Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Der Bock vom Weißen Moor

Silberwellen fluten über das Moor. Zauberwellen sind es; kaum vernehmbar ist ihr heimliches Geflüster.

Sie rieseln an meinen Knien vorüber und gleiten weiter und weiter, bis sie dort hinten, wo die ausgestorbenen Fuhren stehen, zu einer leuchtenden Brandung zusammenschäumen. Zahllose Wollgrasblüten sind es, des Windes liebstes Spielzeug. Er wird es nicht müde über die weichen Seidenflocken dahinzufahren, sie zu rütteln und zu schütteln und sich daran zu freuen, wie sie schimmern und flimmern.

Vielleicht tut er das aber auch der Moorfrau zuliebe, die mir den Bock nicht gönnen will, der hier seinen Gang hat, den schwarzen Bock vom weißen Moor. Schabernack auf Schabernack spielte sie mir, damit ich ihn nicht bekommen sollte. Dem Würger und der Mooreule gebot sie, ihn vor mir zu warnen, drehte die Luft um, daß er meinen Wind bekam, und zauberte so viel Wasser aus der Wetterwolke herunter, daß ich nicht über die Gräben kommen konnte.

Heute hat sie sich mit dem Wind und der Sonne verbündet, daß sie mich blind machen. Als die Hähne im Dorfe erwachten, stand er auf, kam über die Geest, weckte die Sonne, und nun ließ er die Wollgrasblüte zittern und sie ließ sie flittern, daß ich bald nichts mehr sah als eine weiße Welle neben der anderen und darüber den hohen hellen Himmel, und schließlich war der Himmel zum silbernen Gewoge, und blau und still stand das Moor.

Da warf ich mich hinter die Birkenbüsche in das bißchen Schatten, den sie gaben, deckte mir das Gesicht zu und schlief mitten zwischen den weißen, lautlosen Wellen, deren unhörbares Rauschen meine Träume mit seltsamen Bildern erfüllte. Jede Flocke wurde zu einem kleinen, feinen Gesichtchen mit listigen Augen, die mich spöttisch anzwinkerten, und einem goldenen Mündchen, das ein höhnisches Liedchen summte. Um mich herum aber zog der schwarze Bock, grinste mich an wie der böse Feind und plätzte, daß mir der Torf in das Gesicht flog.

Als ich erwachte und nach meiner Backe griff, faßte ich einen hübsch gestreiften Moorfrosch, der bei der Fliegenjagd dorthin gesprungen war; der schwarze Bock und die vielen boshaften weißen Elfenfrätzchen aber waren verschwunden. Die Sonne stand nicht mehr so hoch, der Wind hatte etwas nachgelassen und die Luft war ein wenig kühler geworden. So verwirrte mich das silberne Geflimmer und Geflirre nicht mehr so sehr, und meine Augen sahen mehr, als nur und nichts außer den weißen Wellen und dem blauen Himmel; sie fanden die rosenroten Perlen der Rosmarinheide zwischen den zitternden Flocken, die blauen Falter, die um die hohen Heidbüsche tanzten, und die blitzenden Kiesel auf dem braunen Damm.

Und nun will ich sehen, wer seinen Willen bekommt, die Moorhexe oder ich. Der Wind hat sich ein wenig gedreht; er ist nach Abend herübergegangen; und das ist gut für mich, denn nun kann ich unter Deckung nach dem Brandmoore hinkommen, wo der Bock am liebsten steht, weil dort die Quelle aus dem Sand herauskommt, unter der die kleine Kleewiese liegt, der einzige grüne Fleck weit und breit. Tag für Tag stand der Bock da, aber er hat so weiten Umblick, daß er mich ein jedes Mal eräugte, wenn ich mich heranpirschte, mit hohen Fluchten abging und mich mit seinem dröhnenden Basse verhöhnte. Vielleicht geht es mir heute wieder so und ich bekomme ihn ebensowenig wie im vorigen Jahre, wo ich seinetwegen manchen Tag hier umherschlich.

Langsam steige ich durch die kniehohe Heide und die silberflockigen Blüten. Unter meinen Schuhen knistert das graue Moos, seufzt der braune Schlamm. Noch steigt hier und da ein Pieper, hölzern singend, empor aber schon schwebt dort unten ein weißer Weih über dem Abstich, in dem die Frösche grölen, und hier und da lockt eine Himmelsziege. Rundumher läuten die Kuckucke und lachen heiser, wenn sie von Busch zu Busch flattern. Silberne Motten stäuben vor meine Füßen auf und rostrote Falter taumeln in regellosem Fluge dahin. Ein trillernder Pfiff ertönt in der Ferne, schwillt zu einem runden Geflöte an und verklingt in einem schneidenden Gewimmer. Der Brachvogel ist es. Er kreist über der nassen Sinke.

