Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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10. Nomaden und Nomadenleben

Seit unserm Aufbruch von Wedjh waren nun fünf Wochen vergangen; das mitgeführte Geld war bis auf einen kleinen Rest ausgegeben; wir hatten alle Hammel der Howeitat verzehrt; unsere Kamele waren ausgeruht oder durch neue ersetzt: nichts hinderte uns mehr am Weitermarsch. Die bevorstehenden Abenteuer machten uns frisch und unternehmungslustig; und am Abend vor dem Aufbruch gab Auda in seinem geräumigen Zelt ein großes Abschiedsfest, das großartigste von allen. Hunderte waren anwesend, und die große Schüssel wurde fünfmal leer gegessen, ebenso rasch wie sie wieder gefüllt und aufgetragen war.

Die Sonne war in prachtvollem Abendglühen untergegangen; und nach dem Fest lagerte die ganze Gesellschaft draußen rings um den Kaffeeherd unter dem glitzernden Sternenhimmel, während Auda und andere Geschichten erzählten. In einer Pause erwähnte ich ganz zufällig, daß ich heute nachmittag Mohammed el Dheilan in seinem Zelt aufgesucht hätte, um ihm für das überlassene Milchkamel zu danken, daß ich ihn aber nicht hätte finden können. Auda schüttelte sich vor Lachen, bis alles nach ihm hinblickte. Und in dem Stillschweigen, das entstand – jeder wünschte doch den Spaß zu hören –, wies Auda auf Mohammed, der mißmutig neben dem Kaffeemörser hockte, und rief mit seiner dröhnenden Stimme:

»Was meint ihr? Soll ich erzählen, warum Mohammed vierzehn Tage lang nicht in seinem Zelt geschlafen hat?« Alles grunzte vor Vergnügen, jede Unterhaltung hörte auf, und man streckte sich bequem auf dem Boden zurecht, das Kinn in die Hand gestützt, um sich keine der Pointen der Geschichte, die man wohl schon an die zwanzigmal gehört hatte, entgehen zu lassen. Auch die Frauen – drei von Auda, die Frau Zaals und einige von Mohammed – kamen von der Küche herüber mit ihren vorgestreckten Leibern und dem breitbeinig wiegenden Gang (eine Folge des Tragens schwerer Lasten auf dem Kopf) und blieben dicht beim Trennungsvorhang lauschend stehen, indes Auda lang und breit erzählte, wie Mohammed im Basar von Wedjh eine kostbare Perlenschnur gekauft hatte, sich dann aber nicht hatte entschließen können, welcher von seinen Frauen er sie schenken sollte, worauf sich alle miteinander verzankten, aber in dem einen Punkt einig waren, nämlich sich dem Gatten zu versagen.

Die Geschichte war natürlich reine Erfindung – Audas spottlustiges Temperament war durch die Anregung des Aufstandes erst so recht in Zug gekommen – und der unglückliche Mohammed, der einfach vierzehn Tage lang in den Zelten seiner Stammesgenossen herumgastiert hatte, rief Gott um Gerechtigkeit und mich zum Zeugen an, daß Auda nicht die Wahrheit spräche. Ich räusperte mich vernehmlich, worauf Auda Stille gebot und mich aufforderte, seine Worte zu bestätigen.

Ich begann mit der üblichen formelhaften Einleitung einer ernsthaften Erzählung: »Im Namen Gottes des Gnädigen und Allgütigen! Wir waren unser sechs zu Wedjh. Es waren da Auda und Mohammed und Zaal, Gasim el Schimt, Mufadhi und der Armselige (das war ich); und eines Nachts, kurz vor Morgengrauen, sagte Auda: ›Laßt uns einen Beutezug zum Markt machen.‹ Und wir sagten: ›Im Namen Gottes!‹ Und so machten wir uns auf: Auda im weißen Gewand, roten Kopftuch und Kasim-Sandalen aus gestückeltem Leder; Mohammed im seidenen Mantel ›der sieben Könige‹ und barfuß; Zaal . . . aber ich vergaß, was Zaal trug. Gasim war in baumwollnen Kleidern und Mufadhi in blaugestreifter Seide mit gesticktem Kopftuch. Euer Diener aber war, wie euer Diener jetzt ist.«

