Thomas Edward Lawrence
Aufstand in der Wüste
Thomas Edward Lawrence

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6. Taktik und Politik

Die Behörden in Kairo versprachen bereitwillig Geld, Gewehre, Maultiere und noch weitere Maschinengewehre und Gebirgsgeschütze; doch die bekamen wir natürlich nie. Die Geschützfrage bedeutete überhaupt ein ewiges Ärgernis. Man konnte toll werden bei dem Gedanken, daß wir bei vielen Unternehmungen unterlegen waren und andere ganz unterlassen mußten, lediglich aus dem technischen Grund, weil die Reichweite der türkischen Geschütze die unsere um drei- bis viertausend Yard übertraf und wir daher gegen ihre Artillerie nicht aufkommen konnten.

Einen sehr wertvollen Zuwachs für unsere Sache bekamen wir in der Person von Djaafar Pascha, einem türkischen Offizier und gebürtigen Bagdader. Nachdem er sich in der deutschen und türkischen Armee hervorgetan hatte, wurde er von Enver dazu ausersehen, die Aufgebote des Scheikhs el SenussiDie Senussi, eine fanatische arabische Sekte, hauptsächlich an der Nordküste Afrikas, westlich Ägypten (A.d.Ü.). zu organisieren. Er gelangte mittels U-Boot dorthin, schuf eine leidlich gute Truppe aus diesen wilden Leuten und erwies sich von großem taktischen Geschick in zwei Gefechten gegen die Engländer. Dann wurde er gefangengenommen und mit den übrigen kriegsgefangenen Offizieren in der Zitadelle von Kairo untergebracht. Eines Nachts machte er einen Fluchtversuch, indem er sich an einem aus Bettüchern gedrehten Seil in den Festungsgraben hinunterließ; doch die Bettücher rissen unter der Last, und im Fall verletzte er sich den Knöchel, worauf der Hilflose wieder festgenommen wurde. Im Lazarett gab er sein Ehrenwort, nicht mehr zu entweichen, und wurde nach Bezahlung der zerrissenen Bettücher auf freien Fuß gesetzt. Eines Tages las er dann in einer arabischen Zeitung vom Aufstand des Scherifs und von der Hinrichtung bekannter arabischer Nationalisten – seiner Freunde – durch die Türken, was ihm die Augen darüber öffnete, daß er auf der falschen Seite war. Faisal wußte natürlich von ihm und wünschte ihn als Oberbefehlshaber seiner regulären Truppen, deren Vervollkommnung jetzt unsere Hauptsorge war.

Ich kehrte nach Wedjh zurück, wo es manches Interessante gab. Das Lager war nun in die gehörige Ordnung gebracht. Faisal hatte seine Zelte (jetzt eine stattliche Gruppe: Wohnzelte, Empfangszelte, Zelte für den Stab, für die Gäste und für die Dienerschaft) etwa eine Meile von See auf der Höhe eines Korallenriffs aufgestellt, das sanft von der Küste ansteigend nach Osten und Süden zu in jähem Hang abfiel, von dem aus man über die breiten, strahlenförmig vom Hafen auslaufenden Täler blickte. In diesen sandigen Tälern hatten die Soldaten und die Stämme ihre Zelte errichtet, uns die kühle Höhe überlassend. Für uns Nordländer war es köstlich, wenn abends die Brise von See das Wellenrauschen der Wogen zu uns herübertrug, fern und gedämpft wie das Echo des Verkehrs in einer stillen Seitenstraße Londons.

Unmittelbar unter uns lagen die Zelte der Ageyl in regellosen Gruppen. Südlich davon sah man Rasims Artillerie und nachbarlich neben ihnen die Maschinengewehrabteilung Abdullas, die Zelte in gerader Reihe und die angepflöckten Maultiere so gut ausgerichtet und mit so vorzüglicher Ausnutzung des knappen Raumes, daß es dem Berufsoffizier alle Ehre machte. Weiter nach draußen zu hatte sich der Markt etabliert, ein brodelndes Menschengewimmel rings um die am Boden ausgebreiteten Waren. Und weithin verstreut, da wo es irgendein geschütztes und windstilles Plätzchen gab, hatten sich die Zelte oder Schutzdächer der Stämme angesiedelt. Dahinter öffnete sich das flache Land, und zwischen dem Lager und den dürftigen Palmen des nächstgelegenen salzigen Brunnens gingen Kamelgruppen ständig hin und her. Den Hintergrund bildeten die Vorberge, in zackiger Steilheit gegen den Horizont des Küstengebirges abgesetzt.