Die Sonne rüstet sich zum Heimgang. Das dunkle Wasser in den Abstichen glüht goldig auf. Ein feuerroter Fleck leuchtet in dem weißen Gefilde. Die alte Ricke ist es; sie zieht den Damm entlang. Ich warte bis sie weit genug ist, und schleiche zum nächsten Birkenbusche. Da sehe ich, daß meine Hände wie Flammen im Abendschein brennen, und ich denke daran, daß mein Gesicht wie eine Fackel lodert. Ich nehme eine Handvoll Moorerde und reibe mir Backen und Stirn damit ein. Hinter der Brandblöße blitzt es silbern, schimmert es weiß; die Torfstecher gehen heim.

Eiliger pirsche ich voran, die Blicke hin und her werfend über das weiß beschneite Moor, das sich immer goldener färbt. Mehr und mehr Himmelsziegen locken und hier und da beginnt eine zu meckern. Noch ein Reh sehe ich zur Feldmark ziehen, und wiederum eins und ein drittes, und jedes muß ich erst vorbeilassen, ehe ich weiterschleiche. Ein neuer Abstich zwingt mich einen weiten Bogen zu schlagen; durch einen älteren wate ich hindurch, daß mir das Wasser bis über die Knie zieht. Und wie ich hinter einem mächtigen Moorbeerhorste heraussteige, ziehe ich schnell den Kopf wieder zurück, denn mir gegenüber steht vor der kleinen Wiese eine schmale, schwarze, hohe Gestalt, über deren Haupte es hell funkelt. Das ist mein Bock.

Ich warte, bis er weiterzieht, schleiche in dem Abstiche entlang bis zu den drei toten Fuhren hin und komme ganz langsam bei ihnen aus dem Sumpfe heraus. Der Bock steht da, steif und still, als wäre es ein Befehl, steht und rückt und rührt sich nicht. Mücken umsummen mich; es werden immer mehr. Ich lasse sie stechen und sehe nach dem Bocke, meine Büchse tief haltend, damit die Abendsonne sie nicht verrate. Und so kauere ich da und starre nach dem schwarzen Gespenst vor mir in dem weißen Geflimmer, bis das Moor schwarz und der Bock weiß wird und ich die Augen ein Weilchen schließen muß. Ein Kuckuck kommt laut rufend an, läßt sich auf dem letzten der drei Fuhrengerippe nieder, ruft wieder und wieder und flattert weiter. Da erst mache ich die Augen wieder auf.

Erst sehe ich nichts als das weiße Moor und die grüne Wiese darin und muß lange suchen, ehe ich den Bock finde. Endlich erblicke ich ihn; er steht vor einem hohen Grasbusche und äst sich daran, aber alle Augenblicke hat er den Kopf hoch und sichert. Die Dämmerung wird tiefer. Die Nebel steigen aus den Abstichen. Überall meckern die Himmelsziegen, und schon spinnt und pfeift die erste Nachtschwalbe und klatscht mit den Flügeln. Warte ich noch länger, geht mir das Büchsenlicht fort. So wische ich vorsichtig die Mücken von Stirn und Nacken. Aber sofort hat der Bock das Haupt hoch und äugt steif nach mir hin. Dennoch wage ich es, auf den Busch vertrauend, der mir den Rücken deckt, ziehe den Kolben an die Backe und drücke, ehe der Bock Zeit zum Abspringen hat.

Rot fährt der Feuerstrahl über das weiße Wollgras. Der ferne Wald wirft dreimal den Knall zurück. Zwei Rehe, die hinter der Wiese standen, flüchten zornig schreckend in das Moor zurück. Ich erhebe mich und spähe nach der Wiese. Eine Nachtschwalbe kommt lautlos angeschwenkt, schwebt um mich her, weicht, kommt wieder und tanzt, während ich voranschleiche vor mir auf und ab, wie ein Gespenst. Und dann steh ich vor dem Bocke, der regungslos vor der Quelle liegt, und freue mich, daß sein Gehörn gehalten hat, was es versprach, und schleppe ihn auf den Damm, breche ihn auf und lausche, während er auskühlt, an die Stimmen des Moores, meine Pfeife rauchend.

Ein dumpfes Murren ist hinter meinem Rücken, ich drehe mich um und sehe ein schwarzes Riesenhaupt am Himmel emporsteigen, aus dem ab und zu glühende Blicke herausblitzen. Die Moorfrau ist es, die sich an mir rächen will. Ich stopfe meine Beute in den Rucksack, hänge ihn um und gehe eilig den Damm entlang durch das Moor, das nun aussieht, als läge ein Leichenlaken darüber, verfolgt von den dumpfen Flüchen der Moorhexe.


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