Als ich einen Augenblick innehielt, war allgemeine Verblüffung. Meine Geschichte war eine offenbare Parodie auf Audas Erzählungsart; ich ahmte auch seine Handbewegungen nach und den hohl dröhnenden Klang der Stimme mit dem steigenden und fallenden Ton, womit er seine Pointen unterstrich – oder was er wenigstens in seinen stets pointelosen Geschichten dafür hielt. Die Howeitat hockten mäuschenstill und starrten begierig auf Auda, vor Freude mit ihren vollen Bäuchen wackelnd unter den schweißsteifen Kleidern. Alle erkannten das Original, und eine Parodie war für sie, wie für Auda, etwas gänzlich Neues. Der Kaffeebereiter, Mufadhi, ein wegen einer Blutschuld geflüchteter Schammar und selbst ein Original, vergaß im Eifer des Lauschens frisches Dornreisig auf das Feuer zu schichten.

Ich erzählte dann weiter, wie wir die Zelte verließen, gab ein genaues Verzeichnis der Zelte, und wie wir dann hinunterstiegen, dem Dorfe zu, erwähnte jedes Kamel und jedes Pferd und jeden Vorübergehenden, die wir unterwegs trafen, und beschrieb darauf die Höhenrücken: – »Alle kahl und ohne einen Grashalm, denn, bei Gott, das Land war öde und leer. Und wir marschierten weiter, und nachdem wir so lange gegangen waren, wie man braucht, um eine Zigarette zu rauchen, hörten wir ein Geräusch, Und Auda blieb stehen und sagte: ›Kameraden, ich höre etwas.‹ Und Mohammed blieb stehen und sagte: ›Kameraden, ich höre etwas.‹ Und Zaal sagte: ›Bei Gott, ihr habt recht.‹ Und wir hielten inne und lauschten, und da war nichts, und der Armselige sagte: ›Bei Gott, ich höre nichts.‹ Und Zaal sagte: ›Bei Gott, ich höre nichts.‹ Und Mohammed sagte: ›Bei Gott, ich höre nichts.‹ Und Auda sagte: ›Bei Gott, ihr habt recht.‹

Und wir gingen und gingen, und das Land war öde, und wir hörten nichts. Und zu unserer Rechten kam ein Mann, ein Neger, auf einem Esel. Der Esel war grau, mit schwarzen Ohren und einem schwarzen Fuß, und auf seiner Schulter war ein eingebranntes Mal, das sah so aus (ein Schnörkel in der Luft) . . . und sein Schwanz wackelte, und seine Beine bewegten sich. Auda sah ihn und sagte: ›Bei Gott, ein Esel.‹ Und Mohammed sagte: ›Beim wahrhaftigen Gott, ein Esel und ein Sklave.‹ Und wir gingen weiter. Und wir kamen an einen Höhenrücken, kein großer, aber doch ein Rücken so breit wie von hier bis Wie-heißt-es-gleich? (›lil bili yeh el hok‹), das liegt da drüben. Und wir gingen auf den Rücken, und er war öde und leer. Jenes Land war öde, öde, öde.

Und wir gingen weiter. Und hinter Wie-heißt-es-gleich war ein Was-ist-das-gleich, so weit entfernt wie von hier nach dorthin; und dahinter kam ein Höhenrücken; und wir kamen an den Rücken und stiegen auf den Rücken hinauf; er war öde, das ganze Land war öde: und als wir oben auf den Rücken kamen und auf den Grat des Rückens und auf den Gipfel des Grats des Rückens, da, bei Gott, bei meinem Gott, beim wahrhaftigen Gott, da ging die Sonne über uns auf!«

Damit endete die Erzählung. Jeder hatte wohl schon an die zwanzigmal diesen Sonnenaufgang gehört, mit seinem gewaltigen Pathos und der unendlichen Kette verschlungener Phrasen, die Auda in ewigen Steigerungen ewig wiederholte, um stundenlang das atemlos gespannte Interesse an irgendeiner Räubergeschichte wachzuhalten, in der nichts geschah. Was ich selbst hinzugefügt hatte, war nur die leichte Übertreibung, die deutlich machen sollte, daß es sich um eine Verspottung der Erzählungen Audas handelte und somit auch der Geschichte von dem Spaziergang nach dem Markt von Wedjh, die viele von uns wirklich für Ernst genommen hatten. Die ganze Gesellschaft bog sich vor Lachen.

