Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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8. Die eigentliche Wüste

Bei Morgengrauen wurde gesattelt, und wir ritten die kurze Strecke bis Diraa, jenen Wasserstellen, von denen Scharraf uns berichtet hatte. Dort rasteten wir bis zum Nachmittag, denn wir waren nun schon sehr nahe der Eisenbahn und mußten uns für die lange Strecke nach Fedjr sattrinken und unsere wenigen Wasserschläuche füllen.

Während des Halts kam Auda, um zuzuschauen, wie Farradj und Daud meine Kamelstute mit Fett einrieben, um das unerträgliche Jucken der Räude zu mildern, die vor kurzem an ihrem Kopf ausgebrochen war. Die dürren Weiden der Billi und der verseuchte Boden des Lagers in Wedjh hatten verheerend auf die Tiere gewirkt. In Faisals Stall war nicht eins seiner Tiere gesund geblieben, und die Kamele unserer kleinen Schar wurden von Tag zu Tag schwächer. Nasir war sehr in Sorge, daß bei dem bevorstehenden Gewaltmarsch viele unserer Tiere zusammenbrechen und die Reiter hilflos in der Wüste zurückbleiben würden.

Wir besaßen kein Mittel gegen Räude und konnten trotz aller Not nur wenig tun. Immerhin kräftigte das Reiben und Einfetten mein Kamel, und die Prozedur wurde wiederholt, sooft Farradj oder Daud irgendwie Fett auftreiben konnten. Ich war mit diesen beiden Burschen sehr zufrieden, sie waren tüchtig und flink, immer guter Laune, vortreffliche Reiter und zu jeder Arbeit willig.

Um dreiviertel vier Uhr brachen wir auf und ritten den Wadi Diraa hinab, zwischen steilen hohen Rücken aus Flugsand, aus denen bisweilen die Kuppe eines schroffen roten Felsgrates ragte. Nach einer Weile kroch ich mit zwei oder drei anderen, dem Haupttrupp weit voraus, auf allen vieren einen Sandgipfel hinauf, um gegen die Eisenbahn hin Ausschau zu halten. Die Luft war kaum zu atmen, und die Anstrengung ging fast über unsere Kraft; aber unsere Mühe wurde sogleich belohnt: denn da lag die Bahnlinie vor uns in aller Stille und Verlassenheit. Wir würden also unbelästigt übergehen können.

Unsere Lastkamele wurden über die Bahnlinie und noch ein Stück darüber hinaus in das jenseitige Gelände geführt, wo sie hinter Sanddünen und in Felsklüften Deckung fanden. Inzwischen hatten die Ageyl Schießbaumwolle und Sprengpatronen an die Schienen gelegt, soweit es in der Eile geschehen konnte, begannen dann die Zündschnüre der Reihe nach in Brand zu setzen, und bald ertönte das Tal vom Gekrach der Explosion.

Auda hatte bis dahin Dynamit nicht gekannt, und in kindlicher Freude über das Neue fühlte er sich angeregt, den Ruhm dieser gewaltigen Macht in einem Stegreifhymnus zu besingen. Wir durchschnitten drei Telegraphenleitungen und befestigten die losen Enden der Drähte an den Sätteln von sechs Reitkamelen der Howeitat. Die verblüfften Tiere zogen an und schleppten die wachsende Last der klirrenden, ineinander verwickelten Drähte und der umgebrochenen, nachschleifenden Stangen weit in das östliche Tal hinein. Zuletzt konnten sie nicht weiter. Wir schnitten sie los und ritten, vergnügt über das gelungene Werk, in der sinkenden Dämmerung der Karawane nach.

