Oskar Loerke
Atem der Erde
Oskar Loerke

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Deutung der Hufspur

(Mit turkestanischen Motiven)
 

        Verschwistert dem granitnen Meer,
Dem Stachelwald und Norden,
Bin ich der lichten Südbegehr
In mir gewahr geworden.

Gebückt auf eine Spur im Tann,
Muß ich die Zeichen lesen.
Jäh bricht sie ab, wie sie begann –
Hier schritt ein Fabelwesen.

Stieg es im Blitz vom Donnerschiff
Und trabte durch die Schneise?
Des Hufes Druck, der weite Griff
Ist Dromedares Weise.

Die eine kahlgerupft, im Wind
Die andre Seite wehend:
Es war auf einem Auge blind
Und auf dem andren sehend.

Links glänzt der Weg, von Honig naß,
Auf dem die Wespen liegen;
Rechts baumelte ein Essigfaß
Und lockte schwarze Fliegen.

Ein Moslem wiegt den runden Bauch,
Die große Turbanschleife;
Am Teppich, mit Gefäß und Schlauch,
Hängt seine Wasserpfeife.

Zum höchsten Berge lenkt sein Zaum.
Das Tier beleckt die Lippe,
Steigt dann in des Propheten Raum
Von der Korallenklippe:

Zur hängenden, zur blauen Stadt,
Voll alter Küchen Flammen.
Des Mahles froh, vom Wege matt,
Ruhn Tier und Mensch beisammen.

Dann singt der Mann. Mir ist, es sei
Sein Lied in meiner Kehle.
Er preist die Karawanserei
Am Wüstenpfad der Seele.

 


 


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