Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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28. Buxton und das K.K.K.

Es war jetzt Ende Juli, und Ende August mußte die Deráa-Expedition in Marsch gesetzt sein. In der Zwischenzeit mußte Buxtons Kamelkorps sein gesamtes Programm erledigen, Nuri Schaalan war zu benachrichtigen, Landungsplätze für die Flugzeuge mußten gefunden werden, und die Panzerautos hatten die Straße nach Azrak auszuprobieren. Ein reichbesetzter Monat. Nuri Schaalan, als der am weitesten Entfernte, kam zuerst an die Reihe. Man sandte ihm einen Boten mit der Bitte, am 7. August in Djefer mit Faisal zusammenzutreffen. Als zweites kam die Abteilung Buxtons an die Reihe. Ich teilte Faisal, unter dem Siegel der Verschwiegenheit, ihre Ankunft mit. Um sie vor Verlusten zu bewahren, mußten sie Mudowwara durch überraschenden Handstreich nehmen. Ich selbst wollte sie bis zur Rumm führen, auf ihrem ersten schwierigen Marsch durch die Randgebiete der Howeitat um Akaba.

So machte ich mich denn nach Akaba auf zu Buxton. Ich gab ihm Aufklärung über den Marschplan jeder seiner Kompanien und über die leicht erregbare Natur unserer Verbündeten, zu denen er ja ungebeten komme, um ihnen zu helfen. Ich bat ihn und die Seinen, bei Streitigkeiten lieber auch die linke Backe hinzuhalten, weil sie besser erzogen wären als die Araber und deshalb weniger voreingenommen, und zudem wären sie ja auch in der Minderzahl. Nach dieser feierlichen Einleitung kam dann der Ritt durch die eindrucksvolle Schlucht von Itm, vorüber an den roten Felsklippen des Nedjd und über das wie in schwellenden Brüsten gewellte Hügelland von Imran – dieses sich steigernde Vorspiel zur Größe der Rumm. Bis wir dann bei dem zackigen Gipfel des Khuzail durch den Schlund hindurch das innere Heiligtum der Quellen betraten mit seiner ehrfurchtgebietenden Stille und Kühle. Hier war die Landschaft kein freundliches Beiwerk mehr, sondern rührte mit ihrer gewaltigen Erhabenheit an den Himmel, und wir schwatzenden Menschenkinder wurden wie Staub zu ihren Füßen.

In der Rumm machten die Mannschaften Buxtons an den Tränkstellen ihre erste Erfahrung in puncto Gleichheit und Brüderlichkeit mit Arabern und fanden das etwas unbequem. Aber sie zeigten sich von wunderbarer Sanftmut; Buxton war zudem ein alter Sudanbeamter, der arabisch sprach und sich auf Nomadenart verstand, geduldig, umgänglich und verständnisvoll. Hazaa half, den Arabern gut zuzureden, und Stirling und Marshall, die die Kolonne begleiteten, waren alte Bekannte der Beni Atiyeh. Dank ihrer Diplomatie und der englischen Disziplin kam es zu keinerlei Unzuträglichkeiten.

Ich ritt dann nach Akaba zurück, durch das felsgetürmte Itm, allein mit sechs stummen, teilnahmslosen Begleitern, die hinter mir wie Schatten folgten, harmonisch verwachsen mit Sand, Busch und Berg ihrer Heimat. Und Heimweh überkam mich, ein schmerzliches Bewußtwerden meines Lebens hier als Fremdling unter diesen Arabern, indes ich ihre höchsten Ideale ausbeutete und ihre Freiheitsliebe zu einem bloßen Werkzeug in Englands Diensten machte.

In Akaba fand ich den größten Teil meiner Leibgarde versammelt, des Sieges gewärtig; denn ich hatte den aus dem Hauran Stammenden versprochen, sie würden das große Fest in ihren befreiten Dörfern feiern; und der Zeitpunkt war nahe. So hielten wir zum letztenmal Musterung auf dem windgefegten Strand an der Küste des Meeres, auf dessen Wogen die Sonne glitzerte und gleißte wie in heiterem Wetteifer mit der buntschillernden Farbigkeit meiner Leute. Es waren ihrer sechzig. Noch selten hatte Zaagi, ihr Führer, soviel zusammengebracht; und als wir dann zwischen braunen Bergen gen Guweira ritten, setzte er seinen Stolz darein, sie nach der Art der Ageyl zu formieren: eine Gruppe in der Mitte und je rechts und links eine Flügelabteilung mit Dichtern und Sängern. So zogen wir mit tönendem Gesang dahin. Aber es schmerzte Zaagi, daß ich nicht ein Banner führte wie ein Fürst.

