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14.

Schon in unserer frühesten Jugend brachten wir Bekannten und Freunden bei Geburtstagen oder anderen festlichen Anlässen Ständchen, in Form von Duetten oder Terzetten. Ich denke, es muß die Leute gefreut haben; denn unsere Kinderstimmchen klangen mit Mamas weicher Unterstimme gar niedlich zusammen. Daß wir in allen Sprachen sangen, erzählte ich wohl schon. Diese Ständchen waren besonders bei einem früheren Schauspieler, namens Dietrich, stereotyp geworden, der von allen Freunden »der Pascha« genannt, – jetzt als Agent in indischen Genüssen tätig, – eine Menge Frauen in seinem Hause hatte, die sich samt und sonders seinem Wohle opferten. Er wurde achtundneunzig Jahre alt und überlebte mindestens vier seiner Ehehälften. Sein Geburtstag, Weihnacht und Sylvester wurden in größerer Gesellschaft gefeiert, wozu meist Künstler geladen waren; unter ihnen meine Mutter, Frau Römer und die feine, soeben pensionierte Schauspielerin, Frau Binder, meine nachmalige, dramatische Lehrerin, die trotz ihrer siebzig Jahre von Eleganz und Jugendreiz in Benehmen und Sprache umflossen war. Was sie mich in dieser Beziehung lehrte, blieb mir unvergessen im Gehör, und immer noch meine ich, bei bestimmten Stellen ihre jugendliche Stimme zu vernehmen. Als ich größer war, durfte ich – als die artigere – manchmal mitkommen, später waren wir beiden Kinder stete Gäste dieses gastfreien Hauses. In einer der ersten Gesellschaften, die Mama dort besuchte, war's, wo Frau Binder Hebels Alemannische Gedichte vorlas, die meine Mutter in- und auswendig kannte. Frau Binder erzählte, daß sie das Buch von einem Heidelberger Freunde in Breslau, – von Herrn Alban Loew (Mamas Vater) erhalten habe. Das war eine Freude und gewiß auch ein seltsamer Zufall, daß sie die einzige traf, die noch Erinnerungen an ihren Vater hatte. Bei Dietrichs sang Mama oft noch große Arien aus »Norma«, »Fidelio«, »Jessonda« und mit Frau Römer, die früher Opernsängerin gewesen und eine große, schöne Stimme hatte, die Normaduetten. Wenn Mama auch in den Stunden alles tausendmal vorsang, so war es dort, als etwas Ganzes, doch noch anders und prägte sich unauslöschlich meinem Ohre und Herzen ein.

Die Einförmigkeit des Prager Musiklebens wurde im Jahre 1863 von Ereignissen unterbrochen, die ich den Vorbereitungen zu meiner bevorstehenden Karriere, besser mit Auszügen aus meiner Mutter Briefen vorausschicke.

An Herrn F… B…
Bremen.

Prag, 12. März 1863.

»… Richard Wagner, mein alter Freund, war hier und hat ein großartiges Konzert gegeben. Er hat mich sehr ausgezeichnet; Lilli und ich waren einige Male bei ihm eingeladen. Er hat seine besten Freunde nicht besucht, zu mir ist er aber doch gekommen. Jetzt ist er wieder in Wien und in vierzehn Tagen in Petersburg. So gefeiert er auch ist, so hat der Arme doch nicht so viel, daß er leben kann. Besonders hat es mich gefreut, daß er sich noch so an alles erinnert hat, woran ich selbst nicht mehr dachte. Er hat in seinem Konzert ungeheuere Triumphe gefeiert, und ich bin sehr beneidet worden um seine Freundschaft …«

siehe Bildunterschrift

Marie Löw.

 

An denselben.

Prag, November 1863.

