Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Murrjahn

»Sonne ist das beste, was wir in der Art haben«, denkt Murrjahn und räkelt sich vor seinem Bau. Besonders die Morgensonne ist sehr wohltätig. Das fühlt Murrjahn deutlich. Erst hat er auf dem Bauche gelegen, platt wie ein Eierkuchen, und sich den Buckel schmoren lassen; nun wälzt er sich auf den Rücken und läßt sich den Bauch durchwärmen.

Wie wunderschön das ist! Murrjahn stöhnt behaglich. Auf einmal zuckt er jäh zusammen und juckt sich heftig in der linken Weiche, und dann in der rechten, und unter der einen Achsel und unter der anderen, und dann hier und dann dort; die Flöhe werden in der warmen Sonne doppelt unverschämt.

Darum scharrt er den Staub tief auf, pudert sich damit den Bauch ein, wälzt sich murrend und knurrend darin umher, bis die braunen Quälgeister ablassen, ihn zu peinigen; dann legt er sich wieder auf den Rücken, schließt die Seher fast ganz, läßt sich von Amsel, Drossel, Fink und Star etwas vorsingen, und hat so das Gefühl, daß er es jetzt bedeutend besser habe als früher.

Denn der alte Dachs hat eine Vergangenheit, eine bewegte Vergangenheit. Kein Dachs am ganzen Rodenberge und darüber hinaus hat eine derartige, wie Murrjahn, überhaupt kein lebendes Wesen in dieser Gegend. Höchstens Pockenfritze, der anscheinend sorglos, in Wirklichkeit sehr vorsichtig, den Pirschsteig entlang geschlendert kommt, um nachzusehen, ob sich nicht ein Reh in den Schlingen gefangen hat, kann auf eine ähnliche Vergangenheit zurückblicken, denn er hat schon einmal wegen Ströppens und Widerstandes gegen die Staatsgewalt sitzen müssen.

Murrjahn schreckt aus seinem süßen Druseln auf. So leise Pockenfritze auch schleicht, der Dachs hat es doch vernommen. Viel flinker, als man es ihm zutrauen möchte, hat er sich aufgerichtet. Nach allen vier Windecken wittert er, wobei der schwarzweiße Kopf blitzschnell hin und her fliegt, und dann macht er kurz kehrt und verschwindet in seinem Baue. Traue einer den Menschen! Es sind übele Geschöpfe. Murrjahn kennt sie zur Genüge. Zwei Jahre hat er unter ihnen gelebt. Und später hat er mehr als einmal die Bekanntschaft erneuern müssen, obschon ihm sehr wenig daran lag und er ihnen nach Möglichkeit aus der Kehr ging. Aber einmal erwischte er auf einer Treibjagd ein paar Schrote, mehrere Male wurde er in mondhellen Nächten mit Hunden gehetzt und hatte Mühe, sie abzuschlagen, und die fehlende Zehe an der linken Hinterbrante blieb in einem Tellereisen hängen.

Darum wartet er fast eine Stunde in der Tiefe seines Baues, bis er sich wieder hervorwagt. Noch viel vorsichtiger ist er dabei als vorhin. Aber im Baue leidet es ihn nicht; er hat Sonnendurst und Lichthunger. So rutscht er denn der entlegensten Ausfahrt des weitverzweigten Baues zu, der, die zwischen den drei mächtigen Samenbuchen mündet, über der dichter Jungwuchs stockt und unter der die Wand steil abfällt. Dort ist er sicher, das weiß er. Trotzdem windet er aber dennoch erst lange, ehe er ausschlieft, und erst, als er sich davon überzeugt hat, daß das Geräusch vor ihm von einer Amsel verursacht wird, nimmt er wieder sein Sonnenbad.

Platt und breit liegt er da, wie tot; aber er vernimmt jeden Laut. Daß, als er sich einmal wieder kratzen muß, erst der Zaunkönig, dann die Amsel und schließlich der Häher fürchterlich schimpfen, läßt ihn kühl. Auch das Schmalreh, das über ihm herumtritt, stört ihn nicht in seiner Ruhe. Aber dann öffnet er die Seher; er hat ein ganz feines, dünnes Gewisper vernommen, und das wirkt auf seinen Magen. Hurtig steht er auf und trottet dahin, von wo es kam, scharrt in dem welken Gekraut und führt sich dann laut schmatzend fünf halbnackte junge Rötelmäuse zu Gemüte. Sie sind recht saftig und zart und schmecken nach mehr. So begibt er sich weiter, sticht hier im Mulme nach Würmern und Schnecken, entrindet mit den scharfen Krallen dort einen morschen Baumstumpf und macht sich über die Käferlarven darin her, findet noch ein Mäusenest, und abermals eins, und ein viertes, fünftes, sechstes und siebentes, und stößt dann sogar auf eine ausgewachsene Blindschleiche, die gerade dabei ist, ihr altes Kleid auszuziehen, aber nun nicht mehr dazu kommt.

