Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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7. Aufbruch nach Syrien

Am 9. Mai 1917 waren alle Vorbereitungen beendet, und im Glanz der Nachmittagssonne verließen wir das Zelt Faisals. Er rief uns von der Höhe herab gute Wünsche nach, während wir davonritten. Scherif Nasir von Medina hatte die Leitung, ein Führer, wie man ihn sich nicht besser denken kann, und in seiner strahlenden Heiterkeit ein wahrer Segen für uns bei so gewagter Unternehmung.

Unser erster kurzer Tagemarsch endete beim Fort Sebeil, landeinwärts von Wedjh, wo die ägyptischen Pilger sich mit Wasser versorgen. Wir lagerten bei dem großen backsteinernen Wasserbehälter im Schatten der Palmen oder der Fortumwallung und behoben die Mängel, die sich beim ersten Marsch herausgestellt hatten. Auda und seine Sippe waren mit uns, ebenso Nesib el Bekri, der weltkluge Damaszener, der bei den Dorfsassen Syriens in Faisals Sinne wirken sollte. Er besaß Verstand und Haltung und zudem die Erfahrung einer früheren erfolgreichen Wüstenreise; seine heitere Ausdauer bei allen Zufällen und Schwierigkeiten – höchst selten bei Syriern – machte ihn zu einem Gefährten so recht nach unserm Sinn, ebenso wie seine politischen Fähigkeiten, seine Gewandtheit, seine gutmütig überzeugende Beredsamkeit und sein Patriotismus, der immer wieder die Oberhand gewann über die eingeborene Neigung zu Winkelzügen. Zum Begleiter hatte er sich Zeki, einen syrischen Offizier, gewählt. Als Bedeckung hatten wir fünfunddreißig Ageyl, unter Ibn Dgheithir, einem Mann, gleichsam eingemauert in seine Wesensart, ablehnend, unzugänglich, selbstherrlich. Faisal hatte uns einen Beutel von zwanzigtausend Pfund in Gold mitgegeben – alles, was er aufbringen konnte, und mehr, als wir erbeten hatten –, um damit die Neuangeworbenen zu besolden und dem Eifer der Howeitat den nötigen Nachdruck zu geben.

Zu den drei Ageyl meiner persönlichen Begleitung – Mukheymer, Merjan, Ali – war jetzt noch Mohammed gekommen, ein pausbäckiger, williger Bauernbursche aus einem Dorf im Hauran, und ferner der gelbwangige Gasim, ein aufgegriffener Flüchtling aus Maan, der zu den Howeitat in die Wüste entwichen war, nachdem er in einem Streit um Viehsteuer einen türkischen Beamten niedergeschlagen hatte. Vergehen gegen Steuereintreiber erschienen uns sehr sympathisch, und Gasim erhielt dadurch einen Nimbus von Verwegenheit, die er aber in Wirklichkeit gar nicht besaß.

Nach Dunkelwerden wurde aufgeladen, und wir zogen weiter. Nasir, unser Führer, kannte dieses Land fast so gut wie sein eigenes. Während wir durch die sternklare Mondnacht ritten, verweilten seine Gedanken sehnsüchtig bei seiner Heimat. Er erzählte mir von seinem steingepflasterten Haus mit den tiefgelegenen Hallen und dem hochgewölbten Dach, das die Sommerhitze fernhielt; von seinen Gärten mit jederlei Sorte von Obstbäumen und schattigen Pfaden, auf denen man, geschützt vor der Sonne, wandeln konnte. Er erzählte mir von dem Wasserrad über dem Brunnen mit den daraufgeknüpften ledernen Schöpfeimern, von Ochsen gezogen, die im Kreise auf einem Pfad hartgetretener Erde gingen; und wie dann das Wasser vom Behälter in die steinernen Rinnen längs der Wege floß oder den Springbrunnen speiste bei dem großen, weinumrankten Wasserbecken, gefaßt in blanken Zement, in dessen grüne Tiefe er und seines Bruders Familie zu tauchen pflegte um die Mittagszeit.