Am nächsten Morgen brachte uns Auda schon vor vier Uhr auf die Beine. Wir stiegen bergan, bis wir zuletzt an den Rand einer Hochebene gelangten. Von hier aus öffnete sich ein unbegrenzter Blick nach Osten zu, wo sich die Ebene abwärts senkte und sich mit sanften Abdachungen in eine scheinbar unendliche Ferne von fahlblauem Dunst verlor. Eben stieg die Sonne auf; ihr Licht flutete waagerecht über die weite Ebene und zauberte, jede kaum merkbare Erhöhung mit langen Schatten hervorhebend, das ganze wechselvolle Spiel einer reich bewegten Bodengestaltung über die Fläche hin – doch nur für Augenblicke: denn während wir noch hinsahen, schrumpften die Schatten gen Osten ein, verweilten noch wie ein letzter zitternder Hauch an den fernen Hügeln und schwanden dann wie auf einen Schlag. Voller Morgen war angebrochen: die Lichtströme der Sonne, erbarmungslos uns wandernde Kreaturen voll ins Gesicht treffend, ergossen sich gleichförmig über jeglichen Stein der Wüste.

Die Fedjr-Beduinen, die Bewohner dieser Ebene, nennen sie El Haul, um ihrer trostlosen Öde willen. Und den ganzen Tag über trafen wir auf kein Zeichen des Lebens, keine Gazellenfährte, keine Eidechse, kein Rattenloch, nicht einmal einen Vogel. Wir fühlten uns winzig klein in dieser Grenzenlosigkeit, und unser Vorwärtshasten durch solche Unermeßlichkeit war fast wie ein Stillstand, gleichsam wie ein fruchtloses Auf-der-Stelle-Treten. Kein Laut war zu vernehmen, außer dem hohlen Echo der polternden Steinplatten unterm Tritt der Kamele und dem harten Rascheln des Sandes, der vor dem heißen Wind langsam nach Westen zu über den rindenartig verwitterten Sandstein hinkroch. Es war ein wahrhaft erstickender Wind, von Hochofenglut, wie man ihn in Ägypten unter dem Namen Khamsin kennt. Als die Sonne höher stieg, nahm er noch zu und füllte sich mit dem Staub der Nefudh, jener gewaltigen Sandwüste Nordarabiens, die, obwohl nicht weit von uns entfernt, im Dunst unsichtbar blieb. Gegen Mittag schwoll er zu einem Sturm an von solcher Trockenheit, daß unsere ausgedörrten Lippen aufsprangen und die Haut im Gesicht zerriß, während die Augenlider, körnig von Sand, gleichsam einzuschrumpfen und die in die Höhlen gesunkenen Augen bloßzulegen schienen. Die Araber wickelten sich die Kopftücher fest über die Nasen und zogen sie von oben herunter über die Augen wie ein flappendes Visier mit schmalem Sehschlitz.

So ackerten wir uns den ganzen Tag über weiter (selbst wenn es der Wind nicht schon unmöglich gemacht hätte, durften wir uns keine weitere Rast im Schatten der ausgespannten Tücher gönnen, falls wir ohne Schädigung von Mann und Tier El Fedjr erreichen wollten); und nichts veranlaßte uns, die Augen zu öffnen oder einen Gedanken zu denken, bis der Abend, still, schwarz und sternenklar, über uns herabsank. Als wir endlich haltmachten, hatten wir fast fünfzig Meilen zurückgelegt.

Am nächsten Tage brachen wir vor Morgengrauen auf und erreichten gegen Mittag den Brunnen, der unser Ziel war. Er war etwa dreißig Fuß tief, mit Steinen ausgemauert und schien sehr alt. Das Wasser war leicht salzig, schmeckte aber nicht schlecht, wenn man es frisch trank; nur in den Schläuchen wurde es rasch faulig. Das Tal hatten im Vorjahr Regengüsse überflutet, so daß einige trockene und dürftige Weideplätze vorhanden waren, auf die wir unsere Kamele trieben, damit sie bis Dunkelwerden fleißig grasen konnten. Dann wurden sie nochmals getränkt und unter einem Hang, etwa eine halbe Meile vom Wasser entfernt, für die Nacht angebunden. So blieb der Brunnen frei, falls ein oder das andere Streifkorps ihn im Dunkeln benutzen wollte. Doch unsere Posten hörten nichts.

