Pflicht, Sie noch einmal zu fragen, ob Sie Ihre Ansichten nicht geändert haben. Es ziemt sich nicht für mich, Ihnen einen Rath zu geben, ich würde aus meiner Rolle fallen, da ich nicht Ihr Rechtsbeistand bin, aber ich darf Ihnen dennoch einige Fingerzeige geben und bitte Sie, mich nicht zu unterbrechen.«

Leon erhob sich, aber der Notar bat ihn durch eine Handbewegung, sich niederzusetzen.

»Ich muß Ihnen mittheilen, daß ich vor einiger Zeit den Besuch eines der ältesten Freunde Ihrer Familie, des Herrn Byasson, erhalten habe, welcher mich privatim um meine Vermittelung gebeten hat. Er hat mir Documente gebracht, von denen ich bis zu einem gewissen Punkte Kenntnis nahm. Sie betreffen die Dame, welche Sie heirathen wollen und enthalten begründete Anklagen von höchster Wichtigkeit. Herr Byasson bat mich, diese Documente in Ihre Hände zu legen. Ich werde diesen Auftrag nur erfüllen, wenn Sie selbst mir die Documente abfordern. Ich habe sie in Aufbewahrung genommen und halte sie jederzeit zu Ihrer Verfügung.«

Leon schwieg und stand auf. Noch waren seine Liebe zu Cara und sein Trotz gegen die Eltern zu groß, als daß er freiwillig die Anklagen gegen seine »Gattin« gefordert hätte.

Nach einer kleinen Pause fuhr der Notar fort:

»Wir haben bis zur dritten und letzten Erklärung noch acht Tage Zeit und ich erwarte, daß Sie während dieser Frist Ihren Entschluß noch einmal in ruhige Erwägung ziehen. Heute über acht Tage, um diese Stunde, stehe ich zu Ihrer Verfügung und erwarte Ihre Befehle.«

Die beiden Herren trennten sich mit einer kühlen höflichen Verbeugung von einander.

Cara fragte gleich nach der Rückkehr Leons, welche wichtige Neuigkeit der Notar ihm mitzutheilen gehabt habe.

Leon verschwieg anfangs die Hauptsache, aber Cara, die aus seinen Mienen Unheil las, bot alle ihre Zärtlichkeit und Geschicklichkeit im Fragen auf, und endlich erfuhr sie auch von den mysteriösen Documenten, welche begründete Anklagen gegen sie enthalten sollten.

Cara erbleichte unter ihrer Schminke, aber schnell gewann sie ihre Geistesgegenwart wieder.

»Hast du dir diese Documente ausliefern lassen?« fragte sie.

»Nein.«

»Weshalb nicht?«

»Wie kannst du so fragen, Hortense. Ich weiß ja im voraus, daß sie die alten Verleumdungen enthalten.«

Cara erhob sich schnell von ihrem Sitze und schlang die Arme um ihren Geliebten.

»Leon,« rief sie, indem sie ihn küßte, »wie liebe ich dich, wie stolz bin ich auf dich!«

»Hätte ich anders handeln können?«

»Nein, du nicht, ich wußte es ja. Du hast ein so edles und reines Herz, welches kein Mißtrauen kennt. Aber ich schwöre dir auch, daß ich unschuldig bin und daß nur elende Habgier meine Feinde bewegt, mich zu verleumden.«

»Ich werde diese Papiere nie bei dem Notar abholen.«

»Und doch, du wirst es thun!« rief Cara lebhaft. »Du mußt es thun, meiner Ehre wegen, mir selbst zu Liebe.«

»Wie?«

»Ja. Wenn du auch den festen Glauben hast, daß ich unschuldig bin, so sollst du doch auch Beweise davon haben. Ich will die Anklage hören und will mich vor dir verantworten.«

»Das ist nicht nöthig.«

»Ich will es und wenn du mich liebst, so thust du mir den Willen. Versprich es mir.«