Ich ritt meine Ghazala, die alte Großmama, jetzt wieder in prächtiger Form. Ihr Fohlen war vor kurzem eingegangen, und Abdulla, der nächste hinter mir, hatte das kleine tote Tier abgehäutet und trug nun das getrocknete Fell hinten über seinen Sattel gebreitet wie eine Schabracke. Zu Anfang, dank dem lullenden Gesang der Schar, ging Ghazala gut; nach einer Stunde aber warf sie witternd den Kopf hoch und begann unruhig zu treten, hob aufgeregt die Füße wie ein Schwerttänzer.

Ich wollte sie antreiben; aber Abdulla glitt an meine Seite, raffte seinen Mantel hoch und sprang, das Fohlenfell in der Hand, aus dem Sattel. Dann baute er sich vor Ghazala auf, die leise klagend nun wie festgewurzelt stand, breitete im Sand vor ihr das Fell aus und drückte ihren Kopf nieder. Das Tier hörte auf zu klagen, beschnupperte mehrmals mit vorgeschobenen Lippen die kleine getrocknete Haut, und mit einem Wimmern setzte sie sich wieder in Bewegung. Das wiederholte sich am Tage noch einige Male; dann aber schien sie vergessen zu haben.

In Guweira wartete Siddons mit einem Flugzeug auf mich. Nuri Schaalan und Faisal wünschten, daß ich sofort nach Djefer käme, wo ich sie beide im friedlichsten Einvernehmen antraf. Es schien fast ein Wunder, daß dieser Greis sich bereitwillig uns, der Jugend, zugesellt hatte. Denn er war sehr alt, fahl und verwittert, wie versteint in grauer Sorge und Gewissensbeschwer, und ein bitteres Lächeln war die einzige Regung seines Gesichts. Die Augenlider, mit struppigen Wimpern, hingen in müden Falten herabgesackt. Gerade jetzt durchglomm sie, von der zu Häupten stehenden Sonne her, ein rotes Licht, so daß es aussah, als käme es aus seinen Augenhöhlen gleichwie aus zwei Feuergruben, in denen die letzte Lebensglut dieses Mannes ausbrannte. Nur das tote Schwarz seines gefärbten Haares, nur die tote Haut des Gesichts mit ihrem Netz von Runzeln verrieten dennoch seine siebzig Jahre.

Rings um dieses wortkarge Oberhaupt saßen in feierlich zeremoniösem Gespräch die Großen seiner Stämme, die mit ihm gekommen waren, berühmte Scheikhs, so reich angetan mit seidnen Gewändern – teils aus eignem Bestand, teils Gaben Faisals –, daß sie raschelten wie Frauen, indes sie sich langsam und gelassen bewegten wie Stiere. Da waren, als die Vornehmsten unter ihnen, Faris, der – gleich Hamlet – niemals Nuri den Mord an seinem Vater vergaß; und Sottam, ein hagerer Mann mit herabhängendem Schnurrbart und weißem, etwas affektiertem Gesicht, der der etwa zu gewärtigenden Kritik der Welt mit einer betonten Sanftheit und einer ölig unterwürfigen Stimme zuvorkam. »Yifham«, quäkte er voller Erstaunen über mich, »er versteht unser Arabisch!« Ferner waren Trad und Sultan da, rundäugig, würdevoll und ungezwungen, wahrhafte Ehrenmänner und große Reiterführer. Auch Midjhem, der Rebell, war von Faisal gewonnen und mit seinem widerstrebenden Oheim versöhnt worden, der, trotz Midjhems eifriger Zuvorkommenheit, die Gegenwart des rauhen, unansehnlichen Mannes nur schwer zu ertragen schien.

Auch Midjhem war ein großer Führer, Trads Rivale bei allen Raubzügen, aber innerlich schwach und grausam. Er saß neben Khalid, Trads Bruder, ebenfalls einem gesunden frohen Reitersmann, im Gesicht Trad ähnlich, aber nicht so kräftig von Gestalt. Durzi ibn Dughmi rauschte herein und begrüßte mich: ein einäugiger, düsterer, hakennasiger Mann, schwerblütig, hinterhältig und niederträchtig, aber beherzt. Auch Khaffadji war da, Nuris verhätscheltes Alterskind, der zu erwarten schien, daß ich ihn, den noch Unerprobten, dennoch um seines Vaters willen als ebenbürtigen Freund annehmen würde. Er zeigte sich jugendlich begeistert über das bevorstehende Kriegsabenteuer und stolz auf seine funkelnden Waffen.