Auda selbst lachte am längsten und lautesten; denn er hatte es nicht ungern, wenn man ihn verulkte, und außerdem hatte ja meine alberne Geschichte seine sichere Beherrschung epischer Schilderungen deutlich zur Geltung gebracht. Er umarmte Mohammed und bekannte, daß er die Halsbandgeschichte erfunden habe. Aus Dankbarkeit lud Mohammed uns alle für morgen eine Stunde vor Abmarsch zum Frühstück ein in seinem wiedererlangten Zelt. Wir sollten ein vor kurzem geborenes Kamelkalb in saurer Milch bekommen, ein sagenhaftes Gericht, und außerdem von seinen eigenen Frauen zubereitet, die ihrer Kochkünste wegen berühmt waren.

Am 19. Juni 1917 brachen wir zum Vorstoß auf Akaba auf. Nasir hatte die Führung; er ritt seine Ghazala – ein Kamel, gewaltig und hochbordig wie ein antikes Schiff, seine Nachbarn gut um einen Fuß überragend, und doch wohlproportioniert und mit dem leichten und geräumigen Schritt eines Straußes – eine bildschöne Stute edelster Howeitatzucht, die nachweislich neunmal gekalbt hatte. Neben ihm ritt Auda, während ich um sie herumschwärmte auf meiner leichten Naáma, genannt »die Straußenhenne«, einem Rennkamel und meiner jüngsten Erwerbung. Hinter mir folgten meine Ageyl mit Mohammed, dem Plumpen. Er hatte jetzt Gesellschaft bekommen in der Person eines andern Bauern, Ahmed, der dank seiner Schlauheit und Gewandtheit sechs Jahre bei den Howeitat gelebt hatte – ein ausgepichter, gewitzter Schuft.

Unser Trupp war jetzt auf mehr als fünfhundert angewachsen. Und der Anblick dieser stattlichen Schar kräftiger, zuversichtlicher Nordländer, die in übermütiger Laune Gazellen über die weite Wüste hetzten, nahm uns im Augenblick jede ängstliche Besorgnis über den möglichen Ausgang unserer Unternehmung. Am Abend nach dem Marsch kamen die Führer der Abu Tayi zum Essen zu uns. Es war eine festliche Nacht, und nach dem Mahle saßen wir draußen auf den Teppichen, angenehm erwärmt in der Kühle dieses nördlichen Hochlandes durch die glimmenden Kaffeefeuer, und sprachen von allerlei fernen Dingen.

Als wir in der Frühe des nächsten Tages aufbrachen, sagte mir Auda, daß er nach Bair vorausreiten wollte und ob ich Lust hätte, mitzukommen. Nach einem scharfen zweistündigen Ritt sahen wir von einem Hügel aus plötzlich Bair vor uns liegen. Auda war vorausgeeilt, um das Grab seines Sohnes Annad zu besuchen, dem fünf seiner Motalga-Vettern bei Bair aufgelauert hatten aus Rache für Abtan, ihren besten Fechter, der von Annad im Einzelkampf erschlagen worden war. Auda erzählte, wie Annad gegen sie angeritten war, einer gegen fünf, und gestorben war, wie es sich geziemte. Doch war ihm nur noch der kleine Mohammed als einziges Kind und unsicherer Erbe geblieben. Auda hatte mich mitgenommen, um einen Zuhörer für seine Klagen über den Tod seines Sohnes zu haben.

Als wir jedoch nach den Gräbern zu hinabritten, bemerkten wir zu unserm Erstaunen aus der Niederung bei dem Brunnen Rauch aufsteigen. Wir schlugen einen scharfen Bogen und näherten uns auf Umwegen vorsichtig den Gräbern. Niemand war zu sehen, aber die dicke Dungschicht um den Brunnen war zum Teil verkohlt und sein Rand zertrümmert. Der Boden war aufgewühlt und wie durch eine Explosion geschwärzt; und als wir in den Brunnenschacht blickten, stellten wir fest, daß die Innenwand zerrissen und zersplittert und der Grund bis zur halben Höhe durch Steintrümmer verstopft war. Es schien mir in der Luft nach Dynamit zu riechen.

