Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Die Stadt am hohen Ufer

Der Ursprung der Stadt Hannover verliert sich in der Vorzeit der Geschichte. Wir wissen es nicht, welcher Art die Menschen waren, die sich da ansiedelten, wo die Marktkirche ihre grüne Turmspitze emporreckt, und die uns nichts hinterließen als Aschenurnen und Grabkrüge, die der Spaten dort zutage förderte.

Mehr als eine Siedlung lag in jenen grauen Tagen in dieser Gegend. Bei Limmer wurde ein großer Urnenfriedhof aufgedeckt, bei Ricklingen förderte der Bagger allerlei Geräte aus Stein, Knochen und Ton aus dem Leinebette, die zur Jagd und zum Fischfange dienten. Fischer und Jäger werden zu beiden Seiten der Leine gesessen haben, bis der Ansturm der blonden Weidebauern, die von Norden kamen, sie vertrieb.

Sie fanden den Platz gut und hielten ihn fest. Weideland gab es hier für Pferde und Rinder und Wald mit Mast für die Schweine. Eine Handelsstraße führte von der See an der Siedlung vorüber zum Süden. Sie brachte den Bauern an Geräten und Werkzeugen zu, was ihnen fehlte. In bösen Zeiten, wenn feindliche Horden in das Tal hineinbrachen, boten hier die dichten Bergwälder, dort die unzugänglichen Brüche und Moore sichere Verstecke.

Sicherlich herrschte hier, lange bevor die Römer im Lande beerten und die Franken mordbrannten, eine höhere Kultur, ein geregelterer Verkehr, ein stärkerer Handel und Wandel, als wir es ahnen. Die großen Ringwälle bei Gehrden und Barsinghausen reden davon. Aber erst sehr spät taucht der Name der Siedlung Honovere in der Geschichte auf. Heinrich der Leu, der Wendenbezwinger, hatte schon eine feste Burg hier am Leineufer, Leuenrode genannt; 1163 hielt er hier vor einer glänzenden Versammlung geistlicher und weltlicher Herren Hof, und 1169 gab er dem Dorfe Honovere Stadtrechte und gestattete es den Bürgern, den Platz zu befestigen. 1181 aber, als der Löwe und der Rotbart einander befehdeten, stürmte der Kaiser die Stadt, und der rote Hahn krähte auf ihren Strohdächern.

Schwer war es für die Stadt, weiter zu kommen. Kaum erhob sie sich aus der Asche, da kam abermals ein Kaiser, der sechste Heinrich, und brannte sie nieder. Böse ging es damals im Lande zu. Wo jetzt Kaufladen sich in der großen Packhofstraße an Kaufladen drängt, die damals Wulfeshorn hieß, da stand ein hoher Turm. Von ihm aus spähte der Wächter in das Land und warnte mit dumpf hallendem Hornrufe die Bürger, wenn Feinde sich nahten oder die Wölfe aus der Ellernriede brachen und die Herden, die vor dem Tore weideten, gefährdeten. Damals ging der Bauer mit dem Spieß in der Faust zum Markte, der Bürger trug Dolch und Schwert am Leibgurte, und Meister Hans, der Nachrichter, hatte Arbeit genug auf dem Blutanger vor dem Steintore, wo Rad und Galgen standen.

Aber trotz Brand und Not kam die Stadt voran und hatte damals schon allerlei Gewerbe und Handel in ihren Straßen, die nicht viel mehr denn ein Dutzend umfaßten, und auch ein Gildehaus, von dem aus sie ihre Geschäfte leitete, soweit der Herzog ihr darin Freiheit gab.

Allerlei Kampf und Streit mit Worten und Waffen hat es gegeben, ehe Stadt und Herzog in Frieden zusammenkamen. Je wohlhabender die Bürger wurden, um so höher hielten sie Köpfe. Aber Otto der Strenge verstand keinen Spaß. An einem Tage ließ er im Baumgarten zwei Rittern, elf Bürgern und fünfundzwanzig anderen Männern die Köpfe abschlagen, weil die Stadt ihm aufgesagt hatte. Damals hielt jeder Bürger Hannovers den Kopf auf der Brust und wagte kaum zu flüstern. Aber an dem Tage, als der Herzog der Stadt für tapfere Hilfe die Zwingburg schenkte, hielten die Hannoveraner ihr Häupter hoch, zogen mit Gesang und Hörnerklang über die Leine und machten die Feste dem Erdboden gleich.