Bender, der allzeit Lachende, Alters- und Spielgefährte Khaffadjis, benutzte die Gelegenheit, um mich mit der Bitte um einen Platz in meiner Leibgarde zu überfallen. Er hatte von meinem Rahail, seinem Pflegebruder, wahre Wunderdinge von ihren Leiden und Freuden gehört, und der verderbliche Zauber der Gefolgschaft verlockte sein junges Herz. Ich wich aus, und als er immer noch weiter in mich drang, machte ich der Sache ein Ende mit der mürrischen Bemerkung, ich sei kein König, daß ich mir Diener aus dem Stamm der Schaalan leisten könnte. Nuris düsterer Blick traf für einen Augenblick den meinen.

Hinter mir saß Rahail, sein selbstvergnügtes Ich in grellfarbigen Kleidern spreizend. Im Schutz der lauten Unterhaltung flüsterte er mir den Namen jedes Großen zu. Sie brauchten nicht zu fragen, wer ich sei; denn meine Kleidung und ganze Erscheinung waren etwas Besonderes in der Wüste. Schon der Ruf, der einzige sauber Rasierte zu sein, verlieh eine gewisse Berühmtheit; und ich steigerte sie noch, indem ich immer nur reine Seide trug, und zwar von der allerweißesten (wenigsten außen), mit scharlachroter, golddurchwirkter Mekkakopfschnur und goldnem Dolch. Durch solche Kleidung betonte ich einen gewissen Anspruch, der durch die besondere Achtung, die Faisal mir öffentlich bezeugte, noch bekräftigt wurde.

Mehr als einmal hatte Faisal bei derlei Beratungen neue Stämme gewonnen und entflammt; mehr als einmal war diese Aufgabe mir zugefallen: aber noch nie bis heute hatten wir gemeinsam gewirkt, einer den andern unterstützend und ablösend und jeder von seinem besonderen Standpunkt aus. So ging denn diesmal alles wie ein Kinderspiel; die Rualla schmolzen nur so in unserm zwiefachen Feuer. Jeder Ton, jedes Wort tat seine Wirkung. In atemloser Spannung saßen sie um uns her, das Funkeln der Gläubigkeit in den schmal geöffneten Augen, die sie unentwegt auf uns gerichtet hielten.

Faisal rief ihnen zunächst die Idee der Nationalität in den Sinn, in einer Wendung, die ihre Gedanken auf die arabische Geschichte und Sprache als ein gemeinsames Gut lenkte. Dann fiel er einen Augenblick in Stillschweigen; denn für diese ungelehrten Meister der Zunge bedeuteten Worte etwas Lebendiges, und sie liebten es, jedes einzelne für sich gleichsam auf dem Gaumen auszukosten. Nun folgte eine zweite Wendung, die ihnen den Geist Faisals vor Augen führte, ihres Landsmanns und Führers, der alles für die Sache der nationalen Freiheit opferte. Dann wieder Schweigen, währenddessen sie sich ihn innerlich ausmalen konnten, wie er Tag und Nacht in seinem Zelte saß, lehrte, predigte, schaltete und warb: und sie fühlten etwas von der Idee, die hinter diesem Mannesbild stand, das da statuengleich vor ihrem Geiste saß, geläutert von Wünschen, Ehrgeiz, Schwächen und Fehlern – eine Persönlichkeit, in aller ihrer Fülle versklavt an einen Gedanken, einäugig und einarmig gleichsam gemacht durch das eine Ziel und Wollen: im Dienste dieser Idee zu leben oder zu sterben.

Unsere Worte waren mit Vorbedacht darauf gerichtet, die eignen unbewußten Gedankengänge unserer Zuhörer ans Licht zu heben, so daß sie meinen mußten, ihre Begeisterung käme aus ihnen selber und ihre Entscheidungen seien ihre eigenen und nicht von uns ihnen eingeimpft. Nicht lange, so fühlten wir, wie sie Feuer fingen: wir lehnten uns zurück und beobachteten, wie sie gestikulierten und redeten und sich gegenseitig in Hitze brachten, bis die Luft vor Erregung zitterte. In halbem Stottern und Stammeln drückte sich ihr dumpfes Gefühl von Vorstellungen aus, die über ihren Horizont gingen. Jetzt waren sie es, die sich antreibend und fordernd an uns, die zögernden Fremden, wandten. Sie eiferten, uns die ganze Inbrunst ihres Glaubens an die Sache begreiflich zu machen; vergaßen uns dann wieder ganz und ergingen sich untereinander in feurigen Plänen und Möglichkeiten, die eigentlich nur das waren, was wir selbst wünschten und wollten.