Auda eilte zu dem nächsten Brunnen, im Grunde des Tales unterhalb der Gräber. Auch dessen Umfassung war zerstört und der Schacht mit Steinen angefüllt. »Das ist das Werk der Djazi«, meinte Auda. Wir gingen quer durch das Tal zum dritten – dem Beni-Sakhr-Brunnen. Er war nur noch ein Steinkrater. Zaal traf ein und machte eine sehr ernste Miene, als er die Zerstörungen sah. Wir untersuchten den ebenfalls in Trümmer gelegten Khan und fanden frische, nur eine Nacht alte Spuren von etwa hundert Pferden. Jenseits des Tals in der offenen Ebene gab es noch einen vierten Brunnen; und wir machten uns dahin auf, ohne jede Hoffnung und in trüben Gedanken, was aus uns werden sollte, wenn ganz Bair zerstört war. Zu unserer freudigen Überraschung fanden wir ihn unberührt. Es war ein speziell den Djazi gehöriger Brunnen, und seine Unversehrtheit bestätigte die Richtigkeit von Audas Vermutung. Dieses rasche Eingreifen der Türken brachte uns in ernste Verlegenheit, und wir mußten befürchten, daß sie wahrscheinlich auch El Djefer, östlich von Maan, zerstört hatten. Waren die dortigen Brunnen, die wir zum Sammelpunkt vor dem Angriff auf Akaba bestimmt hatten, unbrauchbar, so bedeutete das ein kaum zu überwindendes Hindernis für das Unternehmen. Indessen, dank dem unversehrten vierten Brunnen, war unsere Lage, wenn auch unbequem, so doch nicht wirklich gefährdet. Seine Wassermenge aber reichte natürlich nicht aus für die Versorgung von fünfhundert Kamelen; und wir mußten daher versuchen, den am wenigsten zerstörten Brunnen – den bei den Gräbern, mit dem schwelenden Kamelmist – wieder zu öffnen. Auda, Nasir und ich machten uns daher zu einer erneuten Besichtigung dahin auf.

Ein Ageyl brachte einen leeren Kasten, der Dynamitpackungen enthalten hatte, offenbar das von den Türken benutzte Sprengmaterial. Aus den Spuren im Boden ging deutlich hervor, daß mehrere Ladungen zugleich rings um den Rand und im Schacht zur Explosion gebracht worden waren. Als sich das Auge an die Dunkelheit im Innern des Brunnens gewöhnt hatte, entdeckten wir eine Anzahl Aushöhlungen im Schacht, etwa zwanzig Fuß unter dem Rand, zum Teil noch gefüllt und mit herabhängender Zündschnur.

Augenscheinlich war das eine zweite Serie von Ladungen, deren Zündung entweder versagt hatte, oder die – was auch möglich war – mit einer sehr langsam wirkenden Zeitzündung versehen waren. In aller Eile wurden die Stricke unserer Wassereimer losgemacht, dann zusammengeknüpft und das Ende an einem starken Querbalken über der Mitte des Schachts befestigt, denn der Rand war so bröckelig, daß die Steine unter dem Druck des Taus nachgegeben hätten. Unten fand ich dann, daß die Ladungen ziemlich schwach waren, keine über drei Pfund und durch Feldtelephondraht gruppenweise verbunden. Irgend etwas hatte bei der Sache nicht funktioniert. Entweder hatten die Türken schlechte Arbeit gemacht, oder ihre Posten hatten uns kommen sehen, bevor sie Zeit gehabt hatten, die Zündungen richtig anzulegen. So verfügten wir denn nach kurzer Zeit über zwei brauchbare Brunnen und hatten noch obendrein eine Zugabe von dreißig Pfund feindlichen Sprengmaterials. Wir beschlossen, eine Woche in dem sich so günstig anlassenden Bair zu bleiben. Zu der dringenden Notwendigkeit, Nahrung herbeizuschaffen und Nachrichten einzuholen über die Stimmung der Stämme zwischen Maan und Akaba, kam jetzt noch eine dritte Aufgabe, nämlich die, den Zustand der Brunnen bei Djefer zu erkunden. Zu diesem Zweck wurde ein geeigneter Mann nach Djefer entsandt. Ferner wurde eine Karawane von Lastkamelen mit dem Brandstempel der Howeitat zusammengestellt und über die Eisenbahnlinie hinweg nach Tafileh entsandt, begleitet von drei bis vier gänzlich unbekannten Klanhäuptlingen, von denen niemand vermuten konnte, daß sie gemeinsame Sache mit uns machten. Sie sollten alles Mehl aufkaufen, das sie kriegen konnten, und in fünf bis sechs Tagen wieder zurück sein.