So ganz wohl und sicher fühlt er sich aber bei seinem Pirschgange nicht. Wenn er sich auch nur in dunklen Umrissen an die Zeit erinnern kann, als er immer in einem muffigen Zwinger saß, ewig dasselbe langweilige und oft ekelhafte Futter bekam und nur herausgelassen wurde, um sich von allerlei Kläffern zausen lassen zu müssen, die Angst vor einer Wiederholung seiner scheußlichen Zeit ist ihm geblieben. Gerade ist er dabei, ein Hummelnest auszugraben, da verhofft er, denn von der Trift her erschallt Hundegebell. Es ist sehr weit bis dahin, aber Murrjahn empfindet es doch als Störung. So frißt er eilig die Hummelbrut hinunter und trottet wieder dem engen Stangenorte zu. Hundegebell; pfui! Das Scheußlichste, was es gibt. Zwei Jahre lang hat er es auf dem Schliefplatze ausstehen müssen. Bis dann der Tag kam, daß der Wärter Geburtstag hatte und so viel Bier und Schnaps trank, daß er vergaß, die Zwingertüre zu schließen und Murrjahn entweichen konnte. Wie besinnungslos war er in die Freiheit hineingesaust, hatte auf der Landstraße eine Radfahrerin in Ohnmacht versetzt und war im Walde mitten zwischen sechs Sommerfrischlerinnen geraten, die mit dem Angstgequietsche: »Ein Wildschwein, ein Wildschwein!« wie wahnsinnig auseinanderstoben.

Murrjahn hatte sich aber ebensosehr verjagt und war voller Angst und Entsetzen weitergeflüchtet. Alles war ihm so neu, so fremd, so unbekannt, denn er war knapp anderthalb Jahr alt gewesen, als er gegraben und in den Zwinger gebracht wurde, in dem er zwei Jahre verbringen mußte, Wand an Wand mit mehreren Füchsen, abscheulichen Stinkern, deren Ausdünstung ihm unausstehlich war. Was wußte er noch von der Welt, von Moor und Mulm, von Würmern und Schnecken? Auf faulem Stroh hatte er liegen müssen und Kartoffeln, Brot und halbfaules Pferdefleisch fressen müssen. Ratlos saß er im wilden Walde; sein Magen knurrte; ganz schwach wurde ihm. Da hörte er im Laube etwas wispern. Eine alte Erinnerung kam ihm, daß dieses Gewisper in irgendeinem Zusammenhange mit etwas stehe, das gut zu fressen sei. Er lief hin, scharrte, fand vier junge Mäuse, prick und fett, und die schmeckten ausgezeichnet. Und er stach weiter nach Untermast, wie es seine Mutter ihn gelehrt hatte, und pfropfte sich voll mit Würmern, Maden, Larven, Schnecken, Käfern, Raupen, Mäusen und was es sonst noch gab, bis ihn ein kleiner Köter aufspürte und so lange hetzte, bis es Murrjahn zu dumm wurde, er sich stellte und den Kläffer so zurichtete, daß er jaulend forthinkte. Trotz dieses Sieges war Murrjahn aber durch dieses Erlebnis der Wald verleidet, und so trottete er weiter und immer weiter, bis er zum Rodenberg kam und den verlassenen Mutterbau fand und sich darin häuslich einrichtete.

Dort kann ihm weder Mensch noch Hund beikommen, denn es ist zur Hälfte ein Felsenbau, der nicht gegraben werden kann, und da die Röhren zum Teil über tiefe Gesteinsspalten führen, so schicken die Jäger ihre Hunde nicht mehr hinein, weil sie wissen, daß sie dann nicht wieder zutage kommen. Ein halbes Dutzend Gerippe von Hunden, die dort elend verschmachten mußten, modern in dem Lehm, den Murrjahn darüber scharrte, denn er ist sehr für Reinlichkeit. Deswegen wird er immer sehr fuchtig, ladet sich einer von den Stinkefüchsen bei ihm zu Gaste, denn das sind Schweinigel, die allerlei Fraß zu Bau schleppen und die Hälfte dort verludern lassen, so daß Murrjahn hinterher das Forträumen besorgen kann, und dann noch acht Tage vor dem strengen Füchseln um alle Lebenslust kommt. Im allgemeinen hat er aber Ruhe, denn es gibt Baue genug am Berge und der Fuchs lebt auch lieber für sich allein.

Hier am Berge hat Murrjahn es gut. An Fraß ist kein Mangel und in der Hauptsache geht es auch ruhig zu. Anfangs fuhr er nur nächtlicherweile zur Weide; allmählich gewöhnte er sich aber daran, auch tagsüber umherzubummeln, wenn auch unter aller Vorsicht und immer in der Nähe des Baues. Heute gefällt es ihm ausnehmend über Tage. Die Luft ist rein, denn in der Nacht fiel ein lauer Regen, die Sonne scheint, und so krimmelt und wimmelt es im Grase und kribbelt und krabbelt es unter dem Moose. Eben burrt ein Maikäfer Murrjahn vor die Nase, dann kommt eine halbflügge Amsel angetolpatscht, und jetzt begeht ein Maulwurf die Dummheit, gerade da aufzustoßen, wo der Dachs das Fallaub abwittert. Wupps, ist er gefaßt und verschwindet dort, wo der Maikäfer und die Jungamsel hingerieten. »Schöner Morgen heute Morgen«, denkt Murrjahn und wittert um sich, denn der strenge Geruch des Bärenlauchs sticht ihn. Die Finken schlagen, die Schwirrer trillern, die Tauben rucksen, und überall burren die Maikäfer; alle Augenblicke kann der Dachs einen zerknatschen und dabei an Bucheckern denken, die fast ebenso schmecken. So bummelt er friedlich umher und stopft in sich hinein, was er an Getier antrifft, ab und zu sich kratzend, wenn das Ungeziefer in seiner Schwarte es gar zu bunt treibt.