Wie üblich waren wir schon vor Sonnenaufgang wieder unterwegs; und nach einem öden Ritt über eine noch ödere Ebene erreichten wir noch gerade vor Sonnenuntergang Khabar Adjadj, unsere Tagesstation. Der Brunnen enthielt heuriges Regenwasser, gut für Kamele und noch eben trinkbar für Menschen. Wir hatten geglaubt, Howeitats hier zu finden; aber der Boden war kahl gegrast und das Wasser faulig geworden durch die Tiere, während sie selbst davongegangen waren. Auda suchte nach ihren Spuren, konnte aber keine entdecken: die Stürme hatten den Sand zu neuen sauberen Rillen glatt gefegt. Wenn wir indessen nordwärts ritten, mußten wir auf sie stoßen.

Der folgende Tag war, so endlos lang uns die Zeit auch schon erschien, erst der vierzehnte seit unserm Aufbruch von Wedjh; und die aufgehende Sonne fand uns bereits wieder auf dem Marsch, über Flächen von Kalkstein und Sand, in Richtung auf einen vorspringenden Winkel der »Großen Nefudh«, jenes berühmten Sandsteingürtels, der den Djebel Schammar von der Syrischen Wüste trennt. Von bekannten Reisenden hatten ihn Palgrave, die beiden Blunts und Gertrud Bell durchkreuzt; und ich bat Auda, ein wenig abzubiegen und, ihren Spuren folgend, in diese Zone einzudringen. Aber er entgegnete brummend, daß man den Nefudh nur notgedrungen, auf Raubzügen, beträte, und daß der Sohn seines Vaters auf einem wankenden, ausgezehrten Kamel keine Raubzüge mache. Unsere Sache sei, Arfadja lebend zu erreichen.

So zogen wir denn brav in gleicher Richtung weiter über eintönigen, glitzernden Sand und über jene noch weit schlimmeren Strecken, »Giaan« genannt, aus blank poliertem Schlamm, so weiß und glatt fast wie Schreibpapier und oft über Quadratmeilen ausgedehnt. Sie warfen das Sonnenlicht mit einer glasharten Gewalt in unsere Gesichter zurück, so daß es nicht nur von oben mit einem wahren Pfeilregen von Strahlen uns beschoß, sondern auch von unten, gespiegelt, durch unsere widerstandsunfähigen Augenlider drang. Es war kein gleichmäßiger Druck, sondern ein auf und ab wogender Schmerz, manchmal zu einer Höhe gesteigert, daß man fast ohnmächtig wurde, um dann wieder für einen Augenblick sich kühl zu lindern, wenn etwas wie ein Trugschatten gleich einem Flor sich über die Netzhaut zog; das gab uns dann jedesmal eine kurze Atempause, um neue Leidenskraft zu sammeln, wie wenn ein Ertrinkender für Augenblicke zur Oberfläche auftaucht. Wir redeten kaum noch miteinander. Aber gegen sechs Uhr machten wir erleichtert halt und buken frisches Brot zur Abendmahlzeit.

Nach Dunkelwerden krochen wir noch drei Stunden weiter, bis wir die Höhe eines Sandrückens erreichten. Und hier sanken wir dankerfüllt in Schlaf, nach einem furchtbaren Tag voll Glutwind, Staubstürmen und Triebsand, der uns in die entzündeten Gesichter biß und zeitweise, bei stärkeren Windstößen, jede Aussicht auf den Weg verhüllte und unsere klagenden Kamele hin und her trieb. Auda jedoch war besorgt wegen morgen, denn er sagte sich, daß ein nochmaliger heißer Gegenwind uns auch noch einen dritten Tag in der Wüste aufhalten würde, und dafür hatten wir kein Wasser mehr. So weckte er uns noch während der Nacht, und ehe der Tag anbrach, erreichten wir die Ebene von Biseita (was eine scherzende Anspielung ist auf ihre ungeheure Ausdehnung und Flachheit). Der feine Schotter aus sonnengebräunten Kieseln, der die Oberfläche bedeckte, war von einem wohltuenden Dunkel für unsere triefenden Augen; doch war der Weg heiß und hart für unsere Kamele, von denen einige wundgelaufen waren und lahmten.

