Hermann Löns
Jagdgeschichten
Hermann Löns

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Der Kantor

Der Fischer und seine Frau sitzen vor der Tür, sehen das Abendrot hinter dem See verschwinden und das Wasser silbern aufleuchten, wenn ein großer Fisch sich wirft, und hören dem Geschwätz der Rohrsänger und dem Geplärre der Frösche zu, das aus den Schilfbuchten erschallt.

»Der Kantor fehlt noch,« sagt die Frau und sieht lächelnd ihren Mann an, und der lächelt auch, und raucht immer langsamer; denn ein Abend, an dem der Kantor nicht singt, ist nur ein halber Abend für Fischer Klawitter; erst wenn der Kantor loslegt, dann schmunzelt der Fischer behäbig, und im Bette ruft er zu seiner Frau: »Hör' bloß, wie der Kantor prahlt!«

Der Kantor ist der größte Frosch in der ganzen Bucht, ja vielleicht sogar im ganzen See. Er hat seinen Platz bei der Anlegestelle für die Kähne und sitzt entweder auf dem Ufersande unter den Schlehdornzweigen, die der Fischer dort eingesteckt hat, um die Katzen von den Fischkästen abzuhalten, oder er liegt dick und breit auf der dichten, mit vielen Hunderten von silberweißen Blüten bedeckten Bank von Wasserhahnenfuß, die die Wellen hin und her schieben, und läßt sich von der Sonne bescheinen.

Der Kantor ist nicht nur der größte, sondern auch der schönste Frosch in der Bucht. Er ist knallgrün und hat über dem Rücken zwei breite, schwarzbraune Binden, zwischen denen von der Nase bis zu den Keulen eine gelbgrüne, in der Mitte im Zickzack gebogene Binde herabläuft. Wenn er so daliegt, sieht er ganz ungeheuer aus, und wenn er seine goldenen Glotzaugen aufreißt und die Kinder ansieht, die ihn voller Ehrfurcht, aber auch mit etwas Angst betrachten, dann wundern sie sich, daß er kein goldenes Krönchen auf dem Kopfe trägt; denn daß er kein gewöhnlicher Frosch ist, sondern ein verzauberter Prinz, das steht für sie fest, indem ihnen die Großmutter das Märchen vom Froschkönige erzählt hat.

Anna, das drittjüngste Mädchen des Fischers, hat einmal versucht, den Kantor zu fangen; denn sie wollte ihm, wie es im Märchen gelehrt wird, einen Kuß geben, um ihn zu erlösen, und dann wollte sie Prinzessin werden und nur noch seidene Kleider anziehen und nicht mehr in die Schule gehen und die Pellkartoffeln von goldenen Tellern essen. Sie pflückte sich einen ellenlangen Binsenhalm ab, riß die Spitze und die meisten Blüten herunter und schlich mit ihren nackten Füßen dahin, wo der Kantor saß. Als der Frosch das Kind kommen hörte, drehte er sich sofort nach ihm um und sah es an; denn er war gewohnt, daß die Kinder des Fischers ihm Brummfliegern, Käfer und Raupen hinwarfen. Anna bekam einen tüchtigen Schreck, als der Kantor sie mit seinen großen Augen anglotze, aber dann mußte sie lachen; denn er wischte sich eine freche Fliege, die sich ihm auf die Nase gesetzt hatte, mit dem linken Vorderfuß so ärgerlich weg, gerade wie der Großvater, wenn ihn die Fliegen beim Schlafen stören.

