Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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Bernard Shaw urteilt über Lawrence

Unter den erstaunlichen Erscheinungen dieser Welt ist die erstaunlichste ein Individuum, das bis zur letzten menschlichen Grenze literarischer Genialität vorgedrungen ist, oder ein junger Mann, der in die Frühzeit seines Lebens ein Abenteuer von epischer Breite und Wucht gelegt hat. Die Wahrscheinlichkeit, daß einer von diesen beiden Fällen eintritt, scheint geringer zu sein als eins zu einer Million. Aber mit welcher Zahl ließe sich der Seltenheitskoeffizient von jemandem ausdrücken, der diese beiden Fälle in sich vereint! Tatsächlich ist diese glückhafte Verkettung von unserem erstaunlichen Zeitalter hervorgebracht worden, in dem wir alle mit verhaltenem Atem sitzen und Katastrophen erwarten. Es erscheint »Oberst Lawrence« (er pflegt sich selbst in Anführungszeichen zu setzen) und er ist schon als Überbringer von Nachrichten aus dem Türkisch-Arabischen Krieg sagenhafter als jener Priester Johann, der bekanntlich oder nicht bekanntlich im Mittelalter christlicher König von Abessinien war. Bei näherem Hinsehen entpuppt er sich unwiderstehlich als der Verfasser eines der wenigen großen Heldenbücher der Weltgeschichte, – dabei hat er die Taten, von denen er erzählt, in einem Alter vollbracht, in dem junge Kompanieoffiziere kaum den Mund an der Kasinotafel aufmachen dürfen.

Das Schicksal eines Mannes, der seinen Pfeil verschossen hat, ehe er 30 wurde, und für den es keine Welten mehr zu erobern gibt, läßt sich bewegend mit dem Los eines Genies vergleichen, das unbeweint stirbt, ohne Ehren und Ruhm, und das nach einem Jahrhundert ausgegraben wird und zur Unsterblichkeit kommt. Niemand ist in der Lage, zu entscheiden, welches Los beneidenswerter ist. Aber es wird gemildert, wenn der Held als zweite Sehne am Bogen literarische Fähigkeiten besitzt; und Lawrence ist damit auf das reichste gesegnet. Er kann jeden Schauplatz, jede Persönlichkeit, jeden Vorgang durch seine einfache Art der Beschreibung mit solcher Lebendigkeit vor uns erstehen lassen, daß wir mehr davon erfüllt sind, als wenn wir mit eigenen Augen und Ohren dabeigewesen wären. Von 1000 Beobachtern würden 999 die Einzelheiten nicht bemerkt haben, von denen sein Bericht strotzt. Wenn er zum Beispiel den Aufbruch von Faisals bunten Scharen so plastisch geschildert hat, wie er ihn selbst erlebte, haben wir gleichzeitig auf das deutlichste erfahren und empfunden, wie ein Araber auf ein Kamel steigt, wie er seine seltsame Gewandung für den Ritt sich zurechtfaltet, und wie er es außerdem fertigbringt, seinen Sklaven (falls er einen besitzt) mit sich zu führen, wie ein Europäer seinen Mantelsack mit sich führt. Was die Schilderung des Landschaftlichen anlangt, so hat kein zeilenfüllender Romanschreiber mit seinem chronischen Stoffmangel jemals auch nur annähernd Lawrences seltene Fähigkeiten auf diesem Gebiet erreicht. Und solche Beschreibungen wirken nicht – wie sonst immer –, als wären sie in den Text hineingeflickt: sondern sie sind so sehr in das Wesen seines Buches verwoben, daß wir nicht für einen Augenblick das Gefühl für den Wüstenpfad, auf dem wir dahinziehn, verlieren, für die Berge um uns und über uns, für die bösen Launen des Klimas, für Nacht und Morgen, für Sonnenuntergang und Mittagsglut.

Ganz spontan empfindet man auch das Wesen der Leute, mit denen uns der Autor bekannt macht: man hört den Klang ihrer Stimme, man sieht den wechselnden Ausdruck ihrer Gesichter, und all das ohne die Plackerei, mit der ein Leser in anderen Fällen sich solche Eindrücke erarbeiten muß. Lawrence ist von magischer Klarheit: was er schildert, ist überzeugend wie die Wirklichkeit und geheimnisvoll wie eine schöne Opernvorstellung. Alles, was er beschreibt, ist so vielstimmig wie eine Orchesterpartitur. Die leuchtenden Höhen von Abenteuerromantik heben sich deutlich von einem Inferno gequälter Leiber und beschwerter Seelen ab, und man ist froh, unter ihnen gelegentlich einmal einen hundsgemeinen Schurken zu treffen, nur damit man über ihn lachen kann. Lawrence besitzt eine Miltonsche Düsterkeit und Größe; gelegentlich weichen die Zweifel seines Gemüts und die Unrast seines Herzens einem fast teuflischen Humor und einer provozierenden Tollkühnheit.

Aus dem »Spectator«.      


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