Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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25. Vorstoß gegen Maan

Zeid ließ sich auch weiter durch die Ungunst des Wetters festhalten. Vergebens eiferte ich dagegen, wurde aber dann plötzlich nach Palästina gerufen zu einer dringenden Besprechung mit Allenby. Er sagte mir, daß das Kriegskabinett einen starken Druck auf ihn ausübe, um für den Stillstand im Westen Ausgleich zu schaffen. Er sollte, so rasch es ginge, wenigstens Damaskus nehmen, und wenn möglich auch Aleppo. Die Türkei sollte sofort und für immer aus dem Krieg ausgeschaltet werden. Die Schwierigkeit lag für ihn auf seinem östlichen, rechten Flügel, der am Jordan festgehalten war. Er habe mich gerufen, um zu erwägen, ob die Araber ihn auf diesem Flügel entlasten könnten.

Ich wandte ein, das hieße den Jordan-Feldzug lediglich vom englischen Gesichtspunkt aus betrachten. Allenby gab das zu und fragte, ob wir trotzdem in seinem Sinne eingreifen könnten. Ich sagte: Nicht unmittelbar, sondern erst dann, wenn gewisse andere Bedingungen zuvor erfüllt wären.

Die erste war der Besitz von Maan. Wir mußten es nehmen, ehe wir an die weiteren Aufgaben herangehen konnten. Falls durch Zuweisung weiterer Transportmittel die Reichweite der arabischen regulären Armee verlängert wurde, so konnte sie einige Meilen nördlich von Maan Stellung nehmen und den Eisenbahnverkehr dauernd unterbrechen. Die Garnison von Maan wurde dadurch gezwungen, aus dem festen Platz herauszukommen und diese Stellung anzugreifen; im offenen Felde aber würden vermutlich die Araber die Türken ohne Mühe schlagen. Zu dieser Operation bedurften wir weiterer siebenhundert Lastkamele sowie noch einer Anzahl Geschütze und Maschinengewehre; und ferner einer sicheren Deckung gegen einen Gegenangriff von Amman her, solange wir mit Maan beschäftigt waren.

Auf dieser Basis wurde der Plan im einzelnen ausgearbeitet. Allenby gab Befehl, zwei Einheiten des »Kamel-Transport-Korps«, einer in Ägypten aufgestellten Organisation, nach Akaba zu schicken, von englischen Offizieren geführt, die sich im Beerseba-Feldzug vorzüglich bewährt hatte. Eine sehr wertvolle Gabe, denn ihre Transportfähigkeit setzte uns instand, unsere viertausend Regulären bis auf achtzig Meilen von ihrer rückwärtigen Basis vorzuschieben. Auch Geschütze und Maschinengewehre wurden zugesagt. Was unsere Deckung gegen einen etwaigen Angriff von Amman betraf, so erklärte Allenby, das leicht bewerkstelligen zu können. Er beabsichtigte, schon zur Sicherung seiner eigenen Flanken, binnen kurzem Salt, jenseits des Jordan, zu nehmen und es mit einer indischen Brigade zu halten. Auf morgen wurde eine Besprechung der Korpsführer anberaumt, bei der ich zugegen sein sollte.

Bei dieser Besprechung wurde festgesetzt, daß die arabische Armee auf das Plateau von Maan vorrücken und den Ort selbst nehmen sollte. Ferner sollten die Engländer den Jordan überschreiten, Salt besetzen und soviel wie möglich von der Eisenbahn südlich Amman zerstören, insbesondere den großen Tunnel. Es kam auch zur Sprache, wieweit die Araber des Bezirks Amman an der englischen Operation teilnehmen sollten. Bols war dafür, sie gleich beim Vormarsch über Salt hinaus mitzuverwenden. Ich sprach dagegen, denn ein späteres Zurückziehen auf Salt konnte allerhand beunruhigende Gerüchte mit sich bringen, und es war vorteilhafter, abzuwarten, bis sie sich von selbst uns anschlössen.