Das Mädchen ließ die Blüte der Binse vor dem Maule des Frosches auf und ab tanzen, aber dann schrie sie auf und sprang zurück; denn der Kantor riß sein gewaltiges rosenrotes Maul auf und schlug seine lange rosenrote Zunge nach der Binsenblüte, weil er sie für ein Fliege hielt. Weil das Kind in seinem Schrecken die Binse zurückgezogen hatte, machte er einen furchtbaren Satz und sprang bis dicht vor die Füße des Mädchen; das schrie auf und machte, daß es fortkam. Aber Anna hatte sich einmal vorgenommen, den Frosch zu erlösen und Prinzessin zu werden, und so ging sie nach einer Weile wieder hin, lockte den Kantor mit der Binsenblüte, und diesmal schnappte er sofort zu und hielt die Blüte so fest, das Klein-Anna ihn hoch in die Luft schwenken und in ihrer Schürze auffangen konnte. Da tobte er nun ganz mächtig herum und hampelte so gewaltig, daß das Mädchen es mit der hellen Angst bekam und die Schürzenzipfel losließ. Da sagte der Kantor: »Rieck'st!« und plumpste in das Wasser, daß es hoch aufspritzte. Seitdem war es mit der Freundschaft zwischen ihm und den Kindern aus; er hatte es zu sehr übelgenommen, daß er übertölpert war.

Die wilden Enten klingen über den See, der Haubentaucher quarrt dumpf, der Rohrsänger singt lauter, und Stern auf Stern taucht am Himmel auf. »Wo er bloß bleibt?« meint der Fischer und schüttelt den Kopf. Es wird dunkler, das Abendrot ist längst verschwunden, die Mücken singen, die Maikäfer brummen, und rund um den See geht das Gequarre der Frösche, das Gescharre der Kreuzkröten, und in den Wiesengräben läuten die Unken. Schon röchelt die Schleiereule, schon heult der Kauz drüben im Forste, schon tönt der dumpfe Ruf der Rohrdommel aus dem Schilfe, und noch immer ist der Kantor nicht zu hören. Aber jetzt legt er los. Der Fischer lacht und hebt den Zeigefinger. »Paß auf, Mutter, das ist er!« Ein hartes, rauhes »Breck, kreck, kreck« ertönt, hinterher schallt ein dumpfes »Mork, quork, moark, quoark« und jetzt kommt die Hauptsache: ein lautes Lachen erschallt, so breit, so behäbig, daß der Fischer mitlachen muß und seine Frau auch, und jetzt ist er zufrieden und sagt: »Mutter, nun können wir ruhig schlafen gehen.« Aber als er schon Jacke und Weste ausgezogen hat, muß er noch einmal vor die Tür treten und zuhören, wie der Kantor lacht. »Hahaha,« geht es, »hahahaha hahahahahaha, hihahaha, hohihahahaha, hihohohohoha, hai, hia, hiahahahaha,« und es ist, als hörte man die Frösche, die Kröten und die Unken nicht mehr vor dem lauten Gesange des Kantors, des Vorsängers der Frösche.

Ja, der Kantor, das ist ein Kerl! Ein Hauptkerl ist er. Er ist der Methusalem der Frösche im See, ist der Altvater, der Vorsteher; aber er ist auch der Schrecken der Wasserjungfern, das Entsetzen der Jungfische, der Mäuse blasse Angst und der jungen Rohrsänger Verderben. Wenn er sich an Mücken und Fliegen halten wollte, wie die anderen Frösche, dann könnte er schnappen und schnappen, bis er die Maulsperre bekäme, aber satt würde er darum doch nicht. Darum hält er sich an derbere Kost. Da kommt ein Maikäfer angebrummt. Einen Riesensatz macht der Kantor, und verschwunden ist der Käfer. Ein spannbreiter Abendfalter rüttelt über den weißen Trichterblumen der Uferwiese; ehe er sich retten kann, hat ihn die rosarote Zunge des Frosches schon festgeleimt und zieht ihn in den Rachen hinein. Im Weidengebüsch turnt die Zwergmaus umher. Vorsichtig dreht der große Frosch sich um und wartet, bis das rote Mäuschen in Sprungnähe ist; dann ein Sprung und einen Quietschen, und aus ist es mit dem Turnen und dem Nesterbauen. Ja, der Kantor, das ist ein ganz Schlimmer! Wenn die Ukleis laichen, dann ist sein Schweineschlachten. Dann wartet er, bis die laichdummen Fische an den flachen Stellen sind, und dann schnappt er zu. Da hilft kein Schwänzeln und Sträuben; sie müssen hinunter. Ist ein Uklei zu lang, das schadet nichts; der Frosch läßt ruhig den Schwanz aus seinen Maule herausgucken und wartet, bis er dem verdauten Vorderleib nachrutscht, oder vielmehr, er wartet gar nicht; denn wenn er noch Hunger hat, fängt er sich noch einem Fisch oder sogar zwei, und Fischer Klawitter wußte gar nicht, was er sagen sollte, als er seinen Freund eines Tages auf der Waschablage sitzen sah; drei Ukleischwänze guckten dem Frosche zum Halse heraus. »Mensch,« sagte der Fischer, »wenn du so beibleibst, dann kann ich bald etwas anders werden.« Und der setzte hinzu: »Na, Ukleis gibt's ja mehr als genug.«

