Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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T. E. Lawrence †

Mein Nekrolog

Ja, ich leide sehr unter dem Geldmangel, ich war ein Esel. Schon vor längerer Zeit hatte ich ausgerechnet, was ich brauchen würde, um mich zurückziehen zu können, und die Summe in Papieren angelegt. Alles übrige – was ich hatte und was ich verdiente – verbrauchte ich für Freunde, Bücher, Bilder, Motorräder und andere erlesene Liebhabereien.

Vor fünf Jahren stellte ich fest, daß ich, um mein Häuschen in Dorset ausbauen zu lassen, wohin ich gehen will, wenn ich die Fliegertruppe verlasse, Geld benötigte. So machte ich also die Übersetzung der Odyssee für die Amerikaner. Sie wurde schnell abgesetzt – außerordentlich schnell im Anfang: in wenigen Wochen 11 000 Exemplare zu 3,50 Dollar, und der Dollar stand hoch. So stürzte ich mich denn in den Ausbau meines Häuschens mit Dampfheizung, Bücherregalen, einem neuen Fußboden, Bad und Badeofen nach meinem eigenen Entwurf – immer im Bewußtsein der Sicherheit meiner Einkünfte.

Da beginnt der Dollar zu fallen. Die Krise stoppt alle meine amerikanischen Buchverkäufe. Auch die Zinsen meiner Anlagen beginnen zu sinken, und mein Einkommen schrumpfte zusammen. Mit den Einnahmen aus meinem Buch konnte ich nicht einmal die Architektenrechnung bezahlen. Es war zum Verrücktwerden. Denn ich hätte ja mehr zurücklegen können, wenn ich das geahnt hätte.

Um ruhig zu leben (ich fühle im tiefsten, daß mein Leben, mein Leben im wahren Sinn vorüber ist), muß ich noch 700 Pfund dazu haben. Mit Hilfe meiner Popularität kann ich das leicht erreichen. Noch leichter könnte ich das Zehnfache erreichen. Maß zu halten, das ist das Schwierige dabei. Ich beklage mich nicht über die Verhältnisse, sondern über mein schlechtes Rechnen. Ich schmeichle mir, mich auszukennen, und habe doch nicht die Zauberkunststücke des Schatzamtes mit der Geldentwertung vorausgesehen. Jetzt muß meine Ruhezeit durch Arbeit wieder unterbrochen werden. Der Teufel soll es holen!

Nun zu der Filmangelegenheit. Vergangenen Monat traf ich Alexander Korda. Daß er über mich einen Film bringen wollte, hatte ich nie ernst genommen. Aber die Gerüchte hörten nie auf, und so bat ich ihn um eine Zusammenkunft und erklärte, daß ich die ganze Geschichte unweigerlich ablehnen würde. Er war sehr nett und vernünftig – das überraschte mich an einem Filmregisseur – und war einverstanden, damit zu warten, bis ich gestorben wäre oder es mir überlegt hätte.

Was ist das bloß? Werde ich alt? Aber ich verabscheue den Gedanken, verfilmt zu werden. Die wenigen Filme, die ich sehe, bestätigen mir die Empfindung, daß sie oberflächlich und verfälscht sind . . . daß sie gewöhnlich sind, würde ich sagen, aber ich liebe die Gewöhnlichkeit einfacher Menschen. Die Schlechtigkeit der Filme jedoch kommt mir vor wie eine fein hergerichtete, niedrige Verderbtheit.

Aber die Wochenschauen sind meine große Liebe. Die Kamera ist vollkommen am Platz, wenn sie Journalistik treibt. Nur wenn sie schöpferisch sein will, dann wird sie unausstehlich. Korda erinnert mich an eine Ölgesellschaft, die oft gebohrt und zwei- bis dreimal Öl gefunden hat. Dann kauft sie sich von dem Ertrag weitere Optionen auf weitere Ölfelder. Einige mögen Öl liefern, andere nicht. Öl ist ein unsicheres Geschäft.

Nach der Erklärung der Finanzlage und der Betrachtung über den Film wollen wir uns mit dem Nekrolog beschäftigen.