Die aus den sandigen Ebenen der arabischen Küste stammenden Kamele haben weiche Wülste unter den Hufen. Werden nun solche Tiere ohne langsame Gewöhnung zu andauernden Märschen im Innern über Kieselgrund oder anderen hitzehaltenden Boden benutzt, so brennen die Sohlen durch, und die Blasen springen schließlich auf, wobei das rohe Fleisch oft in einer Breite von zwei Zoll und mehr zutage tritt. In solchem Zustand können sie wie sonst über weichen Sand gehen; wenn aber der Fuß zufällig auf einen Kiesel tritt, so stolpern sie und zucken zusammen, als wären sie auf Feuer getreten; und auf langen Märschen brechen sie schließlich ganz zusammen, falls sie nicht besonders zäh sind. Daher ritten wir sehr vorsichtig und suchten mit Sorgfalt die weichsten Stellen des Weges, Auda und ich voran.

Plötzlich fegten ein paar Staubwolken mit dem Winde vor uns vorüber. Auda sagte, es wären Strauße; und bald kam ein Mann angelaufen mit zwei großen, elfenbeinfarbenen Eiern. Wir bestimmten diese gütige Gabe der Biseita zu unserm Frühstück und suchten nach Brennmaterial, fanden aber in zwanzig Minuten kaum eine Handvoll Gras. Die Öde der Wüste machte uns einen Strich durch die Rechnung. Die Lastkamele zogen vorüber, und mein Blick fiel zufällig auf eine Ladung Schießbaumwolle. Eine Packung wurde geöffnet und der Inhalt vorsichtig in das Feuer gebröckelt, das wir auf einem Stein unter den Eiern angezündet hatten, bis das Gericht als gar erklärt wurde. Nasir und Nesib waren, höchst interessiert, abgestiegen, um ihren Spott an uns auszulassen. Auda zog seinen silberbeschlagenen Dolch und schlug dem ersten Ei die Spitze ab. Ein pestilenzialischer Gestank verbreitete sich, und wir entwichen schleunigst nach einer geruchfreien Stelle, wobei wir das zweite heiße Ei mit sanften Fußtritten vor uns herrollten. Nachdem es geöffnet war, erwies es sich als leidlich frisch und hart wie Stein. Wir bohrten seinen Inhalt mit dem Dolch auf Kieselplatten, die uns als Teller dienten, und verzehrten die Stücke; sogar Nasir, der nie vorher in seinem Leben so tief gesunken war, Straußeneier zu essen, ließ sich überzeugen und nahm seinen Anteil. Das allgemeine Urteil lautete: – Zäh und hart, aber für die Biseita immerhin ganz gut.

Zaal entdeckte eine Oryx-Antilope, beschlich sie und brachte das Tier zur Strecke. Die besseren Stücke wurden auf die Lastkamele verstaut für die nächste Rast, dann ging der Marsch weiter. Später sahen die stets hungrigen Howeitat noch weitere Oryx in der Ferne und pirschten die Tiere an, die törichterweise eine kurze Strecke davonliefen, dann wieder hielten, nach den Näherkommenden äugten, um wiederum ein Stückchen davonzugaloppieren. Aber da war es schon zu spät. In der blendenden Luftspiegelung verrieten ihre weißleuchtenden Bäuche jede ihrer Bewegungen.

