Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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15. Minenlegung

Bei Morgengrauen des 16. September 1917 verließen wir die Rumm. Aid, der blinde Scherif, hatte darauf bestanden, weiter mitzukommen, ungeachtet seines verlorenen Augenlichts. Er sagte mir, könnte er auch nicht mehr schießen, so könnte er doch reiten; und später, wenn Gott uns günstig, wolle er, im Hochgefühl des Erfolges, von Faisal Urlaub nehmen und, leidlich getröstet, heimkehren zu dem lichtlosen Leben, das ihm noch bliebe. Zaal führte seine fünfundzwanzig Nowasera, einen zu Audas Arabern gehörigen Klan, die sich selbst zu »meinen Leuten« zählten und weit und breit in der Wüste berühmt waren wegen ihrer Reitkamele. Mein scharfes und ausdauerndes Reiten hatte mir ihr Herz erobert.

In der Vorhut ritt der alte Motlog el Awar auf seiner El Djedha, der besten Kamelstute Nordarabiens. Wir blickten mit stolzen oder neiderfüllten Blicken zu ihr hin, je nachdem wir zu Motlog standen. Meine Ghazala war schlanker und höher gebaut, und ihr Schritt war freier, doch war sie zu alt, um Galopp zu gehen. Immerhin war die Ghazala das einzige Tier in unserer Schar oder eigentlich in der ganzen Wüste, das sich überhaupt mit der Djedha messen konnte, und ihr Wert kam wiederum meinem Ansehn zugute.

Der Rest der Abteilung war in einzelne Trupps zerstreut, gleich einem in Stücke gerissenen Halsband. Keine Gruppe wollte mit einer andern marschieren oder sprechen; und ich flitzte wie ein Weberschiffchen den ganzen Tag vor und zurück, um bald dem einen, bald dem andern mürrischen Scheikh gut zuzureden, und versuchte so, sie zusammenzubringen, damit, ehe es ans Werk ging, doch einigermaßen Geschlossenheit herrschte. Zunächst erreichte ich nur, daß sie sich bereit erklärten, wenigstens auf die Marschanordnungen Zaals zu hören – aber sonst auf kein Wort von ihm, obwohl er anerkanntermaßen der intelligenteste und erfahrenste Kriegsmann war. Er war, meiner persönlichen Ansicht nach, der einzige, dem man weiter trauen konnte, als der Blick reichte. Bei den übrigen schien mir weder auf ihre Worte noch auf ihre Ratschläge noch selbst vielleicht auf ihre Flinten Verlaß.

Zu Mittag rasteten wir auf einem grünbewachsenen Platz, einem sanften Hang, auf dessen sandigem Grunde der letzte Frühlingsregen dicke Büschel silbrigen Grases hervorgelockt hatte, das unsern Kamelen vortrefflich mundete. Das Wetter war mild, fast wie ein August in England, und wir ruhten behaglich ausgestreckt, endlich befreit von der gereizten Stimmung des Morgens vor dem Abmarsch und von jener leicht nervösen Aufregung, die jeder Aufbruch, sei's auch nur aus zeitweiligem Marschlager, unvermeidlich mit sich bringt.

Spät am Tage marschierten wir weiter; in Windungen ging es bergabwärts und dann durch ein enges, von mäßig hohen Sandsteinfelsen eingeschlossenes Tal. Noch vor Sonnenuntergang kamen wir wieder auf eine Fläche festen, bräunlichgelben Lehms, ähnlich jener, die uns als ein Vorspiel der Herrlichkeiten der Rumm erfreut hatte. Wir lagerten an ihrem Rande. Meine Bemühungen hatten Früchte gezeitigt, denn wir waren jetzt in nur drei Parteien um hellprasselnde Feuer aus Tamariskenzweigen gruppiert. An dem einen hatten sich meine Leute zum Essen zusammengesetzt, an dem zweiten die Zaals und an dem dritten die übrigen Howeitat; und spät am Abend, nachdem sich alle Scheikhs an Gazellenfleisch und frischgebackenem Brot gesättigt hatten, gelang es mir, sie sämtlich um mein neutrales Feuer zu versammeln, wo wir dann die Maßnahmen für den morgigen Tag einträchtig besprachen.