Ein neuer Stamm war gewonnen; und Nuris einfaches »Ja« am Ende klang uns vollgewichtiger als alles, was sie geschwätzt hatten.

Am Abend flog mich Siddons nach Guweira zurück; und in der Nacht traf ich in Akaba mit dem dort eben eingetroffenen Dawnay zusammen und sagte ihm, daß alles im vollen Gange sei, aber noch in aller Stille verliefe. Am nächsten Morgen brachte uns ein Flieger Nachricht, daß Buxton Mudowwara genommen, die Station zerstört hätte und nach Bair weitermarschiert wäre, wo Joyce und ich, der Verabredung gemäß, mit ihm zusammentreffen wollten.

Am 15. August 1918 setzten wir uns dann in Bair zu einem Kriegsrat mit Buxton zusammen. Young hatte pflichtgemäß vierzehntägige Rationen für Mann und Tier abgesandt. Jedoch fanden wir in Bair nur achttägige Verpflegungsportionen für die Leute und Tierfutter für zehn Tage. Die Kameltreiber waren schon in Djefer aus Angst vor der Wüste aufsässig geworden, und nur der eiserne Wille Youngs hatte sie zum Abmarsch gezwungen. Auf dem Wege nach Bair hatten sie fast die Hälfte des für Buxton bestimmten Nachschubs verloren, gestohlen oder verkauft.

Die vorgesehenen Operationen mußten daher diesen veränderten Bedingungen angepaßt werden. Buxton säuberte seine Kolonne von allem irgendwie Entbehrlichen, beschränkte die Panzerautos auf eins und änderte die Marschrouten ab.

Er brach mit seiner Truppe am Nachmittag auf, ich selbst blieb noch bis zum Abend in Bair, indes meine Leute die sechstausend Pfund Schießbaumwolle auf die dreißig ägyptischen Lastkamele verluden. Meine Leibgarde war sehr wenig davon erbaut, nun als Kolonnenmannschaft Verwendung zu finden.

Wir hatten berechnet, daß Buxton kurz vor Abend am Fuß der Hadi-Höhen Nachtrast machen würde, und ritten daher dorthin, sahen aber kein Lagerfeuer und fanden nirgends Fußspuren. Als wir über einen Kamm hinweg Ausschau hielten, schlug uns ein kalter Nordwind vom Hermongebirge her in die erhitzten Gesichter. Die jenseitigen Hänge lagen schwarz und schweigend; und die Dorfsassen unter uns, geschult auf die verschiedenen Dünste von Rauch, Kochtöpfen und den herben Geruch frischaufgeworfenen Erdreichs, vermeinten etwas Beunruhigendes, Verdächtiges, ja Gefahrdrohendes in dem stetigen Nordwind zu spüren. So zogen wir uns ein Stück zurück und verbrachten windgeschützt am Fuße eines Hanges die Nacht.

Am nächsten Morgen hielten wir von der Höhe Ausschau und sahen im Umkreis von fünfzig Meilen nichts als freies Land. Wir überlegten schon, wo Buxton hingeraten sein könnte, als Dahir plötzlich nach Südosten wies, wo die Kolonne auftauchte und näher kam. Sie hatten sich am Tage vorher sehr bald verirrt und haltgemacht, um das Morgengrauen abzuwarten. Scheikh Saleh, ihr Führer, wurde von meinen Leuten nicht schlecht aufgezogen, wie er von Bair nach dem Thaithukhwat den Weg verfehlen konnte, so etwa, wie wenn sich einer in London nicht von Marble Arch nach Oxford Zirkus fände.

Es war ein schöner Morgen; die Sonne schien uns heiß auf den Rücken, und ein frischer Wind blies uns ins Gesicht. Leicht und rasch marschierte das Kamelkorps vorbei an den drei schneebedeckten Gipfeln des Thlaithukhwat nach den grünen Niederungen des Wadi Dhirwa. Das waren jetzt nicht mehr jene steifgedrillten Kompagnien, wie sie in Akaba angekommen waren. Buxton, ein Mann mit offenem Sinn und Anpassungsfähigkeit, hatte sich die Erfahrungen irregulärer Kampfesweise zunutze gemacht und seine Truppen auf die neuen Anforderungen eingestellt.