»Wenn du es durchaus verlangst, nun ja.«

»Gut. Jetzt bin ich beruhigt.«

Als Cara in dieser Weise ihr Schicksal herausforderte, war sie sich gar wohl bewußt, was sie that. Sie kannte Leon zu gut, als daß sie nicht voraussah, er werde dennoch eines Tages, sei es aus Neugierde, sei es aus irgend einem anderen Grunde, die Documente abholen. Wenn sie nun selbst darauf bestand und ihre Unschuld so keck jedem Angriffe preisgab, glaubte sie von vornherhein das Urtheil Leons zu beeinflussen. Sie hoffte, und wahrlich nicht mit Unrecht, daß es ihr gelingen werde, in gewohnter Weise und durch ihre leidenschaftliche Beredtsamkeit alle Anklagen vor Leon zurückweisen zu können. Hatte sie doch dasselbe Experiment schon einmal bei ihrem früheren Geliebten, dem Herzog von Carami, mit Glück ausgeführt.

Einige Tage später, als Leon seinen Notar noch nicht wieder ausgesucht hatte, beschlossen die beiden Gatten, gemeinsam das Opernhaus zu besuchen. Die Zeitungen hatten angekündigt, daß an diesem Abende zum ersten Male eine junge Sängerin vor dem Publikum erscheinen werde, die sich in den Kreisen der Kunstfreunde bereits eines guten Rufes erfreute.

Es wurde »Don Juan« gegeben.

Die Debütantin sollte die Rolle der Donna Anna singen und spielen.

Der Leser wird errathen haben, daß die Debütantin keine andere war, wie Madeleine. Dank der Reclame, welche Riolle in Scene zu setzen verstanden hatte, war die Vorstellung außerordentlich gut besucht und mit großer Spannung erwarteten alle Zuhörer das Aufziehen des Vorhanges. Einige Zeitungen hatten Madeleine bereits im voraus das »Phänomen des neunzehnten Jahrhunderts« genannt, andere sprachen davon, daß die Anfängerin Adelina Patti durch ihre Stimme und ihr Spiel in Schatten stellen würde.

Leon und Cara nahmen in einer Loge des ersten Ranges Platz, welche eine bequeme Aussicht auf die Bühne bot. Sie waren beide nicht sonderlich erwartungsvoll gestimmt. Gleichgiltig hielt Leon den Theaterzettel in der Hand und las seiner Geliebten die Besetzung des Stückes vor. Ueber den Namen Bourdon glitt er schnell hinweg. Der Name war ihm unbekannt und die Persönlichkeit der Dame interessirte ihn wenig. Er hatte niemals für Sängerinnen geschwärmt.

Als das Zeichen zum Aufziehen des Vorhanges gegeben wurde und die Ouvertüre verrauscht war, war Leon gerade im Begriff mit seinem Opernglase die Damen und Herren der gegenüberliegenden Logen zu betrachten. Die Arie Leporellos klang in sein Ohr, ohne daß sie ihn in seiner Beschäftigung störte. Er wandte der Bühne den Rücken zu, als der Zweikampf zwischen dem Komthur und Don Juan stattfand und darauf Donna Anna verzweifelnd aus den Coulissen stürzte.

Plötzlich klang eine helle Stimme an sein Ohr. Gleichsam von unsichtbarer Macht getrieben, wandte er sich um und blickte zur Bühne. Er bedurfte nur eines Augenblicks, um zu wissen, wen er vor sich sah.

»Madeleine!«

Unwillkürlich rief er diesen Namen aus, so daß Cara sich erstaunt zu ihm umwandte. Seine Miene drückte einen hohen Grad von Ueberraschung aus, er wandte den Blick nicht von der holden Gestalt, die plötzlich seine süßesten Jugenderinnerungen wachrief; er fuhr ärgerlich auf, als die neugierige Cara ihn sachte in die Seite stieß und ihm leise Worte zuflüsterte, und vergaß seine Umgebung. Er träumte, aber in diesem Traume sah er nur eine Figur, ein Mädchen, Madeleine, seine Jugendgeliebte.

