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22.

Wir schrieben nun 1867. Unser Vater war lange nicht mehr nach Prag gekommen, weil Mutter es nicht wünschte; aus Angst, er könne unsere schwer errungenen, bescheidenen Stellungen schädigen. Es ging ihm nicht gut; Ruh und Frieden hatte er nicht gefunden, und sehr oft hatte er Mutters Hilfe in Anspruch nehmen müssen. Wenn sie ihm früher über unsere Talente schrieb und die Hoffnung auf eine einstige Theaterlaufbahn nur andeutete, geriet er außer sich, und nie würde er seine Zustimmung gegeben haben. Später aber wünschte er wieder, daß ich an Verdienst denken sollte. Dies schrieb er mir zu meinem zwölften Geburtstage, womit er meinem sorglosen Kinderglück einen argen Stoß versetzte, dessen Wirkung ich noch heute zu verspüren meine. Wahrscheinlich glaubte er, ich solle Kinderrollen spielen, was meine Mutter wieder niemals zugegeben hätte. Mein armer Vater starb in Hannover am 19. Februar 1867, verlassen, in traurigen Verhältnissen, wie uns nach seinem Tode mitgeteilt wurde. Drei Monate hatten wir nichts mehr von ihm gehört, waren also außer stande, ihm zu Hilfe zu eilen, was wir so gerne getan hätten. Nun hatte er den Frieden, die Ruhe endlich gefunden!

Und meine liebe Mutter auch! – Die Dornenkrone, die so viele Jahre ihr Haupt belastet, war von ihr genommen. Wenn auch die Wunden noch lange schmerzten, atmete sie doch erleichtert auf, da die Sorgen um uns geringer geworden, ich einen Anfang gemacht hatte, und unser Riezlchen auch schon die Flügel rührte. Das Kind wollte durchaus schon zum Theater, wollte selbständig sein und ließ sich nicht mehr halten. Nach langem Hin- und Herschreiben fand sich das ersehnte Engagement für sie in Leipzig, das sie am 1. Mai 1867 antreten sollte. So lange mußte sie sich noch gedulden, sie mochte wollen oder nicht.

Am 15. Mai feierte sie denn richtig in Leipzig im Engagement ihren sechzehnten Geburtstag. Der Herr Direktor, der ihr nicht so gefiel, wie er es wünschte, fand sie »ganz talentlos«, trotzdem sie im ersten Monat zweiundzwanzigmal gesungen hatte, und nach vier Wochen hatte sie ihren Abschied. Obwohl sie noch kontraktlich verpflichtet war, beschäftigte man sie nicht mehr. Eines Mittags saß sie im warmen Bad, als an die Kabinentüre geklopft wurde. »Der Theaterdiener möchte Fräulein Lehmann sprechen.« »Was soll's?« »Ob Fräulein Lehmann heute abend die Leonore in Stradella singen könnte?« »Nie gesungen, nicht auf dem Repertoire, werde sie aber doch singen. Bringen Sie mir den Klavierauszug.« »Der liegt schon zu Hause.« »Gut; dann sagen Sie, daß ich singe und abends ins Theater komme, Probe brauche ich nicht.«

Mit ihrer schönen, seelenvollen Stimme, ihrer ausgezeichneten Geläufigkeit, dem prachtvollen Triller mußte sie gefallen; ihre musikalische Sicherheit war Bürge. Sie gefiel auch sehr, und von nun an hatte sie plötzlich Talent und sang nicht nur Soubretten, sondern auch die Gräfin im Figaro, Rezia in Oberon unter vielen, vielen anderen Rollen.

Auch mich litt es schon längst nicht mehr auf meinem Posten. Daß Direktor Wirsing mir immer wiederholte, ich solle bleiben, solange ich wolle, konnte mich für die schlechte Beschäftigung nicht trösten, mich nicht halten. Ich wollte vorwärts! So kündigte ich meine Stellung für den 1. Juli 1868 und suchte nun nach einem neuen Engagement für den Herbst, das mich ins Reich der Koloratursängerinnen führen sollte. Ich war sehr fleißig gewesen, hatte viel geübt und mir ein großes Repertoire aller ersten Rollen angeeignet. Etwas kräftiger war ich auch geworden, obwohl die »Salzfässer« an meinem Halse noch immer ein Crêpechemisettchen verdeckte. Die langen, dürren Arme freilich gelang es mir nicht zu verstecken und zu bemänteln; bloßer Hals und bloße Arme waren in der Mode, ob es paßte oder nicht. Daß alles eckig und ungeschickt aussah, was immer ich damit anfing, ist selbstverständlich. Wie oft sagte mir Mama, wenn ich aus dem Theater kam und recht schön »gespielt« zu haben glaubte: »Du hast heute wieder mit verkehrt eingesetzten Armen gespielt!« Es muß schrecklich ausgesehen haben und ist sicher das Talentloseste an mir gewesen, das dem Publikum mehr in die Augen sprang, als mein guter Gesang zu Gehör zu dringen vermochte.

Vergebens hatte ich mir die Hände wundgeschrieben um ein anderes Engagement. Die Zeit der Abschlüsse war längst vorbei, jede Aussicht schien geschwunden. Da kam Anfang August der Antrag vom Agenten Landvogt, ob ich nach Danzig abschließen wolle. Ich zauderte keine Minute, unterschrieb und erwartete mit wahrer Angst den Gegenkontrakt, der nach vierzehn Tagen endlich eintraf und unseren Sorgen ein Ende bereitete. Sechzig Taler Gage monatlich und zwei Taler Spielgeld, zehnmal im Monat garantiert. Das war eine Riesengage, ein großes Glück für mich und meine liebe Mutter; heute noch bin ich Herrn Landvogt – der mich gar nicht kannte – dankbar dafür. Mit Schulden, die ich nie im Leben gemacht, brauchte ich nicht anzufangen; ich hatte mir recht nette Kostüme angeschafft – wie bescheiden war man damals! – und mir das Reisegeld gespart. Um mich zu kräftigen, nahm ich die Einladung meiner lieben Freundin Czernitzki nach Hoch-Chlumetz, einem Gute des Fürsten Lobkowitz, an. Mit Vater Forstmeister durchstreifte ich in aller Frühe schon die herrlichen Wälder, was mich mehr, als ich sagen kann, beglückte und entzückte. In Hoch-Chlumetz war ich schon oft gewesen. Hier stand mir ein Klavier, eine große Bibliothek aller Klassiker zu Gebote, die ich verschlang. Hunde, Rehe, Vogelsang und ein lieblicher Garten. Die Menschen, die mir den Aufenthalt durch ihre warmen Herzen zu einem unvergeßlichen Glück schufen – wie wäre ich imstande, es ihnen jemals ganz zu vergelten?

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