Ich war zu müde und überdies zu wenig Jäger, um selbst wegen des seltensten Wildes der Erde vom Wege abzuweichen; daher ritt ich der Karawane nach, die ich mit dem weitausholenden Trab meines Kamels rasch einholte. Am Schluß der Kolonne marschierten meine Diener zu Fuß. Sie fürchteten, ihre Tiere würden, falls sich der Wind noch verstärkte, bis zum Abend zusammenbrechen, und führten sie daher an der Hand, in der Hoffnung, sie auf diese Weise durchzubringen. Ich erging mich in Betrachtung des Gegensatzes zwischen Mohammed, dem derben, schwerfälligen Bauern, und den geschmeidigen Ageyl, Farradj und Daud, die nur so dahintanzten, barfüßig und mit den feinen Gliedern einer Vollblutrasse. Nur Gasim fehlte: sie vermuteten ihn bei den Howeitat, denn sein mürrisches Wesen störte ihre fröhliche Gemeinschaft, und er hielt sich lieber zu den Beduinen, die besser zu seiner Art paßten.

Da niemand mehr hinter uns war, ritt ich nach vorn, um nach seinem Kamel zu suchen, und fand es schließlich, reiterlos, von einem Howeitat geführt. Satteltaschen, Büchse, Proviant, alles war da, nur er selbst war nirgends zu sehen. Allmählich wurde uns klar, daß der Unglückselige sich verloren haben mußte: eine sehr böse Sache, denn bei dem Dunst und der Blendung durch das grelle Licht konnte die Karawane auf höchstens zwei Meilen gesichtet werden, und auf dem stahlharten Boden hinterließ sie keinerlei Spuren; zu Fuß konnte er uns nie wieder einholen.

Jeder hatte sich bei dem Gedanken beruhigt, er würde schon irgendwo in der weit auseinandergezogenen Kolonne mitmarschieren. Darüber war viel Zeit vergangen, schon war es fast Mittag, und er mußte auf Meilen zurück sein. Sein beladenes Kamel bewies, daß wir ihn nicht etwa schlafend beim Aufbruch von unserm nächtlichen Rastplatz vergessen hatten. Die Ageyl vermuteten, daß er vielleicht im Sattel eingeduselt, dann heruntergefallen und dabei bewußtlos geworden oder umgekommen war; möglicherweise auch hatte einer aus der Expedition irgendeinen alten Groll gegen ihn ausgetragen. Jedenfalls wußte niemand etwas; Gasim war ihnen ein mürrischer Fremdling, der sich an keinen näher angeschlossen hatte, und keiner hatte sich auch viel um ihn gekümmert.

Dazu kam, daß Mohammed, sein Landsmann und spezieller Lager- und Weggenosse, die Wüste nicht kannte, ein wundgerittenes Kamel hatte und unmöglich umkehren und ihn suchen konnte.

Ich überblickte flüchtig meine zu Fuß gehenden Diener und überlegte einen Augenblick, ob ich einem von ihnen mein Kamel geben und ihn zur Rettung Gasims zurückschicken sollte. Man würde es mir zugute gehalten haben, wenn ich mich um diese Pflicht herumgedrückt hätte, da ich ja ein Ausländer war; aber gerade darauf wollte ich nicht pochen, da ich ja doch Anspruch erhob, den Arabern in diesem ihrem Aufstand ein Helfer zu sein. Es ist in jedem Fall schon schwierig für einen Außenstehenden, auf die nationale Bewegung eines fremden Volkes Einfluß zu gewinnen; doppelt schwierig für einen Christen und Seßhaften, auf mohammedanische Nomaden bestimmend einzuwirken. Ich würde mir selbst meine Stellung erschwert oder unmöglich gemacht haben, wenn ich, je nach Umständen, die Vorrechte beider Kulturkreise in Anspruch genommen hätte.