Als Donna Anna die erste Scene beendet hatte, erhob sich aus der Mitte des Saales ein betäubender Lärm. Unter dem großen Kronleuchter des Parterres, von den Logen des ersten, zweiten und dritten Ranges hallten Bravorufe und lebhaftes Händeklatschen. Es war keine Frage, dieser Beifall war eine Demonstration. Aber es schien, als ob ein großer Theil des Publikums, welcher der herrlichen Stimme Donna Annas bis dahin mit Wohlgefallen gelauscht hatte, diese Demonstration verfrüht fand. Es erhoben sich einzelne Stimmen, welche um Ruhe baten, und vereinzelte Zischlaute klangen dazwischen, aber diese schienen die Beifallsklatscher nur noch zu größerem Tumult aufzureizen. Eine Zeitlang währte der Kampf zwischen der beifallspendenden Majorität und einer kleinen zischenden Minorität, während ein dritter Theil des Publikums sich abwartend und still verhielt. Endlich war die Ruhe wieder hergestellt und die Oper konnte ihren Fortgang nehmen.

Als Madeleine von der Bühne verschwand, hatte Leon sich schnell erhoben. Ohne mit Cara ein Wort zu wechseln, eilte er auf den Logengang, von da ins Foyer und suchte den Eingang zur Bühne. Aber bei der Thür zu derselben stand ein Zerberus, welcher den dringenden Bitten Leons, ihm zu erlauben, die Thüre zu passiren, energischen Widerstand bot.

»Es ist niemanden erlaubt, hier einzutreten,« sagte der Portier.

»Aber ich bin ein naher Verwandter der Debütantin.«

»Haben Sie eine Einlaßkarte?«

»Nein, aber …«

»Ich darf hier niemanden ohne Erlaubnis eintreten lassen.«

Rathlos stand Leon an der Thüre. Endlich hatte er Madeleine wiedergefunden und nun verweigerte man ihm den Zutritt zu ihr. Nach mehrfachem Hin- und Herfragen vertröstete der Thürsteher ihn auf den Schluß der Vorstellung. Leon eilte nun zur Loge zurück und fand Cara in begreiflicher Aufregung.

»Wo bist du gewesen? Wo eiltest du hin?« flüsterte sie ihm zu.

»Das will ich dir später sagen.«

»Nein, jetzt. Leon, ich bitte, ich beschwöre dich, stehe mir Rede und Antwort. Ich vergehe vor Aufregung.«

»Du hast keinen Grund dazu,« erwiderte Leon. »Ich sah einen Bekannten im Parterre, den ich durchaus sprechen mußte.«

»Du speist mich mit einem leeren Vorwande ab. Jene Sängerin war die Ursache der plötzlichen Veränderung deines Benehmens. Wer ist sie?«

»Du quälst mich, Cara, später …«

»O nein, du quälst mich. Mein Herz pocht.«

»Bist du eifersüchtig?«

»Nenne es Eifersucht! Habe ich keinen Grund dazu?«

»Nein,« erwiderte Leon, aber er wandte seinen Kopf ab.

Diesmal blieb Leon fest und widerstand den eindringlichen, wenn auch im Flüstertone geschehenen Fragen Cara's. Da plötzlich erschien Madeleine zum zweiten Male auf der Bühne. Wieder erhob sich von denselben Plätzen wie vorher ein betäubendes Beifallsrufen und Händeklatschen und als Entgegnung daraus wurden Zischlaute gehört. Viele im Publikum wandten sich um und blickten ärgerlich nach der Mitte des Parterres, wo eine Anzahl Leute sich im Klatschen besonders hervorthaten. Endlich beruhigten sich die »Enthusiasten« so weit, daß Madeleine mit ihrem Gesange beginnen konnte.

In einer Loge, welche derjenigen Leons gerade gegenüber lag, saßen der Advocat Riolle und Mister Evenson. Sie zischelten leise mit einander, und über des Amerikaners Gesicht flog ein diabolisches Lächeln. Plötzlich hörte er ein leises Geräusch hinter sich. Ein Herr, welcher in die Loge trat, flüsterte Riolle einige Worte zu.