Er hatte die Kolonnenformation umgestaltet und mit der alten Unterteilung in zwei genau gesonderte Kompagnien gebrochen. Ebenso hatte er die Marschordnung abgeändert, und anstatt wie früher in streng geschlossenen Reihen zu bleiben, waren sie jetzt in bewegliche Gruppen gelöst, die je nach Bedürfnis aufschließen oder wieder nachgeben konnten, so daß es nicht mehr wie früher bei jedem Geländehindernis oder Steigungswechsel zu Stockungen kam.

Auf diese Weise war unser Kaiserliches Kamelreiterkorps zu einer leichter beweglichen, ausdauernden Truppe geworden, die sogar ziemlich geräuschlos marschieren konnte, außer wenn sie in einem großen geschlossenen Pulk ritt. Denn dann stimmten die Kamelhengste ein Brüllkonzert an, daß man uns auf Meilen hin durch die Nacht hören konnte. Mit jedem Tag gewöhnten sich die Leute mehr an die neuen Verhältnisse, fühlten sich mehr zu Hause auf ihren Tieren, wurden zäher, magerer, gewandter und frischer. Das enge Zusammenleben von Offizier und Mann schuf eine heitere zufriedene Atmosphäre.

Meine Reitkamele waren auf arabische Gangart dressiert, jenen freien, weitausgreifenden Schritt mit lose gebogenem Knie und starkfederndem Sprunggelenk, der ein wenig länger und rascher war als der normale Schritt. Buxtons Kamele schlenderten in ihrem natürlichen Gang dahin; und der Reiter hatte infolge seiner steifschäftigen Stiefel mit dem hohen Gerüst des Manchester-Bocksattels nicht die geringste Einwirkung auf das Tier.

Wenn ich daher auch beim Aufbruch anfangs an Buxtons Seite in der Vorhut war, so prellte ich mit meinen fünf Begleitern ständig weit vor, namentlich wenn ich meine Baha ritt, ein riesiges, starkknochiges, hochbeiniges Tier, benannt nach ihrer merkwürdigen Blökstimme, der Folge einer Geschoßverwundung am Unterkiefer. Sie war reines Vollblut, aber hitzig und schwierig, halbwild noch, und konnte sich nie zu ruhiger, gleichmäßiger Gangart bequemen. Statt dessen zog sie mit hocherhobener Nase und windgesträubtem Haar los in einem unbequemen tänzelnden und hart stoßenden Schritt, den meine Ageyli verabscheuten, weil er ihrem empfindlichen Kreuz wehe tat, der mir jedoch ganz unterhaltsam war.

Meist waren wir so den Engländern um drei Meilen voraus, suchten uns dann ein Fleckchen Gras oder etwas saftiges Dorngesträuch und ließen unsere Tiere weiden, indes wir uns im Schatten ausstreckten und warteten, bis uns die Kolonne eingeholt hatte. Ihr Herankommen bot immer ein prächtiges Bild. In dem spiegelnden Geflimmer der erhitzten Luft über dem glänzenden Kalksteinrücken sah man sie zuerst auftauchen als eine geballte braune Masse, wie freischwebend in dem vibrierenden Dunst. Dann, im Näherkommen, löste sich der Klumpen in einzelne Gruppen, die hin und her glitten, sich voneinander trennten und wieder zusammenflossen. Zuletzt, als sie dicht heran waren, konnte man die einzelnen Reiter unterscheiden, gleichsam wie große schwimmende Wasservögel in dem silbrigen Dunst über dem Boden; und dann erkannte man die athletische Gestalt Buxtons, herrlich im Sattel, an der Spitze seiner fröhlichen, sonnenverbrannten Khakischar.

Zu Mittag machten wir bei Ras Muheiwer eine zweistündige Rast; die Hitze war heute zwar nicht so groß wie etwa im August in Ägypten, aber Buxton wollte seine Truppe nicht unnötig abhetzen. Man ließ die Kamele frei laufen; wir lagerten uns, aßen und versuchten etwas zu schlafen, ewig gestört von den Fliegenschwärmen, die den Marsch von Bair her, zu dichten Kolonnen auf unsern durchschwitzten Rücken geballt, mitgemacht hatten. Mittlerweile zog meine gesamte Leibgarde vorüber; sie murrten über ihre Herabwürdigung zu Troßknechten, riefen den Himmel zum Zeugen an, daß ihnen noch nie solche Schande zugefügt worden wäre, und beteten ungeniert zu Gott, die Welt möge nie erfahren, was für eine Tyrannei ich über sie ausübte.

