Gotthold Ephraim Lessing
Hamburgische Dramaturgie
Gotthold Ephraim Lessing

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Sechstes Stück

Den 19. Mai 1767

Noch habe ich der Anreden an die Zuschauer, vor und nach dem großen Stücke des ersten Abends, nicht gedacht. Sie schreiben sich von einem Dichter her, der es mehr als irgendein anderer versteht, tiefsinnigen Verstand mit Witz aufzuheitern, und nachdenklichem Ernste die gefällige Miene des Scherzes zu geben. Womit könnte ich diese Blätter besser auszieren, als wenn ich sie meinen Lesern ganz mitteile? Hier sind sie. Sie bedürfen keines Kommentars. Ich wünsche nur, daß manches darin nicht in den Wind gesagt sei!

Sie wurden beide ungemein wohl, die erstere mit alle dem Anstande und der Würde, und die andere mit alle der Wärme und Feinheit und einschmeichelnden Verbindlichkeit gesprochen, die der besondere Inhalt einer jeden erfoderte.

Prolog
(Gesprochen von Madame Löwen)
Ihr Freunde, denen hier das mannigfache Spiel
Des Menschen in der Kunst der Nachahmung gefiel:
Ihr, die ihr gerne weint, ihr weichen, bessern Seelen,
Wie schön, wie edel ist die Lust, sich so zu quälen;
Wenn bald die süße Trän', indem das Herz erweicht,
In Zärtlichkeit zerschmilzt, still von den Wangen schleicht,
Bald die bestürmte Seel', in jeder Nerv' erschüttert,
Im Leiden Wollust fühlt und mit Vergnügen zittert!
O sagt, ist diese Kunst, die so eur Herz zerschmelzt,
Der Leidenschaften Strom so durch eur Inners wälzt,
Vergnügend, wenn sie rührt, entzückend, wenn sie schrecket,
Zu Mitleid, Menschenlieb' und Edelmut erwecket,
Die Sittenbilderin, die jede Tugend lehrt,
Ist die nicht eurer Gunst und eurer Pflege wert?
Die Fürsicht sendet sie mitleidig auf die Erde,
Zum Besten des Barbars, damit er menschlich werde;
Weiht sie, die Lehrerin der Könige zu sein,
Mit Würde, mit Genie, mit Feur vom Himmel ein;
Heißt sie, mit ihrer Macht, durch Tränen zu ergötzen,
Das stumpfeste Gefühl der Menschenliebe wetzen;
Durch süße Herzensangst, und angenehmes Graun
Die Bosheit bändigen und an den Seelen baun;
Wohltätig für den Staat, den Wütenden, den Wilden
Zum Menschen, Bürger, Freund und Patrioten bilden.
Gesetze stärken zwar der Staaten Sicherheit
Als Ketten an der Hand der Ungerechtigkeit;
Doch deckt noch immer List den Bösen vor dem Richter,
Und Macht wird oft der Schutz erhabner Bösewichter.
Wer rächt die Unschuld dann? Weh dem gedrückten Staat,
Der, statt der Tugend, nichts als ein Gesetzbuch hat!
Gesetze, nur ein Zaum der offenen Verbrechen,
Gesetze, die man lehrt des Hasses Urteil sprechen,
Wenn ihnen Eigennutz, Stolz und Parteilichkeit
Für eines Solons Geist den Geist der Drückung leiht!
Da lernt Bestechung bald, um Strafen zu entgehen,
Das Schwert der Majestät aus ihren Händen drehen:
Da pflanzet Herrschbegier, sich freuend des Verfalls
Der Redlichkeit, den Fuß der Freiheit auf den Hals.
Läßt den, der sie vertritt, in Schimpf und Banden schmachten,
Und das blutschuld'ge Beil der Themis Unschuld schlachten!
Wenn der, den kein Gesetz straft oder strafen kann,
Der schlaue Bösewicht, der blutige Tyrann,
Wenn der die Unschuld drückt, wer wagt es, sie zu decken?
Den sichert tiefe List, und diesen waffnet Schrecken.
Wer ist ihr Genius, der sich entgegenlegt? –
Wer? Sie, die itzt den Dolch, und itzt die Geißel trägt,
Die unerschrockne Kunst, die allen Mißgestalten
Strafloser Torheit wagt den Spiegel vorzuhalten;
Die das Geweb' enthüllt, worin sich List verspinnt,
Und den Tyrannen sagt, daß sie Tyrannen sind;
Die, ohne Menschenfurcht, vor Thronen nicht erblödet,
Und mit des Donners Stimm' ans Herz der Fürsten redet;
Gekrönte Mörder schreckt, den Ehrgeiz nüchtern macht,
Den Heuchler züchtiget und Toren klüger lacht;
Sie, die zum Unterricht die Toten läßt erscheinen,
Die große Kunst, mit der wir lachen, oder weinen.
Sie fand in Griechenland Schutz, Lieb' und Lehrbegier;