Was die Stämme längs der Straße nach Akaba betraf, so brauchten wir ihre tätige Mitwirkung gegen die Türken, um den in Wedjh in allgemeinen Zügen entworfenen Plan durchführen zu können. Unsere Absicht war, von El Djefer aus überraschend vorzustoßen, die Eisenbahnlinie zu überschreiten und den großen Paß Nagb el Schtar zu besetzen, über den die Straße vom Plateau von Maan in die rote Ebene von Guweira hinunterführte. Um den Paß zu halten, mußten wir Aba el Lissan nehmen, die beherrschende Wasserstelle auf der Paßhöhe; aber die Besatzung war nur schwach, und wir hofften, sie durch Handstreich zu überrumpeln. Dann waren wir Herren der Straße, konnten sie absperren, und die verschiedenen, längs des Weges stationierten Posten würden im Verlauf einer Woche entweder verhungern oder wahrscheinlich schon vorher durch die Bergstämme aufgehoben werden, die sich uns bei der Kunde von unserm erfolgreichen Vordringen anschließen würden.

Die Hauptschwierigkeit des Plans lag darin, Aba el Lissan einzunehmen, bevor die in Maan stehenden türkischen Kräfte Zeit hatten, zum Entsatz herbeizueilen, um uns vom Paß von Schtar wieder zu vertreiben. Blieb die dortige Besatzung, wie zur Zeit, nur ein Bataillon stark, so war anzunehmen, daß sie sich nicht herauswagen, sondern in Erwartung von Verstärkungen untätig zusehen würde, wie Aba el Lissan fiel. Alsdann mußte sich uns Akaba übergeben, und wir konnten uns auf einen Zugang zum Meer stützen und hatten den günstigen Engpaß von Ibm zwischen uns und dem Feind. Der Erfolg hing also davon ab, daß wir Maan in Unkenntnis hielten über unser gefahrdrohendes Anrücken, so daß die dortige Besatzung nicht vorzeitig verstärkt werden konnte.

Nun war es durchaus nicht leicht, unsere Bewegungen geheimzuhalten, da wir ja den lokalen Stämmen auf unserem Wege den Anschluß an den Aufstand predigen mußten und die Nichtbekehrten uns den Türken verraten konnten. Der Feind war natürlich von unserm langen Marsch durch den Sirhan unterrichtet, und selbst der Laie konnte unschwer erkennen, daß unser Operationsziel Akaba war. Die Zerstörung von Bair (ebenso wie die von Djefer, denn es wurde uns gemeldet, daß die sieben Brunnen von Djefer ebenfalls gesprengt waren) bewies, daß die Türken bereits weitgehend alarmiert waren.

Möglicherweise wurde Djefer für uns eine völlige Niete; aber es blieb immerhin die Hoffnung, daß auch bei den dortigen Zerstörungen die jämmerlichen Türken schlechte Arbeit gemacht hatten. Dhaif-Allah, einer der nach Wedjh zum Treuschwur gekommenen Führer der Djazi-Howeitat, war zugegen gewesen, als der Königsbrunnen bei Djefer durch rings um seinen Rand gelegte Dynamitladungen gesprengt worden war. Er schickte uns geheime Nachricht von Maan, daß, soviel er wüßte, die steinerne Umfassung in sich zusammengebrochen wäre und den Brunnenmund verstopft hätte; seiner Ansicht nach wäre der Schacht intakt und seine Öffnung erfordere nur eine Arbeit von wenigen Stunden. Wir konnten nur hoffen, daß dem so wäre, und marschierten programmäßig am 28. Juni von Bair ab.

Rasch durchritten wir die unheimlich öde Ebene von Djefer, und zu Mittag des nächsten Tages erreichten wir die Brunnen. Sie waren vollkommen unbrauchbar gemacht; und die Besorgnis wuchs, daß wir hier auf die erste Störung unseres Operationsplans stoßen würden, die bei einem so bis in alle Einzelheiten ausgearbeiteten Plan weitreichende Folgen haben konnte.