»Was sagte er?« fragte Evenson, als der Herr sich wieder entfernt hatte.

»Der Director läßt mir sagen, daß ich der Claque einen Dämpfer aufsetzen möchte, denn ihr lautes Wesen verwirre die Meinung des Publikums und rufe Opposition wach.«

Mister Evenson erhob sich.

»Wo wollen Sie hin?« fragte Riolle.

»Ich will dem ›Chef‹ die nöthige Instruction ertheilen.«

Mr. Evenson verließ den ersten Rang und stieg zum zweiten hinaus. Hier ersuchte er die Logenschließerin, Herrn Cavelle auf den Corridor herausrufen zu wollen. Einen Augenblick später stand ein großer breitschulteriger Mann, dessen Figur und Miene durchaus nicht zu seiner eleganten Kleidung paßten, vor dem Amerikaner.

»Mache ich meine Sache gut?« fragte Herr Cavelle, der Chef der Claque.

»Nein.«

»Ah, wir sind zu laut, nicht wahr? Das Publikum ist noch nicht warm geworden. Wir werden uns etwas mäßigen und erst im letzten Acte …«

»Hören Sie mich an,« sagte der Amerikaner, »hier haben Sie ein Extrahonorar von fünfzig Louis. Ihr Klatschen genügt mir nicht. Lassen Sie Ihre Pauken und Trompeten los.«

»Wie? Das kann Ihr Ernst nicht sein!«

»Ich befehle und – bezahle es.«

»Sehr wohl, mein Herr,« erwiderte Cavelle und ließ die Geldrolle in seine Westentasche gleiten, »aber ich sage Ihnen vorher, es wird der Dame nur schaden.«

»Thun Sie, was ich Ihnen sage, und lassen Sie sich durch keine Contreordre, mag sie kommen, von wem sie wolle, irre machen.«

Der Amerikaner wandte sich schnell um und stieg zum ersten Range hinab, Herr Cavelle nahm seinen Platz vorne in der ersten Reihe des zweiten Ranges wieder ein. Bon hier aus war er für alle seine »Arbeiter« sichtbar, und konnte durch fast unmerkliche Zeichen seine Armee dirigiren.

»Alles besorgt,« flüsterte Evenson seinem Gefährten zu, »aber ich fürchte sehr, daß unsere Hoffnungen auf einen glänzenden Erfolg zu Wasser werden.«

Riolle blickte den Amerikaner von der Seite an und erwiderte nichts. Er hatte die Taktik desselben längst durchschaut und sah der Entwickelung der Dinge mit Seelenruhe entgegen. So oder so, er hatte sein Schäfchen im Trocknen. Siegte Madeleine in diesem Kampfe trotz aller Intriguen dennoch, so versprach sie ihm eine unerschöpfliche Geldquelle zu werden; siegte sie nicht, so hatte er sie mit bedeutendem Vortheil bereits so gut wie verkauft.

Wie vorauszusehen war erreichte der tückische Amerikaner seinen Zweck. Bei jedem Auftreten und Abtreten der Debütantin erhob sich ein Tumult im Publikum, der allen anständigen und kunstsinnigen Zuhörern den heftigsten Widerwillen einflößte. Aufgeregt durch die Provocationen und Exklamationen der Claque, betheiligte sich schließlich auch der ruhigere Theil des Publikums am Klatschen und Zischen. Es handelte sich jetzt nicht mehr um die Debütantin, sondern darum, der aufdringlichen Claque ein energisches Dementi zu geben. Gar viele Zuhörer, die bei Beginn der Vorstellung der schönen Stimme und der überraschenden Kunstfertigkeit Madeleinens Gerechtigkeit widerfahren ließen, verwandelten sich allmählich in ärgerliche Mißgünstige, und diese Unruhe und antipathische Stimmung im Zuschauerraume übten ihren Einfluß auch auf die Sängerin aus, die vor Angst und Beklemmung während der Zwischenpausen keinen Athem schöpfen und auf der Bühne schließlich kaum einen Ton über die Lippen bringen konnte.

