Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Die Wilderer

Es war in einer blanken Vollmondnacht, als sie sich kennenlernten. Greif hatte sich so verlassen gefühlt, daß er bei seiner ziellosen Suche sich plötzlich hinsetzte und seinem Jammer Ausdruck gab.

So saß er da, mager und dürr, wie ein hungriger Wolf, auf der Kuppe des Hügels und erfüllte die Stille der Maiennacht mit hohlem Geheule, so daß die Rehe, die sich in der Wiese ästen, vor Entsetzen in die Dickung stoben. Ein trauriges Leben war es, das Greif in den letzten Tagen geführt hatte. Sein neuer Herr wollte ihn in aller Eile zum Polizeihund machen, und als das nicht so schnell ging, gab es wenig Fressen und viel Schläge, bis es dem Hunde zu arg wurde. Er scharrte sich nachts unter dem Hoftore durch und lief davon. Er hatte vor, sich wieder zu seinem alten Herrn zurückzusuchen, aber er konnte sich nicht hinfinden, weil er mit der Eisenbahn zu dem neuen Herrn geschickt war. So trieb er sich drei Tage umher, ohne mehr in den Leib zu bekommen als ein paar Brotrinden und Knochen, die er in den Straßengräben fand. Schließlich, als er es vor Heißhunger nicht mehr aushalten konnte, riß er ein Kalbsgeschlinge, das vor der Tür eines Schlächters hing, herunter. Das bekam ihm schlecht. Der Schlächter warf ihm ein Hackbeil gegen den Kopf, daß er halb betäubt umfiel, und zwei große Fleischerhunde fielen über ihn her und zerzausten ihn derartig, daß er mit Mühe sein Leben rettete. Von da ab hatte er sich in den Feldern umhergetrieben, Mäuse ausgescharrt und Junghasen gegriffen, und war allen Menschen in weitem Bogen ausgewichen, besonders als ihm eines Abends, wie er vor dem Walde dahinstrich, ein Schrotschuß die Keule geschrammt hatte. Seitdem verbarg er sich den Tag über im Getreide und jagte erst, wenn es dunkel geworden war. Aber er verstand sich zu wenig auf das Jagen, war er doch im Zwinger aufgewachsen und hatte dann das gesittete Leben eines Begleithundes geführt, und so mußte er viel Hunger leiden. Außerdem kam er sich ausgestoßen und verlassen vor, und als nun der Mond so hell schien, mußte er den Kopf hochnehmen und losheulen. Plötzlich verschwieg er und starrte scharf, die Glieder zum Sprunge zusammennehmend, nach dem Roggenschlage, denn da raschelte es leise. Schon liefen ihm silberne Geschmacksfäden über die Lefzen, denn er dachte, ein Hase käme an. Aber dann machte er eine Bürste aus seinem Rückenhaar, denn in der Wasserfurche tauchte ein Hund auf, ein weißer Terrier, mit schwarzen Placken. Greif wußte nicht, ob er vor ihm flüchten oder sich auf ihn stürzen sollte. Aber der andere piepte so bittend und wedelte mit dem rauhen Stummel so freundschaftlich, daß Greif nicht anders konnte und auch piepen und wedeln mußte, und nachdem sie sich eine Zeitlang umeinander gedreht und einander ausgiebig beschnüffelt hatten, spielten sie auf dem Koppelwege so vergnügt, als gäbe es keine grünen Jäger und blauen Bohnen auf der Welt, und gingen dann selbander auf die Jagd.

In dieser einen Nacht lernte Greif mehr von Wild und Weidwerk als in seinem ganzen früheren Leben, denn Gripps, der Terrier, verstand sich gut darauf. Wäre das nicht der Fall gewesen, so hätte er verhungern müssen, denn seit der Mondnacht, als er einer heißen Hündin wegen seinen Herrn und das Auto in einem Dorfe verloren hatte, waren schon vier Wochen in das Land gegangen. Aber er sah dennoch prick und prall aus, denn erstens brauchte er nicht so viel Fressen, um satt zu werden, wie ein großer Schäferhund, und dann hatte er auf dem Gute, wo er aufgewachsen war, es gut gelernt, wie man Hamster fängt, Mäuse greift und noch anderes, was in Feld und Wald lebt und Haare oder Federn hat. Weil es ihm nun so ganz allein aber so langweilig war, wie Greif, und er ihm anroch, daß der krank vor Hunger war, so führte er ihn erst zu den Resten eines Hasen, die er in einem Wasserdurchlasse versteckt hatte, und als nichts davon mehr übrig war, in den Wald, wo er ihm ein Rehkitz zutrieb.

