Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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9. Feste bei den Stämmen

Am Morgen machten wir einen flotten Marsch von fünf Stunden (nach der gestrigen Ruhepause waren unsere Kamele sehr munter) und erreichten eine Oasenniederung mit verkrüppelten Palmen, einzelnen Tamariskenbüschen und reichlichem Wasser, etwa sieben Fuß tief und süßer als das von Arfadja. Doch erwies es sich beim Gebrauch ebenfalls als echtes »Sirhanwasser«: frisch getrunken war es noch erträglich, nahm aber keine Seife an, und nach zweitägiger Aufbewahrung im geschlossenen Gefäß entwickelte es einen fauligen Geruch und penetranten Geschmack, der in Kaffee, Tee oder Brot jedes Aroma verdarb.

Wir waren in der Tat dieses Wadi Sirhan herzlich überdrüssig, trotzdem Nesib und Zeki bereits großartige Pläne entwarfen für Anpflanzungen im Sirhan und sonstige Verbesserungen durch die arabische Regierung, sobald sie erst einmal errichtet wäre. Solche hochschweifende Phantasie ist typisch für den Syrier, der sich leicht allerlei Möglichkeiten einredet, um ebenso rasch davon abzulassen und die Verantwortung für das augenblicklich Notwendige auf andere abzuschieben. »Zeki«, sagte ich eines Tages, »dein Kamel ist voller Räude.« »Ja, leider«, stimmte er bekümmert zu, »heute abend, ganz sicherlich, wenn die Sonne untergeht, werden wir ihm das Fell gründlich einsalben.«

Beim nächsten Ritt machte ich ihn nochmals auf die Räude aufmerksam. »Ja, richtig«, meinte Zeki, »das hat mir einen glänzenden Gedanken eingegeben. Nämlich die Errichtung einer staatlichen Veterinäranstalt für Syrien, wenn Damaskus erst uns gehört. Wir werden einen Stab geschickter Ärzte haben, nebst einer Schule natürlich, für Kandidaten und Studenten, in einem Zentrallazarett oder besser mehreren Zentrallazaretten für Kamele und für Pferde, für Esel und Rinder und sogar (warum nicht?) für Schafe und Ziegen. Es muß wissenschaftliche und bakteriologische Abteilungen geben, um Forschungen anzustellen über Heilmittel gegen Tierkrankheiten. Und wie wäre es mit einer Bibliothek ausländischer Bücher? . . . und Bezirkslazaretten, die die Zentralstelle versorgen, und reisenden Inspektoren . . .?« Unter eifriger Mitarbeit von Nesib teilte er Syrien in vier Generalinspektionen und mehrere Unterinspektionen ein.

Am nächsten Tage kamen wir wieder auf die Räude zu sprechen. Beide hatten ihr Werk beschlafen und den Plan noch weiter ausgestaltet. »Aber trotzdem, mein Lieber«, meinte Zeki, »ist er noch unvollkommen, und es ist nun mal unsere Art, uns nicht eher zufrieden zu geben, als bis die letzte Vollendung erreicht ist. Es bekümmert uns zu sehen, wie ihr euch so leicht mit dem bloß Möglichen zufrieden gebt. Es ist das ein Fehler der Engländer.« Ich erwiderte, auf ihre Art eingehend: »O Nesib«, sagte ich, »und o Zeki, würde nicht Vollkommenheit, selbst im geringsten der Dinge, das Ende der Welt bedeuten? Sind wir Menschen dafür reif? Bin ich unzufrieden, so bitte ich Gott, unsern Erdenball in die glühende Sonne zu schleudern und das Leid der noch ungeborenen Kreatur zu verhüten; bin ich aber zufrieden, so wünsche ich mir nichts, als im Schatten zu liegen, bis ich selbst zum Schatten werde.« Unbehaglich wechselten sie das Thema und sprachen von Gestüten. Am dritten Tag verendete das arme Kamel, »weil«, wie Zeki sehr richtig herausfand, »ihr es nicht eingerieben habt.« Auda, Nasir und wir andern hielten durch ständige Pflege unsere Tiere marschfähig. Wir hofften das Fortschreiten der Räude gerade noch so lange aufzuhalten, bis wir das Lager eines wohlversorgten Stammes erreichen würden, wo wir uns Medizinen verschaffen und die Krankheit nachdrücklich bekämpfen könnten.

