Gotthold Ephraim Lessing
Hamburgische Dramaturgie
Gotthold Ephraim Lessing

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Neunundfunfzigstes Stück

Den 24. November 1767

Nur den Stil des Banks muß man aus meiner Übersetzung nicht beurteilen. Von seinem Ausdrucke habe ich gänzlich abgehen müssen. Er ist zugleich so gemein und so kostbar, so kriechend und so hochtrabend, und das nicht von Person zu Person, sondern ganz durchaus, daß er zum Muster dieser Art von Mißhelligkeit dienen kann. Ich habe mich zwischen beide Klippen, so gut als möglich, durchzuschleichen gesucht; dabei aber doch an der einen lieber, als an der andern, scheitern wollen.

Ich habe mich mehr vor dem Schwülstigen gehütet, als vor dem Platten. Die mehresten hätten vielleicht gerade das Gegenteil getan; denn schwülstig und tragisch halten viele so ziemlich für einerlei. Nicht nur viele der Leser: auch viele der Dichter selbst. Ihre Helden sollten wie andere Menschen sprechen? Was wären das für Helden? Ampullae et sesquipedalia verba, Sentenzen und Blasen und ellenlange Worte: das macht ihnen den wahren Ton der Tragödie.

»Wir haben es an nichts fehlen lassen«, sagt Diderot,Zweite Unterredung hinter dem »Natürlichen Sohne«. S. d. Übers. 247. (man merke, daß er vornehmlich von seinen Landsleuten spricht), »das Drama aus dem Grunde zu verderben. Wir haben von den Alten die volle prächtige Versifikation beibehalten, die sich doch nur für Sprachen von sehr abgemessenen Quantitäten und sehr merklichen Akzenten, nur für weitläufige Bühnen, nur für eine in Noten gesetzte und mit Instrumenten begleitete Deklamation so wohl schickt: ihre Einfalt aber in der Verwickelung und dem Gespräche, und die Wahrheit ihrer Gemälde haben wir fahren lassen.«

Diderot hätte noch einen Grund hinzufügen können, warum wir uns den Ausdruck der alten Tragödien nicht durchgängig zum Muster nehmen dürfen. Alle Personen sprechen und unterhalten sich da auf einem freien, öffentlichen Platze, in Gegenwart einer neugierigen Menge Volks. Sie müssen also fast immer mit Zurückhaltung und Rücksicht auf ihre Würde sprechen; sie können sich ihrer Gedanken und Empfindungen nicht in den ersten den besten Worten entladen; sie müssen sie abmessen und wählen. Aber wir Neuern, die wir den Chor abgeschafft, die wir unsere Personen größtenteils zwischen ihren vier Wänden lassen: was können wir für Ursache haben, sie demohngeachtet immer eine so geziemende, so ausgesuchte, so rhetorische Sprache führen zu lassen? Sie hört niemand, als dem sie es erlauben wollen, sie zu hören; mit ihnen spricht niemand als Leute, welche in die Handlung wirklich mit verwickelt, die also selbst im Affekte sind und weder Lust noch Muße haben, Ausdrücke zu kontrollieren. Das war nur von dem Chore zu besorgen, der, so genau er auch in das Stück eingeflochten war, dennoch niemals mißhandelte und stets die handelnden Personen mehr richtete, als an ihrem Schicksale wirklichen Anteil nahm. Umsonst beruft man sich desfalls auf den höhern Rang der Personen. Vornehme Leute haben sich besser ausdrücken gelernt als der gemeine Mann: aber sie affektieren nicht unaufhörlich, sich besser auszudrücken als er. Am wenigsten in Leidenschaften; deren jede ihre eigene Beredsamkeit hat, mit der allein die Natur begeistert, die in keiner Schule gelernt wird, und auf die sich der Unerzogenste so gut verstehet, als der Polierteste.

Bei einer gesuchten, kostbaren, schwülstigen Sprache kann niemals Empfindung sein. Sie zeugt von keiner Empfindung, und kann keine hervorbringen. Aber wohl verträgt sie sich mit den simpelsten, gemeinsten, plattesten Worten und Redensarten.

Wie ich Banks' Elisabeth sprechen lasse, weiß ich wohl, hat noch keine Königin auf dem französischen Theater gesprochen. Den niedrigen vertraulichen Ton, in dem sie sich mit ihren Frauen unterhält, würde man in Paris kaum einer guten adligen Landfrau angemessen finden. »Ist dir nicht wohl? – Mir ist ganz wohl. Steh auf, ich bitte dich. – Nur unruhig; ein wenig unruhig bin ich. – Erzähle mir doch. – Nicht wahr, Nottingham? Tu das! Laß hören! – Gemach, gemach! – Du eiferst dich aus dem Atem. – Gift und Blattern auf ihre Zunge! – Mir steht es frei, dem Dinge, das ich geschaffen habe, mitzuspielen, wie ich will. – Auf den Kopf schlagen. – Wie ist's? Sei munter, liebe Rutland; ich will dir einen wackern Mann suchen. – Wie kannst du so reden? – Du sollst es schon sehen. – Sie hat mich recht sehr geärgert. Ich konnte sie nicht länger vor Augen sehen. – Komm her, meine Liebe; laß mich an deinen Busen mich lehnen. – Ich dacht' es! – Das ist nicht länger auszuhalten.« – Jawohl ist es nicht auszuhalten! würden die feinen Kunstrichter sagen –