Nach einer Woche war Greif ein fast ebenso guter Jäger, wie sein Lehrprinz, wenn dieser, weil er gewitzter veranlagt und erfahrener war, auch immer die Leitung behielt. Dafür war der andere aber der schnellere und andauerndere Läufer und verstand es mit der Zeit meisterhaft, einem Hasen, den Gripps ruhig und unverdrossen vor sich hertrieb, den Paß abzuschneiden und ihn mit wenigen Fluchten trotz allen Hakenschlagens zu packen, oder einem Reh, das sein Freund auf ihn zudrückte, den Wechsel zu verlegen und es niederherzuziehen, und so lebten beide den Sommer über herrlich und in Freuden.

Gripps hatte es sich längst abgewöhnt, mit hellem Halse zu jagen, und Greif jagte ebenfalls stumm; deshalb blieben ihre Schandtaten auch lange verborgen, zumal sie ihre Beute stets inmitten der Getreidefelder, in den Dickungen und Weidenhegern fraßen, wo sie auch den Tag verschliefen. Den Jagdpächtern in der Gegend fiel es freilich allmählich auf, daß die Rehe immer weniger vertraut wurden und daß erst mehrere hochbeschlagene Ricken und später viele Kitzen abgängig wurden, gaben aber Wilddieben und Ströppern die Schuld, ohne es zu ahnen, daß die Wilderer auf vier Läufen gingen. Zudem hielten sich die beiden Freijäger bald hier, bald dort auf, je nachdem Wind und Wetter danach waren, und sahen sich vor den Menschen vor.

Als die Sensen und Mähmaschinen die Felder kahl gemacht hatten, fanden die beiden Stromer das Leben nicht mehr so schön wie zuvor, als es überall Deckung für sie gab, und wenn auch die längeren Nächte ihrem Treiben günstig waren, so war ihnen doch unbequem, daß sie oft weit rennen mußten, um vor Tagesanbruch ein Versteck zu finden. Darum scharrten sie sich an verschiedenen Stellen Höhlen, in denen sie sich vor Wind und Wetter bergen und vor den Augen der Menschen sichern konnten, waren aber doch ab und zu gezwungen, wenn der Morgen sie überraschte, in einem Feldholze oder einer Strohdieme unterzuschlüpfen. Da es nun auch keine Junghasen und Rehkitze mehr gab, die leicht zu haschen waren, die kühlere Witterung aber ihren Hunger verdoppelte, so verloren sie ab und zu ihre Vorsicht, strichen am hellen Tage über die Stoppeln, griffen bald hier, bald da eine Gans trotz des Geschreies der Kinder, die dabei waren, holten Hühner vor den Bauernhäusern und Enten von den Teichen weg und rissen sogar eine Ziege, die vor einem Arbeiterhause angepflockt war.

So konnte es nicht ausbleiben, daß sie gesehen wurden und daß die Jagdpächter sich einen Reim auf die abgängigen Ricken und Kitze machten. Sie stellten sich da, wo die Wilderer gesehen waren, an, hatten aber ebensowenig Glück damit, wie mit dem Abtreiben der Hölzer und Weidenheger, in die sich Greif und Gripps hineinspürten, denn so schlau blieben die beiden Hunde doch, wenn sie auch noch so hungrig waren, daß sie stets mit dem Winde gegen sich stromerten, und sobald ihnen menschliche Witterung zuwehte, machten sie schleunigst kehrt. So dumm waren sie außerdem auch nicht, daß sie es nicht merkten, wenn sie getrieben werden sollten; sie drückten sich solange, bis die Treiber vorüber waren, und stahlen sich, sobald es dunkel war, heimlich ab. Schließlich legten die Jagdpächter Gift. Die Folge davon war, daß mehrere Bauernhunde eingingen und die Jagdpächter verklagt wurden; die Wilderer fielen aber nicht, der Gripps war zu gut erzogen, um Straßenfraß anzurühren, und Greif richtete sich in allem nach seinem Freunde.