Ein Reiter kam den Hang herab gerade auf uns zu. Allgemeine Spannung einen Augenblick: dann riefen ihm die Howeitat Willkommen zu. Er war einer ihrer Hirten, und Begrüßungen wurden ausgetauscht in jener ruhigen gemessenen Weise, wie es sich für die Wüste geziemt, wo Lärm und Hast als unerzogen, wenn nicht gar als »städtisch« gilt.

Er berichtete uns, daß die Howeitat ein Stück voraus zwischen Isawiya und Nebk lagerten und schon ungeduldig auf Nachrichten von uns warteten. Bei ihnen stände alles gut. Auda vernahm das mit Freuden und drängte voller Eifer zum Aufbruch. In scharfem, einstündigem Ritt erreichten wir Isawiya und die Zelte des Ali abu Fitna, des Haupts eines zu Auda gehörigen Klans. Der alte Ali, mit Triefaugen, rotem, ungekämmtem Haar und sehr langer Nase, aus der es ständig in den Struwwelbart tropfte, begrüßte uns sehr herzlich und wünschte durchaus, daß wir in seinen Zelten kampierten. Wir entschuldigten uns damit, daß wir unserer zu viele wären, und schlugen das Lager bei einigen Dornbüschen auf, während Ali und die übrigen Familienvorstände nach ungefährer Abschätzung unserer Anzahl für den Abend Festlichkeiten vorbereiteten, jeder Zeltgruppe eine kleine Schar Besucher zuteilend. Die Bereitung des Mahls dauerte Stunden, und erst nach Dunkelwerden wurden wir gerufen. Ich rüttelte mich wach, stolperte hinüber, aß, ging wieder zu den lagernden Kamelen zurück und schlief weiter.

Unser Marsch war glücklich beendet. Wir hatten die Howeitat gefunden; unsere Leute waren in vorzüglicher Verfassung, unser Geld und Sprengmaterial noch fast unberührt. So kamen wir am nächsten Morgen in froher Stimmung zu einem feierlichen Kriegsrat zusammen. Man war einstimmig der Ansicht, daß man zunächst dem Nuri Schaalan, mit dessen Zustimmung wir im Sirhan waren, ein Geschenk von sechstausend Pfund überreichen sollte. Wir wünschten von ihm die Erlaubnis zu erlangen, in seinem Gebiet zu bleiben, bis wir die nötigen Kampftruppen angeworben und organisiert hatten. Und später, wenn wir den Vormarsch antraten, sollte er sich der Familien, Zelte und Herden der Ausgehobenen annehmen.