Es schien möglich, daß wir bis gegen Sonnenuntergang den Mudowwara-Brunnen, der zwei bis drei Meilen diesseits der Bahnstation in einem geschützten Tale lag, erreichen und dort tränken konnten. Dann, bei Einbruch der Nacht, wollten wir weiter gegen die Station vorgehen, um die Verhältnisse dort zu erkunden und namentlich festzustellen, ob wir mit unsern schwachen Kräften einen Angriff gegen sie versuchen konnten. Daran hielt ich mit aller Entschiedenheit fest (entgegen der allgemeinen Neigung), denn die Station Mudowwara bedeutete in vieler Beziehung den entscheidenden Punkt der Eisenbahnlinie. Die Araber konnten das nicht einsehen, da sie sich in ihrem Kopf keine Vorstellung zu machen vermochten von der Gesamtheit der türkischen Front mit ihren gegenseitigen Abhängigkeiten und schwierigen Versorgungsverhältnissen. Aber schließlich einigten wir uns doch, und voller Zuversicht legten wir uns zum Schlafen nieder.

Am nächsten Morgen wurde das Abkochen auf später verschoben, da wir nur einen sechsstündigen Marsch vor uns hatten. Wir überschritten die Lehmfläche und kamen auf eine Ebene mit hartem Kalksteinboden, bedeckt mit einer Schicht brauner, abgeschliffener Kiesel. Es folgten niedrige Berge mit einzelnen weichen Sandstrecken am Fuß der steileren Hänge, die dort von den Staubstürmen aufgeschichtet waren. Danach stiegen wir durch flache Täler auf einen Kamm und jenseits durch ähnliche Täler wieder bergab; und dann, beim Austritt aus dunklem, engem Felsgestein, sahen wir eine weite sonnenüberflutete Ebene vor uns, die eine einzelne niedrige Triebsanddüne in langer Linie durchquerte.

Die Mittagsrast hatten wir gleich beim Eintritt in das bewegte Gelände gehalten und erreichten nun, wie vorgesehen, am Spätnachmittag den Brunnen. Es war ein offenes Loch, wenige Yard im Geviert, und lag in einem engen, mit Sand, Kieseln und Steinplatten bedeckten Tal. Das stehende Wasser mutete wenig einladend an. Seine Oberfläche war mit einer dicken Schicht grünlichen Schlamms bedeckt, auf dem merkwürdige, fettige, rosa Blasen schwammen. Die Araber erklärten, das käme von toten Kamelen, die die Türken in den Brunnen geworfen hatten, um das Wasser ungenießbar zu machen; aber das sei schon eine ganze Weile her, und die Wirkung sei nur noch ganz schwach zu merken. Nach meinem Geschmack hätte sie noch schwächer sein können.

Indessen war es der einzige uns zur Verfügung stehende Brunnen, sofern wir nicht die Station Mudowwara einnahmen; daher saßen wir ab und füllten unsere Wasserschläuche. Dabei glitt einer der Howeitat an dem schlüpfrigen Rande aus und fiel ins Wasser. Der grünliche Schlammteppich schloß sich ölig über seinem Kopf zusammen und verschlang ihn einen Augenblick; dann kam er grimmig schnaufend wieder hoch und krabbelte unter allgemeinem Gelächter heraus. Hinter ihm blieb ein schwarzes Loch in dem grünen Moder, aus dem, fast wie eine sichtbare Säule, ein fürchterlicher Gestank von verwestem Fleisch aufstieg, der – nicht eben erfreulich – an ihm und uns sich festhängte und sich über das ganze Tal verbreitete.

Zaal, ich, die beiden Sergeanten und andere schlichen uns bei Dunkelwerden vorsichtig vorwärts. Nach einer halben Stunde erreichten wir den letzten Höhenkamm, auf dem die Türken Schützengräben ausgehoben hatten, nebst einem aus Steinen ausgebauten, mit Schießscharten versehenen Außenposten. Er war unbesetzt in dieser finstern Neumondnacht. Vor uns in der Tiefe lagen die Stationsgebäude, deren Türen und Fenster von den gelben Wachtfeuern der Besatzung grell beleuchtet waren. Sie schien dicht zu unsern Füßen zu liegen, aber die Entfernung war doch weiter, und unsere Grabenmörser reichten nur auf dreihundert Yard. Also pirschten wir uns näher heran, bis wir die Geräusche beim Feinde hörten, stets ängstlich auf der Hut, nicht durch ein Anschlagen der Hunde drüben verraten zu werden. Sergeant Stokes hielt nach rechts und links Ausschau, um Geschützstellungen ausfindig zu machen, fand aber nichts Geeignetes.

Inzwischen waren Zaal und ich in der letzten Bodenfalte so nahe herangekrochen, daß wir die unbeleuchteten Zelte zählen und die Leute sprechen hören konnten. Einer kam heraus, ging einige Schritte auf uns zu und blieb dann stehen. Er strich ein Zündholz an, um sich eine Zigarette anzustecken; die Flamme überleuchtete sein Gesicht und einen Teil seiner Gestalt, und wir sahen, daß es ein junger, hohlwangiger und kränklich aussehender Offizier war. Er kauerte sich einen Augenblick nieder, um etwas zu untersuchen, und kehrte dann zu seinen Leuten zurück, die verstummten, als er an ihnen vorbeiging.