Doppelt schwer lastete auf ihnen der Kummer, weil die Kolonne aus Somali-Lastkamelen bestand, deren Höchstgeschwindigkeit nur drei Meilen die Stunde betrug. Buxtons Truppe marschierte nahezu vier, ich selbst machte über fünf; so wurden die Märsche für Zaagi und seine vierzig Spitzbuben eine Qual langsamen monotonen Dahinwanderns, belebt höchstens von bockenden Kamelen oder verrutschten Lasten.

Wir verhöhnten sie noch ob ihrer Schwerfälligkeit, nannten sie Viehtreiber und Kulis und boten uns als Käufer an für ihre Waren, wenn sie damit zu Markt kämen; bis sie zu guter Letzt notgedrungen selbst lachen mußten über ihre Rolle. Nach dem ersten Tag gelang es ihnen auch, mit uns Schritt zu halten, indem sie die Märsche bis in den Abend ausdehnten (nicht zu spät, denn ihre augenkranken Tiere waren blind in der Dunkelheit) und die Rasten abkürzten. Sie brachten schließlich auch ihre Karawane durch, ohne auch nur eine der Lasten einzubüßen; eine schöne Leistung für solche vergoldeten Gentlemen und nur möglich, weil sie unter ihrer Vergoldung die besten Kamelführer waren, die man in Arabien auftreiben konnte.

Zur Nacht lagerten wir bei Ghadaf. Während der Rast holte uns das Panzerauto ein; oben auf dem Beobachtungstürmchen saß der begeisterte Scherari-Wegführer mit triumphierendem Grinsen. Ein bis zwei Stunden danach traf Zaagi ein und meldete, bei der Kolonne wäre alles in Ordnung. Nur bat er Buxton, die auf dem Marsch niedergebrochenen Kamele nicht unmittelbar neben der Straße töten zu lassen, denn jede der Tierleichen am Wege gab seinen Leuten Vorwand zu einer Festerei, was ständig Verzögerungen verursachte.

Abdulla konnte nicht begreifen, warum die Engländer die Tiere erschössen, die sie marschunfähig zurücklassen mußten. Ich wies darauf hin, daß wir Araber uns ja auch gegenseitig erschössen, wenn wir im Kampf schwer verwundet würden. Abdulla entgegnete, das geschähe doch nur, um zu verhindern, daß wir so gemartert würden, daß wir uns vor uns selbst schämen müßten. Sicher, so meinte er, gäbe es kaum einen lebenden Menschen, der nicht ein allmähliches Versiegen des Lebens in der Wüste dem raschen Einendemachen vorzöge. Seiner Anschauung nach war wirklich der langsamste Tod der mildeste von allen, denn ein Zustand, in dem man nichts mehr zu hoffen habe, bewahre einen vor der Bitternis aussichtslosen Widerstandes und ermögliche es der Menschenseele, sich ungehemmt auf die Gnade Gottes zu bereiten. Unsere englische Auffassung, daß es menschenfreundlicher wäre, jede Kreatur, außer den Menschen selbst, rasch zu töten, vermochte er nicht ernst zu nehmen.

Der nächste Tag war wie die früheren: ein ständiges Abhaspeln von vierzig Kilometern. Der darauf folgende dann war der letzte vor der geplanten Unternehmung gegen die Brücke. Da wir uns der Gefahrzone näherten, bildete ich aus der Hälfte meiner Leute bei der Gepäckkolonne eine Patrouille und schickte sie als Aufklärer voraus, um von jeder Höhe aus Umschau zu halten. Das taten sie auch sehr schön, aber es nutzte uns gar nichts: als wir am Vormittag stramm und hoffnungsvoll auf das schon in Sicht vor uns liegende Muaggar, unser Versteck für den Überfall, zumarschierten, kam von Süden her ein türkischer Flieger, flog längs über unsere Kolonne hinweg und verschwand in der Richtung auf Amman vor uns.

Wir eilten so schnell es ging nach Muaggar, das wir mittags erreichten, und verbargen uns zwischen den Ruinen eines alten römischen Tempels. Unsere Beobachter stellten sich auf dem Höhenkamm auf, von dem aus man die Ebene mit abgeernteten Feldern bis zur Hedjasbahn überblicken konnte. Durch das Fernglas nahmen sich die grauen Blöcke und Steine an den Berghängen drüben wie Herden weidender Schafe aus.