Dies waren wichtige Dinge, und es wurde bestimmt, daß Auda selbst als Abgesandter zu Nuri reiten sollte, da beide befreundet waren. Während der Zeit wollten wir mit Ali abu Fitna zusammenbleiben und langsam gegen Norden in das Gebiet von Nebk vorrücken, wo Auda an alle Abu Tayi Befehl schicken würde, sich zu sammeln. Er selbst konnte von Nuri zurück sein, bevor sie noch vollzählig vereinigt waren. Also wurde es beschlossen und sechs Beutel Geld in Audas Satteltaschen verstaut, worauf er abritt. Darauf machten die Häuptlinge der Fitenna ihre Aufwartung und erklärten, es würde ihnen eine hohe Ehre sein, zweimal am Tage, morgens und bei Sonnenuntergang, Festlichkeiten für uns zu veranstalten, solange wir bei ihnen blieben – und sie hielten, was sie versprachen! Die Gastfreundschaft der Howeitat – nicht zufrieden mit der nach formellem Gesetz der Wüste üblichen dreitägigen Abspeisung – war unbegrenzt und leider auch recht lästig und ließ uns keinerlei anständigen Vorwand, uns all dem zu entziehen, was nun einmal nach dem Begriff eines Nomaden zum wahren Wohlleben gehört. Jeden Morgen, zwischen acht und zehn, erschienen einige Vollblutstuten mit höchst mangelhaftem und zusammengestückeltem Sattelzeug auf unserm Lagerplatz. Nasir, Nesib, Zeki und ich saßen auf, und begleitet von etwa einem Dutzend unserer Leute, bewegten wir uns feierlich im Schritt durch das Tal über die sandigen Pfade zwischen dem Buschwerk. Die Pferde wurden von unsern Dienern geführt, denn es galt als unschicklich, ungeleitet oder in rascher Gangart zu reiten. So erreichten wir schließlich das Zelt, das jeweils an dem Tage zur Festhalle bestimmt war. Jede Familie lud uns der Reihe nach zu Gast und war tief beleidigt, wenn etwa Zaal, der Festordner, eine Familie außer der Reihe bevorzugte.

Bei der Ankunft stürzten sich zunächst einmal sämtliche Hunde auf uns und wurden von den Zuschauern fortgejagt, deren sich stets eine erkleckliche Anzahl vor dem auserwählten Zelt versammelt hatte. Dann schritten wir unter den gespannten Seilen nach dem für Gäste bestimmten offenen Teil des Zeltes, der für diese Gelegenheit beträchtlich erweitert und reich mit Wandteppichen zum Schutz gegen die Sonne behängt war. Der Gastgeber erschien, murmelte schüchtern einige Begrüßungsworte und verschwand wieder. Die dunkelroten Stammesteppiche, ziemlich billiges Zeug aus Beirut, waren längs des Trennungsvorhanges an der Rückwand und den beiden frei hängenden Seitenwänden für uns bereit gelegt, so daß wir uns im Hufeisen um einen freien staubigen Platz niederließen, insgesamt etwa fünfzig an Zahl.

Der Wirt erschien wieder und blieb am Zeltpfahl stehen; die einheimischen Gäste, Mohammed el Dheilan, Zaal und andere Scheikhs nahmen nun ihrerseits zögernd auf den Teppichen zwischen uns Platz, so daß es etwas eng wurde zwischen den mit Filzdecken belegten Packsätteln, auf die wir uns mit den Ellenbogen lehnten. Die vordere Seite blieb offen, und alle Augenblicke mußten die Hunde von den Kindern verjagt werden, die aufgeregt und noch kleinere an der Hand schleppend über den freien Platz rannten. Ihre Bekleidung war um so spärlicher, je geringer die Zahl ihrer Jahre und je rundlicher ihre Bäuchlein waren. Die Allerkleinsten, splitternackt und mühsam auf ihren gespreizten Beinchen balancierend, starrten, daumenlutschend und hoffnungsvolle Dickbäuche vorstreckend, mit ihren von Fliegen schwarzen Augen nach uns hin.

Dann folgte gewöhnlich eine Verlegenheitspause, über die unsere Gastfreunde uns hinweghalfen durch Vorzeigen des Hausfalken auf seiner Stange (er mußte möglichst von der Gattung des Seefalken und an der Küste des Roten Meeres jung eingefangen sein) oder ihres Haushahns (der als Wächter benutzt wird) oder Windhunds. Einmal wurde ein Steinbock hereingezerrt, um bewundert zu werden, ein andermal eine Oryx-Antilope. Waren diese Unterhaltungen erschöpft, so wurde ein kleines Gespräch mit einigem Erfolg eingeleitet, um uns von den häuslichen Geräuschen und dem eifrigen Küchengemurmel abzulenken, das mitsamt einem kräftigen Fettgeruch und Schwaden würzigen Fleischdampfes durch den Spalt des rückwärtigen Vorhanges drang.

