Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Der Bornbusch

Zwischen den Städten Walsrode und Rethem liegt das Dorf Groß-Eilstorf am Abhange eines gewaltigen, an Geschieben reichen, beidwüchsigen Dünenzuges, den die Aller hier aufbaute.

Wo die Düne aufhört, beginnt das Moor. Einst war es eine fast ganz geschlossene Fläche von dichten Gagelbüschen, hier und da von einer krausen Kiefer und schlanken Birke oder durch einen größeren oder kleineren Weidenbusch oder Erlenhorst unterbrochen.

In den letzten Jahren haben die Bauern eine Bresche nach der anderen in das Moor gelegt; sie haben die Büsche gerodet, Gatter gezogen und das Vieh hineingetrieben, das den Boden gleichmäßig zertrat und düngte. Kleesamen brachten die Ammern und Finken, und so ist eine Wiese neben der anderen entstanden.

Einen Busch nur hat das Beil des Bauern verschont, den Bornbusch, das winzige Wäldchen zwischen der dürren Düne und dem Moor. Der Boden ist dort zu naß, und die Erlenbüsche sind nicht viel wert, und so blieb der Busch leben, während unten am Kanal alles sterben mußte, was Laub und Nadeln trug.

Als ich dieses Fleckchen Erde für mich entdeckte, war ich todmüde und verdrossen. Ich war vor Tau und Tag aufgestanden, hatte klappernd und frierend im Schirm gesessen und auf den Birkhahn gewartet, aber es war ein toter Morgen. Die Bekassinen meckerten nicht, kein Kiebitz rief, keine Heidlerche dudelte, und dem Brachvogel verging die Lust zum Flöten.

Später, als die Sonne kam, lebte alles auf, was sich vor dem Ostwind verkrochen hatte. Ringsumher kullerten die Hähne, gurrten die Ringeltauben, sangen Piper und Ammer, Fink und Lerche, die blühenden Gagelbüsche leuchteten wie frisch getriebenes Kupfer, die jungen Birkenblättchen glühten wie Smaragde, ich aber sah und hörte nichts und sehnte mich nach dem Bett; denn drei Nächte hintereinander war ich um ein Uhr aufgestanden.

Da kam ich an dem Bornbusch vorbei, und weil das Erlengebüsch mir fließendes Wasser verkündigte, so ging ich darauf zu. Mit einem Schlage waren üble Laune, Müdigkeit und Durst vorbei; denn was ich da vor mir sah, das war zu schön.

Mitten im braunen Heidkraut lag ein tiefes, großes Quellbecken mit schön geschwungenen steilen Ufern, ganz und gar von dem Bergmilzkraut mit dem frischesten, saftigsten Grün und dem goldigsten, fröhlichsten Gelb überpolstert. Mächtige Farnkrautstöcke erhoben sich an dem Rande des Beckens und entrollten ihre goldschuppigen Wedel. Rund um die klare Quelle wucherte feistes Bachlungenkraut und fetter Sauerampfer.

Lange saß ich da und da sah mir diese entzückende Oase an, und dann ging ich am Rande des Bächleins entlang, dessen Ufer üppiger junger Pflanzenwuchs bekleidete und das sein klares Wasser lustig über gelben Kies, bunte Steinchen und grüne Fiederblättchen springen ließ, bis es sich unter blühenden Schlehenbüschen durchwand, und an glänzenden Stechpalmen, purpurnen Brombeerranken, jungen Himbeersprossen, kecken Weidenröschensprößlingen und ernstem Wacholder vorbeischlängelte, den Wiesen zu, deren Staugräben es füllte.

Eine Woche lang jeden Tag war ich dann am Bornbusch, machte immer neue Entdeckungen und wurde nicht müde, still unter einem Busche zu kauern und allem zuzusehen, was da schlüpfte und hüpfte, kroch und flog, und allem zuzuhören, was da rispelte und raschelte, pfiff und flötete, zirpte und zwitscherte.

Ganz früh am Morgen war ich da, ehe die Dämmerung über die Düne schlich. Um mich herum lockten und meckerten die Bekassinen, klagten die Kiebitze, trommelten und fauchten die Birkhähne. Wenn es Tag war, sah ich die Mooreule über die Heide fliegen; mit gellendem Gemecker warf sie sich hinunter und stieß ihr Weibchen hoch, und dann strichen beide weiter.

