Gotthold Ephraim Lessing
Hamburgische Dramaturgie
Gotthold Ephraim Lessing

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Zweiundsiebzigstes Stück

Den 8. Januar 1768

Als er endlich dazukommt, wird Demea zwar eingetrieben, aber im geringsten nicht überzeugt. Aller Vorwand, über die Lebensart seiner Kinder unwillig zu sein, ist ihm benommen: und doch fängt er wieder von vorne an, zu nergeln. Micio muß auch nur abbrechen und sich begnügen, daß ihm die mürrische Laune, die er nicht ändern kann, wenigstens auf heute Frieden lassen will. Die Wendungen, die ihn Terenz dabei nehmen läßt, sind meisterhaft.– – – De. Ne nimium modo
    Bonae tuae istae nos rationes, Micio,
    Et tuus iste animus aequus subvertat. Mi. Tace;
    Non fiet. Mitte jam istaec; da te hodie mihi:
    Exporge frontem. De. Scilicet ita tempus fert,
    Faciendum est: ceterum rus cras cum filio
    Cum primo lucu ibo hinc. Mi. De nocte censeo:
    Hodie modo hilarum fac te. De. Et istam psaltriam
    Una illuc mecum hinc abstraham. Mi. Pugnaveris.
    Eo pacto prorsum illic alligaris filium.
    Modo facito, ut illam serves. De. Ego istuc videro,
    Atque ibi favillae plena, fumi, ac pollinis,
    Coquendo sit faxo et molendo; praeter haec
    Meridie ipso faciam ut stipulam colligat:
    Tam excoctam reddam atque atram, quam carbo est. Mi. Placet,
    Nunc mihi videre sapere. Atque equidem filium,
    Tum etiam si nolit, cogam, ut cum illa una cubet.
De. Derides? fortunatus, qui istoc animo sies:
    Ego sentio. Mi. Ah pergisne? De. Jam jam desino.

»Demea. Nun gib nur acht, Micio, wie wir mit diesen schönen Grundsätzen, mit dieser deiner lieben Nachsicht am Ende fahren werden.

Micio. Schweig doch! Besser, als du glaubest. – Und nun genug davon! Heute schenke dich mir. Komm, kläre dich auf.

Demea. Mag's doch nur heute sein! Was ich muß, das muß ich. – Aber morgen, sobald es Tag wird, geh' ich wieder aufs Dorf, und der Bursche geht mit.

Micio. Lieber, noch ehe es Tag wird; dächte ich. Sei nur heute lustig!

Demea. Auch das Mensch von einer Sängerin muß mit heraus.

Micio. Vortrefflich! So wird sich der Sohn gewiß nicht weg wünschen. Nur halte sie auch gut.

Demea. Da laß mich vor sorgen! Sie soll in der Mühle und vor dem Ofenloche Mehlstaubs und Kohlstaubs und Rauchs genug kriegen. Dazu soll sie mir am heißen Mittage stoppeln gehn, bis sie so trocken, so schwarz geworden, als ein Löschbrand.

Micio. Das gefällt mir! Nun bist du auf dem rechten Wege! – Und alsdenn, wenn ich wie du wäre, müßte mir der Sohn bei ihr schlafen, er möchte wollen oder nicht.

Demea. Lachst du mich aus? – Bei so einer Gemütsart freilich kannst du wohl glücklich sein. Ich fühl' es, leider –

Micio. Du fängst doch wieder an?

Demea. Nu, nu; ich höre ja auch schon wieder auf.«

Bei dem »Lachst du mich aus?« des Demea, merkt Donatus an: Hoc verbum vultu Demeae sic profertur, ut subrisisse videatur invitus. Sed rursus ego sentio, amare severeque dicit. Unvergleichlich! Demea, dessen voller Ernst es war, daß er die Sängerin nicht als Sängerin, sondern als eine gemeine Sklavin halten und nutzen wollte, muß über den Einfall des Micio lachen. Micio selbst braucht nicht zu lachen: je ernsthafter er sich stellt, desto besser. Demea kann darum doch sagen: »Lachst du mich aus?« und muß sich zwingen wollen, sein eignes Lachen zu verbeißen. Er verbeißt es auch bald, denn das »Ich fühl' es leider« sagt er wieder in einem ärgerlichen und bittern Tone. Aber so ungern, so kurz das Lachen auch ist: so große Wirkung hat es gleichwohl. Denn einen Mann, wie Demea, hat man wirklich vors erste gewonnen, wenn man ihn nur zu lachen machen kann. Je seltner ihm diese wohltätige Erschütterung ist, desto länger hält sie innerlich an; nachdem er längst alle Spur derselben auf seinem Gesichte vertilgt, dauert sie noch fort, ohne daß er es selbst weiß, und hat auf sein nächstfolgendes Betragen einen gewissen Einfluß. –