Ein gesegneter Tag ist es heute; nicht weniger als sechs dicke Blindschleichen findet der Dachs auf dem sonnenbeschienenen Pirschsteige. Die Mäuse haben fleißig geheckt; alle naselang stößt er auf ein Nest. Auf einmal aber erschrickt er furchtbar, schnauft geängstigt, wird ganz kurz und breit und verbreitet einen stechenden Talggeruch um sich, denn mit beträchtlichem Getöse plumpst etwas vor ihm in das Laub. Murrjahn prallte zurück und machte, daß er zwischen die wilden Stachelbeerbüsche kam. Da verhofft er. Aber dann spitzt er die Gehöre, äugt scharf und schnuppert gierig, denn das, was da im Gestrüpp herumhopst und ängstlich quarrt, das scheint ihm nichts Gefährliches zu sein. Vorsichtig schleicht er näher, und immer dichter heran; seine Seher funkeln, die Nase geht hin und her, und dann springt er vor und schnappt zu, und ob auch die halbflügge Krähe, die vom Nestrande fiel, noch so sehr quarrt und noch so hampelt und strampelt, ein Biß mit den scharfen Zähnen, und sie läßt den Kopf hängen. Das ist ein Fraß! Fett ist sie wie eine Schnecke. Das lohnt sich eher als Maikäfer und Regenwürmer; Murrjahn schmatzt, daß es weithin zu hören ist und eine alte Ricke, die an ihm vorüberzieht, ihn entrüstet anschmält.

Gesättigt und zufrieden trollt er jetzt seinem Baue zu. Vor der Hauptfahrt, die von Waldreben und wilden Stachelbeeren gänzlich umwuchert ist, macht er es sich in der Sonne wieder bequem und geht den Flöhen ernstlich zu Leibe. Dann rollt er sich zusammen und druselt, bis es Abend wird und die Sonne zur Rüste geht. Es gibt Mondschein, und den Dachs gelüstet es, einen Gang in die Feldmark zu unternehmen. Drei Male ist es ihm dabei eklig ergangen, denn die Jäger waren mit den Hunden zugange und die stöberten Murrjahn auf und hetzten ihn. Das eine Mal schlug er den Teckel glatt ab und flüchtete zu Baue. Als er aber schön dicht dabei war, vernahm er ein verdächtiges Geräusch, machte kehrt und flüchtete in die verwachsene Dickung, wo er in einen Notbau einfuhr, der den Jägern unbekannt war. Das andere Mal stellten ihn zwei Hunde; aber Murrjahn hatte es auf dem Schliefplatze gelernt, seine Schwarte zu wahren. Er steckte die Nase unter sich, öffnete seine Talgdrüse, bot den Hunden den Specknacken und schlug mit den scharfen Fängen giftig keckernd bald unter der linken, bald unter der rechten Vorderbrante so geschickt nach den Hunden, daß sie jaulend den Platz räumten und ihn fahren ließen.

Beim dritten Male aber hetzte ihn ein großer Köter bis vor den Bau, und als er einfuhr, fühlte er sich von einen Gewirr von Ranken oder was es so war, behindert. Das Fangnetz war aber schlecht angepflockt und morsch, und so riß er es mit in die Tiefe. Viele Stunden plagte er sich damit ab, sich davon zu befreien, und seitdem war er doppelt vorsichtig, besonders bei Mondlicht. Und ehe er zu Baue fährt, prüft er erst sorgfältig, ob die Fahrt nicht wieder mit einem Netze verstellt oder gar mit einem Eisen verlegt ist, denn als er einmal zu Bau rutschen wollte, klappte es hinter ihm und das Eisen schnappte ihn an einer Zehe. Trotz des großen Schmerzes ruckte er aber so heftig an, daß die zerschmetterte Zehe abriß und er frei wurde. Alles das hat ihm Vorsicht beigebracht, und so gern er nun, wo der Mond alles so schön blank macht, zu Felde trollte, so zieht er es doch vor, unter Deckung zu bleiben und im Vorholze nach Untermast zu stechen, die es dort überall reichlich gibt, Würmer, Käfer, Larven, Mäusebrut und allerlei süße Knollen und Zwiebeln.

Gegen den Vormorgen aber erhebt sich ein Wind und da trottet er zu Baue, und kaum ist er dort angelangt, da versteckt sich der Mond, die Wolken platzen und es regnet in Strömen. Murrjahn ist das gleich; er hat sich bis oben vollgestopft und wird so lange schlafen, bis der Regen aufhört. Er kann es aushalten.


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