Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der einsame Wisent

Das war nun schon der dritte Tag, daß die weißen Wetterköpfe rund um das Bruch sich reihten.

Jedweden Mittag kamen sie hinter der Wohld und der Geest und dem Moor heraufgestiegen, bis zum Platzen mit Blitz und Donner geladen; jeden Abend brachte der Vollmond sie grinsend wieder dahin, von wo sie gekommen waren, ohne daß sie ihr Gift und ihre Galle los wurden.

Die Luft lag dick auf den Bruche. Alle Blumen ließen die Köpfe hängen, und sogar die Buttervögel und Schillebolde wurden faul. Einzig und allein die Bremsen, die Mücken und die Gnitten fanden Freude an der Schwüle und verekelten Mensch und Getier das Leben.

Der Kolkrabe, der mit offenem Schnabel auf dem Runensteine vor der Wohld blockte und jappte, schwang sich mit einem Rucke davon, korrte ärgerlich und schraubte sich aufwärts, denn in der Dickung tappte es laut und brach es gewaltig.

Ein mächtiges Haupt, zottig und breit behörnt, schob den Wirrwarr von Porst, Ellern und Fichten fort, äugte mit bösen Lichtern vor sich hin und zog schnaufend den Wind ein.

Ein alter Wisentbulle war es. Ihn, den Häuptling des Rudels, ihn, den Herrn über zwanzig Muttertiere und Jungkühe, ihn, den Bärenzerreißer und Wolfindieluftschmeißer, hatte ein jüngerer Bulle abgekämpft und von dem Rudel weggetrieben, mit Schmach und Schande ihn bedeckt und einsam und allein gemacht.

Das war das eine. Aber noch mehr Weh kam über ihn, das ihn mit Wut erfüllte. Wohin er zu einem anderen Rudel trat, wurde er von dannen gejagt und so behandelt, als hätte er die schwere Seuche im Leibe. Schließlich traf er einen Leidgenossen an, einen ungehörnten Bullen, das Gespött und die Verachtung aller Wisentrudel. Mit dem war er seit der Brunft in der Heide hin und her gezogen. Mehr als einmal hatte er an ihm seine üble Laune ausgelassen, ihm, wenn ihm das Blut in das Haupt schoß, die Spitze des Horns zu schmecken gegeben, ein anderes Mal aber wieder ihn da gescheuert, wo die Holzböcke saßen und fraßen.

Aber nun war er allein, ganz allein, so allein, wie der Stein, auf dem der Rabe eben geblockt hatte. Sein Freund, der hornlose Bulle, war in ein Fangloch gestürzt und elend drin verendet. Das alles und die Schwüle und das stechende Geschmeiß machten ihn wild vor Ingrimm. Der alte Bulle schnaufte wütend, denn eine Witterung, die er mehr haßte als die vom Bär und Wolf, zog ihm in die Muffel, Witterung von Mensch. Er hob das furchtbare Haupt, peitschte seine Weichen mit der Schweifquaste, daß es knallte, und zog der feindlichen Witterung entgegen. Früher war er ihr immer ausgewichen, einst, als er noch in den Sumpfwäldern leben durfte. Nun, da er von seinesgleichen dahin gejagt war, wo das Tier, das auf zwei Beinen ging, lebte, ging er ihm nicht mehr aus dem Wege.

Er sog die Luft ein, und zugleich Hunderte von Mücken und Gnitten, hustete sie aus, brummte wütend und zog dahin, von wo der greuliche Geruch kam. Er hatte eine Wut auf dem Leibe, eine furchtbare Wut, die er loswerden mußte. Er hatte vorhin eine tote Fichte, die ihm im Wege stand, aus dem Boden gehoben und zerfetzt, hatte einen Ameisenhaufen, der ihn ärgerte, als Spreu in die Luft geschmissen, und schließlich erst einem Jungbären, der ihm entgegentappelte, den Garaus gemacht, und dann dessen Mutter, die vor Angst und Wut brüllend auf ihn losfuhr, zu Brei getrampelt. Und jetzt wollte er die zweibeinigen Biester umbringen.

So zog er dahin, wo ihrer drei das Vieh an dem grünen Saume des Baches hüteten. Der älteste von den drei Jungen bekam mit einem Male ganz blanke Augen, befahl mit einer festen Handbewegung seinen Brüdern, bei der Herde zu bleiben, schlich sich zu einem Ellernbusche, von dem zu einem zweiten und dritten, legte seinen besten Pfeil auf die Sehne des Bogens, riß die Sehne vom Bogen und jagte, während er vor Jagdgier seine langen Zähne in sein Kinn grub, dem Wisentbullen, den seine Falkenaugen erspäht hatten, einen Pfeil in das Blatt, und als der Bulle mit einem starken Ruck zeichnete, lachte er fröhlich in sich hinein.

