Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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31. Scharmützel und Rückzug

Von Tell Arar kommend, trafen noch vor Morgengrauen der zweite Teil der Batterie Pisani und der Rest von Nuri Saids Truppen bei uns ein. Joyce hatten wir schriftlich Nachricht gegeben, daß wir am heutigen Tage südwärts auf Nisib rücken würden, um dort den Kreis der Unterbrechungen rund um Deráa zu schließen. Ich schlug vor, daß er mit den Panzerautos unmittelbar nach Umtaiye zurückgehen und dort auf uns warten sollte. Umtaiye mit seinem Überfluß an Wasser und den prächtigen Weiden, gleich weit entfernt von Deráa wie vom Djebel Druse und der Rualla-Wüste, schien mir der geeignetste Ort, um unsere gesamten Kräfte dort wieder zu sammeln und das glückliche Fortschreiten Allenbys abzuwarten. Setzten wir uns in Umtaiye fest, so war die türkische vierte Armee östlich des Jordans von Damaskus so gut wie abgeschnitten; auch waren wir dort rasch bei der Hand zu erneuten Unterbrechungen der Hauptbahnen, sobald sie der Feind leidlich wiederhergestellt haben sollte.

Widerstrebenden Herzens lösten wir uns daher vom Gegner in der Hoffnung auf einen baldigen späteren Schlag, setzten die Armee rückwärts in Marsch und kamen in langgezogener Kolonne durch die Station Mezerib. Unsere Feuer waren heruntergebrannt, und der Platz lag verödet. Young und ich setzten für alle Fälle noch einige »Tulpen«, währenddes die Truppen in dem durchschnittenen Gelände gegen Remthe zu verschwanden, um außer Sicht von Deráa wie von Schehab zu kommen. Türkische Beobachtungsflugzeuge surrten über unsern Köpfen; wir schickten daher unsere Bauernschwärme durch Mezerib hindurch in ihre Dörfer zurück. Demgemäß meldeten die feindlichen Flieger, daß unsere Armee sehr stark wäre, möglicherweise acht- bis neuntausend Mann, daß man aber aus unsern divergierenden Bewegungen auf keine bestimmte Richtung schließen könne.

Um den Feind noch mehr in die Irre zu führen, wurde von den französischen Artilleristen eine starke Sprengladung mit Spätzündung an den Wasserturm der Station Mezerib gelegt, der dann Stunden nach unserm Abrücken mit gewaltigem Gekrach in die Luft flog. Die Deutschen traten in dem Augenblick gerade aus Schehab heraus, um auf Deráa zu marschieren; dieser unerklärliche Knall zog sie in die Gegend von Mezerib, und sie verharrten dort bis zum späten Nachmittag in Bereitschaft.

Wir waren inzwischen schon weit weg, auf dem Marsch nach Nisib, dessen begrenzende Höhen wir um vier Uhr nachmittags erreichten. Der berittenen Infanterie wurde eine kurze Rast gegönnt, während die Batterie und die Maschinengewehrabteilung bis zum vordersten Höhenrand vorgingen, von dem der Hang tief zur Eisenbahnstation abfiel.

Hier gingen die Geschütze in gedeckte Stellung und erhielten Befehl, wohlgezieltes Einzelfeuer auf das zweitausend Yard entfernte Stationsgebäude zu eröffnen. Pisanis Kanoniere wetteiferten, ihr Bestes zu tun, und bald sah man denn auch in Dächer und Schuppen breite Löcher gerissen. Zu gleicher Zeit wurde die Maschinengewehrabteilung auf unserm linken Flügel vorgeschickt zum Feuerüberfall gegen die Gräben, die mit hartnäckigem Schnellfeuer erwiderten. Unsere Truppen hatten jedoch natürliche Deckungen und zudem die Nachmittagssonne im Rücken. So erlitten sie keine Verluste, aber der Feind ebensowenig. Das Ganze war eigentlich mehr eine Spielerei, und die Einnahme der Station lag nicht in unserer Absicht. Unser eigentliches Objekt war die große Brücke dicht nördlich des Dorfes. Die Türken hatten an der Brücke selbst ein kleines Verteidigungswerk und hielten durch einzelne, im Schutz des Dorfes postierte Schützen Verbindung mit ihm.

Zwei Geschütze und sechs Maschinengewehre nahmen jetzt den kleinen, aber stark befestigten Brückenstützpunkt unter Feuer, in der Hoffnung, die Verteidiger herauszutreiben. Fünf weitere Maschinengewehre schossen auf die Ortschaft. Fünfzehn Minuten später erschienen die Dorfältesten sehr verstört, um mit uns zu verhandeln. Nuri erklärte sich bereit, das Feuer einzustellen unter der Bedingung, daß sie sofort die in den Häusern postierten türkischen Schützen hinauswürfen. Das versprachen sie auch, und damit war die Verbindung zwischen Station und Brücke abgeschnitten.

