Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Der Wächter des Moores

Das Moor schläft und träumt und redet im Schlafe halblaut und undeutlich. Es hört sich an, als ob die Mooreule seufze, oder ein Frosch quarre, eine Bekassine meckere, aber es ist das alles nicht. Das Moor spricht bloß im Schlafe das aus, was ihm träumt.

Da nun das Moor schläft, muß Blitz, der Kiebitz, wachen, denn auch Blank, seine Frau, schläft. Es ist ihr zu gönnen; sie hat es den Tag über nicht leicht gehabt, denn es ist keine Kleinigkeit, vier wibbelige Kinder, von denen jedes seinen eigenen Kopf hat, zwölf Stunden lang und mehr zu bemuttern.

Und der gestrige Tag war besonders schwer für sie. Es fehlte nicht viel, so hätte der Sperber eins der Kleinen erwischt; gleich darauf mußte Mutter Blank mit heftigem Flügelgefuchtel die böse Otter verscheuchen, die sich auf das Jüngste zuschlängelte. Dann mußte sie ihre Brut vor der Rohrweihe in Sicherheit bringen, späterhin sie aus dem Bereiche von Meister Adebars langem Schnabel besorgen und noch am späten Abend dem Ekel von Igel seine Gelüste auf Kiebitzkinderfleisch austreiben. Nun schlief sie fest über ihren vier Kleinen und Blitz hielt Nachtwache.

Er hatte seiner Frau getreulich den Tag über geholfen, all das Gesindel abzuwehren, das den Kinderchen zu Leibe wollte. Doch deswegen wußte er, was seine Vaterpflicht war; wenn ihm auch einmal die Augen zufallen wollten und der Kopf ihm schwer wurde, er hielt aus und wachte. Jeden Laut weit und breit vernahm er, das Heulen des Dampfers da hinten, das Geschnurre des Nachtfalters hier vorne, das ferne Gedonner der Eisenbahn, und das Geknister, das die Maus im Heidekraut hervorbrachte.

So steht er nun da auf einem Beine auf dem verrotteten Torfhaufen und lauscht in die Nacht hinaus. Auf einmal reckt er sich hoch, richtet die Holle auf, spreizt die Ohrfedern, gibt sich einen Ruck, schwingt sich lautlos empor und fliegt leise, um seine gute Frau nicht zu wecken, hin und her. Denn es knisterte da etwas, und knickte, und brach. Ein Reh ist es, eine alte, hochbeschlagene Ricke, die ausgerechnet hier herunter dämeln muß, obgleich sie den Damm entlang einen viel bequemeren Wechsel nach der Brandstatt hat, wo das frische Junggras schießt.

»Dummes Luder!« denkt Blitz, »dir will ich deine Taperei beseibeln.« Mitten vor den Kopf stößt er sie und schlägt ihr die Schwingen so tüchtig um die Lauscher, daß sie mit einer jähen Flucht von dannen poltert und laut schreckend davontrollt. Blitz lacht in sich hinein, obzwar er ein bißchen ärgerlich ist, denn seine Frau ist von dem Geschmäle der Ricke aufgewacht und fragt ihn ziemlich ungnädig: »Was ist denn nu' wieder los? Nich' einen Augenblick hat man seine Ruhe! So, weiter nichts, als die olle dämliche Ricke? Und deshalb mußt du mich aus'm besten Schlafe jagen? Na, ich sage man bloß: die Männer! Es ist dir wohl zu viel, auch mal einen Augenblick aufzupassen? Was sagst'e? Du hätt'st gedacht, es ist der Fuchs? Na ja, das kennt man schon! Um Ausreden seid ihr ja nie verlegen! Willst wohl mal eben 'n bißche nach 'm Bruche, wo die Junggesell'n und die Witwen sind? Bloß mal eben hin, nich! Ach ja, man hat's nich leicht.« Blitz läßt sie reden. Er nimmt dem nicht so ernst. »Frauensleute!« denkt er und tut so, als hätte sie ihm Liebenswürdigkeiten gesagt. Er steht wieder auf dem zusammengefaulten Torfringel, horcht in die Nacht hinaus und denkt bei jedem Traumlaut des Moores: »Das war die alte dämliche Mooreule, die ja immer und immer was zu stöhnen hat. Und das ist die zappelige Bekassine, die hysterische Person, und das der Frosch, die Großschnauze, und da hoppelt wieder so eine alte pampsige Satzhäsin 'rum, und die Ralle könnte endlich auch einmal aufhören mit ihrem albernen Gepfeife, und was war das da eben? Ach so, bloßig 'ne Sternschnuppe! Ein Segen, daß die Olle sich wieder beruhigt hat! Na ja, man kann es ihr weiter nicht für übel nehmen; sie hat ja ihre Last und Not! Und wie die Frauensleute einmal so sind!«

