Gotthold Ephraim Lessing
Hamburgische Dramaturgie
Gotthold Ephraim Lessing

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Hundertstes Stück

Den 15. April 1768

Demea, wie schon angemerkt, will im fünften Akte dem Micio eine Lektion nach seiner Art geben. Er stellt sich lustig, um die andern wahre Ausschweifungen und Tollheiten begehen zu lassen; er spielt den Freigebigen, aber nicht aus seinem, sondern aus des Bruders Beutel; er möchte diesen lieber auf einmal ruinieren, um nur das boshafte Vergnügen zu haben, ihm am Ende sagen zu können: »Nun sieh, was du von deiner Gutherzigkeit hast!« Solange der ehrliche Micio nur von seinem Vermögen dabei zusetzt, lassen wir uns den hämischen Spaß ziemlich gefallen. Aber nun kömmt es dem Verräter gar ein, den guten Hagestolze mit einem alten verlebten Mütterchen zu verkoppeln. Der bloße Einfall macht uns anfangs zu lachen; wenn wir aber endlich sehen, daß es Ernst damit wird, daß sich Micio wirklich die Schlinge über den Kopf werfen läßt, der er mit einer einzigen ernsthaften Wendung hätte ausweichen können: wahrlich, so wissen wir kaum mehr, auf wen wir ungehaltner sein sollen; ob auf den Demea, oder auf den Micio.Act. V. Sc. VIII.
De. Ego vero jubeo, et in hac re, et in aliis omnibus,
    Quam maxime unam facere nos hanc familiam;
    Colere, adjuvare, adjungere. Aes. Ita quaeso pater.
Mi. Haud aliter censeo. De. Imo hercle ita nobis decet.
    Primum hujus uxoris est mater. Mi. Quid postea?
De. Proba, et modesta. Mi. Ita ajunt. De. Natu grandior.
Mi. Scio. De. Parere jam diu haec per annos non potest:
    Nec qui eam respiciat, quisquam est; sola est. Mi. Quam hic rem agit?
De. Hanc te aequum est ducere: et te operam, ut fiat, dare.
Mi. Me ducere autem? De. Te. Mi. Me? De. Te inquam. Mi. Ineptis. De. Si tu sis homo,
    Hic faciat. Aes. Mi pater. Mi. Quid? Tu autem huic, asine, auscultas. De. Nihil agis,
    Fieri aliter non potest. Mi. Deliras. Aes. Sine te exorem, mi pater.
Mi. Insanis, aufer. De. Age, da veniam filio. Mi. Satin' sanus es?
    Ego novus maritus anno demum quinto et sexagesimo
    Fiam; atque anum decrepitam ducam? Idne estis auctores mihi?
Aes. Fac; promisi ego illis. Mi. Promisti autem? de te largitor puer.
De. Age, quid, si quid te majus oret? Mi. Quasi non hoc sit maximum.
De. Da veniam. Aes. Ne gravere. De. Fac, promitte. Mi. Non omittis?
Aes. Non; nisi te exorem. Mi. Vis est haec quidem. De. Age prolixe Micio.
Mi. Etsi hoc mihi pravum, ineptum, absurdum, atque alienum a vita mea
    Videtur: si vos tantopere istuc vultis. fiat. – – –

»Demea. Jawohl ist das mein Wille! Wir müssen von nun an mit diesen guten Leuten nur eine Familie machen; wir müssen ihnen auf alle Weise aufhelfen, uns auf alle Art mit ihnen verbinden. –

Aeschinus. Das bitte ich, mein Vater.

Micio. Ich bin gar nicht dagegen.

Demea. Es schickt sich auch nicht anders für uns. – Denn erst ist sie seiner Frauen Mutter –

Micio. Nun dann?

Demea. Auf die nichts zu sagen; brav, ehrbar –

Micio. So höre ich.

Demea. Bei Jahren ist sie auch.

Micio. Jawohl.

Demea. Kinder kann sie schon lange nicht mehr haben. Dazu ist niemand, der sich um sie bekümmerte; sie ist ganz verlassen.

Micio. Was will der damit?

Demea. Die mußt du billig heiraten, Bruder. Und du (zum Aeschinus) mußt ja machen, daß er es tut.

Micio. Ich? sie heiraten?

Demea. Du!

Micio. Ich?

Demea. Du! wie gesagt, du!

Micio. Du bist nicht klug.

Demea (zum Aeschinus). Nun zeige, was du kannst! Er muß!

Aeschinus. Mein Vater –

Micio. Wie? – Und du, Geck, kannst ihm noch folgen?

Demea. Du sträubest dich umsonst: es kann nun einmal nicht anders sein.

Micio. Du schwärmst.