Wir krochen zu unserm Hügel zurück und beratschlagten flüsternd. Die Station war ziemlich ausgedehnt, mit sehr festen steinernen Gebäuden, die unseren nur mit Zeitzünder versehenen Granaten standzuhalten versprachen. Die Garnison schien etwa zweihundert Mann stark zu sein. Wir hatten nur hundertsechzehn Gewehre und waren überdies keine sehr einträchtige Familie. Nur völlige Überraschung konnte uns zugute kommen.

Daher entschied ich, die Station jetzt in Frieden zu lassen und den Angriff auf eine spätere, wahrscheinlich baldige Gelegenheit zu verschieben. Tatsächlich aber rettete eine Reihe von Zufällen Mudowwara; und erst im August 1918 wurde ihm durch Buxtons Kamelreiterkorps das so lang hinausgeschobene Schicksal bereitet.

Wir erreichten in aller Stille unsere Kamele und legten uns zum Schlafen nieder. Am nächsten Morgen gingen wir erst ein Stück unseres gestrigen Weges zurück, dabei einer Bodenfalte folgend, die uns gegen Sicht von der Eisenbahn aus deckte. Dann wandten wir uns südwärts über eine Sandfläche, auf der wir Fährten von Gazellen, Oryx und Straußen entdeckten, an einer Stelle auch schwache Fußspuren eines Leoparden. Wir beabsichtigten, einen Zug in die Luft zu sprengen, und wollten zu diesem Zweck die Höhen erreichen, die die Sandfläche jenseits begrenzten. Dort, so sagte Zaal, machte die Bahn eine Kurve, wie wir sie zur Minenlegung brauchten, und die sie beherrschenden Ausläufer der Berge würden uns Deckung und Schußfeld für die Maschinengewehre bieten.

Also wandten wir uns den südlichen Höhenrücken zu, bis wir auf eine halbe Meile an die Bahnlinie heran waren. Dort machte die Abteilung in einem dreißig Fuß breiten Tal halt, während einige von uns zur Bahn hinuntergingen, die hier einen schwachen Bogen nach Osten machte, um die Höhe zu umgehen, auf der wir standen. Die Höhe endete in einer tafelartigen Platte, die Bahn etwa fünfzig Fuß überhöhend und nordwärts hin das ganze Tal beherrschend.

Die Geleise durchquerten das Tal auf einem hohen Damm, der von einer zweibogigen Brücke als Wasserdurchlaß unterbrochen war. Dies schien eine ideale Stelle zur Anbringung der Ladung. Es war unser erster Versuch mit elektrisch gezündeten Minen, und wir hatten keine Ahnung, wie die Sache auslaufen würde. Aber es leuchtete unmittelbar ein, daß der Erfolg auf jeden Fall sicherer war, wenn man die Ladung über einem Brückenbogen anbrachte. Wie dann auch die Wirkung auf die Lokomotive sein mochte, die Brücke würde einstürzen und die folgenden Wagen sicher zur Entgleisung bringen.

Wir gingen zurück, entluden die Kamele und sandten sie nach einem gedeckten Weideplatz dicht bei überhängenden Felsen, von denen die Araber Salz abkratzten. Dann wurden der Stokes-Mörser nebst Munition, die Lewis-Maschinengewehre und der Sprengstoff mit Kabel, Magnet und sonstigem Werkzeug an die dafür bestimmten Plätze gebracht. Während die beiden Sergeanten ihre sieben Sachen auf einer Terrasse aufbauten, gingen wir zur Brücke hinunter, um in dem Raum zwischen zwei Stahlschwellen ein Loch auszubuddeln, in das die fünfzig Pfund Schießbaumwolle eingebettet werden sollten.

Das Ausgraben hatte seine Schwierigkeiten. Der Eisenbahndamm war sehr steil, und in der geschützten Stelle zwischen ihm und den Hügeln war eine Sandbank angeweht. Nur ich allein ging mit aller Vorsicht darüber, hinterließ aber natürlicherweise dennoch deutliche Spuren in dem weichen Sand. Die ausgegrabene Kiesschotterung zwischen den Schienen mußte ich in meinem Mantel in wiederholten Gängen bis hinunter nach dem Durchlaß tragen, wo sie auf dem kiesigen Bett des Wasserlaufs unauffällig verteilt werden konnte.