Nun wurde das Feuer unserer fünfundzwanzig Maschinengewehre und der vier Geschütze Pisanis auf den Brückenstützpunkt gerichtet, und nach wenigen Salven glaubten wir zu sehen, wie die Besatzung aus den zerschossenen Gräben unter der Brücke hindurch in den Schutz des Eisenbahndamms entwich.

Dieser Damm war zwanzig Fuß hoch. Falls sich die Besatzung hier eingenistet hatte, um die Brücke zu verteidigen, so war sie in einer schwer zu nehmenden Stellung. Doch rechneten wir damit, daß ihre Kameraden in der Station eine so starke Anziehungskraft ausgeübt haben würden, daß sie gleich bis dorthin geflüchtet waren. Ich rief die Hälfte meiner Leibgarde heran, verteilte die Sprengstoffladungen unter sie und ging mit ihr längs des Rückens vor und bis auf Steinwurfweite an die Schanze heran.

Es war ein herrlicher Abend, mild und goldgelb und unbeschreiblich friedlich, ein schroffer Gegensatz zu unserer ununterbrochenen Kanonade. Die Sonne sank mählich tiefer, über die flachen Hänge breiteten sich dunkle Schatten, aus denen die zahlreich verstreuten Kiesel, von den letzten Strahlen getroffen, für einen Augenblick aufleuchteten wie schwarze, flammende Diamanten.

Die Verschanzung war in der Tat verlassen. Wir saßen ab und signalisierten Nuri, das Feuer einzustellen. In dem eintretenden Schweigen schlichen wir uns leise an die Brückenpfeiler heran und fanden sie ebenfalls geräumt.

Eiligst wurden die Sprengladungen rings um die Pfeiler aufgehäuft, die etwa fünf Fuß dick und fünfundzwanzig Fuß hoch waren: eine prächtige Brücke, diese meine neunundsiebzigste, und strategisch für uns eine große Gefahr, da wir ja ihr gegenüber in Umtaiye bleiben wollten, bis Allenbys Vordringen uns entsetzte. Ich hatte daher beschlossen, keinen Stein auf dem andern zu lassen.

Nuri hatte inzwischen dem Kamelkorps, der Batterie und der Maschinengewehrabteilung Befehl gegeben, im Schutz der sinkenden Nacht die Bahn eiligst zu überschreiten, dann etwa eine Meile in der Wüste vorzurücken, dort zusammenzuschließen und auf uns zu warten.

Doch der Übergang einer so großen Zahl von Kamelen über die Bahn mußte eine erheblich lange Zeit in Anspruch nehmen. Wir saßen und warteten unter der Brücke, Streichhölzer in der Hand, um im Fall eines Alarms (ungeachtet unserer übergehenden Truppen) die Zündschnur sofort in Brand zu stecken. Doch alles verlief glatt, und nach einer Stunde gab mir Nasir das verabredete Zeichen. Eine halbe Minute danach, ich konnte noch eben die Türkenschanze erreichen, kamen die achthundert Pfund Sprengmaterial mit einem Schlag zur Entzündung; die Luft wurde schwarz und Steine pfiffen mir um die Ohren. Die Explosion, geradezu betäubend auf meine zwanzig Yard, mußte halbwegs bis nach Damaskus gehört worden sein.

Nuri suchte verzweifelt nach mir. Er hatte mir das Zeichen »Alles fertig« gegeben, ohne zu wissen, daß noch eine Kompanie der berittenen Infanterie fehlte. Zum Glück war meine Leibgarde zur Stelle. Tallal el Hareidhin führte sie den Hang hinauf, um die Kompanie zu suchen. Nuri und ich warteten derweil in dem gähnenden Loch, wo eben noch eine Brücke gestanden hatte, und entflammten eine elektrische Fackel als Wegweiser.

Nach einer Stunde kam Mahmud und brachte die vermißte Kompanie im Triumph herangeführt. Schüsse wurden abgefeuert, um die übrigen Sucher herbeizurufen. Dann ritten wir drei Meilen auf Umtaiye zu. Der Weg wurde schlecht, man kam über Moränen aus schlüpfrigem Basaltgeröll. Wir waren froh, bei unsern Truppen haltzumachen, und legten uns zu wohlverdientem Schlaf nieder.

Es schien jedoch, als sollten Nasir und ich der freundlichen Gewohnheit des Schlafs dauernd entsagen müssen. Die große Explosion bei Nisib hatte unsere Anwesenheit ebenso weithin kundgetan wie der Brand in Mezerib. Kaum waren wir zur Ruhe gekommen, als auch schon von drei Seiten die Bevölkerung der Umgegend herbeiströmte, um mit uns über die jüngsten Ereignisse zu sprechen. Gerüchte waren verbreitet worden, daß wir nur als Räuber, nicht als Eroberer gekommen wären, und daß wir bald wieder, wie die Engländer bei Salt, davonlaufen und unsere Anhänger im Lande die Zeche bezahlen lassen würden.

