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4.

Nun der Flügel angeschafft war, stellten sich auch Gesangsschülerinnen ein. Interessant war's, daß später mehrere jüdische Vorbeter, – unter denen Leopold Landau, nachmals am Stadttheater zu Hamburg als lyrischer Tenor eine bedeutende Stellung einnahm, – zum Studium kamen, alle arm, mit schönen Stimmen, die sich dann auch wirklich ganz gut durchbrachten. Sehr komisch war auch, daß mehrere davon und andere jüdische junge Leute, am »langen Tag« oder der »langen Nacht«, wie sie es auch nennen, sich bei uns sattaßen, weil sie, wie sie sich ausdrückten, das lange Fasten nicht vertrügen. Hoffentlich sind sie darum doch selig geworden!

Mamachen, die im Orchester sowohl als Dame wie als Künstlerin eine Sonderstellung einnahm, durfte es schließlich wagen, eines von uns Kindern einmal mit ins Orchester zu nehmen. Jedermann verehrte sie und war bestrebt, ihr Aufmerksamkeiten und kollegiale Artigkeiten zu erweisen. Unter den jüngeren Mitgliedern des Prager Orchesters, die mit ihr dort zusammenwirkten, sind Kapellmeister Rebièek und Professor Halir zu nennen. Trotz aller Bescheidenheit konnte Mama aber auch sehr energisch sein, wenn es galt, sich gegen Unarten zu wehren.

Als einst ein jüngerer Kapellmeister sich solch eine Ungehörigkeit zuschulden kommen ließ, weil etwas nicht sofort stimmte, sagte sie ihm ebenso ruhig als entschieden: »Das verstehen Sie nicht.« Worauf keine Antwort mehr erfolgte, da er tatsächlich nichts von dem Instrument und dessen Behandlung verstand.

Als wir die »Drei Kronen« bezogen, nahm Mutter ein besseres Mädchen in ihren Dienst, das viel Bildungseifer besaß und zwei Gulden monatlichen Lohn erhielt. Emilie Drahota machte, gleich uns, alle Schularbeiten und lernte dabei was wir lernten, ohne dafür vorbereitet zu sein. Sie hatte aber einen »Spahn«, wie man zu sagen pflegt, der in späteren Jahren vollständig in Verrücktheit ausartete. Wie damals üblich, schlief sie in der Küche. Kam sie abends herein, um nochmals nach uns zu sehen, war sie weiß angetüncht wie ein Gespenst. Wir erschraken nicht, aber wir spürten nach und fanden endlich in ihrem Bette unsere zinnerne Puppensuppenterrine, in der eine kalkartige Pappe klebte. Sagen durften wir nichts, doch war ich besonders von nun an sehr aufmerksam auf alles, was sie trieb. Eines Abends, als wir Kinder längst im Bette lagen, hörte ich sie leise ins Zimmer treten. Sie ging an den dicht neben meinem Bett stehenden Schrank, in welchem Mama ihr Silber, sowie Kaffee und Zuckervorräte aufbewahrte, krabbelte in den Düten herum und sagte – vorsichtshalber – halblaut: »Na, kann ich denn die Löffel nicht finden?« und ging leise wieder hinaus. Ich wußte nun, daß sie Zucker genommen hatte. Andern Tags sah Mama des Mädchens Kleider nach, die in unserem großen Kleiderschrank hingen, und fand alle Taschen voll Kaffee und Zucker. Da alles immer offen stand, war zum Stehlen eigentlich kein Grund vorhanden; sie mußte denn die Vorräte anderweitig unterbringen. Nun wurde, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, alles verschlossen. Wenn Emmy sich abends aber im Bette herumdrehte, über schlechte Lage oder Schlaflosigkeit klagte, konnte ich mich nicht enthalten, mich zu rächen. Ich rief ihr zu: »Wie man sich bettet, so liegt man«, oder »ein gutes Gewissen ist das beste Ruhekissen«, das ich ihr mit einem gewissen dramatischen Ausdruck und großem Sarkasmus hinschleuderte. Sprichwörter machten aus mich selbst einen großen Eindruck, und darum hoffte ich auch, auf Emmy einen solchen damit hervorzubringen.