Es dauerte fast zwei Stunden, bis wir die Ladung richtig verstaut und wieder zugedeckt hatten. Dann kam die schwierige Aufgabe der Kabellegung von der Sprengstelle bis zu dem Ort in den Hügeln, von wo aus wir die Mine zur Entzündung bringen wollten. Die obere Sandlage war zu einer Kruste verhärtet, die durchbrochen werden mußte, um die Kabel einzubetten. Der Draht war sehr steif und schwer und kratzte in die vom Wind geriffelte Oberfläche lange Streifen, die aussahen wie die Bauchabdrücke unnatürlich dünner und schwerer Schlangen. Wenn man den Draht an der einen Stelle herunterdrückte, sprang er an der andern wieder hoch. Schließlich mußte er mit Felsstücken beschwert und niedergehalten werden, durch deren Herbeischaffung die Sandfläche natürlich noch mehr zerwühlt wurde.

Darauf galt es, mit einem gefüllten Sandsack alle Spuren und Eindrücke bis zu einer gleichmäßig gewellten Oberfläche aufzuschütten und schließlich mittels Blasen und weitausladenden Schwüngen meines Mantels den Eindruck zu erzeugen, als wäre der Wind darübergestrichen. Nach fünf Stunden war alles beendet, aber auch gut beendet: weder ich noch ein anderer konnten erkennen, wo die Ladung lag, noch daß von da aus eine doppelte Drahtleitung unter dem Boden zweihundert Yard aufwärts bis zu der Zündungsstelle lief, die hinter einem für unsere Schützen bestimmten Höhenrand lag.

Der Draht reichte gerade noch von dem Höhenrand bis zu der Bodensenke, wo wir den Zündapparat aufstellten und die beiden Enden des Drahts daran befestigten. Es war ein in jeder Beziehung günstiger Platz, ausgenommen, daß man von dort aus nicht die Brücke übersehen konnte.

Doch konnte diesem Nachteil sehr einfach dadurch abgeholfen werden, daß man von einem erhöhten Punkte, von dem aus zugleich die Brücke wie die Zündungsstelle übersehen werden konnte, dem Manne, der den Hebel bedienen sollte, im gegebenen Augenblick das Zeichen zum Einschalten gab. Salem, einer der besten Sklaven Faisals, bat um diesen Ehrenposten am Zünder und wurde unter allgemeiner Zustimmung dazu auserwählt. Der Rest des Nachmittags verging damit, ihm (an dem ausgeschalteten Zündapparat, versteht sich) klarzumachen, was zu tun sei; bis er dann alles begriffen hatte und genau auf mein gegebenes Zeichen, daß – angenommen natürlich – eine Lokomotive auf der Brücke war, den Hebel herunterdrückte.

Wir ließen einen Posten bei der Bahn und gingen nach dem Lager zurück. Die beim Gepäck gelassenen Leute waren verschwunden, wir spähten ratlos überall umher, und plötzlich entdeckten wir sie hoch oben auf einem Bergkamm sitzend, wo sie sich scharf gegen das goldene Licht der untergehenden Sonne abhoben. Wir schrien ihnen zu, sich schleunigst von dort zu verdrücken; aber sie bestanden darauf, da oben hocken zu bleiben gleich einem Pulk dunkler Krähen, weithin sichtbar von Norden wie von Süden her. Schließlich rannten wir hinauf und holten sie von ihrem Himmelssitz herunter, aber es war schon zu spät. Ein kleiner vorgeschobener türkischer Posten bei Hallat Ammar, der Station vier Meilen südlich, hatte sie entdeckt und eröffnete das Feuer auf die langen Schatten, die von der untergehenden Sonne in stufenweisem Vorrücken über die Hänge nach dem Posten hin geworfen wurden. Die Beduinen waren an sich vollendete Meister in geschickter Ausnutzung des Geländes, aber ihre angeborene Geringschätzung des Türken machte sie diesem gegenüber völlig sorglos. Die Eisenbahnbrücke war sowohl von Mudowwara wie von Hallat Ammar sichtbar, und durch ihre plötzliche unselige Schaulust hatten sie beide Stationen aufmerksam gemacht.

Indessen war die Dunkelheit herabgesunken, und wir konnten nichts anderes tun, als die Nacht durch ruhig schlafen in der Hoffnung auf den kommenden Tag. Vielleicht, daß die Türken annahmen, wir wären abgezogen, wenn sich am Morgen hier nichts Verdächtiges mehr regte. So wurde in einer tiefen Schlucht Feuer gemacht und Brot gebacken; dann streckten wir uns ganz behaglich aus. Die gemeinsame Aufgabe hatte uns zusammengeschlossen; und beschämt über die Narren auf dem Berggipfel unterwarf sich jetzt alles der Führerschaft Zaals.


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