Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Drei Recken der Vorzeit

Für immer sind die Zeiten vorbei, wo Meister Petz in den Urmooren des Brockens und in den Urwäldern der Heide harmlos brummend Bickbeeren äste oder hungrig heulend des Bauern Kuh riß, aus ganz Deutschland ist Braun verschwunden.

Ihm folgte der Luchs. Als Standwild kommt er längst nicht mehr bei uns vor, aber alle paar Jahr verirrt sich ein aus den russischen Ostseeprovinzen herstammendes Stück auf deutschen Boden, um sich aber meist bald darauf in ein Kabinettstück eines Museums zu verwandeln.

Auch Isegrimm der Wolf kann nicht mehr als deutscher Bürger bezeichnet werden, obwohl alle Jahre russische oder Vogesenwölfe trotz aller Paßschwierigkeiten über die Grenze gelangen. Weit kommt er aber auch nicht und muß meist die gerissenen Rehe und Wildkälber mit seinem Balge bezahlen. Für Nordwestdeutschland aber sind alle drei verschwunden.

Wie verbreitet der Bär einst bei uns war, das ergibt allein das von H. Ringklib herausgegebene statistische Handbuch der Provinz Hannover, in dessen Ortsverzeichnis sich eine Menge Namen finden, die mit Meister Braun in Verbindung gebracht werden können, wie Bärenhof bei Celle, Barbruch bei Bremervörde, Barbusch bei Hoya, Barenau bei Bersenbrück, Barenburg bei Sulingen und Wittmund, Barenbusch bei Norden, Barendorf bei Dannenberg, Barenfleet bei Meppen, Barenteich bei Osnabrück, Barenwinkel bei Osterholz, Barfelde bei Gronau, Barförde bei Lüneburg, Beerbusch bei Burgdorf usw. Ebenso häufig findet sich das Wort Bär in Forstorts- und Flurbezeichnungen und als Eigennahme, teils ohne Zusätze wie Bar, von Baer, von Behr, Bahr, Bahre, Bär, Behr, Baer, teils mit zusätzlichen, wie Baermann, Bermann oder Beermann. Viel spärlicher sind die urkundlichen Nachrichten über das Vorkommen der Bären, so spärlich, daß man annehmen muß, daß im siebzehnten Jahrhundert der Bär schon so selten bei uns war, wie im achtzehnten der Wolf. Alles, was wir über ihn wissen, ist, daß 1705 der letzte Bär am Brocken erlegt ist, und eine weitere Nachricht meldet, daß in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts ein Bär im Lüß bei Weyhausen erlegt sein soll. Diese Nachricht ist aber mit Vorsicht aufzunehmen, da die alten Chronisten das männliche Wildschwein auch mit Bar oder Bär bezeichneten. In den Museen von Nordwestdeutschland steht kein nordwestdeutscher Bär; die einzigen Reste nordwestlicher Bären sind die aus dem Schlamme von Dümmers stammenden, von dem verstorbenen Amtsrat Dr. C. Struckmann, gefundenen Knochen im Provinzialmuseum in Hannover.

Noch viel spärlicher sind die Nachrichten über den Luchs. Diese große Katze verträgt, wie der Bär, durchaus nicht die Nähe menschlicher Kultur, ist auch ein ausgesprochenes Nachttier und lebt so versteckt, daß sie den Menschen wenig bekannt war. So ist es denn nicht weiter auffallend daß weder bei Orts- noch bei Eigennamen der Luchs genannt wird. Nur in dem bekannten hannoverschen Jägerlied »Auf und an, spannt den Hahn« findet auch der Luchs in folgender Strophe Erwähnung:

Nebenbei, frank und frei,
Schießen wir mit unserm Blei,
Im Revier, manches Tier,
Das erlegen wir;
Hirsch und Rehe,
Dachs und Luchs',
Schießen wir mit unsrer Buchs',
Dabei frei Jägerei stets gepriesen sei.

Nach einer alten Chronik soll 1670 der Luchs im Stolbergschen Teil des Harzes häufig gewesen sein. Die beiden letzten westdeutschen Luchse wurden 1817 und 1818 am Renneckenberge bei Wernigerode vom Forstkontrolleur Kallmeyer und bei Lautenthal vom reitenden Förster Spellerberg erlegt. Ihre Reste befinden sich in den Museen und Schlössern von Braunschweig und Wernigerode. In den hannoverschen Museen stehen keine Reste vom Luchs; noch nicht einmal subfossile Knochen sind vorhanden, was nicht auffallend ist, da er nicht wie der Bär in der Nähe des Wassers lebte.