Chetwode, der den Vormarsch leiten sollte, fragte, wie denn seine Leute die freundlich gesinnten Araber von den feindlichen unterscheiden sollten, zumal sie doch von vornherein eine ausgesprochene Abneigung hätten gegen alle Art Männer in langen Kleidern. Ich saß in ihrer Mitte, mit langem arabischen Rock angetan, und erwiderte, erklärlicherweise, daß wiederum alle, die lange Kleider trügen, Männer in Uniform nicht leiden könnten. Das allgemeine Gelächter erledigte diese Frage; und es wurde abgemacht, daß die einheimischen Stämme erst dann zur Mitwirkung aufgeboten werden sollten, wenn die Engländer Salt in dauerndem Besitz halten wollten.

Ich verbürgte mich für Faisals eifrigste Mitwirkung bei allen Einzelheiten dieses Operationsplans, und gleich nach Schluß der Besprechung eilte ich im Flugzeug nach Akaba, um Faisal für unsere Absichten zu gewinnen. Ich brachte ihm die gute Nachricht, daß Allenby als Dank für unsere Taten bei Aba el Lissan und am Toten Meer mir dreihunderttausend Pfund zur freien Verwendung zur Verfügung gestellt und uns Transportkolonnen in Stärke von siebenhundert Lastkamelen mit Personal und Ausrüstung überwiesen hätte.

Gerade das erregte große Freude in der Armee, denn nun, durch die Transportkolonnen beweglich geworden, konnten wir den Wert der regulären arabischen Truppen im Feld beweisen, an deren Ausbildung und Organisation Joyce, Djaafar und so manche arabischen und englischen Offiziere viele Monate lang gearbeitet hatten. Wir entwarfen Marschpläne und ein genaues Schema für die Kolonnenbewegung; dann fuhr ich eilig zu Schiff nach Ägypten.

In Kairo, wo ich vier Tage verbrachte, war unsere Sache nun nicht mehr von wechselnden Glücksfällen abhängig. Allenbys Geneigtheit verschaffte uns sogar einen vollständigen Stab: wir hatten jetzt Nachschuboffiziere, einen Marinesachverständigen, einen artilleristischen Berater und eine Nachrichtenabteilung, das ganze unter der Oberleitung von Alan Dawnay, einem Bruder des Eroberers von Beerseba, der jetzt nach Frankreich gegangen war. Dawnay war Allenbys größte Gabe an uns – wertvoller als tausend Lastkamele. Als Berufsoffizier hatte er die sichere Hand des Fachmanns, dessen methodische Überlegenheit auch unsere hitzigsten Draufgänger anerkennen mußten. Er war ein kluger, einsichtsvoller Kopf, der instinktiv die ganz besonderen Gegebenheiten und Erfordernisse eines Aufstandes herausfühlte; zugleich aber brachte seine Kriegserfahrung gänzlich neue Gesichtspunkte in die Durchführung einer so ganz anders gearteten Aufgabe. Regulärer Krieg und Aufstand waren gewissermaßen in seiner Person vereinigt, wie ich es mir, seit Janbo, für jeden bei uns tätigen Berufsoffizier gewünscht hatte. Aber in meiner dreijährigen Praxis war Dawnay der einzige, der diesem Ideal gerecht wurde.

Die arabische Bewegung hatte sich bisher gleichsam nur als eine Art Wild-West-Schau ausgewirkt, in ihren Mitteln ebenso beschränkt wie in ihren Möglichkeiten und Aufgaben. Von nun an jedoch rechnete Allenby mit ihr als einem wesentlichen Faktor seines Gesamtplans; und das Bewußtsein, jetzt als verantwortliche Mitträger der großen Entscheidung unser Bestes, womöglich noch über seine Erwartung hinaus, daransetzen zu müssen, zugleich mit der Erkenntnis, daß Fehler und Versagen von unserer Seite unfehlbar mit dem Leben seiner Soldaten bezahlt werden würden, entrückte für uns den Aufstand mit einemmal der Sphäre eines frisch-fröhlichen Kleinkrieges, so daß uns fast ein wenig bange wurde.

Zusammen mit Joyce arbeiteten wir unsern dreifachen Plan zur Unterstützung von Allenbys erstem Vorstoß aus. In unserm Zentrum sollten die arabischen Regulären, unter Djaafar, Maan angreifen. Inzwischen sollte Joyce mit den Panzerautos nach Mudowwara vorstoßen und die Eisenbahn zerstören – nun aber nachhaltig und für immer, da wir jetzt so weit waren, Medina abzuschneiden.