F. Kliemke sagt: »Ein Sinnspruch ist die Pforte zu einem Gedankenpalast. Die meisten Menschen betrachten nur die Pforte, treten aber nicht ein.« Ich aber bin in manchen dieser Paläste eingetreten. Es half mir mehr als alle Ermahnungen; vielleicht nur darum, weil ich mir einbildete, die Weisheit allein gefunden zu haben. Z. B. »Ein Nadelstich erspart hundert andere«; nie mehr ließ ich etwas ungeflickt. »Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht und wenn er auch die Wahrheit spricht.« Nie mehr log ich! Und so erzog ich mich selbst, auf Grund aller guten Lehren meiner Mutter und meiner ausgezeichneten Lehrer, ohne die, und meine eigene Natur, ich in solche Paläste nie die Lust einzutreten verspürt hatte. Ich handelte nach ihrem Sinn und brauchte einen Rückfall niemals zu befürchten. Nur eines der Sprichwörter begriff ich nie: daß einmal keinmal sein sollte! –

Von einem Advokaten Linhardt, der in unserem Hause wohnte, wurde Emmy zu einem Prozeß gegen ihren Bruder aufgestachelt, den sie samt ihrem kleinen Vermögen verlor. Die »Bildung« war ihr auch schon in den Kopf gestiegen. Sie wollte in »gräfliche« Dienste treten, lernte schneidern und frisieren, um nach Rußland zu gehen. Doch ehe sie so weit war, setzte Mama sie eines Tages vor die Türe, da sie gerade dazu kam, wie sie uns Kinder mißhandelte. Vielleicht waren wir sehr unartig gewesen? – Erst nach fünfzehn Jahren sollten wir sie in Berlin als altes Mütterchen wiedersehen. Sie hatte sich in Rußland einer religiösen Sekte angeschlossen, deren Führer ihr befahl: »allen irdischen Tand von sich zu werfen.« Gesagt, getan. Sie kam, um mir ihren in Prag einst mühsam gestickten Unterrock zu bringen, und um Ruhe zu erlangen, war ich gezwungen, ihn »gerührt« von ihr anzunehmen. Da wir mit der bereits Verrückten nichts anfangen konnten, setzte ich sie in den Zug nach Prag, gab ihr ein paar Taler mit auf den Weg und schickte sie so zu ihrem Bruder. Es dauerte aber kaum acht Tage, da stand sie schon wieder in unserer Stube. Obwohl sie meinte, »daß der Herr sie kleiden würde, wie die Lilien auf dem Felde«, redeten wir ihr doch zu, eine Arbeit zu ergreifen. Davon wollte sie aber nichts wissen. Mit einer zweiten Wegzehrung schickten wir sie fort. In Pirna hatte sie dann Unterkunft und Arbeit in einer Dynamitfabrik gefunden, wie sie bald darauf schrieb. Ein reicher Graf Luckner bewürbe sich um sie, es seien zwar noch Verwandte gegen die Heirat, doch habe der Graf ihr bereits eine Million Mark vermacht. Ob sie Gräfin geworden, hörten wir nicht mehr. Wahrscheinlich hatten die Arbeiter der Fabrik sich den Scherz mit der verrückten alten Schraube erlaubt, und hoffentlich ist sie gleich den Lilien auf dem Felde selig entschlafen.

Nachdem wir in Prag von diesem »Alp«, wie Mutter sie nannte, befreit waren, hielten wir noch eine Bedienung; eine Frau, die Wasser trug und alle groben Hausarbeiten verrichtete. Das andere besorgte Mama nun auch noch, und wir halfen so gut wir konnten. Dabei lernten wir die Hauswirtschaft führen und vieles kennen, das uns im Leben zu außerordentlichem Nutzen gereichte.


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