Evenson triumphirte. Als Madeleine zum letzten Male die Bühne verließ, erhob sich ein Lärm, der einem wilden Schlachtgetöse glich. Die Claque ging zuerst wieder ins Treffen und es gelang ihr auch, die Debütantin noch einmal vor die Lampen zu rufen. Aber plötzlich, wie auf Commando, schwieg sie und die Zischer behielten die Oberhand. Vor Scham und Schmerz überwältigt, stürzte Madeleine von der Bühne und fiel ohnmächtig in die Arme des Herrn – Evenson, welcher sich schnell hinter die Bühne begeben hatte. Hier spielte er jetzt den Verzweifelten, schalt auf die Claque, welche von Neidern der Sängerin bezahlt worden sei und geberdete sich mit einem Worte als ein tief beleidigter Musikenthusiast, der es nur mit tiefem Grame erleben konnte, daß die wahre echte Kunst von dem »blinden Pöbel« so mißachtet würde.

Als Madeleine sich von der Ohnmacht erholt und aus den Armen Evensons befreit hatte, begleitete er sie zur Garderobe, sprach ihr Trost und Muth ein, versicherte aufs Heiligste, daß nur maßlose und schändliche Kabale ihr diesen Streich gespielt hätten und daß er wohl wisse, was er nun thun wolle.

»Ja,« rief er betheuernd aus. »Ich werde diesen Menschen nachspüren, ich werde die Verschwörung aufdecken und die Schändlichkeit derselben öffentlich an den Pranger stellen. Die Kunst darf nicht ohne Strafe so entweiht werden, wie es heute Abend geschehen ist. Trösten Sie sich, mein Fräulein, trösten Sie sich. Sie sollen eine glänzende Genugthuung haben.«

An der Thüre zur Garderobe trennten sie sich. Evenson kehrte in seine Loge zurück, fand aber daselbst seinen Freund Riolle nicht vor. Er erblickte ihn in einer gegenüberliegenden Loge im Gespräche mit einer Dame, deren Namen und Ruf er oberflächlich kannte. Es war Cara, mit der Riolle sich unterhielt. Die Geliebte Leons war unruhig und aufgeregt. Soeben war Leon wieder zur Thüre hinausgestürzt mit allen Zeichen sichtlichen Aergers.

»Wer ist dies Fräulein Bourdon?« fragte Cara den Advocaten.

»Eine Sängerin, die, wie es scheint, kein Glück hat,« erwiderte Riolle trocken.

»Das merke ich. Aber wo stammt sie her?«

»Du bist neugierig.«

»Was geht's dich an? Ich sah sie schon einmal, aber wo, erinnere ich mich nicht genau. Richtig, ich glaube bei dir war's, vor ungefähr einem Jahre, als ich kurz vorher die Bekanntschaft Leons gemacht hatte.«

»Das kann möglich sein. Damals interessirte ich mich in Gemeinschaft mit Sziazziga für ihre Ausbildung.«

»So? Und jetzt? Ich kann mir nicht denken, daß du jetzt kein Interesse mehr an ihr hast.«

»O, Sziazziga ging bankerott und ich hatte nicht das Geld, sie weiter ausbilden zu lassen.«

»Riolle, gestehe mir die Wahrheit. Ich sah dich mit einem blonden Herrn da drüben sitzen und ihr schient euch eifrig für die Sängerin zu interessiren. Deine Liebe für Musik ist's nicht, denn du kannst kaum eine Drehorgel von einer Pauke unterscheiden.«

»Ich will dir später ausführlicher erzählen, was dich zu interessiren scheint.«

»Später! Später! Auch Leon vertröstete mich darauf. Antworte mir, sprich, in welcher Beziehung steht mein Gemahl zu dieser Dame?«

»Auf mein Wort, ich kenne diese Beziehung nicht und zweifele, daß sie überhaupt besteht. Doch der Vorhang fällt. Wollen wir nicht aufbrechen?«

»Ich muß auf meinen Gemahl warten.«

»Auf deinen Gemahl? Auf deinen Geliebten, nicht wahr?«

»Wir haben uns in Amerika kirchlich trauen lassen.« »Ei sieh'! Ich gratulire!«

»Wo Leon nur bleibt!« rief Cara aus und blickte sich ängstlich um.

