Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Die Reiher

Südlich von Celle, nach Uetze zu, liegt das Kirchdorf Wathlingen. Es ist noch so recht ein Dorf nach alter Art, ein Dorf, an dem man seine Freude haben kann. Kein häßlicher Backsteinrohbau entstellt es; wie aus der Erde herausgewachsen stehen die sauberen Fachwerkhäuser unter breitkronigen Eichen da.

Lange wird es vielleicht nicht mehr so bleiben, das alte Dorf. Schon sucht man in seinen Heiden und Brüchen nach Erdschätzen, fremde Mundarten klingen auf der Dorfstraße und in den Krügen, und wo sonst an milden Sommersonntagsabenden die Mädchen ihre alten Lieder sangen, reihweise untergehakt, da werden andere Klänge erschallen: das dröhnen des Fallmeißels, das Donnern der Lowrys, das Heulen der Sirenen.

So wie es jetzt ist, ist es schöner, als wenn zischende Dampfwolken aus heißen Röhren durch die Wipfel seiner Eichen flattern und schwarze Rauchströme aus roten Schloten um die Kronen seiner Pappeln fliegen; seine stillen Sonntage werden dann verschwunden sein, findet der Diamantbohrer Kali oder die Pumpe Öl, diese Sonntage, an denen die Menschen still und zufrieden vor den Türen sitzen und den Schwalben zuhören, die zwitschernd um die Giebel fahren, dem Kuckuck, der im Holze läutet, den Störchen, die bei ihren Nestern klappern, und den Reihern nachsehen, die trägen Fluges zur Fuhse und Aller fliegen.

Die Störche und die Reiher sind die Wappentiere von Wathlingen. Es gab einst eine Zeit, in der jedes Dach im Dorfe ein Storchnest trug und manches sogar zwei. Seitdem aber mit den Strohdächern die Nester zur Erde mußten, blieb manches Storchenpaar aus, und andere kamen nicht wieder, als man ihnen ihre Jungen nahm und sie Handelsleuten verkaufte, die sie nach England schafften, dem storchlosen Lande. Aber zwanzig Paare mögen heute in Wathlingen noch brüten, und wo Heu aufgeladen wird, da stelzt ernst und würdevoll Herr Langbein zwischen den Leuten umher und fängt die Mäuse, Frösche und Käfer fort, die die Harke bloßlegt.

Auch Reiher gibt es nicht mehr so viele dort wie vor Jahren. Einst hegte und pflegte man sie liebevoll, hielt jede Störung von ihnen fern und verzeichnete genau, wieviel Horste besetzt waren. Das war zu jenen Zeiten, als man den schlauen Fischer mit dem Falken jagte. So manches bunte, wilde Bild mag sich dort oft geboten haben, wenn eine glänzende Reiterschar durch das Fuhsebruch sprengte, daß das Wasser hoch aufspritzte. Erspähten dann des Falkners geübte Augen den abstreichenden Reiher, so nahm er dem Beizvogel die bunte reichgestickte Haube ab, und warf ihn mit hellklingendem Weidruf dem Wilde nach, und hinter dem Reiher, hinter dem Falken brauste dann die Jagd durch dick und dünn, über Sumpf und Sand.

Das war noch ein Kampf mit gleichen Waffen, Vogel gegen Vogel, Pferdehufe gegen Reiherschwingen, Leben gegen Leben; so mancher Edelfalk für viel rotes Gold von den isländischen Händlern gekauft, so mancher Blaufuß, um viele Pfunde Silbers von den Falkenfängern aus Bederkesa erstanden, stürzte verendend aus der Luft herab, vom Dolchstoß des Reihers getroffen, und oft wenn der graue Fischer, die Fänge des Falken im silbernen, schwarzgefleckten Halse, krampfhaft rudernd zu Boden sank und mit roten Tropfen das grüne Gras färbte, umringt von dampfenden Rossen, hinter deren Mähnen aus erhitzten Gesichtern vor Jagdlust funkelnde Augen blitzen, dann lag auch wohl, dumpf stöhnend, mit zerschmetterten Knochen, ein junges Blut in Moor und Mulm, oder ein angstvoll schnaubender Gaul beschnupperte ein blasses, blutbespritztes Gesicht im hohen Schilf.

