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3.

In Prag fanden wir die Familie Römer vor, die Mama in Lemberg kennen gelernt hatte. Herr Römer war jugendlicher Liebhaber, seine Frau, des ausgezeichneten Prager Baritonisten Steinecke Schwester. Ihre Tochter Berta, zwei und ein halbes Jahr älter als ich, ein braves, fleißiges Kind, wie auch beide Eltern selten anständige, ordentliche Menschen waren. Da beide Familien fast immer dasselbe Haus bewohnten und wir Mädels dieselben Schulen besuchten, wurde ich Bertas intimste Freundin, die ich ihr auch geblieben bin. Daß sie nie die meine gewesen, erfuhr ich oft von anderen, doch glaubte ich nicht daran; Mißtrauen war mir fremd, und vieles zu entschuldigen hatte mich meine Mutter gelehrt. Eines Tages war ich aber doch gezwungen, die Wahrheit einzusehen, und es zerriß das alte Freundschaftsband, welches mich so lange an sie gefesselt hatte, für immer.

Nach und nach stellten sich auch andere alte Freunde meiner Mutter ein. Zuerst kam Schauspieler Hassel mit seiner Gattin Theodore, einem Patenkinde von Charlotte Buff. Man denke nur, ein Patenkind von Werthers und Goethes Lotte, deren Silhouette sie mitbrachte, und die wir darum als etwas ganz Besonderes betrachteten. Dann folgte die ganze Familie Birnbaum aus Kassel, deren Tochter Auguste mit dem Prinzen Friedrich von Hanau – des Kurfürsten Sohn – verheiratet war und trotz aller Versuche des Kurfürsten nicht geschieden werden konnte, weil die Trauung des Paares in London rechtsgültig stattgefunden hatte. Im Interesse der Wahrheit lasse ich hier die Tatsachen – einer rheinischen Zeitung entnommen – folgen, die Adolf Oppenheim in Bühne und Welt vor einigen Jahren besprach und mir hoffentlich den Nachdruck nicht übelnimmt.

Die Ehe des Fürsten Friedrich Wilhelm von Hanau mit Auguste Birnbaum.

Fürst Friedrich Wilhelm von Hanau, Sohn des letzten Kurfürsten Friedrich Wilhelm von Hessen-Kassel, geboren 1842, heiratete gegen den Willen des Kurfürsten in London Auguste Birnbaum, Schauspielerin am Hoftheater in Kassel, wo auch ihr Vater, der bekannte Komiker und Regisseur Birnbaum, engagiert war. Über diese Ehe sind so viele irrige Mitteilungen in die Öffentlichkeit gekommen, daß eine wahrheitsgetreue Darstellung dieser interessanten Affäre willkommen sein dürfte. Wir geben diese authentische Darstellung des Sachverhaltes nach den Auszeichnungen Birnbaums, die seine Gönnerin Amalie Stubenrauch übernommen, ebenso nach den ergänzenden Mitteilungen, die Birnbaum, der sonst gegen Fremde nicht sehr mitteilsam war, der Künstlerin machte. Birnbaum hatte nicht die geringste Ahnung, daß Fürst Friedrich von Hanau, Sohn des Kurfürsten von Kassel, seiner Tochter Gunstbezeugungen erweise, da der Fürst hinter seinem Rücken mit Auguste Birnbaum bei einer Freundin derselben zusammenkam. Eines Tages wurde Birnbaum ins Schloß zum Kurfürsten befohlen. Dort empfing ihn der Landesvater mit den Worten: »Birnbaum, er Kanaille – Tochter lasse festnehmen – einsperren, mein Sohn Filou. Auch einsperren, verstanden?«

