Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Die Entenmutter

Mitten im grünen, buntgeblümten Wiesenland steht ein alter Weidenbaum am Bache.

Krumm und schief ist er gewachsen, hohl ist sein Stamm, und so gespalten, daß Sonne und Mond hindurchscheinen können. Oben bildet er einen dicken, strubbeligen Kopf, zwischen dessen Zweigen Himbeeren und Farne wuchern, und der vom Efeu dicht umsponnen ist. Mitten in dem Efeu hat eine Ente ihr Nest gebaut.

Ehemals bildete der Bach hier ein Bruch. Damals standen viele Kopfweiden an seinen Ufern, Schilf und Riedgras bildeten dichte Horste, so daß die wilden Enten dort gern brüteten. Dann wurde das Bruch entwässert und zu Wiesen gemacht. Das Schilf und das Riedgras verschwanden, die Weiden fielen unter der Axt. Diese eine ließ man stehen, damit die Schnitter ein schattiges Plätzchen hätten.

Die Enten, die hier gebrütet hatten, mußten sich andere Plätze suchen. Ganz vergaßen sie die alte Heimat aber nicht. In jedem Vorfrühling, wenn die Wiesen unter Wasser standen, trieben sich hier einige Paare umher, kreisten über den Wiesen, suchten im Grase nach Gewürm, stöberten in den Buchten des Baches nach Schnecken, verschwanden dann meist aber wieder, um sich an anderen Stellen Nistplätze zu suchen. Ab und zu brütete eine auch in dem Ufergebüsche oder im Felde.

Die Ente, die jetzt hier brütet, hatte sich weit von da bei dem Altwasser des Flusses zwischen zwei dichten Riedgrasstauden ein sehr schönes Nest gebaut, ein so sauberes Nest, wie es nur eine alte Ente fertig bringt. Da kam das Hochwasser, spülte das Nest fort samt dem ersten Ei und überschwemmte das Land weit und breit. Ganz unglücklich flog die Ente in ihrer Legenot umher und kam schließlich auch zu dem Weidenbaum, dessen strubbeliger Kopf mürrisch aus der gelben Flut hervorsah.

Ein Dutzend Male umkreiste die Ente den Baum, dann ließ sie sich in dem Geäste nieder. Die Gelegenheit erschien ihr nicht übel. Wenn sie einige alte Himbeerstengel beseitigte, war Platz genug da. Zudem brauchte sie gar keine Unterlage zu beschaffen, denn in der Mitte war der Knorren morsch; der warme weiche Mulm lag frei zutage, trockene Blätter fehlten auch nicht, und rund umher bildeten die Farnblätter und der Efeu einen dichten und hohen Wulst.

Am nächsten Tage lag ein Ei dort. Wenn die Ente fortflog, um sich Futter zu suchen, zerrte sie trockene Blätter darüber, damit das Krähengesindel das Ei nicht finden sollte. Als das Gelege vollzählig war, hatte die Ente nicht mehr nötig, es zuzudecken, denn die Zweige hatten sich begrünt, und kein Krähenauge konnte die zwölf Eier finden. Auch die Ente war geborgen, wenn sie auf dem Neste saß und brütete. Mehr als einmal strich der Habicht hart über den Weidenbaum hin, ohne sie zu eräugen, denn zu dicht war das Laub.

Der Ente gefällt es hier. Sie hatte einen schlimmen Winter hinter sich, einen ganz schlimmen Winter. Bis zum November war es herrlich; alle Teiche waren offen. Dann setzte aber der Frost ein und schloß erst die Tümpel und Teiche, und hinterher die Seen, so daß sich die Enten an den Bächen und Flüssen durchschlagen mußten, bis auch die zum größten Teil zufroren oder soviel Randeis ansetzten, daß keine Ente dort mehr leben konnte.

So mußten sie alle nach dem Süden, nach Gegenden, wo sie nicht Bescheid wußten. Fanden sie endlich ein offenes Wasser, dann dauerte es meist nicht lange, und es knallte, und zogen sie weiter und fielen in der Dämmerung in einer Flußbucht ein, dann blitzte und donnerte es wieder. Es war ein elendes Leben, zumal der Schnee hart und fest lag, so daß die Enten auf den Feldern auch keine Nahrung fanden, und während sie sich sonst im Februar schon reiheten, dauerte es in diesem Jahre bis in den März, daß die Paare sich fanden.