Die Zeiten sind lange vorbei. Berthold Schwarz, der Große Revolutionair in der Mönchskutte, gab dem Krieg und der Jagd eine andere Art. Armbrust und Saufeder, Bolzen und Spieß wanderten in die Rumpelkammer, Kraut und Lot lösten sie und den edlen Falken ab. Einige Zeit noch gab man aus alter Gewohnheit dem heimlichen Fischer Freibrief und Freistatt, ließ ihn seine Horste bauen und seine Brut großatzen; aber allzusehr eiferten die Nützlichkeitsfanatiker gegen den Fischereischädling, und so zog man los, mit Flinten und Büchsen aller Art, aß gut und trank noch besser, donnerte die Jungreiher hundertweise aus den alten Eichen herab und ließ sie liegen, den Füchsen zum Fraß und den Maden zur Mahlzeit.

Viele Reihersiedlungen im Hannoverlande verschwanden ganz, andere schrumpfen auf ein Restchen zusammen. Auch in Wathlinger Holze horsten nicht mehr, wie einst, über hundert Paare, etwas mehr als dreißig mögen es noch sein. Im jeder Flußbucht legt man ihnen Eisen, in jedem Fischteich stellt man ihnen Fallen, kein Jäger gibt ihnen Quartier, jeder Fischer schwört ihnen den Tod; im nächsten Jahrhundert wird kein Reiher mehr zwischen Ems und Elbe horsten.

Noch aber hat der stolze Vogel hier und da eine Freistatt, und wen der Weg in die Nähe einer der Wälder führt, in denen die grauen Fischer noch hausen dürfen, der mache ihnen einen Besuch. Seltsam ist ihr Gebaren und sonderbar ihre Art, an Deutschlands Urzeiten gemahnt ihr Wesen, und an alte Tage erinnern die Stätten, wo sie siedeln; ein Stück Vorzeit ist im jedem Reiherwalde am Leben geblieben.

Wer rund um Wathlingen die gut bestellten Felder und schön gepflegten Wiesen liegen sieht, der ahnt nicht, daß eine halbe Wegestunde weiter ein solches Stück urwüchsigen deutschen Waldlebens liegt. Aber schlägt er den Birkenweg durch die Wacholderheide ein, der zu dem Forste führt, dann sieht er schon einen der Riesenvögel mit vollem Kropfe zu Holze streichen oder ledigen Kropfes zu Flusse fliegen, oder mit heiserem Warnrufe von einer Randeiche abstreichen.

Allerlei Leben begegnet ihm im Walde bei jedem Schritt; den Schlag der Nachtigall übertönt der Schrei des Rotspechts, den Chorgesang von Fink und Meise, Mönch und Fitis unterbricht das dumpfe Trommeln der Hohltaube; der Drossel Lied, der Amsel Weise und des Pirols Geflöte verschwindet vor dem klingenden Ruf des Gabelweihs. Huschten in den jüngeren Beständen vor seinen Tritten Kaninchen über den Weg, so fällt weiterhin im Forst sein Blick auf die Fährte von Rotwild, und freute er sich auf dem großen Schlage an den Rehen, die vertraut zwischen dem üppigen Ellernstockaufschlag äsen, so überrascht es ihn, von einem Sumpfgraben den einsamsten unserer großen Waldvögel, den Schwarzstorch, abstreichen zu sehen.

Zu der Reihersiedlung gelangt man, wenn man das zu den Fuhsewiesen führende Quergestell zur Linken einschlägt. Dort führt ein hölzerner Steg über den breiten Graben, und ist man ein Stückchen in den alten Eichenbestand eingedrungen, so vernimmt man bald ein Stimmungsgewirr eigener Art. Es klingt bald, als wenn eine Schar Gänse untereinander riefe, bald wie das Gegrunze einer Herde Schweine. Ein geübtes Ohr unterscheidet schnell die hellen Stimmen der Jungreiher von den tiefen Baßlauten der alten. Pirscht der Besucher sich vorsichtig, das zwischen hoch aufsprießenden Brennesseln und üppigen Springkrautbüschen massenhaft herumliegende Geknäck vermeidend, heran, so bekommt er bald einen der in den vom Eichenwickler kahl gefressenen Krone stehenden mächtigen Horste zu Gesicht und kann alt und jung leicht beobachten.