Wiederum Schweigen, und dann trat der Wirt oder sein Abgesandter zu uns und fragte flüsternd: »Schwarz oder Weiß?«; was bedeutete, ob wir Kaffee oder Tee wollten. Nasir antwortete regelmäßig: »Schwarz«, worauf der Sklave mit der langgeschnäbelten Kaffeekanne in der einen und einem Satz von drei oder vier klirrenden Steinguttäßchen in der andern Hand herangewinkt wurde. Er goß wenige Tropfen Kaffee in die oberste Schale und reichte sie Nasir, dann die zweite mir und die dritte Nesib. Dann wartete er, während wir die Schälchen in unsern Händen drehten und sie sorgfältig und in geziemender Würdigung des Gebotenen bis auf den letzten Tropfen ausschlürften.

Sobald die Tassen geleert waren, griff die Hand des Sklaven rasch danach und stülpte sie wieder mit vielem Geklirr übereinander, um die oberste dann – etwas weniger feierlich – für den nächsten Gast der Rangordnung nachzufüllen und so fort, bis alle getrunken hatten. Dann wieder zurück zu Nasir. Die zweite Tasse war schmackhafter als die erste, teils weil das Gebräu mehr den Tiefen der Kanne entstammte, teils weil die Neigen der vorhergehenden Trinker in der Schale geblieben waren. Die dritte und vierte Tasse schließlich, falls sich das Auftragen des Mahls so lange verzögerte, war gewöhnlich von überraschendem Wohlgeschmack.

Endlich indessen drängten sich zwei Männer durch die erschauernde Menge und trugen schwankend eine mit Reis und Fleisch gefüllte flache Wanne aus verzinntem Kupferblech, fünf Fuß im Durchmesser. Der ganze Stamm besaß nur ein Eßgefäß in dieser Größe, und rings um den Rand lief eine Inschrift in der blühenden Sprache Arabiens: »Zur Ehre Gottes des Allmächtigen und in der Hoffnung auf Gnade, wenn das Ende naht, das Eigentum Seines demütig Flehenden, Auda abu Tayi.« Sie wurde jedesmal von dem Gastgeber, der uns zu bewirten an der Reihe war, ausgeborgt; und da mein unruhiger Geist mich oft früh erwachen ließ, so sah ich von meinem Zelt aus im ersten Licht des Morgens den gewaltigen Trog durch das Lager wandern und wußte dann, wenn ich mir die Richtung merkte, wo wir am kommenden Tag zu speisen hatten.

Jetzt war die Wanne randvoll; ringsherum lief ein Wall von Reis, einen Fuß breit und sechs Zoll hoch; in der Mitte waren Hammelkeulen und Rippenstücke hoch bis zum Umfallen aufgehäuft. Man brauchte stets zwei bis drei Opfer, um eine Fleischpyramide von der Mächtigkeit aufzurichten, wie es die Ehre des Hauses vorschrieb. Das Mittelstück bildeten die aufgerichteten Hammelköpfe, gestützt auf ihre abgeschlagenen Halsstümpfe, so daß die langen Ohren, braun wie altes Laub, über den Reisdamm hinausschlappten. Die Kiefer standen gähnend offen und zeigten den dunklen Schlund der Kehle mit der noch rosigen, auf die Backzähne aufgeklebten Zunge, während die langen ragenden Vorderzähne gleichsam die Pyramide krönten und weißlich hervorbleckten zwischen den stoppelbesetzten Nasenlöchern und den schwärzlichen, wie zu einem Lachen verzogenen Lippen.

Die heiß dampfende Ladung wurde vor uns in die Mitte des Raums niedergesetzt, und dann erschien eine Prozession von Dienern niederen Grades mit kleinen Kesseln und Kupfertöpfen. Mit stark zerbeulten Emailleschalen schöpften sie nun daraus das ganze Gekröse und die äußeren Teile des Hammels in die große Schüssel: Stücke der gelblichen Eingeweide, Teile vom weißen Fettschwanz, bräunliche Hammelfüße, allerlei Fleisch und noch haarige Hautstücke, alles in einer Butter- und Fettbrühe schwimmend. Die Gäste verfolgten aufmerksam das Werk und ließen ein befriedigtes Murmeln vernehmen, wenn ein besonders saftiger Bissen herausplumpste.

