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9.

Hinter dem Roßtor, im Pstroszschen Garten, lag die Arena, Prags gemütliches Sommertheater. Ein ungedeckter, runder Holzbau mit Parkettsitzen und zwei Galerien, deren oberste mit Sonnensegeln abschloß. Vor den Gluten der Sonnenstrahlen war man dadurch geschützt; regnete es aber, so mußten Regenschirme herhalten, und wurde es gar zu arg, die Vorstellungen unterbrochen oder sogar ganz abgesagt werden. Von beiden Seiten des offenen Orchesterraumes trennte ein schmaler Gang den Zuschauerraum von der Bühne, zu der sich hier die Eingänge für die Mitglieder befanden. Quer gegen das Publikum zu standen große Arrangements von Topfgewächsen, die als grüne Kulisse die Gänge sowohl als die Treppen zum Orchesterraum verkleideten, und hinter diesen durchsichtigen Pflanzenschirmen standen wir Lehmannskinder und Berta Römer, so oft es Zeit und Umstande gestatteten, d. h. so oft es ausverkauft war und für die Mitglieder bzw. deren Angehörige keine Billetts gab. War dies nicht der Fall, saßen wir mit Mama im ersten Rang. Die Vorstellungen begannen kurz nach vier Uhr und endeten vor halb sechs, da allabendlich im Landestheater gespielt wurde. Man gab hauptsächlich Lokalpossen, mit großartigen Kräften. Skutta mit seinem großen, roten, so gutmütigen Gesicht, in dem zwei veilchenblaue Augen mehr sagten als alle Worte; der nur die Nase herauszustecken brauchte, um das Publikum in heiterste Laune zu versetzen. Dann die Perle aller Lokalsängerinnen, Therese Müller, die mir unter den Dutzenden, die ich nach ihr sah, keine vergessen machen konnte. Frau Rohrbeck, die erste »Rosl« Raimunds, in seinem »Verschwender«, von der ich in demselben Stück noch oft »das alte Weib« sah. Hassel, Markwordt, Dolt, Sekira, Feistmantel, Preißinger und wie sie alle hießen, die in den reizenden alten Possen: »Therese Krones«, »Alpenkönig und Menschenfeind«, »Bauer als Millionär«, »Verschwender«, »der Mord in der Kohlmessergasse«, und – nicht zu vergessen – »der Zauberschleier« spielten und gefeiert wurden; Stücke und Possen der guten alten Zeit, in denen man nicht nur lachen, sondern auch weinen konnte. Der »Zauberschleier« bot uns noch einen besonderen Reiz, weil Herr Römer den Maler darin spielte, die einzige und letzte jugendliche Liebhaberrolle, die man ihm anvertraute. Als 1859 das große Neustädter Theater eröffnet wurde, fiel die liebe Arena, in der uns und so vielen anderen so glückliche Stunden beschieden waren.

Direktor Thomé hatte Herrn Römer nach kurzer Zeit schon auf fünfunddreißig Gulden monatliche Gage heruntergedrückt. Wahrscheinlich glaubte er, daß ein Schauspieler, der nur kleine Rollen spiele, weniger zu essen brauche und seine Familie betteln gehen dürfe. Viel besser war's auch nicht. Römers waren bescheidener in ihren Ansprüchen, als man sich denken kann, und nur die Aussicht auf die einst so viel höhere Pension ließ Herrn Römer in den so kleinen Verhältnissen ausharren. Seine Frau hielt musterhafte Ordnung, machte nie einen Pfennig Schulden, schickte ihre Kinder aber nachmittags zu meiner Mutter und ging selbst, sobald ihre kleine Wirtschaft besorgt war, nachmittags zum Kaffee und Abendessen aus, während die Kinder jahrelang von Mama ernährt wurden. Auch unterrichtete sie Berta später umsonst im Gesang, so daß deren Ausbildung zur Sängerin Römers keinen Heller kostete.

Nun wurde im Neustädter Theater, in welchem nur Sommers gespielt wurde, die Hausinspektorstelle frei, um die sich Römer bewarb. Außer Wohnung, Licht und Holz gab es keinen Gehalt für die zu tuende Arbeit, aber es war das schon ein großer Gewinn. Römers, als brave, zuverlässige Menschen bekannt, erhielten denn auch die Stellung, die ihnen das Leben besserte.

Das Theater stand in einem großen Garten; Plätze und Dekorationsräume, zu denen man nur durch die Inspektorswohnung gelangte, lagen hinter dem Theater. Nun wurde der Schauplatz unseres Himmelreiches hierher verlegt, in die Dekorationshäuser und auf den großen freien Platz, wo Versatzstücke aller Arten lagerten. Jeder freie Nachmittag wurde dort verbracht. Herr Römer schlief, Frau Römer war zum Kaffee ausgeflitzt, und wir drei Mädels tummelten uns in alten Kleidern herum. Versteckten uns in zwanzigfach übereinander gelegten Flügeltüren, kletterten in Regionen, wohin wir nur mit Leitern gelangen, oft aber nicht herunter kommen konnten. Hier lagerte der große Dinorah-Wasserfallkasten, aus dessen umgestülpten Fluten Hoël-Steinecke seine verrückte Braut, die dicke Jenny Brenner-Dinorah, retten mußte, die so lange Triller machte, daß Jahn dabei den Taktstock hinlegte und auf die Uhr sah. Bei schlechtem Wetter machten wir Schularbeiten darin oder häkelten, strickten und lernten auswendig. Dort stand auf kleiner Anhöhe die Stradellagondel, in der Nachbauer-Stradella angerudert kam und in der wir uns bergab, bergauf schaukelten, bis die alten Planken krachten. Wie manchmal stand ich in Proben neben Mama, wenn sie Nachbauer das Ständchen in den lustigen Weibern auf der Bühne begleitete, wobei ihm abends gewöhnlich das hohe gis umschlug und sie ihn tröstete, wenn er ausgelacht wurde. Aber er versicherte immer wieder: »Frau Lehmann, Sie werden sehen, ich werde doch noch was; ich bin fleißig und habe den besten Willen, etwas zu erringen.« Er hat es zu einer schönen Stellung in München gebracht; ist nie ein großer Künstler gewesen, wohl aber ein sehr lieber, anständiger Mensch.


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