Der Wolf hat sich am längsten von den drei großen Räubern bei uns gehalten, denn einmal scheut er die Nähe des Menschen nicht so sehr wie der Luchs, und dann kann er sich besser dessen Nachstellungen entziehen, während der Bär verhältnismäßig leicht zu erbeuten ist, da er im Vertrauen auf seine Körperkraft eher dem Menschen standhält. Und wenn auch in ruhigeren Zeiten den Wölfen viel Abbruch getan wurde, sie kamen doch wieder, wie im Dreißigjährigen Kriege und in den Befreiungskriegen, Zeiten, in denen der Mensch keine Muße hatte, die vierbeinigen Feinde zu befehden, da er sich gegen seinesgleichen wehren mußte. Mehr noch wie Bär findet sich das Wort Wolf in Ortsbezeichnungen, so in Wolfsbruch bei Rehdingen, Wolfsförder Mühle bei Feine, Wolfshof bei Dannenberg, Wülfel, Wülferode bei Hannover, Wülfingen und Wülfinghausen bei Springe, Wulf bei Wittlage, Wulfsode bei Ülzen, Wulfelade bei Neustadt a. Rbg., Wulferding bei Sulingen, Wulfersheide bei Meile, Wulfsburg bei Osterholz, Wulfenau bei Winsen a. L., Wulften bei Bersenbrück und Osnabrück usw. Zwei Straßen in Hannover, die jetzige Große und Kleine Packhofstraße hießen vor Zeiten Großes und Kleines Wulfeshorn, und im Saupark heißt eine alte Buche Wolfsbuche.

Am Nachrichten über das Vorkommen des Wolfes fehlt es nicht, denn dieser Räuber trat stellenweise so häufig auf, daß er zur Landplage wurde, was z. B. daraus hervorgeht, daß im Jahre 1649 die Stadt Hannover ihren Zehnten an Lämmern nicht bezahlen konnte, weil die Wölfe alle gerissen hatten. In noch früheren Zeiten kamen die Wölfe sogar bis vor die Tore der Stadt, und im Roderbusche, einem Forstorte der Eilenriede, mußten in einem Jahre mehrere Wolfsjagden abgehalten werden, wie aus den Lohnregistern hervorgeht, in denen es heißt: »25½ Schillinge dem Holtfogede vor 6 Dage und twen, isliken vor 5 Dage und dren, isliken 1½ Dag, do so de Wulwe jagden in dem Roderbuske tom andermal. 2 Schillinge einem Boden, de de Lantlude verbode to der Wulwejagd. 1 Punt Harmen Wynten vor 1 Tunnen Bers und vor Brot, dat de Mennen von Horingbarghe, das heißt Harenberg, hadden verteret so synem Hus, als se hadden wesen in der Wulwejagd mit oren Roden in dem Roderbukte.« Bei Rotenburg fanden sich bis vor kurzem noch die Reste ehemaliger Wolfsgruben auf dem Bullerberge bei Westerholz, und nach den Rotenburger Akten wurden in der Zeit von 1763 bis 1766 im Amte sechsundsechzig Wölfe erlegt; im letzen Jahre wurden fünfzig Taler an Prämien für erlegte Wölfe bezahlt. 1641 wurden bei Stendorf im Kreise Blumental Wölfe erlegt, 1670 waren Wolfsjagden in Osterstade und Lesum. In Damme wurde 1676 der letzte Wolf geschossen, in Ostfriesland 1776 der letzte bei Arle. In Jahre 1670 wurde zu Wanne eine große Wolfsjagd für das Land Hadeln abgehalten und im Hümmling fand bis zur Mitte des achtzehnten Jahrhunderts alljährlich im Februar eine Wolfsjagd statt. Wie zahlreich damals noch die Wölfe waren, geht daraus hervor, daß im Jahre 1740 in der Lüneburger Heide fünfzig Wölfe erbeutet wurden, und in einem Reskript vom Jahre 1726 wurde bestimmt, daß die Mittel für die sehr kostspieligen Wolfsjagden aus den Extraordinarien genommen werden sollten. Im Amte Lemförde fanden Wolfsjagden noch im achtzehnten Jahrhundert statt; die letzte in der Grafschaft Diepholz wurde 1735 abgehalten. Nach dem Dreißigjährigen Kriege war es den Einwohnern der Grafschaft Diepholz verboten, die Wolfsjagden selbst abzuhalten, weil dabei zu viel Rehe geschossen sein sollten. Im Jahre 1655 baten die Einwohner den Herzog Christian von Celle, ihnen die Jagden wieder zu gestatten, da ihnen die Wölfe in jedem Jahre für tausend Taler an Pferden, Kühen und anderem Vieh gerissen hätten. Der Herzog trug aber Bedenken, den Gemeinden die Verrichtung der Wolfsjagden wieder zu gestatten, indes wurde der Oberförster angewiesen, Wolfsjagden abzuhalten. Die Bauern mußten dabei treiben, und es waren hohe Strafen in dem Regulativ angesetzt, z. B. »Poen, der den Wolf versiehet und aus Unachtsamkeit durchlaufen läßt, 3 Rthlr.« In einem Regulativ vom Jahre 1735 wird festgesetzt, wo sich die Bauern zu versammeln und wie die Rottmeister sie zu führen haben. Vier Trommler mußten den Wolf rege machen. War der Wolf erlegt, so wurde er nach Diepholz oder Lemförde geführt und dort öffentlich ausgehangen. Im Jahre 1735 kam es deswegen zu einem großen Streit zwischen dem Amtmann Strube von Lemförde und dem Forstmeister Schulze in Diepholz. Dieser behauptete nämlich, ihm sei die Wolfsjagd zu spät angesagt; nachher habe man den Wolf in Lemförde aufgehangen und ihm habe man zu seiner Schimpfierung das Luder zugesandt, obgleich der Balg Accidenz der Jägerei sei. Auf diese Beschwerde antwortete der Oberforst- und Jägermeister: »Das gemeldete hätte der Herr Forstmeister dem inpertinenten Kerl wieder zuschicken und dem Botten mit einer Dracht Schläge demselben zur Begrüßung zurückzuschicken.« Der Amtmann aber ließ sich nicht bange machen: er berichtete der kurfürstlichen Kammer, es würde eine Mißstimmung entstehen, wenn man den Wolf nicht auch in Lemförde aufgehangen hätte, und die Kammer bestätigte den alten Brauch.