»Er ist ungalant, wie ein wirklicher Ehemann,« spöttelte Riolle. »Cara, du hättest bester gethan, deinen galanten Liebhaber nicht in einen ungalanten Ehemann zu verwandeln.«

Cara saß wie auf Kohlen. Der Zuschauerraum leerte sich mehr und mehr. Ein Theil der Gasflammen wurde von den Hausbeamten ausgelöscht. In den Garderoben nahmen die Unruhe und der Tumult ab. Die Logenschließerin kam und erkundigte sich, ob sie die Garderobe von Madame bringen sollte … und Leon kam noch immer nicht.

»Wir müssen gehen,« flüsterte Riolle, »sonst werden wir noch in höflichster Weise hinausgeworfen. Komm, Cara, gieb mir deinen Arm, ich führe dich zu deinem Wagen und versüße dir die ersten bitteren Augenblicke deines prosaischen Ehestandes.«

»Es ist empörend!« zischte Cara.

»Ja, freilich, aber was thun? Leon wird einen alten Bekannten getroffen haben …«

»Still!« herrschte Cara ihn an.

»Ich füge mich deiner königlichen Ungnade.

Langsam führte Riolle »Frau Haupois junior« die Treppe hinunter und ließ den Wagen vorfahren. Cara stieg ein, befahl aber dem Kutscher, in kurzer Entfernung von der Opernhaustreppe zu halten.

»Soll ich dich nach Hause begleiten?« fragte Riolle.

»Nein, ich danke. Ich werde dich in den nächsten Tagen aufsuchen.«

»Gut. Lebe wohl.«

Riolle entfernte sich und eilte der Wohnung Madeleinens zu. Hier wollte er sich mit einigen Freunden und auch mit Evenson treffen, von dem er die sofortige Auszahlung der 180 000 Franken erwartete, denn es lag zu klar am Tage, nach einem solchen Fiasko würde der Director der Oper Fräulein Bourdon nicht engagiren.

Unterdessen saß Cara äußerlich ruhig, aber innerlich aufgeregt und unruhig wie ein Vulkan, in ihrem Wagen und wartete. Die Thurmuhren schlugen Mitternacht. Leon kam nicht. Es verging eine Stunde, endlich gab Cara den Befehl, sie nach Hause zu fahren.

Hier angelangt, galt ihre erste Frage Leon.

»Herr Leon ist noch nicht zurückgekehrt,« erwiderte Luise, erstaunt, ihre Herrin ohne ihn nach Hause kommen zu sehen.

Cara setzte sich in den Salon und beschloß so lange aufzubleiben, bis ihr Geliebter käme. Ihre Augen glühten unheimlich und nahmen einen grünlichen Schimmer an. Es war nicht das erste Mal, daß Leon sie warten ließ, und sie erinnerte sich eines Abends, bald nach ihrer Rückkunft aus Amerika, daß Leon ebenfalls erst spät in der Nacht kam. Damals hatte sie ihm eine Scene gemacht, von welcher sie hoffte, daß sie einen immensen Effekt auf das weiche Herz ihres Geliebten machte. Leon fand sie damals bewußtlos auf dem Sopha liegen. Neben ihr stand eine Flasche mit der Etiquette: »Laudanum von Sydenham«. Cara dachte daran, diesen scheinbaren Selbstmordversuch noch einmal in Scene zu setzen. Sie entledigte sich ihrer Kleider bis auf ein mit feinen Spitzen besetztes Battisthemd und begab sich sodann in ihr Schlafzimmer. Hier wandte sie eines jener zahlreichen Mittel an, welche dem Gesichte eine geisterhafte Blässe verleihen, stellte auf den Tisch eine Flasche mit Cyankali und beschrieb einen kleinen weißen Zettel mit flüchtigem Gekritzel. Dann legte sie sich aufs Bett, nahm in die Rechte ein kleines goldenes Crucifix, in die Linke ein Medaillonbild Leons und erwartete nun mit offenen Augen und unruhigen Gedanken den Beginn der Vorstellung.