Werden vielleicht auch manche von meinen Lesern sagen. – Denn leider gibt es Deutsche, die noch weit französischer sind, als die Franzosen. Ihnen zu gefallen, habe ich diese Brocken auf einen Haufen getragen. Ich kenne ihre Art zu kritisieren. Alle die kleinen Nachlässigkeiten, die ihr zärtliches Ohr so unendlich beleidigen, die dem Dichter so schwer zu finden waren, die er mit so vieler Überlegung dahin und dorthin streuete, um den Dialog geschmeidig zu machen und den Reden einen wahrern Anschein der augenblicklichen Eingebung zu erteilen, reihen sie sehr witzig zusammen auf einen Faden und wollen sich krank darüber lachen. Endlich folgt ein mitleidiges Achselzucken: »Man hört wohl, daß der gute Mann die große Welt nicht kennet; daß er nicht viele Königinnen reden gehört; Racine verstand das besser; aber Racine lebte auch bei Hofe.«

Demohngeachtet würde mich das nicht irre machen. Desto schlimmer für die Königinnen, wenn sie wirklich nicht so sprechen, nicht so sprechen dürfen. Ich habe es lange schon geglaubt, daß der Hof der Ort eben nicht ist, wo ein Dichter die Natur studieren kann. Aber wenn Pomp und Etikette aus Menschen Maschinen macht, so ist es das Werk des Dichters, aus diesen Maschinen wieder Menschen zu machen. Die wahren Königinnen mögen so gesucht und affektiert sprechen, als sie wollen: seine Königinnen müssen natürlich sprechen. Er höre der Hekuba des Euripides nur fleißig zu; und tröste sich immer, wenn er schon sonst keine Königinnen gesprochen hat.

Nichts ist züchtiger und anständiger als die simple Natur. Grobheit und Wust ist ebenso weit von ihr entfernt, als Schwulst und Bombast von dem Erhabnen. Das nämliche Gefühl, welches die Grenzscheidung dort wahrnimmt, wird sie auch hier bemerken. Der schwülstige Dichter ist daher unfehlbar auch der pöbelhafteste. Beide Fehler sind unzertrennlich; und keine Gattung gibt mehrere Gelegenheit, in beide zu verfallen, als die Tragödie.

Gleichwohl scheinet die Engländer vornehmlich nur der eine in ihrem Banks beleidiget zu haben. Sie tadelten weniger seinen Schwulst, als die pöbelhafte Sprache, die er so edle und in der Geschichte ihres Landes so glänzende Personen führen lasse; und wünschten lange, daß sein Stück von einem Manne, der den tragischen Ausdruck mehr in seiner Gewalt habe, möchte umgearbeitet werden.(»Companion to the Theatre«, Vol. II. p. 105.) – The Diction is every where very bad, and in some Places so low, that it even becomes unnatural. – And I think, there cannot be a greater Proof of the little Encouragement this Age affords to Merit, than that no Gentleman possest of a true Genius and Spirit of Poetry, thinks it worth his Attention to adorn so celebrated a Part of History with that Dignity of Expression befitting Tragedy in general, but more particularly, where the Characters are perhaps the greatest the World ever produced. Dieses geschah endlich auch. Fast zu gleicher Zeit machten sich Jones und Brook darüber. Heinrich Jones, von Geburt ein Irländer, war seiner Profession nach ein Maurer und vertauschte, wie der alte Ben Jonson, seine Kelle mit der Feder. Nachdem er schon einen Band Gedichte auf Subskription drucken lassen, die ihn als einen Mann von großem Genie bekannt machten, brachte er seinen »Essex« 1753 aufs Theater. Als dieser zu London gespielt ward, hatte man bereits den von Heinrich Brook in Dublin gespielt. Aber Brook ließ seinen erst einige Jahre hernach drucken; und so kann es wohl sein, daß er, wie man ihm Schuld gibt, ebensowohl den »Essex« des Jones als den vom Banks, genutzt hat. Auch muß noch ein »Essex« von einem James Ralph vorhanden sein. Ich gestehe, daß ich keinen gelesen habe, und alle drei nur aus den gelehrten Tagebüchern kenne. Von dem »Essex« des Brook sagt ein französischer Kunstrichter, daß er das Feuer und das Pathetische des Banks mit der schönen Poesie des Jones zu verbinden gewußt habe. Was er über die Rolle der Rutland und über derselben Verzweiflung bei der Hinrichtung ihres Gemahls hinzufügt,(»Journal Encycl.«, Mars 1761.) Il a aussi fait tomber en démence la Comtesse de Rutland au moment que cet illustre époux est conduit à l'échafaud; ce moment où cette Comtesse est un objet bien digne de pitié, a produit une très grande sensation, et a été trouvé admirable à Londres: en France il eût paru ridicule, il aurait été sifflé et l'on aurait envoyé la Comtesse avec l'Auteur aux Petites-Maisons. ist merkwürdig; man lernt auch daraus das Pariser Parterr auf einer Seite kennen, die ihm wenig Ehre macht.

Aber einen spanischen »Essex« habe ich gelesen, der viel zu sonderbar ist, als daß ich nicht im Vorbeigehen etwas davon sagen sollte. –


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