Bei all seiner gewöhnlichen Heiterkeit war Nasir doch nicht frei von gelegentlicher Schwermut; und in dieser Nacht machte er sich Gedanken darüber, warum er, ein Emir von Medina, reich, mächtig und wohlbehalten in seinem Gartenpalast, alles das aufgegeben hatte, um der schwache Führer verzweifelter Abenteurer in der Wüste zu werden. Seit zwei Jahren war er ein Geächteter, sich stets herumschlagend hinter der Front von Faisals Heer, auserwählt für jedes tolle Wagnis, Wegbahner für jeden Schritt vorwärts; und indessen hausten die Türken in seinem Palast, verwüsteten seine Obstbäume, fällten seine Palmen. Selbst der Brunnen, so sagte er, der seit sechshundert Jahren erklungen war vom Knarren der Ochsenräder, war verstummt; der Garten, von der Hitze ausgedörrt, war wüst und öde geworden wie die kahlen Hügel, über die wir ritten.

Nach vierstündigem Marsch ruhten wir zwei Stunden und erhoben uns mit der Sonne. Die Lastkamele, von der verwünschten Räude in Wedjh geschwächt, kamen nur langsam weiter und hielten sich ständig mit Grasen auf. Wir Reiter hätten auf unseren flinken Tieren leicht vorauseilen können, aber Auda, der den Marsch regelte, untersagte es im Hinblick auf die noch bevorstehenden Schwierigkeiten, für die unsere Tiere alle jetzt klug gesparte Kraft brauchen würden. So trotteten wir denn gelassen sechs Stunden lang dahin in sengender Hitze. Die Sommersonne in diesem Lande des weißen Sandes jenseits Wedjh blendete die Augen grausam, und der nackte Fels zu beiden Seiten des Weges strahlte Glutwellen aus, die uns Schwindel und Kopfschmerzen verursachten. Gegen elf Uhr vormittags waren wir erschöpft und weigerten uns, nach Audas Wunsch noch weiter zu marschieren. So machten wir halt und ruhten unter wenigen Bäumen bis gegen halb drei. Mittels doppeltgelegter Decken, die wir an überhängenden Zweigen der Dornbüsche befestigten, suchte sich jeder einen einigermaßen dichten, wenn auch immer wieder entweichenden Schatten zu verschaffen.

Nach der Rast ritten wir drei weitere, etwas angenehmere Stunden über flachen Boden, der sich allmählich zum Hang eines breiten Tales senkte; und dann erblickten wir gerade vor uns den grünen Garten von El Kurr. Weiße Zelte leuchteten zwischen den Palmen. Als wir absaßen, kamen Rasim und Abdulla, Mahmud, der Doktor, und selbst Maulud, der alte Kavallerist, heraus, um uns zu begrüßen. Sie teilten uns mit, daß Scherif Scharraf, den wir in Abu Raga, unserer nächsten Station, treffen wollten, für wenige Tage auf einer Streife unterwegs sei. Also hatten wir keine Eile und machten Feiertag für zwei Nächte in El Kurr.

Der Bewohner von Kurr, der einzige seßhafte Belluwi, der eisgraue Dhaif-Allah, arbeitete Tag und Nacht mit seinen Töchtern in dem kleinen, terrassenförmigen Gemüsegarten, den er von seinen Vorfahren ererbt hatte. Er war in einer Ausbuchtung am Südhang des Flußtales angelegt und vor der Winterflut durch eine breite Mauer aus Rohsteinen geschützt. In der Mitte lag ein Brunnen mit klarem, kaltem Wasser, und über ihm ragte ein Ziehbalken aus verwittertem Holz. Hier schöpfte Dhaif-Allah morgens und abends, wenn die Sonne tief stand, große Kübel mit Wasser und goß sie in Tonrinnen, die, den Garten durchziehend, bis zu den Wurzeln der Bäume führten. Er zog niedrige Palmen, um mit ihren breiten Blättern die Pflanzen gegen die Sonne zu schützen, die sonst in dem weitoffenen Tal alles Grün ausgedörrt hätte; hauptsächlich pflanzte er Tabak (seine ergiebigste Ernte) und in kleineren Mengen Bohnen und Gurken, Melonen und Aubergine, je nach der Jahreszeit.