Es war ein ganz alter Entvogel, der sich zu der Ente geschlagen hatte, denn er hatte vier krumme Federn im Steiß, und der weiße Ring unter seinem goldgrünen Halse war breit. Er hinkte auf dem rechten Ruder, denn das hatten ihm die Schrote durchschlagen, und sie hatten zwei von den glänzenden, blaugrünen Spiegelfedern quer durch den Laufknochen getrieben, und die waren darin festgeheilt, was ganz schnurrig aussah. Es war noch ein netter junger Erpel dagewesen, der der Ente mit viel Kopfnicken und Schnattern den Hof gemacht hatte, aber der alte Erpel hatte ihn abscheulich behandelt und schließlich fortgejagt. Den März über hatte sich der alte Erpel zu der Ente gehalten, und die beiden hatten sich umhergetrieben, wo es für Enten gut zu leben war. Den Tag über lagen sie in irgendeinem Bruche oder Weidengehege, aber wenn die Eule rief, erhoben sie ihr Gefieder und strichen mit lautem Klingeln nach dem Altwasser, wo das große Entenstelldichein war. Das gab dann zuerst ein großes Geratsche und Getratsche, bis man sich erinnerte, daß man hungrig war, und dann schnatterten die Paare im Schlick und Schlamm umher, bis es im Osten hell wurde und das eine Paar hier-, das andere dahin strich.

Ab und zu kam es dann noch vor, daß ein lediger Erpel sich zu dem Paar gesellte, und einmal dauerte es über eine Stunde, bis daß der Erpel den Nebenbuhler fortgeärgert hatte, und von all dem Gefliege und Gehetze war die Ente so müde, daß sie sich den Abend über im Grase hielt und den Erpel allein zur Entenversammlung fliegen ließ. Als sie in der Nacht schließlich doch nach der Bucht strich, war nur ein Entenpaar da, und das hielt sich ängstlich im freien Wasser weit vom Lande, denn als abends alle Enten auf einem Haufen dicht am Ufer waren und durcheinander schnatterten, war der Fischotter plötzlich mitten zwischen ihnen gewesen und mit einem Erpel untergetaucht. Und das war der gewesen, der zu der Ente hielt, die nachher in der Weide brütete.

Eine Woche später kümmerte sich kein Erpel mehr um die Enten. Die Erpel hatten sich zu Flügen zusammengeschlossen und trieben sich überall umher, und die Enten saßen auf den Eiern. Dann waren die Erpel auf einmal gänzlich verschwunden. Sie mauserten und hielten sich verborgen, weil sie kaum fliegen konnten, und als sie wieder zum Vorschein kamen, waren sie nicht wiederzuerkennen, denn bis auf einige klägliche Reste von dem schönen Hochzeitskleide sahen sie fast wie Enten aus.

Das war um die Zeit, als das erste Ei unter der Brust der Ente in der Kopfweide zerbarst, und aus ihm kroch ein wolliges Entchen heraus, das so jämmerlich piepte, daß der Waldkauz bis dicht an das Nest heranschwebte, aber entsetzt abschwenkte, als die Mutterente ihm mit fürchterlichem Geflatter entgegensprang. Am andern Vormittag bekam sie Besuch von dem Hermelin, das Lust auf Entchenbraten hatte; aber ehe das Wiesel noch recht wußte, was ihm geschehen war, flog es in großen Bogen durch die Luft in den Bach hinein. Pudelnaß kroch es heraus und nahm sich vor, nie wieder auf den unheimlichen Baum zu klettern. Auch eine Krähe, die das Piepen der Jungenten vernommen hatte, zog ganz verdutzt ab, als die alte Ente ihr wütend die Flügel um den Schnabel schlug und dabei schrecklich quakte. Menschen kamen um diese Zeit hier nicht vorbei; nur einmal stöberte der Fuchs dort umher und äugte sehnsüchtig nach dem Bau hinauf, schlich aber bald wieder weiter.