Die Fettbrühe war siedend heiß, und manchmal ließ einer den Schöpfer fallen und steckte – nicht eben ungern – die verbrannten Finger zur Abkühlung in den Mund. Aber sie hielten wacker stand und schöpften, bis die Kelle auf dem Boden des Gefäßes klapperte. Zuletzt fischten sie mit einer Geste des Triumphs die ganze Leber aus der Tiefe des Fleischsaftes heraus und krönten damit die gähnenden Kinnbacken der Hammelköpfe.

Dann hoben je zwei Mann einen der kleinen Kessel, kippten ihn um und ließen das flüssige Fett über das Fleisch spritzen, bis der Krater angefüllt war und die Reiskörner am Rande in der steigenden Flut schwammen; und auch dann gossen sie immer noch weiter, bis die Wanne unter unseren überraschten Rufen der Bewunderung überlief und eine kleine Pfütze im Staub gerann. Das war der Schlußeffekt der Herrlichkeit, und nun forderte uns der Wirt auf, zum Essen zu kommen.

Wie es die Sitte verlangte, stellten wir uns zunächst taub; endlich hörten wir die Einladung, blickten uns höchst überrascht an, und jeder drängte seinen Nachbarn, den Anfang zu machen. Schließlich erhob sich Nasir mit gemessener Zurückhaltung, wir andern folgten hinter ihm drein, ließen uns vor der Platte auf ein Knie nieder und schoben und drängten uns zusammen, bis alle zweiundzwanzig auf dem knappen Raum rund um den Trog Platz hatten. Dann wurde der rechte Ärmel bis zum Ellenbogen zurückgeschlagen, und dem Beispiel Nasirs folgend, tauchten wir mit einem leisen: »Im Namen Gottes, des Gnädigen und Allgütigen« die Finger in die Speise.

Das erste Eintauchen war, für mich wenigstens, immer gefährlich, da meine noch nicht daran gewöhnten Finger sich an dem heißen Fett leicht verbrühten. So nahm ich mir erst vorsichtig ein abseitiges und schon etwas abgekühltes Fleischstückchen und hantierte damit herum, bis die Aushöhlungen der Nachbarn meinen Reisabschnitt freigelegt hatten. Man pflegte mit den Fingern (doch ohne die Handfläche zu beschmutzen) hübsche Kügelchen aus Reis, Fett, Leber und Fleisch zu drehen und unter leichtem Druck zusammenzukneten, worauf sie mit einer schnappenden Bewegung zwischen Daumen und gekrümmtem Zeigefinger in den Mund geschossen wurden. Mit dem richtigen Trick und bei richtiger Herstellung kamen die Kügelchen säuberlich aus den Fingern; wenn aber überflüssiges Fett und schlecht hineingepappte Stückchen an den Fingern kleben blieben, mußten diese sorgfältig abgeleckt werden, damit es bei dem nächsten Versuch besser glitschte.

Unser Wirt stand bei der Runde und ermunterte unsern Appetit durch freundliche Zurufe. Mit Volldampf wurde zerrissen, zerbrochen, gedreht und gestopft, ohne daß ein Wort gesprochen wurde, denn Unterhaltung hätte eine Herabwürdigung des Mahles bedeutet. Doch geziemte es sich, dankbar zu lächeln, wenn ein Freund einem ein besonders auserwähltes Stück darbot oder etwa Mohammed el Dheilan mit würdiger Miene mir einen riesigen, fleischlosen Knochen samt einem Segensspruch herüberreichte. In diesem Falle pflegte ich die Ehrengabe mit einem besonders scheußlichen Stück Eingeweide zu erwidern, eine Narretei, die den Howeitat einen Mordsspaß machte, die jedoch der korrekte und aristokratische Nasir mit Mißbilligung ansah.