Aeschinus. Laß dich erbitten, mein Vater.

Micio. Rasest du? Geh!

Demea. Oh, so mach dem Sohne doch die Freude!

Micio. Bist du wohl bei Verstande? Ich, in meinem fünfundsechzigsten Jahre noch heiraten? Und ein altes, verlebtes Weib heiraten? Das könnet ihr mir zumuten?

Aeschinus. Tu es immer; ich habe es ihnen versprochen.

Micio. Versprochen gar? – Bürschchen, versprich für dich, was du versprechen willst!

Demea. Frisch! Wenn es nun etwas Wichtigeres wäre, warum er dich bäte?

Micio. Als ob etwas Wichtigeres sein könnte, wie das?

Demea. So willfahre ihm doch nur!

Aeschinus. Sei uns nicht zuwider!

Demea. Fort, versprich!

Micio. Wie lange soll das währen?

Aeschinus. Bis du dich erbitten lassen.

Micio. Aber das heißt Gewalt brauchen.

Demea. Tu ein übriges, guter Micio.

Micio. Nun dann; – ob ich es zwar sehr unrecht, sehr abgeschmackt finde; ob es sich schon weder mit der Vernunft noch mit meiner Lebensart reimet: – weil ihr doch so sehr darauf besteht; es sei!«

»Nein«, sagt die Kritik; »das ist zu viel! Der Dichter ist hier mit Recht zu tadeln. Das einzige, was man noch zu seiner Rechtfertigung sagen könnte, wäre dieses, daß er die nachteiligen Folgen einer übermäßigen Gutherzigkeit habe zeigen wollen. Doch Micio hat sich bis dahin so liebenswürdig bewiesen, er hat so viel Verstand, so viele Kenntnis der Welt gezeigt, daß diese seine letzte Ausschweifung wider alle Wahrscheinlichkeit ist und den feinern Zuschauer notwendig beleidigen muß. Wie gesagt also: der Dichter ist hier zu tadeln, auf alle Weise zu tadeln!«

Aber welcher Dichter? Terenz? oder Menander? oder beide? – Der neue englische Übersetzer des Terenz, Colman, will den größern Teil des Tadels auf den Menander zurückschieben; und glaubt aus einer Anmerkung des Donatus beweisen zu können, daß Terenz die Ungereimtheit seines Originals in dieser Stelle wenigstens sehr gemildert habe. Donatus sagt nämlich: Apud Menandrum senex de nuptiis non gravatur. Ergo Terentius ευρετικω̃ς.

»Es ist sehr sonderbar«, erklärt sich Colman, »daß diese Anmerkung des Donatus so gänzlich von allen Kunstrichtern übersehen worden, da sie, bei unserm Verluste des Menanders, doch um so viel mehr Aufmerksamkeit verdienet. Unstreitig ist es, daß Terenz in dem letzten Akte dem Plane des Menanders gefolgt ist: ob er nun aber schon die Ungereimtheit, den Micio mit der alten Mutter zu verheiraten, angenommen, so lernen wir doch vom Donatus, daß dieser Umstand ihm selber anstößig gewesen, und er sein Original dahin verbessert, daß er den Micio alle den Widerwillen gegen eine solche Verbindung äußern lassen, den er in dem Stücke des Menanders, wie es scheinet, nicht geäußert hatte.«

Es ist nicht unmöglich, daß ein römischer Dichter nicht einmal etwas besser könne gemacht haben, als ein griechischer. Aber der bloßen Möglichkeit wegen möchte ich es gern in keinem Falle glauben.

Colman meinet also, die Worte des Donatus. Apud Menandrum senex de nuptiis non gravatur, hießen so viel als: beim Menander sträubet sich der Alte gegen die Heirat nicht. Aber wie, wenn sie das nicht hießen? Wenn sie vielmehr zu übersetzen wären: beim Menander fällt man dem Alten mit der Heirat nicht beschwerlich? Nuptias gravari würde zwar allerdings jenes heißen: aber auch de nuptiis gravari? In jener Redensart wird gravari gleichsam als ein Deponens gebraucht: in dieser aber ist es ja wohl das eigentliche Passivum und kann also meine Auslegung nicht allein leiden, sondern vielleicht wohl gar keine andere leiden, als sie.

Wäre aber dieses: wie stünde es dann um den Terenz? Er hätte sein Original so wenig verbessert, daß er es vielmehr verschlimmert hätte; er hätte die Ungereimtheit mit der Verheiratung des Micio, durch die Weigerung desselben, nicht gemildert, sondern sie selber erfunden. Terentius ευρετικω̃ς! Aber nur, daß es mit den Erfindungen der Nachahmer nicht weit her ist!


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