Endlich hörte sie Leon die Treppe heraufkommen. Seine Schritte waren schwer und wuchtig. Er öffnete die Etagenthür und trat in den Salon ein. Das Licht der Ampel fiel auf ein geisterhaft bleiches Antlitz, auf eine jugendliche Gestalt, die vor der Zeit durch Kummer, Gram und Angst gebeugt und geknickt erschien. Der junge Mann fiel in das Sopha und bedeckte das Gesicht mit beiden Händen. Thränen perlten zwischen denselben hervor.

Woran dachte er? Wem galten diese Zähren?

Die Liebe, welche er einst für Madeleine gefühlt hatte, zehrte an seinem Herzen. Sie war aufs neue erwacht, stärker, leidenschaftlicher und verzehrender als je. Er wollte heute Abend zu Madeleine eilen, es gelang ihm in den hinteren Bühnenraum einzutreten, er schickte seine Karte in die Garderobe. Sie wurde nicht angenommen. Er schrieb auf dieselbe einige Worte der zärtlichsten Zuneigung und erhielt die Antwort, Fräulein Bourdon sei für ihn nicht zu sprechen. Und dennoch blieb er in dem dunklen Bühnenraum, bis er hinausgewiesen wurde.

In dunkler regnerischer Nacht, beim schimmernden Laternenscheine, sah er Madeleine in Begleitung eines Herrn durch eine Hinterthür das Opernhaus verlassen, um den harrenden Wagen zu besteigen. Da stürzte er auf sie zu, da wollte er sie fassen, sie zurückhalten …

Was nun erfolgte, war schrecklich. Sie prallte vor ihm zurück und schrie entsetzt auf. Sie floh in den Wagen und der fremde Herr fiel ihm in die Arme. Mit Gewalt suchte er sich desselben zu entledigen, um die Wagenthür zu öffnen, aber sein Gegner war stärker als er. Er fühlte einen heftigen Schlag auf den Kopf und sank bewußtlos um … Erst auf der Polizeiwache öffnete er wieder die Augen und mußte, als er sein Bewußtsein wieder erlangte, ein strenges Verhör über sich ergehen lassen. Dann legitimirte er sich als Herr Leon Haupois und man gab ihm die Freiheit wieder.

Die Vorgänge dieses Abends durchlebte Leon im Geiste noch einmal, als er auf dem Sopha im Salon lag. Allmählich aber verwirrten sich seine Gedanken, bunte Phantasiebilder stiegen vor ihm auf, bald süße milde Erinnerungen weckend, bald grauenerregende Scenen darbietend. Leon verfiel in einen fieberhaften Schlummer.

In diesem Zustande fand Cara ihn, als sie nach einstündigem Warten vergeblich gehofft hatte, Leon bei sich eintreten zu sehen und dann leise auf bloßen Füßen in den Salon geschlichen kam. Sie wollte in gut gespielter Verzweiflung auf ihn zustürzen und ihn wecken, aber das bleiche Antlitz des Fieberkranken erschreckte sie.

Leise setzte sie sich auf einen Fauteuil, der in einiger Entfernung vom Sopha stand und verfiel in trübe Gedanken. Ihre Blicke ruhten auf dem Manne, den sie so oft betrogen hatte, den sie noch heute in abscheulicher Weise hatte täuschen wollen und – jetzt lag er selbst da, fast wie ein Todter.

Cara wachte bei dem Kranken bis zum hellen Morgen, ohne ihn zu wecken. Woran dachte sie? Es überfiel sie die Ahnung, daß mit dem heutigen Tage das luftige Kartenhaus, welches sie so mühsam aufgebaut hatte, zusammenstürzen werde, und sie ballte die Fäuste, verzerrte ihr Antlitz und gab sich wilden Gedanken hin …


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