Der alte Mann lebte mit seinen Frauen in einer Reisighütte unter den Bäumen. Unsere Politik schätzte er wenig – ob man denn, so fragte er, nach all den Plagen und blutigen Opfern etwa mehr zu essen und zu trinken haben würde? Wir suchten ihm sänftiglich beizukommen mit Begriffen wie Unabhängigkeit und mit der Freiheitsidee: Arabien den Arabern. »Ist nicht auch dieser Garten, Dhaif-Allah, ganz dein eigen?« Gleichwohl konnte er nicht begreifen, sondern richtete sich auf, schlug stolz an seine Brust und rief: »Ich – ich bin El Kurr.«

Aber wir waren ihm dankbar, denn abgesehen davon, daß er uns Sklaven des Magens ein rühmliches Beispiel von Genügsamkeit gab, verkaufte er uns auch Gemüse; und mitsamt den erbeuteten Konserven Rasims, Abdullas und Mahmuds hatten wir somit reichlich zu leben. Jeden Abend bei den Feuern hatten wir Musik, nicht das monotone, krächzige Rohren der Stämme oder die aufreizenden Gesänge der Ageyl, sondern die Falsett-Vierteltöne und Triller der städtischen Syrier. Maulud hatte Musiker in seiner Abteilung, und jeden Abend wurden ein paar verschämte Krieger herangeholt, die Gitarre spielten und Kaffeehausschlager aus Damaskus oder Liebeslieder aus ihren Heimatdörfern vortrugen.

Im ganzen Lager blieb es totenstill, bis die letzte Strophe verklang, und ein sehnsüchtig seufzendes Echo folgte jedesmal der letzten Note. Nur der alte Dhaif-Allah stand, unentwegt Wasser schöpfend, am Brunnen, überzeugt, daß noch jemand kommen und von seinem Grünzeug kaufen werde, sobald wir mit unseren Torheiten zu Ende waren.

Für uns Städter war dieser Garten eine Erinnerung an die Welt, wie sie gewesen war, bevor wir kriegswütig auszogen und uns selber in die Wüste hetzten. Für Audas Geschmack aber lag in dieser Pflanzenfülle ein fast geiles Übermaß, und er sehnte sich nach der kargen Leere der Wüste. So wurde unsere letzte Nacht im Paradies abgekürzt, und um zwei Uhr morgens zogen wir talauf. Es war pechfinster, und selbst die Sterne konnten nicht mit ihrem Licht bis in die Tiefe unseres Weges dringen.

Auda führte, und, um sich in der Dunkelheit bemerkbar zu machen, stimmte er lautschallend ein Lied der Howeitat an; es war ein ewiges »Ho-ho-ho« auf drei Baßnoten, immer auf und ab, vor- und rückwärts, und mit so vollquellender Stimme gesungen, daß die Worte unverständlich blieben. Bald aber waren wir ihm dankbar für die Singerei, denn der Weg bog links ab, und in langgezogener Reihe folgten wir dem Klang seiner Stimme, deren Echo in den schwarzen, schroffen, mondbeschienenen Felsklippen widerhallte.

Erst als die Sonne hoch am Himmel stand, machten wir, erschöpft vom langen Nachtritt, halt. Das Frühstück wurde aus unseren eigenen Mehlvorräten bereitet, so daß endlich, nach all den Tagen der Gastfreundschaft, die Last unserer armen Kamele ein wenig erleichtert wurde. Da Scharraf noch nicht in Abu Raga war, brauchten wir den Marsch nicht stärker zu beschleunigen, als es die Schwierigkeit der Wasserbeschaffung notwendig machte. So spannten wir nach dem Essen wieder unsere Decken als Dächer aus und ruhten bis zum Nachmittag, verdrießlich dem ständig entweichenden Schatten nachrutschend, in Schweiß gebadet und unablässig geplagt von Fliegenstichen. Am Morgen ritten wir um fünf Uhr ab. Die Talwände drängten sich zusammen, und in schroffem Anstieg ging es um einen vorspringenden Grat. Der Weg wurde zum bröckeligen Ziegenpfad, der in steilen, kaum gangbaren Zickzacklinien die Höhe erklomm. Wir saßen ab und führten die Kamele am Kopfgestell. Bald mußte man sich gegenseitig helfen; an den schwierigen Übergängen wurden die Tiere teils gezogen, teils geschoben, und man stemmte sich gegen die Lasten, um das Gewicht zu erleichtern.