Noch im neunzehnten Jahrhundert trieben sich einzelne Wölfe in Hannover herum, von denen man annimmt, daß sie von Osten herübergewechselt seien. Um 1840 sind bei Nienburg, Walsrode und Rethen Wölfe geschossen; im Hollerlande fand die letzte Wolfsjagd 1847 statt. Die beiden vorletzten hannoverschen Wölfe stehen im hannoverschen Provinzialmuseum. Den einen schoß 1839 Förster Vaeß in Schoenvoerde, Oberförsterei Knesenbeck, den anderen erlegte 1851 der Förster Levecke im Wietzenbruche. Noch viel später sind Wölfe bei uns vorgekommen, denn 1852 wurde vom Feldjäger Weber einer in der Göhrde erlegt, und um dieselbe Zeit riß ein Wolf im Wietzenbruche viel Rotwild und Weidepferde. Der Förster Albrecht zu Wickenberg flickte ihn mit Schrot an und verfolgte die Schweißfährte bis zum Burgdorfer Holze; dieser Wolf soll dann auf Schulenburg-wolfsburgischem Gebiet erlegt sein. Dann wurde noch im Winter 1870 bei einem dicht vor dem Dorfe Erpensen bei Wittingen ausgelegten Luder von dem Landwirt Schultze ein Wolf geschossen, und zwar nach Angabe des Zoologen Johannes Leunis, dem das Stück vorlag, eine etwa dreivierteljährige Wölfin, die jetzt ausgestopft im Besitze des Tierarztes Oelkers zu Wittingen ist. Ein gleichaltriger Wolf wurde in demselben Winter zu Kakau bei Schnega erlegt. Der allerletzte norddeutsche Wolf, ein außerordenlich starker, fast silbergrauer Rüde, wurde 1872 im Becklinger Holze in der Oberförsterei Wardböhmen bei Celle geschossen. Der bekannte Schweißhundführer, Rgl. Hegemeister W. Bieling zu Dalle bei Eschede, machte mir darüber genaue Mitteilungen, aus denen hervorgeht, daß dieser Wolf, der eine Masse Schafe gerissen hatte, ihm selbst einmal gekommen war und später von dem Förster Grünewald geschossen wurde, der ihn sich aus der Dickung zudrücken ließ. Der Becklinger Wolf wurde zuerst in Bergen, Celle, Soltau, Fallingbostel und Walsrode von einem Unternehmer für Geld gezeigt und dann einige Tage im Jägerhofe zu Hannover ausgehängt; später soll er an die Forstakademie zu München gekommen sein. Ein Bild dieses Wolfes findet sich noch in Kirchwahlingen, eine Gedenktafel im Becklinger Holz bezeichnet den Ort, wo der letzte nordwestdeutsche Wolf fiel.

Heute wird sich kein Wolf mehr bis zu uns verirren, selbst in sehr strengen Wintern nicht, die Elbe und Rhein zum Stehen bringen. Die Dichtigkeit der Bevölkerung, die Zunahme der Schienenstränge und Verkehrswege lassen versprengte Wölfe aus den Vogesen oder aus Rußland nicht mehr weit kommen. Höchstens bei einem Kriege könnte es vorkommen, daß Wölfe wieder bei uns erscheinen.


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