Birnbaum, welcher, wie erwähnt, keine Ahnung von der Liebelei seines Kindes mit dem Fürsten von Hanau hatte, antwortete ruhig auf die Frage, ob er die Rede des Kurfürsten verstanden, mit: Nein! Den Kurfürst, eine aufbrausende Natur, machte zuerst die Antwort Birnbaums stutzig, dann stürzte er, die Hand zum Schlage ausholend, mit den Worten auf Birnbaum los: »Hündischer Komödiant!« In diesem Augenblick trat zum Glück der Adjutant mit einer Meldung ein. Als er den Kurfürsten mit erhobener Hand, zum Schlage gegen Birnbaum ausholend, sah, stürzte er zwischen diesen und Birnbaum, der, keuchend vor innerer Erregung, mit funkelnden Augen dastand, und wie der Adjutant erzählt, hätte der Schauspieler nach seiner Meinung, wenn er einen Schlag vom Kurfürsten empfangen, sich energisch zur Wehr gesetzt. Es entstand eine peinliche Pause, dann deutete der Kurfürst mit einer energischen Bewegung nach der Tür. Birnbaum entfernte sich ohne Gruß, aufrecht gehend, und der Kurfürst schleuderte ihm wieder die Worte »Hund und Kanaille« nach. Die Fürstin von Hanau hatte von dem Auftritt gehört und ersuchte den Adjutanten, Birnbaum nachzueilen und demselben das Wort abzunehmen, niemand von dem Vorfall zu erzählen. Birnbaum weigerte sich, das Wort zu geben, sprach aber, außer später mit Fräulein Stubenrauch, mit niemand über den Vorfall, sondern eilte nach Hause und stellte seine Tochter zur Rede. Was er in dieser Unterredung mit seiner Tochter erfuhr, war derart, daß er sofort den Prinzen Friedrich in dessen Palais aufsuchte, und was er von diesem forderte, war nichts mehr und nichts weniger, als seinem Kinde die Ehre wiederzugeben, die er unter dem heiligsten Versprechen der Ehe ihr geraubt. Prinz Friedrich, erst verwirrt, sammelte sich bald und schwor, daß er Auguste liebe, und versprach Birnbaum, das Wort, das er seiner Tochter gegeben, unter allen Umständen zu halten. Nur gab er ihm zu bedenken, daß sein Vater, nachdem er von dem Verhältnis mit Auguste erfahren, den ersteren erst recht beaufsichtigen werde und daß an eine Verheiratung unter diesen Umständen nicht zu denken sei. »Dann«, erklärte Birnbaum kurz entschlossen, »haben Sie zwei Menschenleben auf dem Gewissen, denn wenn vorher die Schande ruchbar wird, in die Sie meine Tochter gestürzt, und Sie nicht zu dem Kind Vater sein wollen, töte ich meine Tochter und mich selbst vor Ihrer Tür, und ich halte mein Wort, daraus können sich Hoheit verlassen!« Der Prinz beruhigte Birnbaum und bat ihn, jedes Aufsehen zu vermeiden. Er werde sein Wort halten und mit Auguste aus Kassel fliehen, jedenfalls sie sofort gegen die Verfolgung seines Vaters sicher stellen. Am selben Nachmittag noch erhielt Birnbaum durch einen Vertrauten die Mitteilung, daß der Prinz entschlossen sei, mit Auguste nach England zu entfliehen, um sich dort mit ihr trauen zu lassen. Der Kurfürst aber ließ seinen Sohn streng beaufsichtigen, und es gelang diesem nur durch eine List, in derselben Nacht aus Kassel mit Auguste Birnbaum zu entfliehen. Als am nächsten Tage die Flucht des Prinzen Friedrich dem Kurfürsten bekannt wurde, ließ er das Paar durch Militär und Gendarmerie verfolgen, Birnbaum verhaften, ins Schloß bringen und ihn dort festhalten. Mindestens zehnmal während des Tages stellte sich der Kurfürst vor Birnbaum, den er zu diesem Zweck in seinem Gefängnisse aufsuchte, und schrie ihn an: »Hündischer Komödiant! Ah Kanaille! Soll mir büßen!« Auf das Flehen der Fürstin von Hanau sowie der Umgebung des Kurfürsten wurde der arme Schauspieler endlich freigelassen, erhielt jedoch den Befehl, mit seiner Familie innerhalb zwölf Stunden das Land des Kurfürsten zu verlassen. Mobiliar, ja selbst die Kleider und Wäsche Birnbaums ließ der Kurfürst zurückbehalten. Diesen Gewaltakt begründete der Kurfürst damit, daß Birnbaum dem Fürsten von Hanau Geld und Geldeswert zu seiner Flucht gegeben. Damit die Flüchtigen weiter keine Unterstützung erlangen, behält der Landesvater Birnbaums Eigentum zurück. Es blieb unaufgeklärt, wie der Kurfürst die Mitteilung erhalten, daß Birnbaum, da er wußte, daß der Fürst bei seiner Flucht nicht über viel Geld zu gebieten hatte, ihm nicht nur sein erspartes Geld, sondern alles gab, was er im Notfall zu Geld