Mirzuk sollte mit mir nordwärts reiten, um den Anschluß an die englischen Streitkräfte bei Amman herzustellen. Nachdem Joyce und Dawnay aufgebrochen waren, machte ich mich am 3. April 1918 mit Mirzuk von Aba el Lissan aus auf den Weg. Unser Abmarsch ließ sich an, als solle er so recht zur Krönung der Frühlingsherrlichkeit dieses hohen Tafellandes werden. Noch eine Woche zuvor hatte ein heftiger Schneesturm geweht, und etwas von dem weißen Glanz des Schnees schien noch in der Luft zu liegen. Der Boden war belebt vom ersten jungen Grün, und das schräge Sonnenlicht, gelbleuchtend wie Stroh, sänftigte den flatternden Wind.

Mit uns marschierten zweitausend Sirhankamele, die unsere Munition und Lebensmittel trugen. In Rücksicht auf den Transport wurde langsam vorgerückt, um erst bei Dunkelheit an die Eisenbahn zu kommen. Eine kleine Abteilung ritt voraus, um die Bahnlinie bei Tageslicht zu erkunden und den stundenlangen Übergang unserer Kolonne zu sichern.

Gegen Sonnenuntergang kam die Bahnlinie in Sicht, die in weiten Kurven zwischen Grasbüscheln und Gesträuch das offene Land durchquerte. Da alles friedlich schien, eilte ich voraus in der Absicht, jenseits zu halten und unsern Übergang zu bewachen. Eine leichte Erregung befiel mich jedesmal wieder beim Überkreuzen der Bahn, die der Gegenstand so vieler unserer Mühen gewesen war.

Als ich den Damm hinaufritt, strauchelte mein Kamel in der lockeren Schotterung; und aus dem langen Schatten eines Abzugskanals links von mir erhob sich ein türkischer Soldat, der zweifellos dort den Tag über geschlafen hatte. Er blinzelte betroffen auf mich und den schußbereiten Revolver in meiner Hand und schielte dann betrübt auf sein Gewehr, das einige Yard entfernt an der Mauer des Durchlasses lehnte. Er war ein junger, kräftiger Mann, sah aber recht unzufrieden aus. Ich sah ihn fest an und sagte leise: »Gott ist gnädig.« Er kannte Klang und Sinn dieser arabischen Redewendung und hob seine Augen blitzschnell zu mir auf, indes sich über sein dumpfes, schlaftrunkenes Gesicht allmählich ein Glanz ungläubiger Freude breitete.

Doch er sagte nicht ein Wort. Ich drückte den Fuß in die wollige Schulter meines Kamels, es trat mit leichten, graziösen Schritten über die Schienen und stieg den Damm jenseits hinunter. Der kleine Türke war Ehrenmann genug, mir nicht in den Rücken zu schießen, während ich davonritt. Ich fühlte, wie stets für ein Leben, das man gerettet hat, warme Sympathie für ihn. Aus sicherer Entfernung schaute ich zurück. Er legte den Daumen an die Nase und blinkelte mit den Fingern nach mir zum Abschied.

Wir zündeten ein kleines Kaffeefeuer an als Wegweiser für die nachfolgende Kolonne und warteten, bis ihre dunkle Linie an uns vorüberzog. Am nächsten Tag marschierten wir nach Wadi el Djinz, zu den dortigen Wasserstellen, flachen Tümpeln in den Vertiefungen des tonigen Bodens, deren Ränder durch krüppeliges Unterholz gefestigt waren. Das Wasser war grau wie der mergelhaltige Talgrund, aber wohlschmeckend. Dort rasteten wir für die Nacht; Zaagi schoß eine Trappe, und Xenophon hat recht, wenn er berichtet, ihr weißes Fleisch liefere einen guten Braten. Während wir uns gütlich taten, machten es die Kamele ebenso; sie steckten knietief in saftigem Weidegrün von Frühlings Gnaden.