Stellenweise wurde es geradezu gefährlich, wenn vorspringende Felsen den Pfad verengten, so daß die innere Seite der Last anstreifte und die Tiere hart an den äußersten Rand des Abgrundes gedrängt wurden. Wir mußten abladen und umpacken; und trotz aller Vorsicht büßten wir zwei unserer schwächeren Kamele ein. Die Howeitat stachen sie gleich an der Stelle ab, wo sie zusammengebrochen waren, indem sie den Kopf auf den Sattel zurückbogen, dadurch den Hals straff spannten und den scharfen Dolch in die Schlagader oberhalb der Brust stießen. Die Tiere wurden dann sofort zerlegt und das Fleisch verteilt. Endlich öffnete sich vor uns ein steiler Abstieg zum Grunde eines sandigen, mit Gestrüpp bewachsenen Tales, beiderseits eingeschlossen von Abstürzen und Zinnen aus Sandstein, die, je tiefer wir stiegen, desto höher wuchsen und sich hart gegen den Morgenhimmel absetzten. Wir schlängelten uns immer weiter den Schlund hinab, bis wir, nach einer halben Stunde um eine jähe Ecke biegend, den Wadi Djizil betraten, eine tiefe Schlucht, etwa zweihundert Yard breit.

Das Lager schlugen wir auf einer unkrautbewachsenen Sandbank auf, an einer Biegung des Tales, wo der verengte Strom ein hohles Becken ausgewaschen hatte, in dem sich ein Rückstand der letzten Winterflut staute. Wir sandten einen Boten nach einem Oleanderdickicht, aus dem man die weißen Spitzen von Scharrafs Zelten leuchten sah. Scharraf selbst wurde erst am nächsten Tag erwartet; und so verbrachten wir zwei Nächte in diesem seltsam farbigen, vom Echo widerhallenden Tal. Das Brackwasser des Tümpels war trinkbar für die Kamele, und zu Mittag badeten wir darin. Dann wurde gegessen und ausgiebig geschlafen. Später wanderten wir in die nahen Seitentäler und sahen mit Entzücken die prachtvollen Färbungen: Querstreifen in rosa, braun, gelb und purpurn, die in den mannigfachsten, feinsten Schattierungen über das Grundrot der Felsen liefen. Nachmittags ruhte ich bei einer Schafhege aus Sandsteinblöcken; die Sonne schien, die Luft war mild und rein, und der Wind tupfte und zupfte an dem bröckeligen Mauerrand mir zu Häupten. Das Tal atmete Frieden, und selbst der Wind schien ruhevoll mit seinem eintönigen Gesäusel.

Ich hatte träumend die Augen geschlossen, als eine jugendliche Stimme mich aufblicken ließ. Ich sah einen mir unbekannten Ageyl mir zu Füßen kauern, offenbar in großer Bekümmernis. Er nannte sich Daud und bat flehentlich um meinen Beistand. Sein Freund Farradj habe bei einem übermütigen Streich ihr gemeinsames Zelt verbrannt, und Saad, der Hauptmann von Scharrafs Ageyl-Abteilung, habe seinem Freund zur Strafe Prügel zudiktiert. Wenn ich ein Wort für ihn einlegte, würde ihm die Strafe erlassen werden. Zufällig kam Saad, der mich besuchen wollte, gerade dazu. Ich stellte ihm die Sache vor, während Daud, uns beobachtend, abseits saß, den Mund vor Erwartung halb geöffnet, die Lider über großen, schwarzen Augen zusammengekniffen und die klaren Brauen gerunzelt in ängstlicher Spannung. Seine etwas nach innen stehenden Pupillen gaben ihm den Ausdruck lauernder Sprungbereitschaft.