machen konnte. So stand Birnbaum, als er die Ausweisung erhielt, mittellos da. Einige Kollegen erbarmten sich seiner und streckten ihm heimlich so viel vor, um mit seiner Familie nach Wiesbaden reisen zu können. Er glaubte in Wiesbaden ein Unterkommen zu erhalten oder wenigstens dort so lange verweilen zu können, bis er ein anderes Engagement gefunden; allein auf Betreiben des Kurfürsten von Hessen wies ihn die nassauische Regierung als »mittel- und engagementslosen Komödianten« aus. – Birnbaum wandte sich mit seiner Familie nach Prag. Auch hier folgte ihm die Rache des Kurfürsten, denn nach sechstägigem Aufenthalt wies ihn auf Betreiben aus Kassel die k. k. Statthalterei in Prag wegen »Mittel- und Erwerbslosigkeit« aus dem Kronlande Böhmen aus. Ein gleiches Geschick widerfuhr dem schwergeprüften Manne in Wien, wohin er sich mit Hilfe der Schauspieler, die für ihn in Prag Geld sammelten, wandte. In seiner Not erinnerte er sich einer früheren Kollegin – Fräulein Amalie Stubenrauch. Er wußte, daß sie beim König von Württemberg viel galt. Der alten Freundin und Kollegin klagte er brieflich sein Leid, und er hoffte durch eine Empfehlung der damals allmächtigen Stubenrauch in Stuttgart eine Unterkunft zu erreichen. Amalie Stubenrauch war eine große Künstlerin und ein mildtätiges, warmfühlendes Geschöpf. Sie nahm sich Birnbaums an, vermittelte nicht nur das Engagement, sondern gab ihm auch das nötige Geld, um sich in der schwäbischen Residenz häuslich einrichten zu können. Statt sich jedoch einzurichten, nahm Birnbaum das Geld und sandte es dem Fürsten Friedrich, welcher inzwischen Auguste Birnbaum in England geehelicht hatte, damit es dem jungen Paare ja an nichts fehle, – indes der alte Mann mit seiner Familie in der vollsten Bedeutung des Wortes darbte. Der Kurfürst veranlaßte die englische Regierung, dem jungen Paare Schwierigkeiten betreffs des Aufenthaltes in den Weg zu legen. Es flüchtete nach der Schweiz. Birnbaum machte Schulden und sandte dem Fürsten das Geld zum Lebensunterhalt nach der Schweiz. Inzwischen war der Kurfürst von Kassel nicht untätig; er wandte sich nach der Schweiz und verlangte die Ausweisung seines Sohnes. Der Bundesrat lehnte das Ansinnen ab. Nachdem dieses Manöver fehl schlug, sandte er einen Vertrauten an seinen Sohn und brachte es bei dem charakterschwachen Fürsten von Hanau dahin, daß er seine bürgerliche Frau, welche kurz vorher vorzeitig geboren und krank lag, in einem Hotel in Solothurn zurückließ und heimlich nach Kassel dampfte. Ein Telegramm der Tochter setzte den alten Birnbaum von dem schmählichen Verrat ihres Mannes in Kenntnis. Wieder half die Stubenrauch aus, und er sandte seiner Tochter Geld. Diese kehrte krank und gebrochen ins Vaterhaus nach Stuttgart zurück. Herr von Gall, der damalige Intendant des Königlichen Hoftheaters in Stuttgart, übernahm widerwillig, aber auf Betreiben von höherer Seite die Mission, Auguste, Fürstin von Hanau, sowie Vater Birnbaum zu bewegen, gegen eine Abfindungssumme den Fürsten frei zu geben. – Natürlich lehnten Vater und Tochter indigniert diese Zumutung ab. Die Briefe, die Auguste an ihren Mann, den Fürsten Friedrich von Hanau, schrieb, blieben bis auf einen unbeantwortet. Nur ein Schreiben erhielt Auguste von ihrem Manne. Es bestand in wenigen, offenbar diktierten Zeilen. Der Brief lautete: »Ich kam zur Erkenntnis, daß ich nur unter dem Drucke Ihres Vaters handelte, als ich mit Ihnen aus dem Hause meines allzeit gütigen, erlauchten Vaters floh. Ich wollte dadurch ein Eklat vermeiden, mit dem Ihr Vater mich bedrohte. Gewiß erkennen Sie mit mir, daß eine im Wahn und unter dem Druck herbeigeführte Verbindung unmöglich als recht bestehen kann. Ich hoffe, daß Sie ohne Zürnen meiner später gedenken, auch wenn ich nicht, dem Gesetz unseres Hauses folgend, gestatten werde, daß Sie künftig sich meine Gattin nennen, nachdem unsere Ehe, die wir im irrigen Wahn geschlossen, nach den Ansichten meines Vaters und aller Juristen ungiltig ist.« – Von diesem Augenblick siechte die Fürstin von Hanau vollends dahin. Der Tod erlöste sie endlich. Auf dem Friedhof zu Cannstatt, an der Ostseite der Umfassungsmauer, liegt sie begraben. Der Grabstein trägt die Inschrift:

Auguste,
Gemahlin Seiner Durchlaucht des Fürsten
Friedrich Wilhelm von Hanau

geborene Birnbaum, geb. am 9. November 1837,
gest. am 29. Juni 1862.

Dies ist der richtige Tatbestand der Ehe der Schauspielerin mit dem Fürsten. Karl Birnbaum, den das Unglück seiner Familie gebrochen, starb bekanntlich bald darauf während der Vorstellung »Die Karlsschüler« im Hoftheater zu Stuttgart, in welchem Stück er die Rolle des Sergeanten Bleistift spielte, am Schlagfluß. In seiner Tasche fand man ein kleines Zettelchen folgenden Inhalts: »Morgen, am Tage nach der ersten Aufführung der ›Karlsschüler‹, wird man meinen hoffentlich rasch und tödlich zerrissenen Leichnam auf den Eisenbahnschienen zwischen Feuerbach und Kornwestheim finden; ich bitte um ein freundliches Angedenken und um ein stilles, einfaches Grab an der Seite meines geliebten Kindes. Es bedarf keiner Inschrift.« Der arme, schwer geprüfte Vater wurde an der Seite seines Kindes gebettet.

Lange bevor Vater Birnbaum so plötzlich in seinem Beruf das Leben endete, starb in Prag, bei ihrer jüngsten Tochter, – der nachmaligen Frau von Ledebur – seine Gattin, nach langem schweren Leiden. Vier Wochen nach dem Tode ihrer Mutter sollte Auguste nach Cannstatt, um sich dort zu erholen. Mama, die sie unendlich lieb hatte, war ihr beim Packen ihrer Koffer behilflich, denn Auguste selbst konnte nichts mehr tun. Ein Lungenhusten hatte die blühende Frau zum Schatten gewandelt. Wie sie Mama bat, ihr dies und jenes noch mit »in den Sarg«, anstatt »in den Koffer« zu legen, meine ich noch immer zu hören. Nach wenigen Wochen hatte auch sie der Tod erlöst. Welch entsetzliche Zeiten hatten diese armen Menschen durchgemacht, und es waren nicht die letzten! Eine treue, langjährige Freundschaft verband unsere Eltern, und wir Kinder hatten viel Freundliches von ihnen erfahren. Wie glücklich schätzten wir uns, es ihnen durch treue Anhänglichkeit vergelten zu können.

Mama vergalt ja ohnehin alles tausendfach, was uns Kindern je Liebes von anderen widerfuhr! Dankbarkeit war eine Tugend, die sie uns täglich predigte und die sie selbst so gerne übte. Aber ich meine, daß sie stets die Gebende war und uns jedes geschenkte Bonbon durch das Vergrößerungsglas ansehen lehrte. Nur einmal, als uns eine Bekannte zu Faschingskrapfen einlud, und jedes von uns Kindern nur einen einzigen davon erhielt, da hatte sie nicht das Herz, uns von Dankbarkeit zu sprechen. Aber sie lud ihre Bekannten ein und buk prachtvolle Faschingskrapfen selber, daß wir Kinder uns nach Belieben satt essen konnten an dem leckeren Gericht.

Ehe die ganze Familie Birnbaum nach Prag übersiedelte und all das Elend über sie hereinbrach, waren Auguste und Josefine allein gekommen und verkehrten täglich bei uns. Auguste lernte bei Mama – die beide jungen Damen bemutterte – (umsonst) singen. Wenn sie mit den Frauen Hassel, Römer, Steinecke, der geistvollen Schauspielerin Burggraf und zwei bis drei anderen Prager Bekannten bei uns zusammenkamen, fand die Heiterkeit kein Ende. In unserer beschränkten Wohnung herrschte Mama mit Güte und Milde, bereitete den berühmten »Lehmannkaffee«, und die Damen Hassel und Steinecke brachten ihren unverwüstlichen Humor mit. Waren nicht Kaffeelöffel genug da, nahm Auguste von Schaumburg die »Rührgabel«, die noch lange sprichwörtlich bei allen Bekannten im Andenken blieb. Es kam sogar vor, daß die Heitersten des Kreises lebende Bilder stellten, wobei furchtbar viel gelacht wurde; doch kann ich mich auf Einzelheiten nicht mehr besinnen.


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