In Rom, in Gallien, in Albion, und – hier.
Ihr, Freunde, habt hier oft, wenn ihre Tränen flossen,
Mit edler Weichlichkeit die euren mit vergossen;
Habt redlich euren Schmerz mit ihrem Schmerz vereint
Und ihr aus voller Brust den Beifall zugeweint:
Wie sie gehaßt, geliebt, gehoffet und gescheuet
Und eurer Menschlichkeit im Leiden euch erfreuet.
Lang hat sie sich umsonst nach Bühnen umgesehn:
In Hamburg fand sie Schutz: hier sei denn ihr Athen!
Hier, in dem Schoß der Ruh', im Schutze weiser Gönner,
Gemutiget durch Lob, vollendet durch den Kenner;
Hier reifet – ja ich wünsch', ich hoff', ich weissag' es! –
Ein zweiter Roscius, ein zweiter Sophokles,
Der Gräciens Kothurn Germanien erneute:
Und ein Teil dieses Ruhms, ihr Gönner, wird der eure.
O seid desselben wert! Bleibt eurer Güte gleich,
Und denkt, o denkt daran, ganz Deutschland sieht auf euch!
Epilog
(Gesprochen von Madame Hensel)
Seht hier! so standhaft stirbt der überzeugte Christ!
So lieblos hasset der, dem Irrtum nützlich ist,
Der Barbarei bedarf, damit er seine Sache,
Sein Ansehn, seinen Traum zu Lehren Gottes mache.
Der Geist des Irrtums war Verfolgung und Gewalt,
Wo Blindheit für Verdienst, und Furcht für Andacht galt.
So konnt' er sein Gespinst von Lügen mit den Blitzen
Der Majestät, mit Gift, mit Meuchelmord beschützen.
Wo Überzeugung fehlt, macht Furcht den Mangel gut:
Die Wahrheit überführt, der Irrtum fodert Blut.
Verfolgen muß man die und mit dem Schwert bekehren,
Die anders Glaubens sind, als die Ismenors lehren.
Und mancher Aladin sieht staatsklug oder schwach
Dem schwarzen Blutgericht der heil'gen Mörder nach
Und muß mit seinem Schwert den, welchen Träumer hassen,
Den Freund, den Märtyrer der Wahrheit würgen lassen.
Abscheulichs Meisterstück der Herrschsucht und der List,
Wofür kein Name hart, kein Schimpfwort lieblos ist!
O Lehre, die erlaubt, die Gottheit selbst mißbrauchen,
In ein unschuldig Herz des Hasses Dolch zu tauchen,
Dich, die ihr Blutpanier oft über Leichen trug,
Dich, Greuel, zu verschmähn, wer leiht mir einen Fluch!
Ihr Freund', in deren Brust der Menschheit edle Stimme
Laut für die Heldin sprach, als sie dem Priestergrimme
Ein schuldlos Opfer ward und für die Wahrheit sank:
Habt Dank für dies Gefühl, für jede Träne Dank!
Wer irrt, verdient nicht Zucht des Hasses oder Spottes:
Was Menschen hassen lehrt, ist keine Lehre Gottes!
Ach! liebt die Irrenden, die ohne Bosheit blind,
Zwar schwächere vielleicht, doch immer Menschen sind.
Belehret, duldet sie; und zwingt nicht die zu Tränen,
Die sonst kein Vorwurf trifft, als daß sie anders wähnen!
Rechtschaffen ist der Mann, den, seinem Glauben treu,
Nichts zur Verstellung zwingt, zu böser Heuchelei;
Der für die Wahrheit glüht und, nie durch Furcht gezügelt,
Sie freudig, wie Olint, mit seinem Blut versiegelt.
Solch Beispiel, edle Freund', ist eures Beifalls wert:
O wohl uns! hätten wir, was Cronegk schön gelehrt,
Gedanken, die ihn selbst so sehr veredelt haben,
Durch unsre Vorstellung tief in eur Herz gegraben!
Des Dichters Leben war schön, wie sein Nachruhm ist;
Er war, und – o verzeiht die Trän'! – und starb, ein Christ.
Ließ sein vortrefflich Herz der Nachwelt in Gedichten,
Um sie – was kann man mehr? – noch tot zu unterrichten.
Versaget, hat euch itzt Sophronia gerührt,
Denn seiner Asche nicht, was ihr mit Recht gebührt,
Den Seufzer, daß er starb, den Dank für seine Lehre,
Und – ach! den traurigen Tribut von einer Zähre.
Uns aber, edle Freund', ermuntre Gütigkeit;
Und hätten wir gefehlt, so tadelt; doch verzeiht.
Verzeihung mutiget zu edelerm Erkühnen,
Und feiner Tadel lehrt das höchste Lob verdienen.
Bedenkt, daß unter uns die Kunst nur kaum beginnt,
In welcher tausend Quins für einen Garrick sind;
Erwartet nicht zu viel, damit wir immer steigen,
Und – doch nur euch gebührt zu richten, uns zu schweigen.

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