Es war sein letztes Lachen im Leben. Ehe er sich versah, war der Bulle vor ihm, stieß ihm ein Horn zwischen die Rippen, warf ihn empor, nahm ihn wieder auf, schleuderte ihn abermals weiter, trampelte ihn zu Brei, daß sein Blut das Gras befleckte, hob dann sein gewaltiges Haupt hoch, schnaufte laut, schüttelte sich, senkte die Hörner, brach in die Herde ein, schlitzte dem Bullen, der ihm entgegentrat, den Leib auf, stieß dem nächsten Jungen, der vor Todesangst zitternd stehenblieb, ein Horn in den Leib, schmiß Stück um Stück von der Herde beiseite, kehrte zu dem Leitbullen zurück, gab ihm den Rest, machte einen formlosen Haufen aus ihm und trollte sich, zufrieden, daß er sein Gift und seine Galle los war, nach der Beeke zurück, in deren Schlammflut er sich kühlte.

Unterdessen war der dritte Junge nach dem Dorfe auf der Geest gerannt, hatte mit den Händen gefuchtelt, drei, vier Worte geschrien, war umgeklappt und hatte, als er sich verholt hatte, erzählt, was sich im Bruche begeben habe. Sofort hatten alle wehrhaften Männer die Speere genommen und waren im Laufschritt dem Bruche zugeeilt, hatten abgespürt, die Wohld umstellt, und die leichtfüßigsten Jungkerle über dem Winde in das Holz hineingeschickt. Sie drückten nun langsam die Dickung durch.

Sie fanden den Bullen lange nicht. Er dagegen hatte sie schon geraume Weile vernommen. Aber es war keine Angst in ihm, und auch keine Wut, nur Gleichgültigkeit und Verachtung. Ab und zu, wenn die Mücken zu unverschämt wurden, zog er sein Haupt unter das Wasser, schüttelte es dann, äste das Schilf ab, das ihm entgegenwuchs, grunzte wohlig, scheuerte die Keulen an einem vermorschten Stumpfe, der in der Flut lag, und hatte so das Gefühl, daß er in der Nacht ein Rudel suchen und sich ihm wieder als Oberhaupt aufdrängen wolle. Denn er fühlte sich wieder, seitdem er zwei der zweibeinigen Tiere samt ihrem Anhang von Vieh beiseite geschmissen hatte.

Da brach es bei ihm in den Ellernloden, brach anders, als wenn ein Elch zieht, ein Hirsch, ein Reh oder sonst etwas. Neugierig hob er das Haupt aus dem Schlamme, zog Wind ein und trat, als er wieder die ihm bis zum Zerplatzen ekelhafte Witterung aufnahm, auf das Ufer. Da standen drei von den Geschöpfen, die er nicht leiden konnte, von den nackthäutigen, schlimm duftenden, lauten, denen der Wolf auswich und sogar der Bär. Er aber ging ihnen nicht aus dem Wege. Er dachte nicht daran. Er wollte ihnen zeigen, wer hier im Bruche Herr und Häuptling wäre. Was die wohl wollen? Keine Haare! Keine Hörner! Keine Hufe! Und so dünn und so leicht! Und als Waffe nichts als Geschrei, und den Gestank, den er nicht vertragen konnte.

Merkwürdige Tiere! dachte er, als der eine mit dem Arm durch die Luft fuhr. Aber dann tat es ihm mit einmal auf dem linken Blatte erst ein wenig, und dann sehr weh. Er warf das Haupt zur Erde und stürmte auf die drei Feinde los. Wieder traf ihn ein Schmerz, im Nacken, und dann fühlte er ein Weh in der Hüfte, und eins, das irgendwo mitten in seinen Eingeweiden saß. Und dann war ihm alles einerlei; er war mitten zwischen den Menschen, fühlte nichts mehr als eine Freude, genau so, wie damals, als er den alten Platzbullen zu Tode stieß, und der ihm dabei die Dünnung schrammte, als er erst einen, dann den anderen und zuletzt den dritten seiner Feinde bald zwischen den Hörnern, bald zwischen den Hufen hatte, obwohl er an mehr als einer Stelle seines Leibes feurige Schmerzen empfand und eine seltsame Schwäche über ihn kam.

Angewidert und doch angenehm berührt, beschnupperte er die Reste seiner Gegner und trat in die Wohld zurück. Die Speere, die ihm im Leibe staken und belästigten, streifte er ab, indem er wütend durch das unraume Holz brach. Aber sehr weh tat ihm das, und ganz matt wurde er darauf. Und merkwürdig ängstlich und schwach wurde ihm, so daß er die enge Wohld verließ und nach der freien Heide hinzog. Als er so weit gewechselt war, verhoffte er, sog wohlgefällig den kühlen Luftstrom ein, der über die Geest herunterwirbelte, und fiel unter einer alten Eiche zusammen, während die Wetterwolken und der Mond sich darum zankten, wer das letzte Wort haben solle.

Da aber der Mond schon etwas an Kraft verloren hatte, behielt die eine Wolke, die über das Moor kam, zuletzt doch recht und spie so viel Gift und Galle aus sich heraus, daß einer ihrer Blitze die alte Eiche traf und sie zersplitterte und versengte samt dem alten einsamen abgekämpften und weidewund geschossenen Wisentbullen.

Nichts blieb von ihm als sein schwarzgebranntes Haupt mit den gewaltigen Hörnern, und das hängte der Gaupriester als Gottesmal über Tors Heiligstatt auf, wo es hing, bis Wind und Wetter es zermürbten und unter die Erde brachten.


 << zurück weiter >>