Gotthold Ephraim Lessing
Hamburgische Dramaturgie
Gotthold Ephraim Lessing

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Zweiundfunfzigstes Stück

Den 27. Oktober 1767

Den vierzigsten Abend (donnerstags, den 9. Julius) ward Schlegels »Triumph der guten Frauen« aufgeführet.

Dieses Lustspiel ist unstreitig eines der besten deutschen Originale. Es war, soviel ich weiß, das letzte komische Werk des Dichters, das seine frühern Geschwister unendlich übertrifft und von der Reife seines Urhebers zeuget. »Der geschäftige Müßiggänger« war der erste jugendliche Versuch und fiel aus, wie alle solche jugendliche Versuche ausfallen. Der Witz verzeihe es denen und räche sich nie an ihnen, die allzuviel Witz darin gefunden haben! Er enthält das kalteste, langweiligste Alltagsgewäsche, das nur immer in dem Hause eines meißnischen Pelzhändlers vorfallen kann. Ich wüßte nicht, daß er jemals wäre aufgeführt worden, und ich zweifle, daß seine Vorstellung dürfte auszuhalten sein. »Der Geheimnisvolle« ist um vieles besser; ob es gleich der Geheimnisvolle gar nicht geworden ist, den Molière in der Stelle geschildert hat, aus welcher Schlegel den Anlaß zu diesem Stücke wollte genommen haben.»Misanthrope«, Acte II, Sc. 4.
 
C'est de la tête aux pieds un homme tout mystère,
Qui vous jette, en passant, un coup d'oeil égaré,
Et sans aucune affaire est toujours affairé.
Tous ce qu'il vous débite en grimaces abonde.
A force de façons il assomme le monde.
Sans cesse il a tout bas, pour rompre l'entretien,
Un secret à vous dire, et ce secret n'est rien.
De la moindre vétille il fait une merveille,
Et, jusqu' au bon jour, il dit tout à l'oreille.
Molières Geheimnisvoller ist ein Geck, der sich ein wichtiges Ansehen geben will; Schlegels Geheimnisvoller aber ein gutes ehrliches Schaf, das den Fuchs spielen will, um von den Wölfen nicht gefressen zu werden. Daher kömmt es auch, daß er so viel Ähnliches mit dem Charakter des Mißtrauischen hat, den Cronegk hernach auf die Bühne brachte. Beide Charaktere aber, oder vielmehr beide Nuancen des nämlichen Charakters, können nichts anders als in einer so kleinen und armseligen, oder so menschenfeindlichen und häßlichen Seele sich finden, daß ihre Vorstellungen notwendig mehr Mitleiden oder Abscheu erwecken müssen, als Lachen. »Der Geheimnisvolle« ist wohl sonst hier aufgeführet worden; man versichert mich aber auch durchgängig, und aus der eben gemachten Betrachtung ist mir es sehr begreiflich, daß man ihn läppischer gefunden habe, als lustig.

»Der Triumph der guten Frauen« hingegen hat, wo er noch aufgeführet worden, und sooft er noch aufgeführet worden, überall und jederzeit einen sehr vorzüglichen Beifall erhalten; und daß sich dieser Beifall auf wahre Schönheiten gründen müsse, daß er nicht das Werk einer überraschenden blendenden Vorstellung sei, ist daher klar, weil ihn noch niemand, nach Lesung des Stücks, zurückgenommen. Wer es zuerst gelesen, dem gefällt es um so viel mehr, wenn er es spielen sieht: und wer es zuerst spielen gesehen, dem gefällt es um so viel mehr, wenn er es lieset. Auch haben es die strengesten Kunstrichter ebensosehr seinen übrigen Lustspielen, als diese überhaupt dem gewöhnlichen Prasse deutscher Komödien vorgezogen.

