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[II. Buch]

II. Buch:
Meine Großeltern

Tante Amanda hatte recht. Mein Großvater, Alban Loew, hatte so gar nichts »Kaufmännisches« an sich, alles in ihm war Liebe zu Kunst und Natur. Eigenschaften, die fürs Geschäft nicht taugten, wohl aber einen sehr soliden Boden schufen, auf dem seine zweite Tochter, Marie (unsere liebe Mutter), und später ihre Töchter Lilli und Marie (unsere Wenigkeiten) ihre großen Karrieren zu gründen vermochten. Er ließ seine sehr begabten Kinder alles lernen, was ihm wert schien, schenkte meiner Mutter an ihrem sechsten Geburtstage eine große prachtvolle Pedalharfe (Doppelpedalharfen gab es zu der Zeit noch nicht), die er direkt aus Paris von Erard kommen ließ und die heute noch in meinem Salon steht. Möglicherweise war die alte Markgräfin von Baden, welche damals in Heidelberg lebte und mit den Großeltern in Verbindung stand, die Urheberin gerade dieses Gedankens, denn meine Mutter erhielt von ihr persönlich lange Jahre den Unterricht auf dem so schwierigen Instrument, das sie später so ausgezeichnet spielte. Es war damit der Grundstein zu ihrer feinmusikalischen Bildung gelegt, wozu sie Talent, Fleiß und Ernst prädestinierten.

War die Familie in der Schweiz zu Besuch, so bestieg Großvater Loew mit seinen Töchtern den Säntis und die umliegenden Berge, um tagelang mit ihnen zu botanisieren, dessen sich meine Mutter stets mit Entzücken erinnerte. Dort besonders, in erhabener Natur, legte er in der Kinder Herzen den Grund zu allem Guten, die unbegrenzte Liebe zu Tier und Pflanze. Er trieb Weltphilosophie mit ihnen, so jung und zart sie waren, und weckte all die schlummernden Keime, die sich später besonders in meiner Mutter so edel entfalteten.

Da nun aber auch meine Großmutter mehr Poetin als Geschäftsfrau war – sie hinterließ nach ihrem so früh erfolgten Tode ganze Bände von Gedichten und eine in französischer Sprache abgefaßte Geschichte Napoleons I. – so wird man nicht fehl raten, daß diesen beiden Loews ihr großes Leinen- und Kattungeschäft, das sie in Heidelberg führten, ihren Säckel nicht mit Goldbatzen füllte, trotzdem das Geschäft noch im Jahre 1875 ein bestrenomiertes war. Erst viel später kam es aus dem Besitze der Familie.

Das Heimweh, an dem die Großmutter litt, wurde manchmal durch kurze Aufenthalte in Gossau zum Schweigen gebracht, wohin sie selbst in Winterszeiten mit den Kindern reiste. Acht Tage lang dauerte die Fahrt im Schlitten von Heidelberg dorthin. Meine Mutter erinnerte sich genau dieser Fahrten und schreibt mir 1881 darüber, als ich in der Schweiz war:

»… Die Reise nach St. Gallen und Gossau hätte ich gerne mitgemacht. Ich kann Dir nicht sagen, wie wehmütig es mich gestimmt hat zu hören, daß Du den Ort meiner ersten Kindheit besuchst, in dem ich so viele freudige, aber auch schmerzliche Erinnerungen habe. Wenngleich schon im Alter von sieben Jahren dort weggekommen, so weiß ich doch noch jedes Haus, wo es steht, und könnte viele Menschen nennen, die darin gewohnt haben. Wenn Du daraus geachtet hast, so wirst Du über dem Bache drüben, ungefähr in der Mitte des Dorfes, schräg dem Kirchhof gegenüber, ein ziemlich großes zweistöckiges Haus gesehen haben, das war das unsere. Von dort aus habe ich als Kind vom Fenster aus oft die Appenzeller Alpen bewundert. Obgleich ich damals noch recht unwissend war, so habe ich doch schon die Empfindung für so viel Schönes gehabt, auch ohne daß mich darauf jemand erst hätte aufmerksam machen müssen. Ich will nur aufhören von den Kindererinnerungen, sie stimmen mich zu weich, und das tut mir jetzt nicht gut. Wenn Ihr nach Appenzell geht, so könnt Ihr auch daran denken, wenn Ihr den ersten Berg auf dem Fahrweg passiert, daß wir mit einem scheu gewordenen Pferd fuhren, vor dem Berg, der von der einen Seite einen tiefen Abgrund hatte, glücklicherweise in einen Graben geworfen wurden. Meine Mutter hatte meine jüngste Schwester in einen großen Muff gesteckt und das Kind wegen der großen Gefahr schon aus dem Wagen geworfen. Solche Eindrücke bleiben einem fürs Leben, nimm es nicht übel, wenn ich Dich damit belästige.«

Auch des alten 96jährigen »Großmütterli«, dem sie oft auf dem Schoß gesessen, erinnerte sie sich genau, meinte aber, sie sei sogar 99 geworden.

Kaum 34 Jahre alt, starb unsere Großmutter, wie so viele Alpenbewohner, am Heimweh, zu Heidelberg im Jahre 1817.

Nach ihrem Tode nahm Großvater ein Fräulein Charlotte von Arnstädt als Erzieherin seiner vier Töchter ins Haus, die er, ungefähr zehn Jahre später, heiratete, die ihn noch mit einem Sohne beschenkte.

Auf kürzeren Geschäftsreisen durfte ihn manchmal eine oder die andere der Töchter begleiten. Da geschah es, daß bei solch einer Fahrt im offenen Wagen die älteste, Emilie, von einer Biene in den Arm gestochen wurde. Man kehrte in einem Bauernhause ein, um nach Hilfe zu sehen, doch war ein Arzt nicht zur Stelle. Die Bäuerin aber, die gerade gebuttert hatte, schlug als geeignetstes Gegenmittel vor, des Kindes Arm in das Butterfaß zu stecken. Und so ritten zwar Vater und Kind nicht wie der Erlkönig schnell durch Nacht und Wind, sondern der Vater fuhr langsam mit Kind und Butterfaß ins nächste Städtchen, wo sie – nach langen Kreuz- und Querfragen am Stadttore – um Mitternacht beim Arzte ankamen. Das Faß mußte zerschlagen werden, da des Kindes Arm – bereits so angeschwollen – nicht anders mehr herauszubringen war. Als die drei ältesten Töchter später nach Frankfurt a. M. zogen, übersiedelte der Großvater mit der übrigen Familie nach Breslau, wo er um 1829 an der Cholera starb und Julchen ihm im Tode vorangegangen war.

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