Als alle zwölf Entchen ausgekrochen waren, kam die Mutterente in große Not. Erst trippelten die Kleinen piepend zwischen den Zweigen umher, bis eins nach dem andern das Übergewicht bekam und in die Wiese purzelte. Das Nesthäkchen aber piepte kläglich, denn es fürchtete sich vor dem Sturz in die Tiefe. Da faßte die Alte es mit dem Schnabel in den Nacken und flog damit in die Wiese. Eine ganze Stunde mußte sie nun aber suchen, ehe sie ihre zwölf Jungen zusammen hatte. Hier piepte eins in der Wiese, da eins in den Weiden, dort eins unter den Kleeblättern, und drei schwammen sogar schon auf dem Bache. Endlich hatte sie alle auf einem Haufen und brachte sie mit viel Mühe und Geduld nach der sumpfigen Ecke der Wiese, wo einige dichte Weidenbüsche standen und das Hochwasser Löcher gerissen hatte, und dort verlebten die Kleinen ihre ersten Lebenswochen.

War es auch still und ruhig dort, so ganz sicher war es da trotzdem nicht. Die alte Ente mußte fortwährend aufpassen. Einmal jagte die Kornweihe dort, und um ein Haar hätte sie ein Entchen gegriffen, wenn nicht die Mutterente den Raubvogel abgeschlagen hätte. Auch das Hermelin ließ sich dort ab und zu sehen, und es war so frech, daß die alte Ente alle Mühe hatte, es in die Flucht zu jagen. Dann mußte sie noch auf die Krähen achten, denn denen war nicht zu trauen, und dem Storche erst recht nicht. Eines Abends aber war es ganz schlimm, denn da kam der Fuchs angeschlichen. Zum Glück war es kein alter Fuchs, sondern ein jähriger, und er fiel richtig darauf hinein, als die alte Ente sich flügellahm stellte und so lange vor ihm herflatterte, bis sie ihn weit von ihrer Brut fortgelockt hatte; und da flog sie ihm vor der Nase fort, und er sah mit dummem Gesichte hinter ihr her.

Der Schreck war ihr aber so in die Glieder gefahren, daß sie auszuwandern beschloß. In der Wiese war es ganz schön, aber die Wasserlöcher zwischen den Weidenbüschen boten doch nicht Sicherheit genug. In aller Lerchenfrühe ging die Reise los. Es war eine lange, böse Reise, denn es war ein heißer Tag. Solange die Wiesen reichten, war das Marschieren eine Freude, aber dann kam eine kahle Brache, und da stach die Sonne zu sehr, und es gab nirgends Deckung vor Feinden. Aber man kam glücklich hinüber und in den Roggen, und von da in den Hafer und von dort in den Weizen und in die Viehbohnen, und dort wurde erst haltgemacht, denn es war kühl und schattig dort, und es wimmelte von allerlei Gewürm am Boden und an den Bohnenstengeln. Bis in den späten Nachmittag blieben die Enten dort, und dann ging es weiter, bald durch Klee, bald durch Wiesen, jetzt durch Erbsen, dann durch Getreide. Hier war ein Weg zu nehmen und gleich darauf die Landstraße, und dann kam ein tiefer Graben mit steilen Rändern, und schließlich sogar der Eisenbahndamm, und gerade als das letzte Entchen hinüber war, donnerte der Zug über die Gleise, und alle Enten purzelten entsetzt die Böschung hinunter und wagten erst wieder weiterzuwandern, als das Donnern und Dröhnen nachließ.

Damit hatte die Not aber auch ein Ende, denn bei jedem Atemzuge merkten sie, daß sie an ein großes Wasser kamen, und bald waren sie da, und alle dreizehn stürzten sich in das Schilfdickicht, lagen erst ganz still und fraßen sich dann so voll, wie sie konnten, denn da wuchs so viel schwimmendes Kraut und das lebte nur so von Schnecken und Würmern und anderem Getier, so daß eine Ente nur den Schnabel in das Wasser zu stecken und das Wasser ablaufen zu lassen brauchte, um ihn voll von Futter zu haben.

Denn das war das große Altwasser des Flusses, ein Entenparadies ersten Ranges. Da bildete das Rohr ganze Wälder und das Schilf große Dickichte, Schwertlilie und Blumenbinse wuchsen da, das Wasser war bedeckt mit Seerosenblättern und Wasserlinse und erfüllt von Wasserhahnenfuß und Laichkraut.

Ließ sich auch der Habicht ab und zu sehen und die Rohrweihe, die Rohrsänger paßten gut auf, und sowie einer warnte, verwanden die Enten im Röhricht. So brachte die Ente alle ihre zwölf Kleinen so weit, daß sie groß wurden, und als sie flügge waren und die Jagd aufging, zog sie mit ihnen ab, und der Jäger hatte das Nachsehen.


 << zurück weiter >>