Ohne ein Wort zu sagen, ließ ich daher mein widerstrebendes Kamel kehrtmachen und zwang das unwillig brummende und nach seinen Freunden stöhnende Tier an der langen Kolonne von Menschen und Lastkamelen vorbei in die Leere der Wüste hinaus. Meine Stimmung war wenig heroisch. Ich war wütend über meine Diener, über mich selbst und meine ganze Beduinenspielerei, und am wütendsten über Gasim, diesen zahnlückigen, mürrischen Burschen, zänkisch und schlecht gelaunt auf allen Märschen, argwöhnisch und roh, einen Mann, dessen Anwerbung ich längst bereute, und den ich bei nächster günstiger Gelegenheit wieder loszuwerden mir vorgenommen hatte. Es erschien mir geradezu unsinnig, daß ich mich und alles, was ich für das arabische Unternehmen bedeutete, um eines einzigen, noch dazu so wertlosen Menschen aufs Spiel setzen sollte.

Mein Kamel schien, nach seinem brummigen Knurren zu urteilen, ähnliches zu empfinden, aber das war wohl nur der übliche Kamelprotest gegen schlechte Behandlung. Nach ein bis zwei Meilen ging es schon besser, und es bewegte sich weniger widerspenstig vorwärts, wenn auch immer noch langsam. Ich hatte unsere Marschrichtung alltäglich mit meinem Ölkompaß festgestellt und hoffte mit seiner Hilfe bis zu unserem letzten Rastplatz, siebzehn Meilen entfernt, zurückzufinden.

Ich war etwa anderthalb Stunden ziemlich mühelos geritten, denn dank dem Rückenwind konnte ich den Schorf von den entzündeten Augen wischen und fast ohne Schmerz um mich blicken; da bemerkte ich vor mir etwas wie eine Gestalt oder auch einen großen Busch, jedenfalls etwas Dunkles. Die vibrierende Luftspiegelung machte es unmöglich, Größe oder Entfernung zu erkennen; aber der Gegenstand schien sich etwas östlich von meiner Straße zu bewegen. So ritt ich auf gut Glück darauf zu, und in wenigen Minuten erkannte ich, daß es Gasim war. Als ich ihn anrief, stand er verwirrt still, und beim Näherkommen sah ich, daß er fast erblindet und nicht mehr recht bei Sinnen war: er stand da, die Arme nach mir ausgestreckt und den schwarzen Mund lallend aufgesperrt. Ich gab ihm Wasser, unser letztes, das die Ageyl in meinen Schlauch gefüllt hatten, und in der Gier zu trinken, verschüttete er den größten Teil sinnlos über Gesicht und Brust. Danach hörte er mit dem Lallen auf und begann seinen Jammer herauszuwürgen. Ich setzte ihn vor mich quer über die Kruppe meines Kamels, ließ es hochgehen und ritt los.

Bei der Rückkehr schien das Tier wesentlich erleichtert und ging ohne Antrieb vorwärts. Trotz des doppelten Gewichtes begann es tüchtig auszugreifen; ja, bisweilen sogar senkte es den Kopf und ging streckenweise in jenem freien und angenehm wiegenden Trab, den geübte Reiter den besten Tieren in der Jugend beibringen. Dieser Beweis noch aufgesparter Kraft machte mir große Freude, ebenso wie der Umstand, daß ich nur so wenig Zeit bei der Suche verloren hatte.

Gasim jammerte fortwährend über die Schrecken und Qualen des Durstes. Ich befahl ihm zu schweigen; aber er fuhr fort und saß auch nicht mehr fest, so daß er schließlich bei jedem Tritt auf die Kruppe des Kamels mit einem Ruck aufbumste, was, ebenso wie sein Geschrei, das Tier zu immer größerer Eile anspornte. Es war gefährlich, denn auf diese Weise konnten wir das Tier zuschanden reiten. Ich befahl ihm nochmals, still zu sein, und als er nur noch lauter jammerte, zog ich ihm ein paar über und schwor, ich würde ihn einfach abwerfen, wenn er noch einen Ton von sich gäbe. Diese Drohung, der meine sichtliche Wut den nötigen Nachdruck gab, wirkte. Von da ab klammerte er sich grimmig fest und ließ keinen Laut mehr hören.