In den äußersten Astgabeln mächtiger, glattschäftiger, efeuumsponnener Eichen oder in den Kronen schlanker, hoher Ellern stehen die Horste, mächtige, tiefe, halbeiförmige Bauwerke aus starken Ästen, innen mit feinerem Gezweig ausgelegt. Unordentlich und sparrig ist ihr Aussehen, aber dauerhaft und fest sind sie gearbeitet. Die Zweige um jeden Horst sind weiß getüncht von dem Geschmeiß der Reiher, dessen ätzende Kalkbestandteile allen Pflanzenwuchs am Boden zerstören, mit Ausnahme der Nesseln, die gut gedeihen.

Im ersten Frühjahr, wenn das Wasser der Fuhse noch den Boden des Bestandes bedeckt, erscheinen die Reiher aus dem Süden und machen sich wieder heimisch. Kreischend und polternd zanken sie sich um die Horste, flicken die alten aus, legen neue an, und bald darauf enthält jeder Horst drei bis vier hühnereiergroße, hellblaugrüne Eier, aus denen dickköpfige, stachelkielige Junge auskriechen. Nun haben es die alten Reiher sauer; unaufhörlich gieren die Jungen und können nicht genug Fische, Frösche, Mäuse, Egel und Larven hinabschlingen.

Wenn die Flügelfedern die Kiele durchbrochen haben, wagen sich die Jungreiher auf die Ränder der Horste, und sind die Schwingen voll entwickelt, dann fußen sie auch auf den benachbarten Zweigen steif wie ein Pfahl verharrend, bis sie hinten über den Wiesen die Umrisse ihrer heranrudernden Alten erspähen; dann recken sie die langen, dünnen Hälse, zittern unter den mächtigen Fittichen, steigen auf die äußersten Spitzen der Äste und gieren den Alten entgegen, die mit vollen, tief herabhängenden Kröpfen herannahen. Heiser schnattern die Jungen, wenn die Alten den Fraß herauswürgen, und ein seltsames Konzert ertönt in den Kronen. Ab und zu entfällt der heißhungrig schluckenden Gesellschaft ein Bissen und poltert zu Boden, den Krähen und Gabelweihen ein bequemes Futter.

Die Besitzer des Gutes, zu dem das Holz gehört, läßt die grauen Fischer gewähren, so weit es geht. Ab und zu trifft ein Gast ein, der einige Reiher abschießen möchte, und dann gibt es Schreckengekreische und Angstgerufe in der Siedlung. Ringsherum tönt der heisere Warnruf, dumpfer Flügelschlag erklingt über den Eichen, Eschen und Ellern, gewaltige Schatten huschen über den sonnenbeschienenen grünen Waldbodenteppich, und sowie der erste Schuß fällt, verdoppelt sich das Kreischen und Rufen, das Sausen und Fuchteln in der Höhe. Hoch über den Kronen schweben die Vögel hin, ihre dunklen Fittiche schatten, ihre weißen Hälse leuchten, dort poltert einer, der bei seiner Brut aushielt, laut rauschend fort, ein andere fußt auf einer Randeiche, und bei jeden Schuß erhebt sich der Lärm von neuen.

Ziehen die Jäger ab mit ihrer Beute, verfolgt von summenden Mückenhaufen, denn kehren die alten Reiher zurück, und bald herrscht wieder derselbe Kinderstubenlärm wie zuvor. Aber ein Jungreiher nach dem anderen prüft die Flügel, ein Horst nach dem anderen wird leer, und wenn der Juli herannaht, dann wird es still im Wathlinger Holze; die alten und jungen Reiher verteilen sich, die einen fischen an der Fuhse, die anderen an der Aller, wieder andere streichen bis zur Weser, Ems, Leine und Elbe, und einige sogar bis nach dem ostfriesischen Küstenland und zu den Inseln der Nordsee, bis der Winter sie südwärts treibt.

Dann ist das Wathlinger Holz ein Wald wie jeder andere; doch wenn die ersten Weiden ihre goldenen Kätzchen entfalten, kehren die großen Vögel wieder zurück zum alten Heim am Fuhseufer.


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