Mit der Zeit waren einzelne annähernd gesättigt und begannen nur noch spielerisch herumzustochern; dabei schielten sie seitwärts nach den übrigen, bis auch diese ihr Tempo verlangsamten und schließlich aufhörten. War man fertig, so stützte man den Ellenbogen aufs Knie und ließ die Hand vom Knöchel abwärts über die Schüssel herunterhängen, damit sie abtropfte, während Fett, Butter und einzelne Reiskörner zu einer fettigen weißen Kruste erkalteten, die die Finger zusammenklebte. Als alle fertig waren, räusperte sich Nasir vernehmlich, und mit einem allgemeinen »Gott vergelte dir's, o Gastfreund!« erhoben wir uns eilig und gruppierten uns draußen unter den Zeltstricken, während sich die nächsten zwanzig Gäste an die Schüssel setzten. Die Feineren unter uns gingen an die Rückwand des Zeltes, wo über den äußeren Pfählen eine Klappe des Dachtuchs als Abschlußvorhang herabhing, und an diesem Familienhandtuch, dessen rauhes Ziegenhaargewebe vom vielen Gebrauch glatt und geschmeidig geworden war, wischte man sich die dicksten Fettpatzen von den Händen. Dann gingen wir wieder hinein und ließen uns seufzend und einigermaßen beschwerlich auf unsere Sitze nieder. Sklaven (sie hatten sich den ihnen zustehenden Teil, die Hammelköpfe, schon beiseite gelegt) gingen mit einer hölzernen Schale und einer Kaffeetasse als Schöpfer die Reihe herum und gossen Wasser über unsere Finger, die wir gleichzeitig mit dem Seifenstück des Stammes abrieben.

Mittlerweile hatte auch die zweite und die dritte Runde der Tischgesellschaft abgegessen, und es gab nochmals eine Tasse Kaffee oder ein Glas sirupartigen Tee. Schließlich wurden die Pferde gebracht, wir traten hinaus, saßen auf und ritten mit einem würdevoll ruhigen Segenswunsch für den Gastgeber davon. Sobald wir den Rücken gedreht hatten, stürzten sich die Kinder über die Reste in der Schüssel, balgten sich um die abgenagten Knochen und flüchteten mit etwa ergatterten Leckerbissen ins Freie, um sie hinter einem Busch in Sicherheit zu verzehren; während sämtliche Hunde des Lagers schnappend umherstreiften und der Herr des Zeltes seinen Windhund mit den auserlesensten Überresten fütterte.

So feierten wir in Isawiya am ersten Tag einmal, am zweiten zweimal und am dritten ebenfalls zweimal. Dann, am dreißigsten Mai, ritten wir ab und marschierten bequeme drei Stunden über ein altes versandetes Lavafeld bis zu einem Tal, in dem es zahlreiche, etwa sieben Fuß tiefe Brunnen gab mit dem üblichen leicht salzigen Wasser. Die Abu Tayi brachen auf, als wir aufbrachen, zogen mit uns zusammen und errichteten ihr Lager rings um uns her; so war ich heute zum erstenmal Zuschauer und Mitwirkender zugleich bei dem Schauspiel eines reisenden arabischen Stammes.

Unser Marsch war wesentlich verschieden von der gewöhnlichen Eintönigkeit unserer Wüstenreisen. Die ganze graugrüne, mit Steinen und niederem Buschwerk bedeckte Ebene erzitterte wie in einer Luftspiegelung unter den Tritten der dahinziehenden Scharen. Da sah man Fußgänger; Reiter auf Kamelen oder zu Pferd; Kamele mit den hohen schwarzen Buckeln aufgepackter Ziegenhaarzelte; Kamele, die gleich riesigen Schmetterlingen dahinschaukelten unter den bunt geputzten und reich befransten Sänften, den »Haudahs« für die Frauen; Kamele, die gleichsam gewaltige Stoßzähne hatten wie Mammuts oder breite herabhängende Schwänze wie Vögel infolge der Ladung hochgerichteter oder hinten nachschleppender Zeltstangen aus dem hellen Holz der Silberpappel. Es gab weder Ordnung noch Marschdisziplin noch irgendwelche Leitung; man zog in breiter Front dahin, jede Gruppe für sich, geregelt nur durch die Gleichzeitigkeit des Aufbruchs und einen natürlichen, aus zahllosen Generationen überkommenen Instinkt.