Nach kaum vier Meilen gewahrte ich vor mir wiederum etwas dunkel Schattenhaftes, das in der Luftspiegelung auf und ab tanzte, dann sich in drei Teile spaltete und größer wurde. Ich überlegte, ob es vielleicht Feinde wären – als einen Augenblick später der Dunstvorhang mit traumhafter Plötzlichkeit verflog und ich Auda erkannte, der mit zwei von Nasirs Leuten zurückgeritten war, um mich zu suchen. Ich schrie ihnen Hohn und Spott entgegen, daß sie einen Kameraden hilflos in der Wüste zurückgelassen hätten. Auda zerrte an seinem Bart und meinte grollend, wäre er zur Stelle gewesen, ich würde nicht umgekehrt sein. Gasim wurde unter Beschimpfungen auf den bequemeren Sattel eines anderen Reiters gepackt, und wir schunkelten davon.

Nach einer Stunde trafen wir Nasir und Nesib im Nachtrab der Karawane. Nesib machte mir Vorwürfe, weil ich einer Grille wegen mein und Audas Leben in Gefahr gebracht hatte. Nach seiner Meinung hatte ich bestimmt damit gerechnet, daß sie mich suchen kommen würden. Nasir war empört über eine so unedelmütige Auffassung, und Auda nahm gern die Gelegenheit wahr, um einem Städter wie Nesib den Unterschied zwischen Stamm und Stadt deutlich unter die Nase zu reiben: den Unterschied zwischen der gemeinschaftlichen Verantwortung und Brüderlichkeit in der Wüste und der Abgeschlossenheit des einzelnen, des Kampfes aller gegen alle im Gedränge der Stadt.

Über diesem kleinen Zwischenfall waren vier Stunden vergangen, und der Tag schien nicht mehr so lang; doch hatte die Hitze noch zugenommen, und der Sandsturm schlug uns ins Gesicht, so daß wir die Luft sehen und hören konnten, wie sie, dick wie Rauch, um unsere Kamele pfiff. Der Boden war flach und eben, bis wir gegen fünf Uhr niedrige Erhebungen vor uns sahen und uns bald danach in leidlicher Windstille inmitten von Sandhügeln fanden, spärlich mit Tamarisken bewachsen. Es war der Kaseim, zum Sirhan gehörig. Büsche und Dünen brachen den Wind, die Sonne ging unter, und im Westen stieg ein milder, rötlicher Abend herauf. So notierte ich in mein Tagebuch: Der Sirhan ist herrlich.

Da wir keinen Schluck Wasser mehr hatten, konnten wir natürlich auch nichts essen, und so wurde es eine recht enthaltsame Nacht. Doch die Gewißheit, morgen Wasser zu bekommen, ließ uns leidlich schlafen, auf dem Bauch liegend, um einem etwaigen Hungerödem vorzubeugen. Die Araber pflegen sich an jedem Brunnen bis zum Überlaufen voll zu trinken, um dann lieber bis zum nächsten zu dursten; etwa mitgenommenes Wasser wird schon bei der ersten Rast zum Trinken und Brotbacken fast vollständig verbraucht.

Am nächsten Morgen ritten wir einige Hänge hinab, dann über einen hohen Rücken und noch einen und noch einen, jeder drei Meilen vom andern entfernt. Um acht Uhr hielten wir beim Brunnen von Arfadja, genannt: der süß duftende Busch, und in der Tat roch es köstlich ringsum. Der ungefaßte Brunnen hatte eine Tiefe von etwa achtzehn Fuß, sein Wasser war dick wie Sahne, von starkem Geruch und salzigem Geschmack. Wir fanden es köstlich; und da es genug Grünfutter gab für die Kamele, beschlossen wir, einen Tag hier zu bleiben.


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