Saads Antwort war wenig tröstlich. Mit dem Paar wäre immer etwas los, und zuletzt wären ihre Streiche so toll geworden, daß der gestrenge Scharraf befohlen hatte, ein Exempel zu statuieren. Er könnte nichts weiter tun, aber mir zu Gefallen wollte er anordnen, daß Daud sich mit seinem Freund in die verhängte Strafe teilen dürfte. Daud sprang auf vor Glück, küßte meine und Saads Hand und rannte talaufwärts davon, während Saad mir lachend allerlei Geschichten von diesem berühmten Paar erzählte. Sie waren ein Musterbeispiel orientalischer Knabenliebe, die eine unvermeidliche Folge der strengen Absonderung der Frau ist. Derartige Freundschaften führten oft zu männlicher Liebe von einer Kraft und Tiefe, von der sich unsere einseitig auf das Erotische eingestellte Anschauung keinen Begriff machen kann. Im Stande der Unschuld waren diese Freundschaften von einer unbefangenen Leidenschaftlichkeit. Trat das Geschlechtliche hinzu, so verwandelten sie sich in eine rein sinnliche Beziehung des Gebens und Nehmens gleich einer Ehe.

Am nächsten Tag war Scharraf noch nicht zurück. Vormittags saß ich mit Auda zusammen, und wir sprachen über den bevorstehenden Marsch, während Nasir mit Daumen und Zeigefinger brennende Streichhölzer von der Schachtel über sein Zelt zu uns herüberschnippte. Während wir uns solchergestalt vergnügten, kamen zwei gebeugte Gestalten, Schmerz in den Augen, aber ein verzerrtes Lächeln in den Lippen, angehumpelt und grüßten. Es waren Daud, der Hitzige, und sein Geliebter Farradj, ein schöner, feingliedriger, mädchenhafter Jüngling mit unschuldigem, glattem Gesicht und verschwimmendem Blick. Sie erklärten beide, daß sie mir zu Diensten ständen. Ich brauchte niemanden und lehnte unter dem Vorwand ab, daß sie nach den Prügeln ja doch nicht reiten könnten. Sie wandten ein, sie würden auf ungesattelten Tieren reiten. Ich sagte, ich wäre ein bedürfnisloser Mensch und liebte keine Dienerschaft um mich her. Daud wandte sich ab, verletzt und zornig. Farradj jedoch machte geltend, daß wir doch Leute brauchten, und sie würden bei mir bleiben ohne jeden Entgelt. Während der männlichere Daud schmollend abseits stand, wandte sich Farradj an Nasir und kniete flehend vor ihm nieder, wobei alles Weibische seines Wesens so recht zum Vorschein kam. Am Ende nahm ich auf Nasirs Rat die beiden zu mir, hauptsächlich um ihres jugendlich unschuldigen Aussehens willen.

Am Morgen des dritten Tages kehrte Scharraf zurück. Er hatte an der Eisenbahnlinie Gefangene gemacht, außerdem Geleise und eine Unterführung in die Luft gesprengt. Ferner brachte er die Nachricht, daß sich im Wadi Diraa, auf unserem Wege, Süßwassertümpel vom jüngsten Regenguß her angesammelt hätten. Das verkürzte die wasserlose Strecke nach Fedjr um fünfzig Meilen.

Am nächsten Tag verließen wir Abu Raga. Auda führte uns durch ein ihm tributpflichtiges Tal, das sich bald zur Ebene von Schegg weitete. Die sandige Fläche war weithin mit Blöcken und Felsen aus rotem Sandstein übersät, aufgetürmt wie groteske Eisberge und an ihrer Basis von Sandstürmen unterhöhlt, so daß sie jeden Augenblick umzufallen und den Weg zu blockieren drohten. Dieser führte in unendlichen Windungen zwischen den Steininseln hindurch und schien immer wieder in ausgangslosen Engpässen zu endigen, aus denen sich dann stets eine neue scheinbare Sackgasse öffnete. Auda geleitete uns ohne das geringste Zögern durch diesen Irrgarten, auf seinem Kamel vor uns herschaukelnd, die Ellenbogen erhoben und mit den Händen über die Schultern weg schwingende Zeichen gebend.