Vor mir im weißblühenden, dicht begrünten Traubenkirchenbusch schlug Frau Nachtigall. Unten im Moor schlug eine andere, am Torfabstich eine dritte; ein Dutzend zählte ich aus dem großen Konzert heraus. Um meine Stiefel schnurrt der Zaunkönig, im Bächlein badet ein Hänflingspaar, auf dem grauen Findelsteine zertrümmert die Singdrossel eine Schnecke, in der hohen Erle zwitschert der Stieglitz.

Die Sonne wird wärmer. Da sausen zwei Ringeltauben heran; der Täuber tanzt über mir herum, klatscht mit den harten Schwingen, fällt in der Erle ein und trommelt sein dumpfes Lied. In dem Birkenbusch klettert der Sumpfrohrsänger auf und ab, seine krause Weise schwatzend, und über ihm in der Esche schlägt der Buchfink.

Die Ringeltauben stieben ab, ein Turteltaubenpaar streicht heran: Zärtlich schnurrt der Täuber, aber als die Amsel gellend zetert, unterbricht er sein Geschnurre. Heftig warnt jetzt auch das Rotkehlchen, der Weidenlaubsänger, und sogar der Grünspecht, der an einem Grasbusch hackte, stößt seinen Angstruf aus.

Und jetzt fällt ein Schatten vor mich hinein; der Sperber, der Strauchritter, schwenkt um den glitzernden Stechpalmenbusch und hackt in der krummen Birke auf. Es dröhnt der Schuß, und im Sande schlägt der Räuber die bunten Schwingen und fächert den gestreiften Stoß. Rundumher ist alles stumm geworden, aber bald ist das laute Leben wieder im Gange.

Stare schnurren heran und trinken. Eine graue Bachstelze wippt über die Milzkrautpolster, der Baumpieper fällt schmetternd auf den Rosenbusch ein, ein Heidlerchenpaar trippelt über die Sandblöße. Dann schwirrt es laut hinter mir, rasselnd in das Vorjahrslaub, ich höre seltsam glucksende und kichernde Töne und dann ein hastiges Getrippel, und jetzt rennt es an mir vorüber, das Feldhuhnpaar, und verschwindet in der Heide.

Am Nachmittag war ich wieder da. Ich traf es gut. Kaum saß ich in meinem Versteck, da warnte die Dorngrasmücke. Aber sie beruhigte sich bald; denn es war nur der Turmfalke, der sie erschreckte. Aber als die gelbe Bachstelze so schimpfte, da faßte ich das Gewehr, ließ es aber wieder sinken. Der Kuckuck schlüpfte durch das Buschwerk, mit den gelben Gieraugen nach Nestern spähend.

Ganz still saß ich da und rauchte, und die Zeit wurde mir nicht lang. Erst kam einer der vielen Störche von Groß-Häuslingen und wollte an dem Quell auf die Froschjagd gehen, aber ich jagte ihn weg. Dann kam ganz vorsichtig die Elster angestrichen und schlüpfte nach langer Zeit in ihre Burg, die sie mitten in den dreimännerhohen Schlehenbusch gebaut hatte, dessen sparriges Dorngezweig alle Versuche der Eilstorfer Jungen, die Eier zu rauben, vereitelte.

Eine Kohlmeise verirrte sich hierher und hämmerte mit großen Getöne an dem trocknen Ast des Spindelbaumes herum, und so schnell wie ein Wiesel huschte plötzlich das gefleckte Sumpfhuhn durch die Seggenbüsche. Dann plumpste etwas aus der Luft herab, und nach einer Weile stocherte eine Bekassine zwischen den roten Krötenbinsen umher und entschwand meinen Augen im Gekräut.

Im Moore erscholl ein lautes Flöten, voll und rund, und setzte sich in ein weiches Trillern um. Zwei große Schatten fallen über das Quellbecken, und dann läßt sich der große Brachvogel dort nieder. Unbekümmert um ihn singt die Goldammer weiter; aber als hoch in der Luft die Rohrweihe vorübersegelt, da stürzt sie sich in den Busch, und das Rohrammerpaar verschwindet in dem vorjährigen Schilf.