Die Herren von der Totenkammer haben ganz recht, wenn sie ihr Material überholen wollen. Der Artikel, den sie über mich haben können, dürfte um fünfzehn Jahre zu alt sein. Wenn Du den Nachruf schreibst, dann lege nicht zuviel Gewicht auf das, was ich während des Krieges in Arabien tat. Die Lösung der Frage des Mittleren Ostens, die im Jahre 1921 Winston Churchill, Young und ich vornahmen – sie besteht heute noch in allen Teilen zu Recht – (wenn das alle anderen Friedensverträge nur auch täten!) –, ist nach meiner Meinung von größerer Bedeutung als alle meine Kämpfe.

Ich meine aber, daß auch diese Lösung geringere Bedeutung hat als mein Leben seit 1921, denn die Eroberung des letzten Elementes, der Luft, erscheint mir die einzige große Aufgabe unserer Zeit. Und ich bin zu der Überzeugung gelangt, daß heute nicht das einzelne Genie den Fortschritt bewirkt, sondern die Gemeinschaftsarbeit. Für mich sind es die vielen Lastwagenchauffeure, welche allnächtlich die Straßen Englands bevölkern, die aus unserer Zeit das mechanische Zeitalter machen. Und es sind die Fliegermannschaften und Mechaniker, die die Luft erobern, nicht die Mollisons und Orlebars.

Das Genie stößt vor, der gemeine Mann aber besetzt und besitzt. Deshalb bin ich in der Truppe geblieben und habe nach besten Kräften meine Pflicht getan, indem ich meine Fliegerkameraden lehrte, auf sich und ihre unscheinbare Pflichterfüllung stolz zu sein. Ich habe versucht, ihnen die Augen zu öffnen, und es ist mir bis zu einem gewissen Grad gelungen.

Das dauerte acht Jahre, und nun hatte ich in den letzten vier Jahren das besondere Glück, an einer kleinen Revolution teilzunehmen, und zwar im Bootsbau. Man hatte gedacht, wir hätten hier schon alles erreicht. Seit 1850 aber sind die Schiffe immer nur größer geworden. Als ich 1929 zu den Wasserflugzeugen kam, gab es nur von der Admiralität entworfene Typen. Sie hatten runde Rümpfe, die noch von den vorgeschichtlichen Einbäumen stammten mit einer Art Flosse, um das Rollen und Schlingern zu vermindern. Wenn sie sich bewegten, mußten sie ihr eigenes Volumen an Wasser vor sich verdrängen.

Jetzt – 1935 – baut die königliche Luftflotte keine Type nach Art von Schiffen mehr. Wir haben unsere eigenen Modelle erfunden, ausgewählt und entwickelt. Sie haben – bei gleicher Motorenstärke – die dreifache Geschwindigkeit ihrer Vorgänger, weniger Gewicht, geringeren Anschaffungspreis, mehr Rauminhalt, größere Sicherheit und größere Seetüchtigkeit. Wenn sie auf Touren kommen, heben sie sich aus dem Wasser und gleiten über seine Oberfläche. Sie können nicht rollen oder schlingern, da sie keine Pendelschwingungen kennen, sondern ein sorgfältig modelliertes Profil und scharfe Kanten haben.

Ich behaupte nicht, diese Boote gemacht zu haben. Sie sind aus der vereinigten Erfahrung, dem Geschick und der Erfindungsgabe vieler Menschen entstanden. Aber ich fühle – insgeheim –, daß sie es mir verdanken, daß sie entstehen konnten und eingeführt wurden. Die Zünftigen waren ihre fanatischen Feinde. Alle Marineflieger und die ganze Flotte sagten, sie würden zerschellen, untergehen, beschädigt werden und nicht zu lenken sein.

Heute beraten wir das Kriegsministerium bei der Neueinrichtung der Küstenverteidigung mit unseren Modellen, und die Marineleitung hat ihre modernisierten Schlachtschiffe damit ausgerüstet. Zugleich haben die Regierungen von Deutschland, China, Spanien und Portugal sie übernommen. Als wir sie erfanden, mußten wir neue Maschinen, neues Zubehör bauen, neues Metall, neue Holzarten, neues Material verwenden. Es waren fünf Jahre intensiven, auf ein Ziel gerichteten Fortschrittes. Nichts würde einer Anwendung unserer Prinzipien auf den Bau großer Schiffe entgegenstehen – wenn es nicht die menschliche Trägheit gäbe. Geduld! Aufhalten kann man uns nicht mehr.

Ich erzähle das nicht, um mich zu rühmen, sondern um zu erklären. Und hier komme ich auf die letzte Frage dieses Schreibens: auf die Veränderungen, die ich selbst durchgemacht habe seit jener Zeit nach dem Krieg, als wir in Oxford soviel Gemeinsames erlebten.