Indessen machten wir uns zu dem Brunnen – Audas Familienbesitz – auf, über den uns Dhaif-Allah Nachricht gegeben hatte, und begannen den Boden ringsum mit unsern hölzernen Schlegeln abzuklopfen. Es klang hohl unter den Schlägen, und wir riefen Freiwillige zum Graben auf. Einige der Ageyl meldeten sich unter der Führung des tüchtigen Mirzugi, eines von Nasirs Dienern. Mit den wenigen Werkzeugen, die wir hatten, machten sie sich an die Arbeit, während wir übrigen rings um die Brunnensenkung standen, die Schaffenden durch Gesang ermunterten und klingende Belohnung versprachen, wenn sie Wasser fänden.

Es war eine heiße Arbeit unter der vollen Glut der Sommersonne, denn die zwanzig Meilen breite Ebene von Djefer war wie eine flache Tenne aus hartem Lehm, mit grell blendenden Salzflächen überzogen. Doch die Zeit drängte, und fanden wir kein Wasser, so mußten wir noch in der gleichen Nacht fünfzig Meilen weiter bis zum nächsten Brunnen marschieren. So wurde in der Mittagshitze weiter geschafft und das Werk durch Ablösung und Einstellen frischer Kräfte – alle waren zum Mithelfen bereit – beschleunigt. Glücklicherweise ging das Ausgraben ziemlich leicht, denn durch die Explosion, die die Steine durcheinandergeworfen hatte, war auch der Boden gelockert.

Schließlich, nachdem man eine Weile gegraben und die Erde herausbefördert hatte, trat im Mittelpunkt der Grube der Kopf des Brunnens, ein hochgetürmter Haufen roter Steine, zutage. Mit aller Vorsicht wurde nun das obere zerstörte Mauerwerk beiseitegeschafft, ein schwieriges Werk, denn die Steine hingen infolge der Sprengung nur lose aneinander; aber das war ein gutes Zeichen, und unsere Zuversicht wuchs. Kurz vor Sonnenuntergang riefen die Arbeitenden herauf, daß die Blöcke von Schutt und Erde frei wären, und daß man hören könnte, wie die in den Lücken durch die Ritzen fallenden Lehmbrocken mehrere Fuß tief ins Wasser plantschten.

Eine halbe Stunde später gab es ein mächtiges Gepolter in die Tiefe stürzender Steine, gefolgt von dumpfem Aufklatschen und Freudenrufen. Wir eilten herbei, und im Lichte von Mirzugis Fackel blickten wir in die gähnende Öffnung des Brunnens. Der Schacht war zu einer tiefen, flaschenförmig erweiterten Grube geworden, auf dem Grunde etwa zwanzig Fuß breit. Die dunkle Wasserfläche spritzte in der Mitte weißschäumend auf von dem verzweifelten Umsichschlagen des Ageyli, der beim Nachgeben der Ummauerung mit in die Tiefe gerutscht war. Wir amüsierten uns über sein Gepaddel, bis ihm dann Abdulla eine Seilschlinge zuwarf und er daran heraufgezogen wurde, patschnaß und schimpfend, aber unverletzt.

Wer mitgeholfen hatte, wurde belohnt, und wir feierten das Ereignis durch Schlachtung eines mageren Kamels, das auf dem heutigen Marsch versagt hatte. Dann wurde die ganze Nacht hindurch getränkt, während eine Gruppe Ageyl, unter aufmunternden Gesängen im Chor, unten im Brunnen arbeitete und einen aus Lehm und Steinen festgefügten Schacht von acht Fuß Breite aufrichtete. Bei Morgengrauen wurde ringsum die Erde festgestampft, und nun stand der Brunnen fix und fertig, genau so schön wie vorher. Wir schöpften vierundzwanzig Stunden lang ununterbrochen bis auf den modrigen Grund, aber doch blieben einige der Kamele ungesättigt.