Zehn Jahre kannte der Fischer den Kantor schon, so glaubte er wenigstens; denn immer hatte an der Angelstelle ein Riesenfrosch gesessen, dem besten Platze, einmal, weil da die Schlehdornen Schutz vor dem Milan und dem Rohrweih boten, zweitens, weil dort der schöne Sandstrand war, an dem die Ukleis so gern laichten, und dann, weil das Schilf und das Rohr dort dichter standen als sonst am See, und schließlich, weil dort das meiste Ungeziefer flog; denn am Ufer wuchsen hohe Pappeln und breite Weiden, die von Gewürm wimmelten. Da, wo das Schilf aufhörte und das Rohr, da, wo die Pferdebinsen anfingen, wagte sich der Kantor nicht hin; denn da war es nicht geheuer. Manchmal, wenn da eine junge Ente schwamm oder eine Schwalbe trank, dann platschte es, und fort war die Ente oder die Schwalbe.

Das schöne Wetter hörte auf; der Juni kam mit Regen und Schafkälte. Acht Tage lang mußte der Kantor hungern, daß ihm die Seiten zusammenfielen; denn noch nicht einmal die elendeste Mücke flog. Vor Verzweiflung fraß er ein Fröschchen seiner eigener Art, und hätte gern mehr gefressen, aber er sah keins. So lag er dann mürrisch im Schilfe und wurde vor Mißmut immer dunkler und unansehnlicher. Auf einmal kam Leben in ihn, seine zusammengesunkenen Augen wurden dick und rund, er richtete sich auf und glotze scharf vor sich hin. Da krabbelte etwas im Wasser umher, eine dicke Fliege oder ein Käfer, aber bestimmt etwas, was gut zu essen war. Ganz vorsichtig schob sich der Kantor aus dem Schilfe, tauchte unter und kam vor dem Brachkäfer, der zwischen den hohen, dunklen Binsen im Wasser zappelte, zum Vorschein, und schnell schnappte er ihn hinunter. Da aber fiel ihm ein, daß es hier nicht geheuer sei, und schnell tauchte er wieder unter und schwamm gerade in den Rachen des uralten Hechtes hinein, und ehe er noch recht wußte, wie ihm geschah, war es aus mit ihm. Als das Wetter sich aufbesserte, lauerte der Fischer Abend für Abend auf den Kantor; er sah und hörte aber nichts mehr von ihm.

Eines Abends aber kam von der Anlegestelle ein lautes Quarren und Singen, und als der Fischer am anderen Morgen nachsah, saß unter den Dornen ein Frosch, fast ebenso groß wie der Kantor, nur ganz grün mit schwarzen Tupfen, und der Fischer nahm den Hut ab und sagte: »Mein Name ist Klawitter! Sie sind wohl der neue Kantor? Mit Ihrem Herrn Vorgänger war ich gut bekannt.«

Klein-Anna aber war traurig; sie glaubte, eins von den feinen jungen Mädchen aus der Stadt, die auf dem Gute zu Besuch gewesen waren, habe den Kantor erlöst und könne nun seidene Kleider tragen und Pellkartoffeln von goldenen Tellern essen, und sie nahm sich stets vor, den neuen Kantor zu fangen und ihm einen Kuß zu geben. Sie kam leider nicht dazu.


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