Gotthold Ephraim Lessing
Hamburgische Dramaturgie
Gotthold Ephraim Lessing

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Vierundfunfzigstes Stück

Den 6. November 1767

Den dreiundvierzigsten Abend (dienstags, den 14. Julius) ward »Die Mütterschule« des La Chaussée, und den vierundvierzigsten Abend (als den 15.) »Der Graf von Essex« wiederholt.S. den 26. und 30. Abend.

Da die Engländer von jeher so gern domestica facta auf ihre Bühne gebracht haben, so kann man leicht vermuten, daß es ihnen auch an Trauerspielen über diesen Gegenstand nicht fehlen wird. Das älteste ist das von Joh. Banks, unter dem Titel »Der unglückliche Liebling, oder Graf von Essex«. Es kam 1682 aufs Theater und erhielt allgemeinen Beifall. Damals aber hatten die Franzosen schon drei Essexe: des Calprenède von 1638; des Boyer von 1678, und des jüngern Corneille von ebendiesem Jahre. Wollten indes die Engländer, daß ihnen die Franzosen auch hierin nicht möchten zuvorgekommen sein, so würden sie sich vielleicht auf Daniels »Philotas« beziehen können; ein Trauerspiel von 1611, in welchem man die Geschichte und den Charakter des Grafen, unter fremden Namen, zu finden glaubte.»Cibber's Lives of the Engl. Poets«, Vol. I. p. 147.

Banks scheinet keinen von seinen französischen Vorgängern gekannt zu haben. Er ist aber einer Novelle gefolgt, die den Titel »Geheime Geschichte der Königin Elisabeth und des Grafen von Essex« führet,»The Companion to the Theatre«, Vol. II. p. 99. wo er den ganzen Stoff sich so in die Hände gearbeitet fand, daß er ihn bloß zu dialogieren, ihm bloß die äußere dramatische Form zu erteilen brauchte. Hier ist der ganze Plan, wie er von dem Verfasser der unten angeführten Schrift, zum Teil, ausgezogen worden. Vielleicht, daß es meinen Lesern nicht unangenehm ist, ihn gegen das Stück des Corneille halten zu können.

»Um unser Mitleid gegen den unglücklichen Grafen desto lebhafter zu machen und die heftige Zuneigung zu entschuldigen, welche die Königin für ihn äußert, werden ihm alle die erhabensten Eigenschaften eines Helden beigelegt; und es fehlt ihm zu einem vollkommenen Charakter weiter nichts, als daß er seine Leidenschaften nicht besser in seiner Gewalt hat. Burleigh, der erste Minister der Königin, der auf ihre Ehre sehr eifersüchtig ist und den Grafen wegen der Gunstbezeigungen beneidet, mit welchen sie ihn überhäuft, bemüht sich unablässig, ihn verdächtig zu machen. Hierin steht ihm Sir Walter Raleigh, welcher nicht minder des Grafen Feind ist, treulich bei; und beide werden von der boshaften Gräfin von Nottingham noch mehr verhetzt, die den Grafen sonst geliebt hatte, nun aber, weil sie keine Gegenliebe von ihm erhalten können, was sie nicht besitzen kann, zu verderben sucht. Die ungestüme Gemütsart des Grafen macht ihnen allzu gutes Spiel, und sie erreichen ihre Absicht auf folgende Weise.