Ein vierter bequemer Marsch brachte uns zu den Atara, unserm vorläufigen Ziel, wo unsere Bundesgenossen Mifleh, Fahad und Adhub lagerten. Fahad war noch niedergedrückt, aber Mifleh begrüßte uns mit honigsüßen Worten, die Stimme heiser und das Gesicht verzerrt vor Gier.

Unsere Aufgabe war dank Allenbys Löwenanteil einfach durchzuführen. Sobald alles bereit war, wollten wir, die Bahn kreuzend, auf Themed vorrücken, die Hauptwasserstelle der Beni Sakhr. Von da wollten wir unter dem Schutz ihrer Kavallerie auf Madeba marschieren, das als unser Hauptquartier eingerichtet werden sollte, während Allenby die Straße zwischen Jericho und Salt instand setzen ließ. Also konnten wir, ohne einen Schuß abzufeuern, an die englische Armee Anschluß gewinnen.

Bis es soweit war, hatten wir im Tal von Atatir zu warten. Es war, zu unserer Freude, überall mit frischem Grün bewachsen; in jedem Loch stand reichlich Wasser, und der Talboden prangte in üppigem, durchblümtem Gras. Die kalkigen Höhenrücken, des salzigen Bodens wegen unfruchtbar, umrahmten mit ihrem leuchtenden Gelb die Wasserläufe. Vom obersten Punkt der Höhen hatte man freien Blick nach Norden und Süden und konnte sehen, wie die abfließenden Regenbäche breite Streifen von Grün quer über die weißen Talgründe hingemalt hatten, klar abgesetzt wie mit Pinselstrichen. Überall wuchs und sproßte es, täglich gewann das Bild an Farbenfülle, bis dann dieser Wüstenstrich das Ansehen reichbewässerter Matten bekam. Spielerische Windstöße wehten und wirbelten durcheinander und fegten mit breiten kurzen Stößen über das hohe Gras dahin, das in Wogen dunkler und hellerer Schattierung schimmerte gleich halbwüchsiger Saat. Oben auf der Höhe saßen wir, erschauernd vor dem Dunkel heranfegender Schatten des Windes, der in kaltem, heftigem Stoß heranzukommen schien – und dann glitt ein warmer duftender Hauch ganz sanft über unser Gesicht und strich wie ein silbergraues Licht über das Grün der Ebene dahin. Die wählerischen Kamele grasten nur etwa eine Stunde, um sich dann zur Verdauung niederzulegen, wo sie Bollen auf Bollen des butterduftenden Grüns wieder hervorbrachten, um ihn gewichtig wiederzukäuen.

Dann kam die Nachricht, daß die Engländer Amman genommen hatten. Schon eine halbe Stunde darauf marschierten wir, die verlassene Bahnlinie kreuzend, auf Themed. Spätere Botschaften besagten, daß die Engländer wieder im Zurückgehen wären. Obgleich wir die Araber auf diese Möglichkeit vorbereitet hatten, waren sie doch sichtlich verstört. Ein weiterer Bote berichtete, daß die Engländer eben von Salt geflohen wären. Das stand in schroffem Widerspruch mit Allenbys Absichten, und ich schwor sofort, das könnte unmöglich wahr sein. Ein Reiter kam angaloppiert und meldete, daß die Engländer nach zweitägigem, vergeblichem Ansturm auf Amman nur ein Stück Geleise südlich der Stadt zerstört hätten. Nun wurde ich doch ernstlich beunruhigt durch die sich widersprechenden Nachrichten und entsandte Adhub, dem man wohl zutrauen konnte, daß er nicht gleich den Kopf verlieren würde, nach Salt mit einem Brief an Chetwode oder Shea, worin ich bat, mir eine kurze schriftliche Notiz über die wirkliche Lage zu geben. In den Stunden, bis er zurück sein konnte, marschierten wir ruhelos weiter, junge Gerstenfelder zertrampelnd, indes das Gehirn in fieberhafter Tätigkeit Plan auf Plan erwog.

Spät in der Nacht hörte man die raschen Hufschläge von Adhubs Rennpferd durch das Tal hallen. Er brachte die Nachricht, daß Djemal Pascha siegreich in Salt stände und alle Araber, die die Engländer willkommen geheißen hatten, aufknüpfen ließe. Die Türken seien noch immer im Vorgehen und trieben die Engländer weit ins Jordantal hinunter. Man glaubte, auch Jerusalem würde vom Feinde zurückerobert werden. Ich kannte meine Landsleute zur Genüge, um diese Möglichkeit für ausgeschlossen zu halten. Sicherlich aber stand es sehr schlecht. Wir machten kehrt und zogen niedergeschlagen ins Tal von Atatir zurück.