Mit den Veränderungen hast Du ganz recht. Ich versuchte damals zu schreiben. Vielleicht um Künstler zu werden (denn mein langer Bericht über den arabischen Aufstand hatte zeichnerischen Ehrgeiz und war mit großer Mühe in sorgfältiger Prosa geschrieben), mindestens aber, um geistig zu sein. Mein Hirn hatte zum Ziel, unantastbare Dinge zu schaffen. Aber das ist falsch, alles Geschaffene ist antastbar.

Was ich versuchte, war wohl, einen ideologischen Überbau über alles zu setzen, was ich getan hatte.

Nun, gelungen ist mir das nicht. Wenn ich mich mit Leuten verglich, die wirklich schreiben oder zeichnen konnten, dann merkte ich, daß ich nicht aus dem gleichen Stoff gemacht war.

Künstler – ich gebrauche das Wort im weiteren Sinn – erregen mich und ziehen mich an, verführen mich, anders zu sein als ich bin. Ich könnte beinahe ein Künstler sein, aber etwas in meinem Innern hemmt mich dabei. Wenn ich wüßte, was das ist, würde ich es Dir sagen oder wirklich ein Künstler sein. Aber ich kann es eben nicht.

Als ich diese Entdeckung an mir machte, änderte ich stracks die Richtung und ging zu den Fliegern, nachdem ich mit Winston die Verwicklungen im Osten gelöst hatte. Ich war dazu verpflichtet, denn ich war ein Grund mit zu diesen Verwicklungen. Wie gut hat es der Osten! Kein Teil der Welt hat mehr durch den Krieg gewonnen.

Aber wie gesagt, ich ging zu den Fliegern, um der Mechanik zu dienen, nicht als Führer, sondern als Teil der Maschine. Die Maschine, das ist der Schlüssel des Geheimnisses. Ich habe seither Sinn für Mechanik und bin ein guter Mechaniker, denn meine künstlerischen Versuche haben meinen Gesichtskreis bedeutend erweitert. Ich überlasse es den andern, zu beurteilen, ob ich gut gewählt habe oder nicht. Einen Vorteil hat es, Teil der Maschinen zu sein: man lernt, daß es nicht auf den einzelnen ankommt.

Eins noch: Du erinnerst mich daran, daß ich Dir damals, als ich zur Fliegertruppe ging, schrieb, es wäre für Menschen von heute dasselbe, wie im Mittelalter in ein Kloster zu gehen. Das trifft in mehr als einer Hinsicht zu: Wenn man sich den Maschinen ergibt, so entfernt man sich damit ganz von den Frauen. Die Maschinen haben nichts Weibliches an sich, keine Maschine hat das. Und ich glaube, keine Frau kann das Glück eines Mechanikers verstehen, der mit seinen geliebten Werkzeugen arbeitet.

Wie dieser Nekrolog entstand

Als man mir sagte, daß Lawrence seinen Verletzungen bei dem Motorradzusammenstoß erlegen sei, war die Erschütterung eine doppelte: Tiefer Schmerz um den toten Freund, dessen Treue und Hilfsbereitschaft ich fünfzehn Jahre lang erfahren hatte, und das erregende Gefühl des seltsamen Zufalls, daß sein letztes Schreiben an mich einen selbstverfaßten Nachruf enthält. Eine Londoner Zeitungsagentur hatte mich um einen Aufsatz über Lawrence ersucht, um ihn im Fall seines Todes im Archiv zu haben.

Ich schrieb im Scherz darüber an Lawrence, ob er ihn nicht selbst schreiben wollte. Seine Antwort war kein Scherz.

Es war kurz vor Beendigung seiner langen Dienstzeit als Fliegersoldat 338171 T.E. Shaw der kgl. Luftstreitkräfte, aber er hatte sich noch nicht recht an den Gedanken gewöhnt, sich in das kleine Haus in Dorsetshire zurückzuziehen, um dort sein Leben zu beschließen. Mochte er auch vorher mit romantischen Gefühlen an diese Zeit seines Lebens gedacht haben; es würden ihm seine Freunde fehlen und seine Arbeit.

Er schrieb: »Ich fühle im tiefsten, daß mein Leben, mein Leben im wahren Sinn vorüber ist«; und er sandte mir Material für das, was er seinen Nekrolog nannte.

Robert von Ranke Graves


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