Von Djefer aus wurde das weitere Vorgehen eingeleitet. Reiter wurden zu den Zelten der Dhumaniyeh vorgeschickt zur Durchführung des von ihnen zugesagten Angriffs auf das Blockhaus bei Fuweilah, das den Paßübergang von Aba el Lissan sperrte. Der Angriff sollte gerade zwei Tage vor dem Eintreffen der türkischen Proviantkolonne stattfinden, die von Maan aus regelmäßig einmal in der Woche die verschiedenen Posten an der Straße versorgte. Sahen sich all die kleinen, weit auseinandergezogenen Abteilungen vollständig von ihren Verbindungen abgeschnitten, so mußte ihnen sehr bald der Hunger eindringlich zu Gemüte führen, daß jeder Widerstand nutzlos war.

Inzwischen mußten wir in Djefer den Ausgang des Unternehmens abwarten. Von seinem Erfolg oder Mißlingen hing die Richtung unseres weiteren Marsches ab. Die erzwungene Rast entbehrte nicht eines gewissen Reizes, denn unsere Lage hatte auch ihre komische Seite. Wir konnten von Maan aus gesehen werden, jedenfalls während der kurzen Zeit des Tages, in der die flimmernde Luftspiegelung jeden Gebrauch von Auge oder Glas nicht unmöglich machte; und dennoch streunten wir hier, unseres wiederhergestellten Brunnens froh, in voller Seelenruhe umher, da die türkische Besatzung jedes Wassernehmen hier oder in Bair für ausgeschlossen hielt und sich in dem angenehmen Glauben wiegte, wir lägen uns gerade mit ihrer Kavallerie im Sirhan hoffnungslos in den Haaren.

Ich lag stundenlang, träge vor Hitze, im Schatten eines Busches ausgestreckt, meinen weiten, seidenen Ärmel über das Gesicht gezogen als Schleier gegen die Fliegen, und tat, als ob ich schliefe. Auda saß daneben. Er redete wie ein Wasserfall und gab seine schönsten Geschichten in großer Form zum besten. Schließlich unterbrach ich ihn mit dem lächelnden Tadel, daß er zuviel rede und zuwenig tue. Er leckte sich zur Antwort nur vergnügt die Lippen im Vorgenuß der kommenden Taten.

In der Frühe des nächsten Morgens erschien ein erschöpfter Reiter in unserem Lager und brachte die Nachricht, daß die Dhumaniyeh am gestrigen Nachmittag gleich nach Eintreffen unserer Boten den Angriff auf das Blockhaus bei Fuweilah begonnen hatten. Doch war die Überrumpelung nicht ganz gelungen, die Türken hatten ihre steinernen Brustwehren besetzt und den Angriff abgeschlagen. Die entmutigten Araber zogen sich in sicheren Schutz zurück; und der Feind, in dem Glauben, es handle sich hier um einen der gewöhnlichen Überfälle durch die Stämme, hatte eine Abteilung Berittener gegen das nächstgelegene Zeltlager ausgesandt.

Dort waren nur ein alter Mann, sechs Frauen und sieben Kinder zurückgeblieben. In ihrem Ärger darüber, daß sie keinen mannbaren Gegner antrafen, zerstörten sie das ganze Lager und schnitten den Wehrlosen die Kehle durch. Die in den Bergen versteckten Dhumaniyeh hörten erst davon, als es schon zu spät war; dann aber warfen sie sich wuterfüllt den Mördern auf ihrem Rückweg entgegen und machten sie bis fast auf den letzten Mann nieder. Um ihre Rache vollständig zu machen, griffen sie das nunmehr nur noch schwach besetzte Blockhaus an, eroberten es im ersten wilden Ansturm und machten keine Gefangenen.

Wir hatten sehr rasch gesattelt und aufgeladen, und zehn Minuten später waren wir auf dem Marsch nach Ghadir el Hadj, der ersten Eisenbahnstation südlich Maan, an unserm direkten Weg nach Abu el Lissan gelegen. Gleichzeitig entsandten wir eine schwache Abteilung nordwärts, die hart oberhalb Maan die Eisenbahn überschreiten und dadurch die Aufmerksamkeit des Feindes nach jener Seite ablenken sollte. Insbesondere sollte sie die starken Herden erholungsbedürftiger Kamele bedrohen, die von der türkischen Palästinafront auf die Weiden von Schobek gesandt waren, um wieder verwendungsfähig zu werden.