Dieser Rückschlag, so gänzlich unvorhergesehen, traf mich am allerschwersten. Allenbys Plan war mir maßvoll und wohlbedacht erschienen, und daß wir damit solches Fiasko erleben sollten vor den Arabern, war höchst beklagenswert. Sie hatten uns in Wahrheit nie diese großen Dinge zugetraut, die ich vorausgesagt hatte; und ihre freiheitsfrohen Gemüter ergingen sich nun sogleich in der Hoffnung, die schöne Frühlingszeit hier nach Herzenslust zu genießen.

Ich beschloß, die Inder in Azrak zu Faisal zurückzusenden und mich selbst zu ihm aufzumachen. Wir brachen auf an einem jener reinen klaren Morgen, wo alle Sinne mit der heraufsteigenden Sonne erwachen, indes der Geist, ermüdet von langen Nächten des Grübelns, dennoch stumpf und unempfänglich bleibt. An einem solchen Morgen berühren den Menschen Töne, Düfte und Farben der Welt ursprünglich und unmittelbar, ohne erst durch den Filter des Verstandes gesiebt und gesichtet zu sein. Die Dinge scheinen für sich, aus eigenem Recht, zu existieren, und die Zwecklosigkeit und Willkür der Schöpfung stört den sinnenden Geist nicht mehr.

Wir trafen die Inder nahe beim Wadi el Djinz, wo sie unter einem einsamen Baum lagerten. Es schien alles wie damals vor einem Jahr bei jenem hoffnungsvollen und denkwürdigen Marsch gegen die Yarmukbrücken; wie damals ritt ich jetzt neben Hassan Schah, hörte wie damals das Wuchten und Klappern der Vickers-Geschütze in ihren Traggestellen; und wie immer mußten wir den Indern helfen, Lasten neu aufzubinden und verrutschte Sättel zu richten; sie schienen ebenso ungeschickt im Umgang mit Kamelen wie früher. So kamen wir nur langsam weiter und überschritten erst bei Dunkelheit die Bahn.

Dort verließ ich die Inder; denn ich fühlte mich ruhelos, und vielleicht, daß lange Ritte bei Nacht mein Gemüt besänftigen mochten. Also ritten wir fürbaß durch die kühle Dunkelheit auf Odroh zu. Als wir auf die dortige Höhe kamen, sahen wir links von uns Feuerschein: beständiges helles Aufflammen, es konnte aus der Gegend von Jerdun kommen. Wir hielten an und hörten die dumpfen Schläge von Explosionen; eine breite Flamme erschien, wuchs immer höher und schlug dann in zwei Teile auseinander. Vielleicht, daß die Station brannte. Rasch ritten wir weiter, um uns bei Mastur zu erkundigen.

Doch die Stelle, wo er gestanden hatte, war verlassen, nur ein Schakal streifte über den alten Lagerplatz. Ich beschloß, geradeaus zu Faisal vorzudringen. Wir trabten im schärfsten Tempo, denn die Sonne stand schon hoch am Himmel. Der Weg war besät mit Heuschreckenschwärmen, was uns sehr hinderte – aus der Entfernung freilich sahen diese Tiere sehr hübsch aus, wie sie mit ihren silberschimmernden Flügeln durch die Luft schwirrten. Es war der 12. April: der Sommer war unerwartet über uns gekommen, mein siebenter bereits ohne Unterbrechung in diesem östlichen Lande.