Meine Bauern wurden in die unter uns liegenden Dörfer entsandt, um zu erkunden und die Dorfbewohner zu ermahnen, in ihren Häusern zu bleiben. Sie kamen zurück und sagten, das Glück wäre gegen uns. Bei den Dreschtennen, rings um das geschwenkte Korn, ständen türkische Soldaten, denn die Steuereinnehmer schätzten die Ernte unter Bedeckung von Abteilungen berittener Infanterie. Drei solcher Abteilungen, je vierzig Mann, lägen für diese Nacht in den drei Dörfern zunächst der großen Brücke – und das waren ausgerechnet die Dörfer, die wir notwendigerweise passieren mußten.

Eilig wurde Kriegsrat gehalten. Hatte uns nun der Flieger gesehen oder nicht, schlimmstenfalls konnten seine Meldungen Anlaß geben, die Brückenwache zu verstärken. Im Grunde aber war ich wenig besorgt um die Folgen. Die Türken würden vielleicht annehmen, wir wären die Avantgarde eines dritten größeren Vorstoßes gegen Amman, und daher eher ihre Kräfte zusammenziehen, als sich durch Abzweigungen schwächen. Buxton verfügte über eine kampfbewährte Truppe, seine Pläne waren wohldurchdacht. Der Erfolg war sicher.

Zweifel bestanden nur hinsichtlich des Kostenpunkts der Brücke, genauer gesagt, was sie an britischem Leben wert war, in Anbetracht der Weisung Bartholomews, Verluste unbedingt zu vermeiden. Die Anwesenheit dieser Maultierreiter in den Dörfern bedeutete, daß unser Rückzug nicht ungehindert vonstatten gehen konnte. Das Kamelkorps mußte annähernd eine Meile von der Brücke von Kissir entfernt absitzen (ihre ewig brüllenden Kamele!) und zu Fuß weiter vorgehen. Der Lärm ihres Angriffs, ganz zu schweigen vom Abfeuern von drei Tonnen Schießbaumwolle an den Brückenpfeilern, mußte den ganzen Distrikt in Aufruhr bringen. Die türkischen Patrouillen in den Dörfern konnten dann möglicherweise auf unsere in Deckung zurückgelassenen Kamele stoßen – für uns das schlimmste Unglück – oder uns auf dem Rückweg durch das bewegte Gelände teilweise abschneiden.

Buxtons Leute konnten sich nicht nach der Zerstörung der Brücke wie ein Schwarm Vögel in alle Winde zerstreuen, um jeder für sich den Weg nach Muaggar zurückzufinden. Bei jedem Nachtgefecht mußten immer einzelne abkommen und sich verlieren. Wir hätten auf sie warten müssen und dabei womöglich noch mehr Verluste erlitten. Das Ganze konnte uns an die fünfzig Mann kosten, und ich schätzte den Wert der Brücke für uns auf keine fünf. Ihre Zerstörung sollte den Zweck haben, die Türken so stark in Unruhe und Besorgnis zu versetzen, daß sie uns bis zum 13. August, wenn unsere langen Kolonnen nach Azrak aufbrachen, in Ruhe ließen. Heute war der 20. Juli. Die Hauptgefahr bestand während des Monats Juli, und der war fast vorbei.

Buxton stimmte mir zu, und wir beschlossen, die Zerstörung der Brücke aufzugeben und sofort abzuziehen. In diesem Augenblick erschienen von Amman her türkische Flieger und suchten, nach uns ausspähend, das rauhe Berggelände nördlich von Muaggar ab.

Die Leute Buxtons murrten enttäuscht über diese Abänderung. Sie waren sehr stolz auf ihren großen Streifzug und brannten darauf, dem ungläubigen Ägypten zu erzählen, daß sie ihr Programm Punkt für Punkt durchgehalten hatten.

Wir warteten, bis es völlig dunkel war, und machten uns dann auf den Weg nach Azrak, fünfzig Meilen entfernt. Unterwegs taten wir so, als wäre dieser ganze Streifzug nur eine Landpartie, und unterhielten uns über römische Baureste und Jagdschlösser der Ghassaniden. Es war herrlicher Mondschein, und wir rückten weiter, bis er gegen Morgen verblaßte. Um Mitternacht kamen wir an der einsamen Burg von Kharaneh vorüber, waren aber zu gleichgültig, um uns dieses seltsame Bauwerk anzusehen. Mitschuld an dieser Unterlassung hatte wohl auch der Mond, dessen schattenlose Weiße sich wie erstarrend auf unsere Gemüter legte, so daß wir still – ganz still im Sattel saßen.