Bei der sehr weitläufigen Lagerweise in Wedjh verbrachte ich meine Zeit mit ständigem Rundgang zwischen Faisals Zelten, den Zelten der Engländer, den Zelten der ägyptischen Truppen, der Stadt, dem Hafen und der Funkstation. Um meinen schon abgehärteten Körper noch widerstandsfähiger zu machen, wanderte ich unermüdlich Tag für Tag in Sandalen oder barfuß über die Korallenkalkpfade und gewöhnte so ganz allmählich meine Füße daran, schmerzlos über steinigen und brennend heißen Boden zu gehen.

Die guten Araber wunderten sich, warum ich kein Pferd nähme; und ich verzichtete darauf, ihnen auseinanderzusetzen, daß ich mich abhärten wollte, oder daß ich um der Schonung der Tiere willen lieber ginge als ritte; sie hätten es doch nicht verstanden, obwohl beides zutraf. Ein unbehagliches Gefühl, das gegen meinen Stolz ging, verbot mir, von derlei niederen Lebensfunktionen mit ihnen zu reden. Die Gebundenheit an diese Funktion brachte mir das Knechtische unseres Menschengeschlechts – etwa wie von einem Gott aus gesehen – zum Bewußtsein; und darin, daß auch ich sie ausübte, zumal in einem Fall, wo ich es eigentlich nicht nötig gehabt hätte, lag etwas Beschämendes für mich. Es war etwas Ähnliches, wie ich es den Negern gegenüber empfunden hatte, wenn sie allnächtlich unterm Vordach ihrer Behausung sich mit Tam-Tam-Getöse bis zur Rotglut erhitzten: ihre Gesichter, die so ganz anders waren als die unseren, waren noch erträglich; aber daß alle ihre Gliedmaßen das getreue Ebenbild der unseren waren, darin lag etwas Verletzendes.

Faisal, drinnen im Zelt, beschäftigte sich Tag und Nacht mit den politischen Angelegenheiten, wobei wir ihm nur wenig helfen konnten. Draußen unterhielten sich die Truppen mit Paraden, Freudenschießereien und Siegesmärschen. Auch Unfälle ereigneten sich. Einmal spielten einige Leute hinter unseren Zelten mit einer Flugzeugbombe, einem Überbleibsel von der Einnahme der Stadt durch Boyle. Die Bombe explodierte, die Glieder der Leute flogen im Lager herum, und die Leinwand unserer Zelte wurde mit Blutspritzern bedeckt, die sich bald bräunlich verfärbten und allmählich verblaßten. Faisal bezog andere Zelte und gab Befehl, die blutbespritzten Zelte zu vernichten; doch die sparsamen Sklaven wuschen sie nur aus. Ein anderes Mal fing eins der Zelte Feuer, und drei von unseren Gästen wurden dabei angeröstet. Das ganze Lager lief zusammen und brüllte vor Freude, bis das Feuer erstarb; erst dann nahm man sich, mit einigermaßen blöden Gesichtern, der Verletzten an. Ein drittes Mal wurde durch einen vorzeitig krepierenden Freudenböller eine Stute verwundet und viele Zelte durchlöchert.

Eines Abends begannen die Ageyl gegen ihren Befehlshaber, Ibn Dakhil, zu meutern, weil er ihnen zu häufige Geldbußen auferlegte und sie allzu grausam durchprügeln ließ. Mit Geschrei und Geschieße kamen sie angelaufen, stürzten sein Zelt um, warfen alles umher und verbläuten seine Sklaven. Aber damit hatte ihre Wut noch nicht ausgetobt: sie erinnerten sich plötzlich der Vorfälle von Janbo und machten sich auf, um die Ateiba niederzumachen. Faisal sah von der Uferhöhe aus ihre Fackeln, rannte, barfuß wie er war, hinunter, fuhr wie eine Windsbraut zwischen sie und hieb mit flacher Klinge auf sie ein.