Der Brachvogel hat sich erhoben und ist fortgestrichen, aber nun ist Trinkzeit, und jeden Augenblick kommen neue Gäste. Erst eine Krähe, die eine junge Waldwühlmaus fängt, dann zwei Grünfinken und eine Haubenmeise. Drüben zwischen den bunten Steinen rennt der Steinschmätzer umher, neben mir turnt ein Paar Schwanzmeisen in der Eberesche; als ich einer schnell dahinschlüpfenden Waldeidechse nachsehe erblicke ich in dem dürren Laube einen schwarzen, glänzenden Punkt, das linke Auge der Nachtschwalbe, die es sich da in der Sonne behaglich sein läßt.

Über mir fliegen lustig zwitschernd die Rauchschwalben hin, einzelne Hausschwalben zeigen sich auch, mit viel Lärm erscheint ein Flug Uferschwalben, oben in der Luft schießen schrill schreiend die Segler dahin, und unsichtbarer Feldlerchen Gesang perlt herab. Der rotrückige Würger kommt mit einem Mistkäfer an, spießt ihn auf einen Schlehendorn und verschwindet ebenso heimlich, wie er gekommen ist, während der Raubwürger auf der Spitze der hohen Wacholderpyramide thront und eifrig Umschau hält, ob auch ringsumher alles ordentlich hergeht.

Jetzt warnt er und flattert von seinem Warteturme fort, denn er hat den Mäusebussard erspäht; der möchte gern an der Quelle auf Mäuse lauern, aber der Würger läßt ihm keine Ruhe, und geärgert streicht der Raubvogel ab. Dohlen, die den Eilstorfern zum Ärger in den Schornsteinen nisten, kommen zur Tränke, eine Sumpfmeise zimmert an dem faulen Erlenstumpf, ein Hausrotschwanz, der unten im Moor bei den Bauern brütet, macht einen Abstecher nach dem Bornbusch und ärgert sich über das alberne Geschwätz und die dummen Faxen des Eichelhähers, und schließlich hüpft sogar ein Blaukehlchen zum Wasser. Es sieht plustrig aus; Krankheit hat es abgehalten, seinen Genossen zu folgen, die neulich hier einige Tage sich aufhielten.

In den hohen Kiefern auf dem Dünenkamm läßt der Schwarzspecht seinen Glockenruf erklingen, und auf der höchsten Kiefer ist ein großer heller Fleck, ein Reiher, der auf dem Flug zur Aller Pause macht. Es dämmert schon etwas. Die Tannenmeisen in der Kieferndickung sind stumm, und die Goldhähnchen kommen immer tiefer nach dem Boden hin. Ein heller Streifen schwebt über die Heide. Ich mäusele, und das Wiesenweihenmännchen streicht so dicht auf mich zu, daß ich in seine gelben Augen sehen kann.

Die Uhlenflucht naht heran. In der Dickung unkt unheimlich die Waldohreule, vom Gehöft her klingt der Ruf des Steinkauzes. Überall locken und meckern die Bekassinen, in der Heide kullert ein Birkhahn, Krickenten streichen vorüber, Stockenten folgen ihnen, und im Gestrüpp hebt der Heuschreckensänger sein seltsames Liedchen an.

Als es ganz dunkel war, ging ich heim, aber am anderen Tage war ich wieder da. Nur eine Stunde hatte ich Zeit, aber viel Schönes brachte sie mir. Zehn Schritte vor mir spazierte der Wiedehopf umher und jonglierte mit Würmern und Nacktschnecken. Den Fischadler sah ich über das Moor streichen, den Kolkraben hörte ich rufen, ein Dompfaffenpaar kam zum Trinken, und als ich meinen Lauerposten verließ, das Gewehr abspannte und über den Bach sprang, da fuhr wie ein Schatten der Habicht an mir vorüber, der, unbemerkt von mir, hinter dem Gagelbusch ein Teichhuhn kröpfte, das er in dem verwachsenen alten Torfstich geschlagen hatte.

Acht Jahre bin ich an dem Bornbusch nicht gewesen, aber vergessen habe ich ihn nicht und will es bald wieder besuchen, mein kleines, grünes Paradies zwischen Moor und Geest.


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