»… Der Komponist Wagner ist wieder hier; ich und mein Harfenschüler Stanek haben in seinem Konzert mitgewirkt. Die vielen Proben haben mich recht mitgenommen. Wir waren oft bei Wagner, er ist sehr lieb gegen uns und hatte Lilli gerne als Tochter adoptiert. Dafür hätte sich Lilli bedankt; auch ist er nicht alt genug, um den Vater zu spielen, von einer so großen Tochter …«

Wir waren täglich bei ihm, im »goldnen Engel«, beide Freunde hatten sich viel zu erzählen; doch war ich zu jung, um mich ihrer Gespräche genau zu erinnern. Ich weiß nur, daß mich Wagner stürmisch umarmte und so abküßte, daß mir angst und bang wurde und ich zu Hause weinend erklärte, nicht mehr hingehen zu wollen. Mama beruhigte mich, und schließlich ging ich doch wieder hin.

Als er im Herbst darauf wiederkam, wohnte er im »schwarzen Roß«. Er zeigte uns den großen silbernen Lorbeerkranz, den er soeben erhalten hatte und auf dessen Blättern seine sämtlichen Werke eingraviert waren; aber ich glaube mich recht zu erinnern, daß er den Kranz verhöhnte. (Wir haben's später nicht besser gemacht.) Diesmal bestand er darauf, daß ich ihm etwas vorsänge, was zur Folge hatte, daß er mich adoptieren wollte, weil ich ihm alle seine Werke vorsingen müsse. Mutter aber sagte, sein Feuer beschwichtigend: »Lassen Sie's gut sein, Richard, vielleicht singt sie später alle Ihre Werke. Jetzt ist Lilli zu jung, und Sie ein viel zu junger Vater!«

Daß Wagner mir damals einen sehr merkwürdigen Eindruck machte, ist nicht zu verwundern. Gelbdamastner Schlafrock, rote, oder rosa Kravatte, ein großer schwarzer Radmantel von Samt, mit rosa Atlas gefüttert (damit kam er auch auf die Proben) – so ging man nicht in Prag; ich starrte und staunte. Wie er mir aber damals als Mensch erschien, so blieb er mir immer. Seine Augen, sein Sprechorgan kannte ich von da an und vergaß sie nicht wieder. Was er mir schon damals mit seiner Musik, seinen Worten gab, machte einen tief ergreifenden, unauslöschlichen Eindruck auf mich; alles was ich davon gehört, blieb mir haften, so tief hatte sich alles meinem jungen Gedächtnis und Gemüt eingeprägt. Und heute noch stehe ich beim Anhören derjenigen Tonstücke, die ich damals in Prag vernahm, unter dem Banne des ersten jungen Eindruckes. Das war eine Offenbarung, wie sie Kindern wohl selten zuteil wird. Natürlich war ich auf alle Proben mitgenommen worden; darum klingt mir noch heute jede Note, jeder Rhythmus, jedes Tempo im Ohr wie damals. Meine Erinnerungen sind frisch, als wäre es gestern gewesen. Die letzte, orgelartige Fuge in der Faustouvertüre hat nie wieder so verklärend auf mich gewirkt; nie wieder habe ich den Walkürenritt so rhythmisch gehört wie damals, als Wagner selber jedes Instrument einzeln einstudierte; er nahm das Tempo gar nicht so hastig, wie es allgemein genommen wird, aber es wirkte bei weitem rhythmischer. Das Liebes- und Sehnsuchtsmotiv im Vorspiel zu Tristan, wie hat es nur mein junges Herz so mächtig ergreifen können? Denn ich wußte ja damals noch nichts von Tristan und Isolde; aber ich fühlte, daß es etwas Großes, Tiefernstes sein mußte, was da auf mich eindrang. Dieser erste Eindruck bestimmte vieles in meinem Leben, denn er weckte mein Verlangen nach mächtiger Kunst und tiefem Ausdruck. Leider erfuhr ich sehr viel später erst, daß ein ganzes Leben für das Studium der Technik dieser Kunst, des Ausdrucks seelischer Empfindungen, nicht hinreicht.


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