Als die zweite Neue die Feldmark weiß gefärbt hatte, sollte es ihnen aber doch an den Kragen gehen. Die Jagdpächter hatten ein großes Aufgebot von Flinten und Treibern bestellt und zogen um alle die Orte, wo sich die Hunde öfter gespürt hatten, Kessel. Als sie nach dem zweiten Kreise auf ihren Jagdstühlen saßen und sich bei Brot, Wurst und Schnaps erholten, lagen Gripps und Greif keine dreihundert Schritt von ihnen mäuschenstill in einem überwachsenen und verschneiten Durchlasse, und als die Jagdgesellschaft zum dritten Kessel aufbrach und der Kutscher, anstatt die angeschossenen Hasen auf den Wildwagen zu hängen, wie ihm anbefohlen war, auf eine Anhöhe stieg, um der Jagd zuzusehen, krochen beide aus ihrem Verstecke hervor, witterten lange, und dann nahm sich jeder einen Hasen und ging mit ihm ab.

So verbrachten sie, wenn es auch oft tagelang nichts als Mäuse gab und sie oft genug Hunger leiden mußten, den Winter. Aber dann kam der Frühling, die Mäuse waren leichter zu fangen und die Hasen setzten, und Gripps und Greif ging es allmählich besser; sie bekamen vollere Seiten und ihr Haar wurde glänzend und glatt. Aber nun kam die Liebe über sie. Hier und da gab es hitzige Hündinnen, und mehr als einmal balgten sich die beiden mit den Dorfkötern herum, teilten Schmisse aus und heimsten auch welche ein, wurden aber in ihrem Liebeskoller so dämlich, daß sie eines Morgens im Felde dem Jagdaufseher vor das Rohr liefen, der sich nicht lange besann und auf den Terrier, den er in dem Zwielicht wegen seiner weißen Farbe besser erkennen konnte, zweimal Dampf machte, so daß dieser im Feuer blieb. Er besah ihn sich lange, schnallte ihm das Halsband ab, warf ihn auf den Weg und schickte nachher einen Arbeiter hin, der ihn eingraben mußte.

Greif war eine ganze Weile vorwärts gestürmt, bis er sich sicher genug fühlte. Dann sah er sich um und schnüffelte in der Luft umher. Aber Gripps war nicht da. Er wußte nicht, was er beginnen sollte. Er schlich schließlich auf seiner eigenen Fährte zurück, um seinen Freund zu suchen, aber als er bei dem Koppelwege war, wo die Schüsse gefallen waren, kamen Menschen an und er rannte zurück. Er verbarg sich in einer Strohdieme und lag den Tag über meist im Halbschlaf. Endlich, als es schon recht dunkel war, nahm er seine Suche wieder auf. Als er bei der Stelle war, sträubte er das Rückenhaar, zitterte am ganzen Leibe, scharrte die Erde auf und hielt den Kopf empor und heulte lang und bang.

Dann lief er piepend und winselnd nach dem Dorfe zurück, von dem er am Morgen vorher mit seinem Freunde gekommenen war, fand ihn dort aber nicht. Er trieb sich die ganze Nacht umher, besuchte alle naheliegenden Unterschlupfe und blieb schließlich in einem von ihnen todmüde liegen, bis gegen Abend der Hunger ihn aus dem Busche trieb und er sich auf die Jagd begab. Er hatte aber kein Glück dabei, denn wenn Gripps ihm fehlte, so war es nur halbe Arbeit, und so fand er nichts als ein paar Mäuse und einen eingegangenen Junghasen. So ging es ihm auch in der anderen Nacht und in der dritten Nacht desgleichen. Er kam sich so unglücklich und verlassen vor, wie in jener Nacht, als er auf der Kuppe des Hügels saß und dem Monde sein Leid klagte.

Nun war der Vollmond wieder da und zwang ihn loszuheulen. Das hörte der Jagdaufseher, als er aus dem Holze, wo er einen Bock festgemacht hatte, zurückkam. Er ging bis zum nächsten Hochsitze, machte die Hasenklage auf der Faust und erklomm schnell die Leiter. Kaum war er oben, da kam Greif angesetzt. Er war der Meinung, sein Freund habe einen Hasen gegriffen und winselte vor Freude laut. Da knallte es zweimal, er jaulte auf, überschlug sich und fuhr in die Dickung. Dort fiel er um und verendete nach einigen Minuten.

Als ihm das Leben entschwand, winselte er freudig auf. Ihm war so, als stände Gripps bei ihm und leckte ihm den Fang. Es war aber sein eigener warmer Lungenschweiß, der ihm über die Lefzen lief.


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