Man sah nicht die geringste Fußspur, denn jeder Windstoß fegte wie eine große Bürste über den Sandboden, jede neue Fährte verwischend, bis die Fläche wieder zu einem einzigen, jungfräulich unberührten Gekräusel zahlloser winziger Wellen geworden war. Nur der trockene Kamelmist, geformt zu runden Kugeln in Walnußgröße und leichter als der Sand, rollte darüber hinweg und wurde von den wirbelnden Winden in Ecken aufgehäuft. Daran vielleicht, abgesehen von seinem unvergleichlichen Ortssinn, erkannte Auda den Weg.

Als wir etwa den halben Marsch hinter uns hatten, sahen wir fünf oder sechs Reiter aus der Richtung der Eisenbahn uns entgegenkommen. Ich ritt mit Auda an der Spitze, und wir fühlten jenen köstlich erregenden Augenblick einer jeden Begegnung in der Wüste: »Freund oder Feind?«, während wir uns vorsichtig nach der günstigen Seite hinüberschlugen, die den Arm für den Schuß freigab. Doch als die Reiter näherkamen, sahen wir, daß sie zu den arabischen Truppen gehörten. Der Vorderste, der nachlässig auf einem starkknochigen Kamel saß mit dem plumpen Holzsattel der britischen Kamelreiterkorps, war ein blonder Engländer mit struppigem Bart und zerrissener Uniform. Er mußte, meiner Vermutung nach, Hornby sein, der verwegene Ingenieur und Schüler Newcombes, mit dem er wetteiferte bei der Zerstörung der Eisenbahn. Ich sah ihn zum erstenmal, und nachdem wir uns begrüßt hatten, erzählte er uns, daß Newcombe vor kurzem nach Wedjh gegangen war, um sich mit Faisal über die Schwierigkeiten und die Mittel zu ihrer Behebung zu besprechen.

Bei Sonnenuntergang erreichten wir den Nordrand des Feldes mit den Sandsteinruinen und gelangten auf eine weitere, sechzig Fuß höher gelegene Ebene von vulkanischem Charakter und blauschwarzer Färbung. Sie war bedeckt mit verwitterten, etwa faustgroßen Basaltstücken, fein säuberlich wie Kieselpflaster zusammengepackt über einer harten, schwarzen Schicht ihres eigenen, fein geriebenen Schutts.

Trotz der völlig klaren Nacht war es sehr dunkel, denn das schwarze Gestein am Boden schluckte das Sternenlicht auf, und als wir endlich um sieben Uhr haltmachten, waren nur vier von unserer Abteilung zur Stelle. Wir lagerten in einem flachen Flußbett, mit sandigem, weichem, noch etwas feuchtem Untergrund und von Dorngebüsch bestanden, das leider zu Kamelfutter nicht taugte. Wir machten uns daran, die bitteren Sträucher mit der Wurzel auszuraufen und zu einem großen Haufen zusammenzutragen, den Auda dann anzündete. Als das Feuer um sich griff, kroch eine lange, schwarze Schlange aus dem Gesträuch hervor auf uns zu; wir mußten sie wohl in erstarrtem Zustand mit eingesammelt haben. Die Flamme leuchtete über die schwarze Fläche hin, ein Signalfeuer für die Nachzügler, die so weit zurück waren, daß die letzte Gruppe erst nach zwei Stunden eintraf: alle aus voller Kehle singend, teils um sich und die hungrigen Kamele bei dem Marsch über die geisterhafte Ebene zu ermutigen, teils, um sich schon von weitem als Freunde kenntlich zu machen.

Während der Nacht verliefen sich einige der Kamele, und die Leute mußten sie suchen gehen. Darüber wurde es fast acht Uhr, bis wir, nachdem wir Brot gebacken und gegessen hatten, wieder aufbrachen. Unser Weg führte uns weiter über Lavafelder, aber jetzt, da wir vom Morgen frisch gestärkt waren, kamen sie uns weniger steinig vor; auch waren sie oftmals von Dünen und Sandschichten wie mit einer weichen Decke überzogen, auf der es sich ging wie auf einem Tennisplatz.