Am Nachmittag darauf langten wir ermüdet in Kusair el Amra an, dem kleinen Jagdschloß Hariths, des Hirtenkönigs und Beschützers der Dichter; prachtvoll stand sein Mauerwerk gegen den dunklen Hintergrund rauschender Baumgruppen. Buxton bestimmte zum Stabsquartier das kühle Dämmer der großen Halle, und dort lagen wir herum und suchten die verwitterten Wandfresken zu deuten, mit mehr Gelächter als moralischem Gewinn.

Am nächsten Tage bewegten wir uns gemächlich Azrak zu. Als wir den letzten Lavarücken hinter uns hatten und den Kreis der Medjabergräber, eines der schönst gelegenen Friedhöfe, vor uns sahen, ritt ich mit meinen Leuten voraus, um uns vor etwaigen Überraschungen dort zu sichern, und zugleich, um die Abgeschiedenheit dieser schönen Ruhestätte zu genießen, ehe die andern heran waren.

Wir blieben dort zwei Tage; das köstliche Wasser der kleinen Teiche war eine nur allzu selten genossene Erfrischung. Buxton ritt mit mir zum alten Kastell hinauf, um die den Kaisern Diokletian und Maximian geweihten Altäre zu beaugenscheinigen, in der Absicht, eine Inschrift zu Ehren König Georgs V. hinzuzufügen; doch wurde uns der Aufenthalt vergällt durch die grauen Stechfliegen und nahm schließlich durch einen Unfall ein tragisches Ende. Ein Araber, der in einem der Teiche Fische schoß, ließ dabei sein Gewehr fallen, das sich entlud und den Leutnant Rowan von den schottischen Reitern auf der Stelle tötete. Wir begruben ihn auf dem kleinen Medjaberfriedhof, dessen unberührte Ruhe schon längst meinen Neid erweckt hatte.

Am dritten Tag marschierten wir über Ammari und Djescha dem Thlaithukhwat zu, dem alten einförmigen Gelände, das ich nachgerade kannte. Vom Hadi ab fühlten wir uns schon wie zu Hause; wir machten einen Nachtmarsch, und die gellenden Stimmen der Leute, die sangen: »Kriegen wir viel zu essen? Nein! – Kriegen wir viel zu sehen? Ja!« donnerten hinter mir die langen Berghänge hinauf.

Ich war so verschlungen in der dunklen Masse der Kolonne um mich und hinter mir, daß auch ich nun den Weg zwischen dem Hadi und Bair verlor. Indes bis zur Morgendämmerung richteten wir uns nach den Sternen (die nächste Verpflegung der Leute mußte in Bair sein, da sie gestern ihre eiserne Portion verzehrt hatten); und der helle Tag fand uns in einem bewaldeten Tal; es war sicher der Wadi Bair. Doch um mein Leben hätte ich nicht sagen können, ob wir oberhalb oder unterhalb der Brunnen waren. Ich gestand Buxton und Marshall mein Versehen, und eine Weile suchten wir umher, bis zufälligerweise Sagr ibn Schaalan, einer unserer Bundesgenossen aus den fernen Tagen von Wedjh, des Wegs kam und uns auf die richtige Straße brachte. Eine Stunde später hatte das Kamelkorps seine neuen Rationen und seine alten Zelte bei den Brunnen; und es stellte sich heraus, daß Salama, der vorsorgliche ägyptische Arzt, der mit unserer Ankunft heute gerechnet hatte, die Zisternen bereits mit ausreichendem Wasser hatte füllen lassen, so daß gleich die Hälfte der Tiere sich sattrinken konnte.

Ich beschloß, mit den Panzerautos nach Aba el Lissan zu fahren, denn Buxton war jetzt unter Freunden und brauchte meine Hilfe nicht mehr. Joyce, Dawnay und Young berichteten, daß alles im besten Gang sei. In der Tat, die Vorbereitungen waren beendet, und sie gingen auseinander: Joyce nach Kairo, um einen Zahnarzt aufzusuchen; Dawnay ins Hauptquartier, um Allenby zu berichten, daß alles seinen Befehlen gemäß geschehen sei.


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