Aber wer hätte wohl bei einem Grammatiker so feine Kenntnisse gesucht? Die alten Grammatiker waren nicht das, was wir itzt bei dem Namen denken. Es waren Leute von vieler Einsicht; das ganze weite Feld der Kritik war ihr Gebiete. Was von ihren Auslegungen klassischer Schriften auf uns gekommen, verdient daher nicht bloß wegen der Sprache studiert zu werden. Nur muß man die neuern Interpolationen zu unterscheiden wissen. Daß aber dieser Donatus (Aelius) so vorzüglich reich an Bemerkungen ist, die unsern Geschmack bilden können, daß er die verstecktesten Schönheiten seines Autors mehr als irgendein anderer zu enthüllen weiß: das kömmt vielleicht weniger von seinen größern Gaben, als von der Beschaffenheit seines Autors selbst. Das römische Theater war, zur Zeit des Donatus, noch nicht gänzlich verfallen; die Stücke des Terenz wurden noch gespielt, und ohne Zweifel noch mit vielen von den Überlieferungen gespielt, die sich aus den bessern Zeiten des römischen Geschmacks herschrieben: er durfte also nur anmerken, was er sahe und hörte; er brauchte also nur Aufmerksamkeit und Treue, um sich das Verdienst zu machen, daß ihm die Nachwelt Feinheiten zu verdanken hat, die er selbst schwerlich dürfte ausgegrübelt haben. Ich wüßte daher auch kein Werk, aus welchem ein angehender Schauspieler mehr lernen könnte, als diesen Kommentar des Donatus über den Terenz: und bis das Latein unter unsern Schauspielern üblicher wird, wünschte ich sehr, daß man ihnen eine gute Übersetzung davon in die Hände geben wollte. Es versteht sich, daß der Dichter dabei sein und aus dem Kommentar alles wegbleiben müßte, was die bloße Worterklärung betrifft. Die Dacier hat in dieser Absicht den Donatus nur schlecht genutzt, und ihre Übersetzung des Textes ist wäßrig und steif. Eine neuere deutsche, die wir haben, hat das Verdienst der Richtigkeit so so, aber das Verdienst der komischen Sprache fehlt ihr gänzlich;Halle 1753. Wunders halben erlaube man mir, die Stelle daraus anzuführen, die ich eben itzt übersetzt habe. Was mir hier aus der Feder geflossen, ist weit entfernt, so zu sein, wie es sein sollte; aber man wird doch ungefähr daraus sehen können, worin das Verdienst besteht, das ich dieser Übersetzung absprechen muß. und Donatus ist auch nicht weiter gebraucht, als ihn die Dacier zu brauchen für gut befunden. Es wäre also keine getane Arbeit, was ich vorschlage: aber wer soll sie tun? Die nichts Bessers tun könnten, können auch dieses nicht: und die etwas Bessers tun könnten, werden sich bedanken.

Doch endlich vom Terenz auf unsern Nachahmer zu kommen – es ist doch sonderbar, daß auch Herr Romanus den falschen Gedanken des Voltaire gehabt zu haben scheinet. Auch er hat geglaubt, daß am Ende mit dem Charakter des Demea eine gänzliche Veränderung vorgehe; wenigstens läßt er sie mit dem Charakter seines Lysimons vorgehen. »Je, Kinder«, läßt er ihn rufen, »schweigt doch! Ihr überhäuft mich ja mit Liebkosungen. Sohn, Bruder, Vetter, Diener, alles schmeichelt mir, bloß weil ich einmal ein bißchen freundlich aussehe. Bin ich's denn, oder bin ich's nicht? Ich werde wieder recht jung, Bruder! Es ist doch hübsch, wenn man geliebt wird. Ich will auch gewiß so bleiben. Ich wüßte nicht, wenn ich so eine vergnügte Stunde gehabt hätte.« Und Frontin sagt: »Nun, unser Alter stirbt gewiß bald.So soll es ohne Zweifel heißen, und nicht: stirbt ohnmöglich bald. Für viele von unsern Schauspielern ist es nötig, auch solche Druckfehler anzumerken. Die Veränderung ist gar zu plötzlich.« Jawohl; aber das Sprichwort und der gemeine Glaube von den unvermuteten Veränderungen, die einen nahen Tod vorbedeuten, soll doch wohl nicht im Ernste hier etwas rechtfertigen?


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