Die Königin hatte den Grafen, als ihren Generalissimus, mit einer sehr ansehnlichen Armee gegen den Tyrone geschickt, welcher in Irland einen gefährlichen Aufstand erregt hatte. Nach einigen nicht viel bedeutenden Scharmützeln sahe sich der Graf genötiget, mit dem Feinde in Unterhandlung zu treten, weil seine Truppen durch Strapazen und Krankheiten sehr abgemattet waren, Tyrone aber mit seinen Leuten sehr vorteilhaft postieret stand. Da diese Unterhandlung zwischen den Anführern mündlich betrieben ward und kein Mensch dabei zugegen sein durfte: so wurde sie der Königin als ihrer Ehre höchst nachteilig und als ein gar nicht zweideutiger Beweis vorgestellet, daß Essex mit den Rebellen in einem heimlichen Verständnisse stehen müsse. Burleigh und Raleigh, mit einigen andern Parlamentsgliedern, treten sie daher um Erlaubnis an, ihn des Hochverrats anklagen zu dürfen, welches sie aber so wenig zu verstatten geneigt ist, daß sie sich vielmehr über ein dergleichen Unternehmen sehr aufgebracht bezeiget. Sie wiederholt die vorigen Dienste, welche der Graf der Nation erwiesen, und erklärt, daß sie die Undankbarkeit und den boshaften Neid seiner Ankläger verabscheue. Der Graf von Southampton, ein aufrichtiger Freund des Essex, nimmt sich zugleich seiner auf das lebhafteste an; er erhebt die Gerechtigkeit der Königin, einen solchen Mann nicht unterdrücken zu lassen; und seine Feinde müssen vor diesesmal schweigen. (Erster Akt.)

Indes ist die Königin mit der Aufführung des Grafen nichts weniger als zufrieden, sondern läßt ihm befehlen, seine Fehler wieder gutzumachen, und Irland nicht eher zu verlassen, als bis er die Rebellen völlig zu Paaren getrieben und alles wieder beruhiget habe. Doch Essex, dem die Beschuldigungen nicht unbekannt geblieben, mit welchen ihn seine Feinde bei ihr anzuschwärzen suchen, ist viel zu ungeduldig, sich zu rechtfertigen, und kömmt, nachdem er den Tyrone zu Niederlegung der Waffen vermocht, des ausdrücklichen Verbots der Königin ungeachtet, nach England über. Dieser unbedachtsame Schritt macht seinen Feinden ebensoviel Vergnügen, als seinen Freunden Unruhe; besonders zittert die Gräfin von Rutland, mit welcher er insgeheim verheiratet ist, vor den Folgen. Am meisten aber betrübt sich die Königin, da sie sieht, daß ihr durch dieses rasche Betragen aller Vorwand benommen ist, ihn zu vertreten, wenn sie nicht eine Zärtlichkeit verraten will, die sie gern vor der ganzen Welt verbergen möchte. Die Erwägung ihrer Würde, zu welcher ihr natürlicher Stolz kömmt, und die heimliche Liebe, die sie zu ihm trägt, erregen in ihrer Brust den grausamsten Kampf. Sie streitet lange mit sich selbst, ob sie den verwegnen Mann nach dem Tower schicken oder den geliebten Verbrecher vor sich lassen und ihm erlauben soll, sich gegen sie selbst zu rechtfertigen. Endlich entschließt sie sich zu dem letztern, doch nicht ohne alle Einschränkung; sie will ihn sehen, aber sie will ihn auf eine Art empfangen, daß er die Hoffnung wohl verlieren soll, für seine Vergehungen so bald Vergebung zu erhalten. Burleigh, Raleigh und Nottingham sind bei dieser Zusammenkunft gegenwärtig. Die Königin ist auf die letztere gelehnet und scheinet tief im Gespräche zu sein, ohne den Grafen nur ein einziges Mal anzusehen. Nachdem sie ihn eine Weile vor sich knien lassen, verläßt sie auf einmal das Zimmer und gebietet allen, die es redlich mit ihr meinen, ihr zu folgen und den Verräter allein zu lassen. Niemand darf es wagen, ihr ungehorsam zu sein; selbst Southampton gehet mit ihr ab, kömmt aber bald, mit der trostlosen Rutland, wieder, ihren Freund bei seinem Unfalle zu beklagen. Gleich darauf schicket die Königin den Burleigh und Raleigh zu dem Grafen, ihm den Kommandostab abzunehmen; er weigert sich aber, ihn in andere, als in der Königin eigene Hände, zurückzuliefern, und beiden Ministern wird, sowohl von ihm, als von dem Southampton, sehr verächtlich begegnet. (Zweiter Akt.)