Stunde auf Stunde in der Nacht kamen immer neue Schwärme der Bevölkerung, umstanden unser Lager, klagten ihre Not wie verlorene Seelen, beugten sich nach Art solcher Dorfsassen über unsere Hände und sabberten Beteuerungen, wir wären ihre allmächtigen Herren und sie unsere niedrigsten Diener. Vielleicht empfingen wir sie nicht so, wie es sonst unsere Gewohnheit war, aber wir litten allzusehr unter der Folter, ständig von ihnen wachgehalten zu werden. Drei Tage und drei Nächte lang waren wir fast ununterbrochen angespannt gewesen, planend, befehlend, ausführend. Und nun, da uns eben ein wenig Ruhe gewinkt hatte, kam es uns bitter an, auch diese vierte Nacht noch zu vergeuden mit dem alten schalen und zweifelhaften Geschäft, uns lieb Kind zu machen.

Immer bedenklicher stimmte uns der offensichtlich schwer erschütterte Glaube der Bevölkerung an uns. Schließlich nahm Nasir mich beiseite und flüsterte mir zu, allem Anschein nach müßte es irgendwo in der Nähe einen Herd der Unzufriedenheit geben. Ich suchte aus meiner Leibgarde die aus der Gegend Stammenden heraus und beauftragte sie, sich unter die Dörfler zu mischen und die Wahrheit herauszufinden. Nach ihren Wahrnehmungen schien die Seuche des Mißtrauens von Taiyibe auszugehen, der uns zunächst gelegenen Ortschaft. Die eilige Durchfahrt der Panzerautos von Joyce gestern auf dem Rückzug und einige unglückliche Zufälligkeiten hatten sie wankend gemacht, und sie fürchteten – nicht ohne Grund –, daß sie durch unsern Abmarsch am stärksten in Mitleidenschaft gezogen werden würden.

Ich ließ Asis kommen und ritt mit ihm direkt nach Taiyibe. Dort fand ich in der Hütte des Dorfältesten das Konklave beisammen, von dem aus das Gift unter die Bevölkerung verbreitet wurde. Sie berieten eben, wen von ihnen sie zu den Türken schicken sollten, um Gnade zu erflehen, als wir unangemeldet bei ihnen eintraten. Die bloße Tatsache unseres Kommens, die ihnen bewies, wie vollkommen sicher wir uns fühlten, fuhr ihnen gewaltig in die Glieder. Wir blieben etwa eine Stunde, unterhielten uns über gleichgültige Dinge, wie Ernte und Viehpreise, und tranken mit ihnen Kaffee; dann erhoben wir uns und gingen. Hinter uns ging das Getuschel von neuem los, doch nun hatte sich das flatternde Segel ihrer Gemüter in den von uns herwehenden stärkeren Wind gedreht. Und die Botschaft an den Feind unterblieb, obgleich sie tags darauf wegen so hartnäckigem Festhalten an uns gründlich bombardiert und beschossen wurden.

Noch vor Morgengrauen erreichten wir wieder das Lager und hatten uns eben zum Schlaf ausgestreckt, als von der Richtung der Eisenbahn her ein lautes »Bumm« ertönte und gleich darauf ein Schrapnell hinter unsern schlafenden Reihen krepierte. Die Türken hatten einen Panzerzug heruntergesandt, der ein Feldgeschütz führte. Ich für meine Person hätte es schließlich auf einen Treffer ankommen lassen, denn ich hatte nur gerade soviel geschlafen, um nach mehr zu lechzen. Doch die Truppe hatte sechs Stunden geruht und war schon auf den Beinen.

Über scheußlichen Boden ging's in Eile zurück. Ein türkischer Flieger erschien über uns, um das Geschützfeuer zu leiten. Die Schrapnells begannen mit unsern eilenden Marschlinien bedenklich Schritt zu halten. Wir legten im Tempo zu und zogen die Kolonne in kleine Gruppen mit weiten Abständen auseinander. Das Feuerleitungsflugzeug kam plötzlich ins Schwanken, bog seitlich ab, der Bahnlinie zu, und schien dort irgendwo zu landen. Das Geschütz funkte einen weiteren Treffer in uns hinein, der zwei Kamele tötete; dann verlor es seine Sicherheit, und nach etwa fünfzig Schüssen kamen wir ihm außer Reichweite. Das Geschütz machte sich nunmehr an die Bestrafung von Taiyibe.

In Umtaiye hatte Joyce das Schießen gehört und kam heraus, um uns zu begrüßen. Hinter seiner schlanken Gestalt sah man die Ruinen der alten römischen Niederlassung dicht besetzt mit buntscheckigem Volk, Abgesandten jedes Dorfs oder Stammes im Hauran, gekommen, uns zu huldigen und uns – wenigstens mit dem Munde – ihre Dienste anzubieten. Zu seinem Verdruß überließ ich dieses Geschäft Nasir, dem derlei längst zuwider war. Ich selbst streckte mich in den Schatten eines Wagens; und sämtliche Araber der Wüste mitsamt den türkischen Flugzeugen, die uns mit Bomben beglückten, konnten mich nicht in meiner Ruhe stören. Wie meist, wenn ich mich niedergelegt hatte, fiel ich sofort in Schlaf und schlief bis in den Nachmittag.


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