Zu Mittag machten wir auf kahlem Boden ausnahmsweise eine Rast bis gegen drei Uhr, denn wir fürchteten, daß unsere abgehetzten Kamele, die nur die sandigen Wege der Küstenebene gewohnt waren, sich die weichen Hufe durch die harten, sonnendurchglühten Steine verbrennen und lahm laufen würden. Als wir dann weiterritten, wurde der Weg schwieriger, und wir mußten fortwährend weite Felder mit getürmten Basaltblöcken oder gelbe, ausgetrocknete Wasserläufe umgehen, die sich durch die harte Kruste tief in das weichere Gestein darunter eingeschnitten hatten. Allmählich brach wieder roter Sandstein in tollen Schornsteinformen durch, aus deren weichem, bröckeligem Gestein die härteren Lagen in messerscharfen Schichten herausragten. Schließlich wurden diese Ruinen aus Sandstein so dicht und häufig wie gestern und standen um unsern Weg gruppiert in den gleichen, von Schatten und Licht gescheckten Hohlräumen. Wiederum bewunderten wir die Sicherheit, mit der uns Auda durch dieses Felsenlabyrinth führte.

Dann öffnete sich der Weg, und wir kamen von neuem über vulkanischen Boden. Er war mit kleinen narbigen Kratern bedeckt, oft zwei oder drei dicht beisammen, von denen hochgeschichtete Basaltmoränen wie Straßenschotter hinabliefen. Zwischen den Kratern lag der Basalt in kleinen, tetraederförmigen Stücken mit abgeschabten und gerundeten Ecken, Stein an Stein gefügt, wie Mosaik auf einem Untergrund von gelbem Lehm. Die Wege über solche Flächen waren leicht erkennbar, denn der schwere, gleitende Schritt der darüber hinziehenden Kamele hatte die Steine zur Seite geschoben, und der Regen hatte Lehm in die entstandenen Löcher gespült, die sich nun blaß gelblich gegen das blaue Gestein abhoben. Weniger begangene Wege sahen aus wie schmale Leiterstege, die auf Hunderten von Yard über die Steinfelder führten, denn zwischen den ausgetretenen und lehmgefüllten Löchern waren Ränder und Risse aus blaugrauem Gestein, gleichsam wie Sprossen, stehengeblieben. Nach solchen Strecken über Steinfelder folgte dann gewöhnlich eine Fläche aus jettschwarzem Basaltschutt, durch den sonnengedörrten Lehm zu einer festen Masse zusammengepappt, und danach ein Tal von weichem, schwarzem Sand und zahlreichen daraus aufragenden Sandsteinklippen oder angewehten Dünen aus dem roten und gelben Verwitterungsschutt des Sandsteins.

Schließlich wies Auda auf einen etwa fünfzig Fuß hohen Wall aus großen gewundenen Blöcken, aufgetürmt und ineinandergeschoben, wie sie bei der Abkühlung erstarrt waren. Es war die Grenze der Lava, und als wir sie erreicht hatten, öffnete sich vor uns ein welliges Tal (der Wadi Ais) mit goldgelbem Sand und dünnem Strauchwerk, auch grünen Rasenflächen hie und da und einzelnen, sehr kleinen Wasserlöchern, die aber nach den Regenfällen vor drei Wochen schon von anderen vor uns ausgeschöpft waren. Hier lagerten wir, und die abgeladenen Kamele wurden bis Sonnenuntergang auf die Grasflächen getrieben, wo sie zum erstenmal seit Abu Raga ausgiebig weiden konnten.

Während sie weithin im Tal verstreut waren, erschienen Reiter am östlichen Horizont und hielten auf die Wasserstellen zu. Nach ihrem Heranjagen zu urteilen, hatten sie offenbar keine ehrlichen Absichten und begannen denn auch auf die Leute bei den Kamelen zu feuern. Wir im Lager besetzten rasch die Klippen und Talränder, schossen und schrien. Als sie erkannten, daß wir so zahlreich waren, nahmen sie Reißaus, so schnell ihre Kamele laufen konnten; und wir sahen sie, knapp ein Dutzend an Zahl, in der Dunkelheit gegen die Eisenbahnlinie hin flüchten. Wir waren sehr erfreut zu sehen, daß sie uns so sorgfältig mieden. Auda meinte, es wäre eine Patrouille der Schammar gewesen.


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