So steht er Stunde auf Stunde da, erst auf dem einen Beine, und dann, wie es ihm einschläft, auf dem anderen, bis gegen Morgen die Sonne ein Loch in die Nachtwolken brennt, das Moor erwacht, die Nebeldecke von sich wirft und deutlich an zu reden fängt mit Heidelerchensang, Pieperschlag und Brachvogelgeflöte. Da trippelt er nach den drei dichten Wollgrasblüten, zwischen denen seine Frau sitzt, und wie er sieht, daß sie wach ist, fragt er freundlich: »Na, Blankchen, gut geschlafen? Und sind die Kleinen alle munter? Komm, mach' dich erst hübsch und frühstücke; ich bleibe solange bei den Kindern! Und sieh mal, hier sind ganz ausgezeichnete kleine fette saftige Schneckchen, und da gibt es tadellose zarte Raupen! Also laß dir man Zeit; ich passe derweilen auf!«

Erst tut Frau Blank so, als habe sie schlechte Laune: aber dann schwingt sie sich mit fröhlichem »Kuwitt!« empor, fliegt sich den Schlaf aus dem Leibe, läßt sich nieder, bringt ihr Gefieder in Ordnung, nimmt einige Schneckchen zu sich, auch etliche Räupchen und Käferchen, und trippelt dann schleunigst zu den Kindern hin: »Laß doch, Blitz; du verstehst ja doch nichts davon. Siehste, ich sag' dir ja, beinah hätte das Zweite 'ne Wespe übergeschluckt! Es ist schrecklich: diese Männer! Nu geh' man bloß und paß auf! Du machst doch bloß weiter nichts als lauter Dummerhaftigkeiten.« Blitz läßt seine Holle herunterfallen, macht ein dummes Gesicht, läßt sich einige Käfer und ein paar eben ausgeschlüpfte dicke Schlammfliegen schmecken, schluckt zwei, drei, vier Kieselsteinchen hinab, der besseren Verdauung halber, paßt aber unterdessen scharf auf, ob nicht irgendwelches Getier oder irgendein anderes Wesen seiner Familie zu nahe komme. Sogar den Frosch, der ihm entgegenstolpert, will er hier nicht haben und versetzt ihm einen solchen Hieb auf die Schnauze, daß der Dickkopf ganz entsetzt von dannen humpelt. Ihm, Blitz vom Geschlechte derer von und zu Kiewitte, hat alles, was im Moore kreucht und fleucht, vom Balge zu bleiben und aus dem Wege zu gehen!

Deshalb ekelt er den Storch so lange an, bis der sein Gefieder erhebt und anderswo den Fröschen und Mäusen nachstelzt, ödet er das Hermelin, bis es sich von dannen begab, ulkt er den Fischotter, der von den Karpfenteichen zum Flusse wechseln will, so ruppig an, daß der eine sich in den Graben stürzte und unter Wasser weiter rann, paßt so lange auf eine Krähe, bis sie einsah, daß sie hier keine Ruhe findet, und grault schließlich auch die alte Satzhäsin aus seinem Bereiche. Und dann meint er, daß er auch ein wenig an sich selber denken müsse, einmal, weil es ihn hungert, und dann, um sich seiner Familie zu erhalten.

Aber wie er gerade so in schwankem Fluge über das Brandmoor hinwegtaumelt, da sieht er, man sollte es nicht denken, auf einem Kiefernstubben einen Fleck, einen roten Fleck, einen verdächtigen Fleck, einen sehr verdächtigen, äußerst verdächtigen Fleck, einen Fleck, der ihm viel zu haarig vorkommt, als daß es ein roter Wacholderbusch sein könnte; und darum schwenkt er sich nieder, gewahrt, was es ist, hebt sich, stößt wieder hinab und schreit: »Kuwitt, der Fuchs, pfui, der Lump, willst du fort, du Hund, hui, weg, du krummer Hund, hui pfui, Kuwitt!«

Da steht auch Blankchen auf, und legt los; na, und wenn die den Schnabel so richtig auftut, dann bekommt es nicht nur ihr lieber Mann Blitz mit der hellen Angst und schweren Not, sondern sogar Reineke Rotvoß, der Räuber, Gaudieb und Buschklepper. Erst tut er so, als ginge ihn das Geschimpfe und Geschebbel so gut wie gar nichts an; mit der Zeit wird es ihm aber zu dumm und er denkt einen Augenblick daran, aufzuspringen und einen von den Schreihälsen an dem Kragen zu packen, gibt diesen Gedanken aber sofort auf, denn er weiß aus Erfahrung, daß es ihm ein jedes einzige Mal scheußlich vorbeigelungen ist.

So reckt er sich, streckt er sich, gähnt mit dem Fange, dehnt seinen Rücken, um nicht den Anschein zu erwecken, als kniffe er vor den Kiebitzen aus, flöht sich ein wenig, schubbt sich ein Weilchen, und dann macht er, daß er fortkommt, verfolgt über das Moor und die Heide bis dicht vor die Dickung von Blitz und Blank, des Moores getreulichen Wächtern.


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