Sein Eingreifen brachte sie zum Stehen, indes die herbeigerufenen Sklaven und Reiter den Hügel hinabstürmten und mit Geschrei und flachen Säbelhieben auf sie eindrangen. Man gab Faisal ein Pferd, auf dem er die Rädelsführer niederritt, und die Haufen wurden auseinandergetrieben, indem man ihnen Leuchtraketen auf die Kleider schoß. Es gab nur zwei Tote und dreißig Verwundete. Ibn Dakhil dankte am nächsten Tage ab.

Fakhri Pascha ließ sich auch weiterhin von uns das Gesetz seines Handelns vorschreiben. Er hielt Medina in einer Verteidigungsstellung besetzt, die gerade weit genug vorgeschoben war, um den Arabern eine Beschießung der Stadt mit Artillerie unmöglich zu machen. (Ein solcher Versuch wurde weder beabsichtigt noch unternommen.) Seine übrigen Truppen hatte er längs der Eisenbahn verteilt; und zwar wurden alle Wasserstationen zwischen Medina und Tebuk mit starken Abteilungen belegt, zwischen denen schwächere Posten standen, so daß durch tägliche Patrouillengänge die Strecke dauernd gesichert werden konnte. Binnen kurzem also hatte sich Fakhri in die denkbar untätigste Defensive drängen lassen. Garland war von Wedjh in südöstlicher und Newcombe in nordöstlicher Richtung aufgebrochen, um die Eisenbahn zu unterbrechen. Geleise und Brücken wurden in die Luft gesprengt und gegen fahrende Züge selbsttätige Minen gelegt.

Die Araber waren vom Kleinmut zum blühendsten Optimismus umgeschlagen und versprachen musterhafte Diensterfüllung. Faisal stellte den größten Teil des Stammes der Billi ein, die ihn als Oberherrn von Arabien zwischen Eisenbahn und Meeresküste anerkannten. Die Djuheina sandte er darauf zu Abdulla nach Wadi Ais.

Er hatte nun freie Hand, alle Vorbereitungen zu dem größeren Unternehmen gegen die Hedjasbahn zu treffen. Doch ich bat ihn, vorläufig noch in Wedjh zu bleiben und die Bewegung auch unter den entfernter wohnenden Stämmen mit allem Nachdruck zu betreiben, damit der Aufstand immer mehr Raum gewinne und die Eisenbahn von Tebuk aus (unserer augenblicklichen Einflußgrenze) weiter nordwärts bis Maan hin bedroht würde.

Seine nördlichen Nachbarn, die Howeitat an der Küste, hatte er schon gewonnen. Nun sandte er Boten zu den Beni Atiyeh, einem volkreichen Stamm im Nordosten. Ihr Oberherr, Asi ibn Atiyeh, erschien vor Faisal und schwur ihm Treue. Er gestattete uns freien Durchzug durch das Gebiet seines Stammes. Weiter nördlich von den Beni saßen verschiedene Stämme, die alle dem Nuri Schaalan Gehorsam schuldeten, dem großen Emir der Rualla, und, neben dem Scherif, Ibn Saud und Ibn Raschid, dem vierten unter den etwas zweifelhaften Wüstenherrschern.

Nuri war ein alter Mann, der schon dreißig Jahre über die Stämme von Anazeh herrschte. Er gehörte zu der vornehmsten Familie der Rualla, hatte aber selbst auf keinerlei Vorrang in ihr Anspruch, weder durch Geburt, noch durch Kriegsruhm oder besondere Beliebtheit. Die Oberherrschaft gewann er lediglich durch seine Charakterstärke, nachdem er vorher zwei seiner Brüder umgebracht hatte. Später fügte er seiner Gefolgschaft noch die Scherarat und andere Stämme an, und im ganzen Gebiet seiner Herrschaft galt sein Wort schlechthin als Gesetz. Er besaß nichts von der üblichen diplomatischen Geschmeidigkeit des arabischen Scheikhs; ein Wort, und der Widerspruch war erledigt – oder auch der Widersprecher. Alle hielt er in Furcht und Gehorsam; und für den Durchmarsch durch sein Gebiet brauchten wir seine Einwilligung.