Der Marsch machte keinerlei Beschwer; und wir, die wir wochenlang auf uns allein angewiesen gewesen waren, empfanden es als unbeschreibliche Erleichterung, nun alle Gefahren mit einer so zahlreichen Gemeinschaft zu teilen. Selbst unsere ernsthaften Leute ließen sich ein wenig gehen, und die Leichtsinnigeren wurden geradezu ausgelassen. Allen voran natürlich Farradj und Daud, meine beiden Spaßmacher, deren gute Laune auch durch die Strapazen der früheren Märsche nicht einen Augenblick gedämpft worden war. Um ihren Platz in der Marschkolonne herum war stets ein Strudel von Leben und Bewegung, den ihr ewiger Unfug hervorrief. Schließlich stellten sie meine beharrliche Geduld aber allzusehr auf die Probe. Das geschah so: die Schlangenplage, die uns bereits seit dem Betreten der Sirhan verfolgt hatte, hatte sich nachgerade zu einem wahren Schrecken entwickelt. Für gewöhnlich, sagten die Araber, war es mit den Schlangen im Sirhan nicht schlimmer als an andern, wasserreicheren Stellen der Wüste; in diesem Jahr jedoch schien das ganze Tal förmlich zu wimmeln von Hornvipern und Puffottern, Kobras und schwarzen Schlangen. Bei Nacht war jeder Schritt gefährlich; und auch bei Tage wurde es schließlich notwendig, mit Stöcken zu marschieren und jedes Gebüsch nach allen Seiten abzuklopfen, ehe man nackten Fußes behutsam hindurchschritt.

Die Schlangen hatten die merkwürdige Gewohnheit, nachts auf oder unter unsere Decken zu kriechen und, wahrscheinlich der Wärme wegen, sich neben uns zu legen. Wir mußten daher, als wir das gewahr wurden, stets unter großen Vorsichtsmaßregeln aufstehen: der erste, der sich erhob, klopfte die Lagerstätten seiner Kameraden mit dem Stock ab, bis er sie für schlangenfrei erklären konnte. Unsere fünfzig Mann töteten täglich etwa zwanzig Schlangen. Schließlich ging uns die Plage so auf die Nerven, daß selbst die Kühnsten unter uns sich scheuten, den Boden zu betreten; und ich, der ich einen angeborenen Abscheu vor aller Art Reptilien habe, wünschte mich sobald wie möglich wieder heraus aus dem Sirhan.

Nicht so Farradj und Daud. Für sie bedeuteten die Schlangen eine neue, herrliche Belustigung. Alle Augenblicke erschreckten sie uns durch den Alarmruf und schlugen wie verrückt auf sämtliche harmlose Zweige und Wurzeln, die ihnen in den Weg kamen. Schließlich, bei der Mittagsrast, gab ich ihnen strengen Befehl, den Schlangenruf nicht ein einziges Mal mehr hören zu lassen; und von da ab hatten wir endlich Ruhe. Ich lag ausgestreckt am Boden, froh, jeder Bewegung enthoben zu sein, müßig dahindämmernd oder meinen Gedanken nachhängend; und so mochte etwa eine Stunde vergangen sein, als ich bemerkte, daß das Gaunerpaar in einiger Entfernung vor mir stand und sich lachend anstieß. Achtlos folgte ich der Richtung ihrer Blicke und sah nun unter dem Gebüsch dicht neben mir eine aufgerollte braune Schlange liegen, die nach mir züngelte.