Als wir uns dem Semna näherten, einem halbkreisförmigen Höhenrücken, der Maan beherrscht, hörten wir Gewehrfeuer vor uns. Einzelne Truppenabteilungen stiegen langsam den Hang zur Höhe hinan, um unterhalb des Kamms haltzumachen. Augenscheinlich hatten wir den Semna genommen, daher ritten wir dieser unserer neuen Stellung zu. Diesseits am Fuß der Höhe begegneten wir einem Kamel mit einer Krankentrage. Der Mann, der das Tier führte, sagte: »Maulud Pascha« und wies auf seine Last. Ich stürzte hinzu und rief: »Maulud! ist er verwundet?« Er war einer der besten Offiziere der Armee und auch uns gegenüber von einer untadeligen Ehrenhaftigkeit. Der alte Mann erwiderte aus seiner Trage heraus mit schwacher Stimme: »Ja, Lurens Bey, ich bin verwundet, aber Gott sei gelobt, nichts von Bedeutung. Wir haben den Semna genommen.« Ich sagte, ich wäre auf dem Weg dorthin; Maulud beugte sich in fieberhafter Erregung über den Rand der Bahre, kaum fähig zu sehen oder zu sprechen (sein Oberschenkel war oberhalb des Knies zerschmettert), und zeigte mir Punkt für Punkt, wie die Verteidigung der Höhe einzurichten wäre.

Wir kamen oben an, als eben die Türken begannen, ein schwaches Schrapnellfeuer auf uns zu eröffnen. Nuri Said führte an Stelle von Maulud. Er stand ruhig und kaltblütig auf der Höhe.

Ich fragte, wo Djaafar wäre. Nuri sagte, daß er den Auftrag erhalten hätte, gegen Mitternacht Jerdun anzugreifen. Ich erzählte ihm von dem nächtlichen Feuerschein, den wir gesehen hatten, was sicher als ein Zeichen des Erfolges gedeutet werden konnte. Gleich darauf kamen auch die Boten Djaafars und meldeten, daß viele Gefangene gemacht und Maschinengewehre erbeutet wären; außerdem wäre die Station mit sämtlichen Geleisen zerstört. Durch diesen großen Erfolg war die nördliche Linie für viele Wochen lahmgelegt. Darauf erzählte mir Nuri, daß sie am vergangenen Morgen in der Dämmerung die Station Ghadir el Hadj überfallen und samt fünf Brücken und vielem Geleismaterial in die Luft gesprengt hatten. Auf diese Weise war also auch die südliche Linie zum Stillstand gebracht.

Am späten Nachmittag wurde es in der Feuerlinie still. Beide Seiten hörten mit der zwecklosen Artillerieschießerei auf. Man sagte mir, Faisal wäre zur Zeit in Uheida. Wir setzten über den kleinen angeschwollenen Strom nahe bei einem Feldlazarett, wo Maulud lag. Mahmud, der rotbärtige Arzt, glaubte, daß Maulud ohne Amputation des Beines davonkommen würde. Faisal stand oben gerade auf der Spitze des Hügels, schwarz gegen die Sonne, deren abendliches Licht seine schlanke Gestalt mit einem seltsam schimmernden Dunst umwob und seinen Kopf durch die dünne Seide seines Kopftuchs hindurch wie mit Gold umleuchtete. Ich ließ mein Kamel niedergehen. Faisal streckte mir seine beiden Hände entgegen und rief: »So Gott will, gesund?« Ich erwiderte: »Ehre und Sieg stehen bei Gott.« Dann führte er mich in sein Zelt, um Neuigkeiten mit mir auszutauschen.

Faisal hatte durch Dawnay, mehr als ich selbst wußte, über das Mißgeschick der Engländer vor Amman gehört, von der Ungunst des Wetters und der allgemeinen Verwirrung und wie dann Allenby General Shea antelephoniert und eine seiner blitzartigen Entscheidungen getroffen hatte, um dem Unheil Einhalt zu tun; eine kluge und wohlüberlegte Entscheidung, obgleich sie uns schwere Sorgen bereitete. Joyce war im Lazarett, aber auf dem Wege der Besserung; und Dawney stand in Guweira bereit, um mit allen Panzerwagen gegen Mudowwara vorzustoßen.