Es kamen aber noch genug der düsteren Tage. Im der Mitte des 14. Jahrhunderts hauste der schwarze Tod drei Jahre lang in der Stadt. Mehr als dreitausend Menschen brachte er in einem halben Jahre um. Da stockte Handel und Wandel, und die Bürger, die vordem im Samt und Brokat gegangen waren, verarmten und verlumpten.

Doch es war ein zäher Schlag, der am hohen Ufer der Leine hinter den dicken Mauern saß; er ließ sich nicht niederzwingen und vergaß in frischem Schaffen bald wieder Hunger und Not, Brand und Pest. Handel und Gewerbe hoben sich wieder, blühten und wuchsen so kräftig, daß die Stadt 1451 von den Hansen aufgenommen wurde und nun so stolz und keck wurde, daß sie sich selbst vor den Kanonen nicht fürchtete, mit denen 1486 Herzog Heinrich ihr zu Leibe ging. Schnappte Bremen ihr nach und nach auch ein gut Stück ihres Handels fort, den Broyhan konnte es ihr doch nicht nehmen, und brachte viel Geld und Leben in die Stadt, so daß die Knochenhauer, Seilwinder, Schmiede, Töpfer und Gerber und die andern Gewerbe tüchtig verdienten und die Krämer nicht minder. Davon bekamen die Bürger so steife Nacken, daß sie ihren Magistrat, als der es mit der Vetternwirtschaft zu arg machte, auch beim alten Glauben bleiben wollte und dem neuen abhold war, solange ärgerten, bis er der Stadt den Rücken kehrte.

Immer wieder aber kamen Zeiten der Not. Nahm auch in dem großen Greuelkriege keine der feindlichen Parteien die Stadt ein, so litt sie doch bitter unter der Entvölkerung des platten Landes und dem allgemeinen Stillstand von Handel und Wandel, unter Kriegsteuern und der Pest. Sie blühte aber wieder auf, als Herzog Georg sie 1636 zu seiner Residenz erhob. Den Bürgern paßte das freilich durchaus nicht, und der Rat bat den Herrscher inständig, von diesem Plane abzustehen. Seine Bitte war vergebens, und obwohl die Hannoveraner anfangs viel darüber murrten und knurrten, daß es mit ihrer bürgerlichen Selbstherrlichkeit so gut wie zu Ende wäre trotz aller verbrieften und besiegelten Rechte, sahen sie bald ein, daß sie sich in vieler Hinsicht besser standen als vordem: Der Hof brachte mehr Geld und Leben in die Stadt, und diese dehnte sich so aus, daß die Neue Stadt vor dem Calenberger Tore nicht mehr ausreichte und erweitert werden mußte.

Manches, das vom Hofe ausging, gefiel den Bürgern freilich durchaus nicht, so daß Johann Friedrich einige tausend Landeskinder als Soldaten an die Venediger verlieh und von dem französischen Könige Werbegelder und Hilfssold einsteckte, die es für eine überüppige Hofhaltung verwandte. Aber das lag einmal in jener Zeit, in der auch der Bürger nach Kräften prunkte und protzte und das Leben locker und leichtsinnig war. Es war eine bunte Zeit. Kunst und Wissenschaft blühten, Glanz und Luxus herrschten, und heftig und das ganze Leben durchtränkend und anregend waren die Streitigkeiten zwischen den Anhängern der alten und deren der neuen Lehre. Damals wirkte Leibniz, der große Vielwisser und Weitdenker, in Hannover, hielt der Feuerkopf Jobst Sackmann in der Kirche zu Limmer seine kraftvollen Predigten, mußte aber auch der Oberjägermeister von Moltke seinen Kopf auf den Block legen, verschwand Graf Königsmarck ohne eine Spur, wurde Sophie Dorothea zu Uhlden in lebenslängliche Haft gesetzt und ging der Magistrat mit den städtischen Geldern um, daß der Kurfürst die freie Stadtordnung aufhob und durch eine gebundenere ersetzte.