»Ich las«, sagt einer von ihnen,»Briefe, die neueste Literatur betreffend«, T. XXI. S. 133. »den ›Geschäftigen Müßiggänger‹: die Charaktere schienen mir vollkommen nach dem Leben; solche Müßiggänger, solche in ihre Kinder vernarrte Mütter, solche schalwitzige Besuche und solche dumme Pelzhändler sehen wir alle Tage. So denkt, so lebt, so handelt der Mittelstand unter den Deutschen. Der Dichter hat seine Pflicht getan, er hat uns geschildert, wie wir sind. Allein ich gähnte vor Langeweile. – Ich las darauf den ›Triumph der guten Frauen«. Welcher Unterschied! Hier finde ich Leben in den Charakteren, Feuer in ihren Handlungen, echten Witz in ihren Gesprächen und den Ton einer feinen Lebensart in ihrem ganzen Umgange.«

Der vornehmste Fehler, den ebenderselbe Kunstrichter daran bemerkt hat, ist der, daß die Charaktere an sich selbst nicht deutsch sind. Und leider muß man diesen zugestehen. Wir sind aber in unsern Lustspielen schon zu sehr an fremde, und besonders an französische Sitten gewöhnt, als daß er eine besonders üble Wirkung auf uns haben könnte.

»Nikander«, heißt es, »ist ein französischer Abenteurer, der auf Eroberungen ausgeht, allem Frauenzimmer nachstellt, keinem im Ernste gewogen ist, alle ruhige Ehen in Uneinigkeit zu stürzen, aller Frauen Verführer und aller Männer Schrecken zu werden sucht, und der bei allem diesen kein schlechtes Herz hat. Die herrschende Verderbnis der Sitten und Grundsätze scheinet ihn mit fortgerissen zu haben. Gottlob! daß ein Deutscher, der so leben will, das verderbteste Herz von der Welt haben muß. – Hilaria, des Nikanders Frau, die er vier Wochen nach der Hochzeit verlassen und nunmehr in zehn Jahren nicht gesehen hat, kömmt auf den Einfall, ihn aufzusuchen. Sie kleidet sich als eine Mannsperson und folgt ihm, unter dem Namen Philint, in alle Häuser nach, wo er Avanturen sucht. Philint ist witziger, flatterhafter und unverschämter als Nikander. Das Frauenzimmer ist dem Philint mehr gewogen, und sobald er mit seinem frechen, aber doch artigen Wesen sich sehen läßt, stehet Nikander da wie verstummt. Dieses gibt Gelegenheit zu sehr lebhaften Situationen. Die Erfindung ist artig, der zweifache Charakter wohl gezeichnet und glücklich in Bewegung gesetzt; aber das Original zu diesem nachgeahmten Petitmaitre ist gewiß kein Deutscher.«

»Was mir«, fährt er fort, »sonst an diesem Lustspiele mißfällt, ist der Charakter des Agenors. Den Triumph der guten Frauen vollkommen zu machen, zeigt dieser Agenor den Ehemann von einer gar zu häßlichen Seite. Er tyrannisierst seine unschuldige Christiane auf das unwürdigste und hat recht seine Lust, sie zu quälen. Grämlich, sooft er sich sehen läßt, spöttisch bei den Tränen seiner gekränkten Frau, argwöhnisch bei ihren Liebkosungen, boshaft genug, ihre unschuldigsten Reden und Handlungen durch eine falsche Wendung zu ihrem Nachteile auszulegen, eifersüchtig, hart, unempfindlich, und, wie Sie sich leicht einbilden können, in seiner Frauen Kammermädchen verliebt. – Ein solcher Mann ist gar zu verderbt, als daß wir ihm eine schleunige Besserung zutrauen könnten. Der Dichter gibt ihm eine Nebenrolle, in welcher sich die Falten seines nichtswürdigen Herzens nicht genug entwickeln können. Er tobt, und weder Juliane noch die Leser wissen recht, was er will. Ebensowenig hat der Dichter Raum gehabt, seine Besserung gehörig vorzubereiten und zu veranstalten. Er mußte sich begnügen, dieses gleichsam im Vorbeigehen zu tun, weil die Haupthandlung mit Nikander und Philinten zu schaffen hatte. Kathrine, dieses edelmütige Kammermädchen der Juliane, das Agenor verfolgt hatte, sagt gar recht am Ende des Lustspiels: ›Die geschwindesten Bekehrungen sind nicht allemal die aufrichtigsten!‹ Wenigstens solange dieses Mädchen im Hause ist, möchte ich nicht für die Aufrichtigkeit stehen.«

Ich freue mich, daß die beste deutsche Komödie dem richtigsten deutschen Beurteiler in die Hände gefallen ist. Und doch war es vielleicht die erste Komödie, die dieser Mann beurteilte.

Ende des ersten Bandes


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