Faisal fragte mich über Semna und Djaafar, und ich erzählte, was ich wußte, auch über Nuris Ansichten und die getroffenen Maßnahmen. Nuri hatte sich darüber beklagt, daß die Abu Tayi den ganzen Tag über so gut wie nichts getan hätten. Auda stritt das entschieden ab; und ich erinnerte ihn an die Geschichte unserer ersten Einnahme des Plateaus und an meine spöttische Bemerkung, durch die ich die Abu Tayi zu dem Angriff auf Aba el Lissan aufgestachelt hatte. Die Geschichte war neu für Faisal. Der alte Auda war tiefverletzt darüber, daß ich sie wieder aufwärmte. Er schwor mit allen Eiden, daß er heute sein Bestes getan habe, nur wären die Verhältnisse nicht günstig gewesen für eine Gefechtstätigkeit der Stämme; und als ich ihm auch weiterhin widersprach, stand er erbittert auf und verließ das Zielt.

Maynard und ich verbrachten die nächsten Tage damit, die vorgesehenen Unternehmungen zu überwachen. Die Abu Tayi eroberten zwei Außenposten östlich der Eisenbahnstation, während Saleh ibn Schefia eine kleine vorgeschobene Stellung nahm, zwanzig Gefangene machte und ein Maschinengewehr erbeutete. Diese Erfolge gaben uns völlige Bewegungsfreiheit rund um Maan. Und dann am dritten Tag zog Djaafar seine ganze Artillerie auf dem südlichen Rücken gegenüber Maan zusammen, indes Nuri Said eine Sturmabteilung zum Angriff gegen die Schuppen der Eisenbahnstation vorführte. Als er die letzte Deckung vor dem Sturm erreicht hatte, schwieg plötzlich unser Artilleriefeuer. Wir kamen gerade mit einem Fordwagen vorbei, in dem wir die verschiedenen Phasen des Angriffs verfolgten, als Nuri, in tadellosem Anzug und Handschuhen, seine Briarpfeife rauchend, an uns herantrat und uns bat, zurück zu Hauptmann Pisani, dem Artilleriekommandeur, zu fahren mit der dringenden Bitte um sofortige Unterstützung. Wir trafen Pisani händeringend und in Verzweiflung, da er alle zur Hand befindliche Munition verschossen hatte. Er sagte, er habe Nuri beschworen, nicht gerade in diesem Augenblick, wo es ihm gänzlich an Munition fehlte, anzugreifen. Da war nun nichts zu machen, und wir mußten zusehen, wie unsere Leute wieder aus dem Bereich der Station zurückgeworfen wurden. Die Straße war bedeckt mit zusammengekrümmten Gestalten in Khakiuniform, und die von Schmerz geweiteten Augen der Verwundeten starrten uns vorwurfsvoll an. Sie hatten die Herrschaft über ihre verstümmelten Leiber verloren, und ihre zerfetzten Glieder zuckten hilflos. Wir sahen das alles an, aber es ging uns nicht ein: denn unsere Sinne waren nur von dem einzigen Gedanken erfüllt, daß wir einen Fehlschlag erlitten hatten..

Später mußten wir uns eingestehen, daß wir unserer Infanterie nie eine so vorzügliche Haltung zugetraut hätten; sie hatte sich, auch unter Maschinengewehrfeuer, prachtvoll geschlagen und das Gelände geschickt ausgenutzt. In so geringem Maße hatten sie der Führung bedurft, daß wir nur drei Offiziere verloren hatten. Maan bewies uns, daß die Araber sich selbst genug waren und den englischen Rückhalt nicht brauchten. Das gab uns für später größere Handlungsfreiheit, und so war der Fehlschlag doch nicht ganz ergebnislos.

Am nächsten Morgen, dem 18. April, zog sich Djaafar, da er keine weiteren Verluste ertragen zu können meinte, in die Stellung auf dem Semna zurück, wo die Truppen blieben. Da er ein alter Schulfreund des türkischen Kommandanten war, sandte er ihm einen weißbeflaggten Brief mit der Aufforderung, sich zu ergeben. Der Kommandant antwortete, das würden sie sehr gern tun, hätten aber Befehl, bis zur letzten Patrone auszuhalten. Djaafar bot eine Frist an, innerhalb derer sie ihren Munitionsbestand verfeuern könnten. Aber die Türken zögerten, bis es Djemal Pascha gelang, von Amman Truppen heranzuziehen, Jerdun zurückzuerobern und eine Kolonne mit Lebensmitteln und Munition in die belagerte Stadt zu schicken. Die Eisenbahn blieb für Wochen unbenutzbar.


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