Sehr rasch war ich zur Seite gerutscht und rief nach Ali, der herbeikam und das Tier mit dem Reitstock erschlug. Dann befahl ich ihm, den beiden Schlingeln je ein gutes halbes Dutzend aufzuzählen, um sie zu lehren, meine Weisungen nicht auf meine Kosten allzu buchstäblich auszuführen. Der hinter mir schlummernde Nasir hörte es und rief erfreut, es möchten von ihm aus noch weitere sechs hinzugefügt werden. Desgleichen tat Nesib, dann Zeki und dann Ibn Dgheithir, bis schließlich das halbe Lager in den Ruf nach Vergeltung einstimmte. Die beiden Verbrecher waren sehr gedrückt, als sie sahen, daß sämtliche Riemen und Stöcke der Abteilung bereit gemacht wurden, um ihre Rechnung zu begleichen. Ich hatte indes ein Einsehen und rettete sie vor dem Strafgericht; statt dessen erklärten wir ihren moralischen Bankrott und steckten sie unter die Frauen bei den Zelten zum Holzmachen und Wasserholen.

Wir waren des Sirhan herzlich überdrüssig. Die Landschaft war von einer weit tieferen Hoffnungslosigkeit und Schwermut als all die freien Wüsten, die wir durchquert hatten. Oder Sand und Steine oder auch nackter Fels haben immer noch etwas fesselnd Erregendes und in bestimmter Beleuchtung die unheimliche Schönheit unfruchtbarster Einsamkeit. Hingegen lag etwas Unheilvolles, etwas bedrohlich Böses in diesem schlangenverseuchten, salzwassergeschwängerten Sirhan mit seinen krüppligen Palmen und dem Buschwerk, das weder zu Futter noch zu Brennholz taugte.

Verabredungsgemäß marschierten wir einen Tag und dann noch einen zweiten über Ghutti hinaus, dessen wenig ergiebiger Brunnen fast süß war. Als wir uns Ageila näherten, sahen wir ein großes Zeltlager, und eine Reiterabteilung kam uns daraus entgegen. Es waren Auda, wohlbehalten von Nuri Schaalan zurück, und der einäugige Durzi ibn Dughmi, der schon in Wedjh unser Gast gewesen war. Seine Anwesenheit wie auch die starke Eskorte von Rualla bewiesen uns die Gewogenheit Nuri Schaalans. Die Reiterschar bewillkommnete uns vor Nuris leerstehendem Haus mit einer Art Fantasia: barhäuptig und mit wildem Geschrei jagten sie in vollem Galopp dahin, schwangen die Speere und schossen in hochwirbelndem Staub ihre Flinten und Pistolen ab.

Die Dinge ließen sich recht günstig an, und wir bestimmten drei Mann zum Kaffeemachen für die Besucher. Diese erschienen denn auch bald einzeln oder in Gruppen vor Nasir, schwuren Faisal und der arabischen Bewegung Treue und Gefolgschaft nach der Formel von Wedjh und versprachen, den Befehlen Nasirs zu gehorchen und sich mit ihren Kontingenten ihm anzuschließen. Außer den offiziellen Geschenken hinterließ jeder Schub auf unseren Teppichen noch beiläufig seine ganze Privatgabe von Läusen; und bereits lange vor Sonnenuntergang waren Nasir und ich von einem förmlichen Juckfieber befallen. Auda, der von einer alten Verwundung am Ellenbogen her einen steifen Arm hatte, konnte sich nicht überall eigenhändig kratzen; aber die Erfahrung hatte ihm ein sehr probates Mittel gelehrt in Gestalt eines gabelförmigen Kamelstocks, den er durch seinen linken Ärmel hinaufschob und dann immer rundherum gegen seine Rippen drehte und rieb; eine Methode, die ihm das Jucken gründlicher zu vertreiben schien als uns unser Händekratzen.


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