Wir rechneten damit, daß die Nachricht vom Fall des Postens bei Fuweilah erst am Morgen Maan erreicht haben konnte, und daß sie nicht vor Einbruch der Nacht diese Kamelherden (vorausgesetzt, daß unsere nördliche Abteilung sie nicht verfehlt hätte) in Sicherheit bringen und eine Entsatzexpedition in Marsch setzen konnten. Und wenn wir dann die Eisenbahn bei Ghadir el Hadj angriffen, so würden sie aller Voraussicht nach die Entsatzabteilung dahin abbiegen lassen, während wir ungehindert unsern Weg auf Akaba fortsetzen konnten.

In dieser Hoffnung ritten wir in stetigem Tempo durch die wogende Spiegelung der Wüste, und am Nachmittag erreichten wir die Eisenbahn. Hier wurde zunächst eine breite Strecke von feindlichen Posten und Patrouillen gesäubert, und dann machten wir uns an die wichtigsten Brücken innerhalb des gewonnenen Abschnittes. Die schwache Besatzung von Ghadir el Hadj machte mit dem Mut des Ahnungslosen einen Ausfall gegen uns; aber der Dunst der Hitze blendete sie, und wir trieben sie mit Verlusten zurück.

Sie verfügten über den Telegraphen, und es war anzunehmen, daß sie Maan benachrichtigen würden, wo man überdies die wiederholten Detonationen unserer Sprengungen hören mußte. Unsere Absicht war, in der Dunkelheit den Feind auf uns zu locken oder vielmehr hierher, wo er keinen Gegner, wohl aber viele zerstörte Brücken finden würde, denn wir arbeiteten rasch und mit gutem Erfolg. Jede der Wasserrinnen im Mauerwerk der Brücken wurde mit drei bis vier Pfund Sprengstoff geladen. Dann wurden die Minen durch Kurzzündung zur Explosion gebracht, und in weniger als sechs Minuten Arbeit hatten wir die Bogen durchschlagen, den Oberbau gesprengt und den Damm aufgerissen. Auf diese Weise zerstörten wir zehn Brücken und viele Geleise und verbrauchten dabei unsern ganzen Vorrat an Sprengmaterial.

Nach Einbruch der Dunkelheit, als unser Abmarsch nicht mehr gesehen werden konnte, zogen wir uns zehn Meilen nach Westen zu in sichere Deckung. Dort wurde Feuer angemacht und Brot gebacken. Doch war unser Mahl noch nicht bereitet, als drei Reiter in vollem Galopp herankamen und meldeten, daß eine lange Kolonne neuer feindlicher Truppen – Infanterie und Geschütze – soeben, von Maan herkommend, bei Aba el Lissan aufgetaucht sei. Die durch den Sieg desorganisierten Dhumaniyeh hatten das Gebiet kampflos räumen müssen. Sie waren jetzt in Batra und warteten auf uns. So hatten wir also Aba el Lissan, das Blockhaus, den Paß und den Besitz der Straße nach Akaba verloren, ohne einen Schuß abgegeben zu haben.

Später erfuhren wir, daß diese höchst unwillkommene und ungewohnte Kraftentfaltung der Türken mehr ein Zufall gewesen war. Gerade an jenem Tage war ein Ersatzbataillon in Maan ausgeladen worden. Zu gleicher Zeit war die Nachricht von einer Demonstration arabischer Stämme gegen Fuweilah eingetroffen; daraufhin war das Bataillon, das eben auf dem Bahnsteig zum Abmarsch nach den Baracken bereitstand, schleunigst durch eine Sektion Gebirgsartillerie und eine kleine Kavallerieabteilung verstärkt und zum Entsatz des vermeintlich belagerten Blockhauses abgesandt worden.

Sie hatten Maan am Vormittag verlassen und marschierten langsam auf der großen Straße vor; die Mannschaften, meist den schneebedeckten Bergen Kaukasiens entstammend, schwitzten in der Glut dieses südlichen Landes und taten sich an jeder Quelle gütlich. Von Aba el Lissan stiegen sie bergaufwärts bis zu dem alten Blockhaus, das still und verlassen dalag. Nur lautlose Geier zogen ihre langsamen, unheimlichen Kreise über den Mauern. Der Bataillonskommandeur fürchtete, daß der Anblick, der sich im Innern der Station bot, für seine jungen Truppen zuviel sein möchte, und führte sie zu der Quelle an der Straße von Aba el Lissan zurück, wo sie die ganze Nacht friedlich um das Wasser herum lagerten.


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