Die Königin, der dieses sein Betragen sogleich hinterbracht wird, ist äußerst gereizt, aber doch in ihren Gedanken noch immer uneinig. Sie kann weder die Verunglimpfungen, deren sich die Nottingham gegen ihn erkühnt, noch die Lobsprüche vertragen, die ihm die unbedachtsame Rutland aus der Fülle ihres Herzens erteilet; ja, diese sind ihr noch mehr zuwider als jene, weil sie daraus entdeckt, daß die Rutland ihn liebet. Zuletzt befiehlt sie, demohngeachtet, daß er vor sie gebracht werden soll. Er kömmt, und versucht es, seine Aufführung zu verteidigen. Doch die Gründe, die er desfalls beibringt, scheinen ihr viel zu schwach, als daß sie ihren Verstand von seiner Unschuld überzeugen sollten. Sie verzeihet ihm, um der geheimen Neigung, die sie für ihn hegt, ein Genüge zu tun; aber zugleich entsetzt sie ihn aller seiner Ehrenstellen, in Betrachtung dessen, was sie sich selbst, als Königin, schuldig zu sein glaubt. Und nun ist der Graf nicht länger vermögend, sich zu mäßigen; seine Ungestümheit bricht los; er wirft den Stab zu ihren Füßen und bedient sich verschiedner Ausdrücke, die zu sehr wie Vorwürfe klingen, als daß sie den Zorn der Königin nicht aufs höchste treiben sollten. Auch antwortet sie ihm darauf, wie es Zornigen sehr natürlich ist; ohne sich um Anstand und Würde, ohne sich um die Folgen zu bekümmern: nämlich, anstatt der Antwort, gibt sie ihm eine Ohrfeige. Der Graf greift nach dem Degen; und nur der einzige Gedanke, daß es seine Königin, daß es nicht sein König ist, der ihn geschlagen, mit einem Worte, daß es eine Frau ist, von der er die Ohrfeige hat, hält ihn zurück, sich tätlich an ihr zu vergehen. Southampton beschwört ihn, sich zu fassen; aber er wiederholt seine ihr und dem Staate geleisteten Dienste nochmals und wirft dem Burleigh und Raleigh ihren niederträchtigen Neid, sowie der Königin ihre Ungerechtigkeit vor. Sie verläßt ihn in der äußersten Wut; und niemand als Southampton bleibt bei ihm, der Freundschaft genug hat, sich itzt eben am wenigsten von ihm trennen zu lassen. (Dritter Akt.)

Der Graf gerät über sein Unglück in Verzweiflung; er läuft wie unsinnig in der Stadt herum, schreiet über das ihm angetane Unrecht und schmähet auf die Regierung. Alles das wird der Königin, mit vielen Übertreibungen, wiedergesagt, und sie gibt Befehl, sich der beiden Grafen zu versichern. Es wird Mannschaft gegen sie ausgeschickt, sie werden gefangengenommen und in den Tower in Verhaft gesetzt, bis daß ihnen der Prozeß gemacht werden kann. Doch indes hat sich der Zorn der Königin gelegt und günstigern Gedanken für den Essex wiederum Raum gemacht. Sie will ihn also, ehe er zum Verhöre geht, allem, was man ihr dawider sagt, ungeachtet, nochmals sehen; und da sie besorgt, seine Verbrechen möchten zu strafbar befunden werden, so gibt sie ihm, um sein Leben wenigstens in Sicherheit zu setzen, einen Ring, mit dem Versprechen, ihm gegen diesen Ring, sobald er ihn ihr zuschicke, alles, was er verlangen würde, zu gewähren. Fast aber bereuet sie es wieder, daß sie so gütig gegen ihn gewesen, als sie gleich darauf erfährt, daß er mit der Rutland vermählt ist; und es von der Rutland selbst erfährt, die für ihn um Gnade zu bitten kömmt. (Vierter Akt.)


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