Die Zeiten gingen hin. Hannovers Kurfürst wurde englischer König; aber die Stadt behielt die Hofhaltung, die vielen Adelshöfe und das höfische Leben und reckte und streckte sich innen und nach außen und war weithin berühmt wegen ihres regen geistigen Lebens, ihres Gewerbefleißes, ihrer guten Schulen, stolzen Bauwerke und schönen Parkanlagen. Dann kam der Siebenjährige Krieg, der der Stadt für ein Jahr eine französische Besatzung brachte. Der Magistrat sah ein, daß die Mauern mehr schadeten als schirmten, und ließ sie abreißen. So war Hannover keine Festung mehr. Das schützte sie aber nicht, als 1803 der Krieg zwischen England und Frankreich ausbrach. Die Franzosen zogen ein, die Einquartierungslasten drückten Handel und Verkehr zu Boden, und anstelle der Wohlhabenheit trat Verarmung. 1806 nahm Preußen Hannover in Besitz, mußte es aber nach der Schlacht bei Jena wieder fahren lassen, und abermals zogen die Franzosen unter Mortier ein und drückten Land und Stadt durch Kriegssteuern, Eintreibungen, Einquartierung und die Handelssperre bis zur Verzweiflung. 1810 kam das Land an Jerome, König von Westfalen von seines Bruders Gnaden, und das verbesserte die Lage der Stadt nicht, zumal schlimme Krankheiten lange herrschten.

1813 hatten die zehn Angst- und Notjahre eine Ende. Hannover fand seinen Frieden und blühte schneller, als zu erwarten war, wieder auf und entwickelte sich zu einer der schönsten und vornehmsten deutschen Städte, der man es nicht ansah, daß sie aus dem Gewirr enger Gassen zwischen der Marktkirche und der Leine entstanden war, jenem Viertel, das seine Bedeutung immer mehr einbüßte und sich jetzt erst allmählich wieder erobert.

Als dann das Jahr 1866 kam, war die Sorge groß, daß die Stadt nach Verlust des Hofes und Fortzug vieler adligen Haushaltungen einen schlimmen Rückfall zur Bedeutungslosigkeit erleben würde. Aber schon hatte sich ihre Industrie gut entwickelt, hatten sich Handel und Gewerbe auf sich selbst gestellt, brachte die Verwaltungsmaschine, das Schulwesen und der Verkehr es mit sich, daß die Entwicklung nicht stockte, und als nach dem Kriege gegen Frankreich Deutschland einen unerhörten wirtschaftlichen Aufschwung nahm, bekam Hannover auch sein gutes Teil davon ab, so daß es heute in der Reihe der deutschen Großstädte eine hervorragende Stellen einnimmt, sowohl was Sehenswürdigkeiten und Bildungsmittel, als auch was Industrie, Verkehr und Handel anbelangt.

Dazu kommt, daß es eine Lage hat, die es als Wohnplatz über viele andere große Städte stellt. Auf der Grenze zwischen der Norddeutschen Tiefebene und dem mitteldeutschen Berglande hingelagert, von einem weiten grünen Gürtel von Marsch und Wald eingeschlossen, hat es da die weiten Heiden, dort die Berge vom Deister bis zu dem Harze hin, hat also ein abwechslungsreiches und durch ausgedehntes Straßen- und Bahnnetz gut aufgeschlossenes Umland, ein Vorzug, der nicht zum wenigsten zu seinem schnellen Wachstum in den letzten Jahrzehnten beigetragen hat.

Und es hat, was für den, der hier lebt, das Wichtigste ist, als Grundstock seiner Einwohnerschaft einem prächtigen Schlag, ein Gemisch des frohlebigen derben Ralenbergers mit dem stilleren, zurückhaltenden Heidjer, ein Volk, das, im großen und ganzen genommen, so geartet ist, daß man gern unter ihm lebt und gut mit ihm auskommen kann, fügt man sich ein wenig seiner Art. Es ist nicht allzu zuvorkommend, weil das bäuerliche Element stark in ihm vorherrscht, ist aber durch Handel und Verkehr in ihm geschult genug, um es an der notwendigen Höflichkeit nicht fehlen zu lassen.

Darum gefällt es den Gästen der Stadt stets gut in ihr, und gern denken sie, sind sie daheim, zurück an die helle, schöne, freundliche Stadt am hohen Ufer.


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