Glücklicherweise war sie nicht schwer zu bekommen. Faisal hatte sich schon seit Jahren seiner Gunst versichert und sie durch Austausch von Geschenken aus Medina und Janbo sich zu erhalten gewußt. Jetzt wurde von Wedjh aus Faiz el Ghusein zu ihm geschickt; und unterwegs begegnete er Ibn Dughmi, einem der Führer der Rualla, der uns die sehr willkommene Gabe von einigen hundert vortrefflichen Lastkamelen brachte. Nuri hielt zur Zeit natürlich noch Freundschaft mit den Türken. Seine Märkte waren Damaskus und Bagdad, und die Türken konnten, falls sie Verdacht schöpften, binnen drei Monaten seine Stämme aushungern. Aber wir wußten, daß wir im entscheidenden Augenblick auf seine Waffenhilfe rechnen konnten; bis dahin galt es, mit allen Mitteln seinen Bruch mit der Türkei zu beschleunigen.

Gewährte er uns seine Gunst, so stand uns der Sirhan offen, eine berühmte Durchgangsstraße mit guten Lagerplätzen und zahlreichen Wasserstellen, die sich in einer Kette von Senkungen von El Djof im Südosten, der Hauptstadt Nuris, nordwestlich bis nach Azrak nahe Djebel Druse in Syrien erstreckte. Wir brauchten den freien Durchmarsch durch den Sirhan, um die Zelte der östlichen Howeitat zu erreichen, jener berühmten Abu Tayi, deren Oberherr Auda war, der größte Kampfheld Nordarabiens. Nur mit Hilfe des Auda abu Tayi konnten wir die Stämme zwischen Maan und Akaba so nachdrücklich zu unseren Gunsten in Bewegung bringen, daß sie bei der Eroberung des von den Türken besetzten Akaba und seiner Berge mitwirkten. Und nur mit seiner tätigen Unterstützung durften wir es wagen, von Wedjh aus die lange Strecke bis nach Maan vorzustoßen. Seit den Tagen in Janbo hatten wir ihn umworben und uns bemüht, ihn für unsere Sache zu gewinnen.

In Wedjh taten wir in dieser Beziehung einen großen Schritt vorwärts: Ibn Zaal, der Vetter Audas und Anführer der Abu Tayi im Kriege, kam am 17. Februar an. Dieser Tag war überhaupt in jeder Hinsicht ein Glückstag. Schon in der Morgenfrühe erschienen fünf Häuptlinge der Scherarat aus der Wüste östlich von Tebuk und brachten als Geschenk arabische Straußeneier, deren es viele gab in ihrem abgelegenen Wüstenstrich. Danach meldeten die Sklaven Dhaif-Allah abu Tiyur, einen Vetter von Hamd ibn Djazi, dem Oberhaupt der mittleren Howeitat auf der Hochfläche von Maan. Sie waren zahlreich und mächtig, vortreffliche Krieger, aber in Blutfehde mit ihren Vettern, den Nomaden Abu Tayi, wegen eines uralten Streites zwischen Auda und Hamd. Daß sie von so weither uns begrüßen kamen, schmeichelte uns natürlich, wenn uns auch nicht viel damit geholfen war, denn sie eigneten sich weit weniger als die Abu Tayi für den geplanten Angriff gegen Akaba.

Gleich nach ihm kam ein Vetter von Nawwaf, Nuri Schaalans ältestem Sohn, und brachte von Nawwaf eine schöne Stute als Geschenk für Faisal. Die Schaalan und die Djazi, die in Feindschaft miteinander lebten, funkelten sich mit bösen Augen an, daher trennten wir die Parteien und richteten schnell ein neues Gastlager ein. Nach den Rualla wurde Abu Tageiga gemeldet, das Oberhaupt der seßhaften Howeitat an der Küste. Er brachte die ehrerbietigen Grüße seines Stammes und die Siegerbeute von Dhaba und Moweilleh, den beiden letzten Ausgängen der Türken zum Roten Meer. Faisal machte ihm auf dem Teppich neben sich Platz und sprach ihm seinen wärmsten Dank aus für die Rührigkeit seines Stammes. Dank ihnen waren uns alle ferneren Zugangsstraßen in das Gebiet von Akaba geöffnet, die, obwohl für Truppenbewegungen zu unwirtlich, doch geeignet waren, um von da den Aufstand weiterzutragen, und mehr noch, um auf diesem Wege rasche Nachrichten zu erhalten.

Am Nachmittag erschien dann Ibn Zaal, in Begleitung von zehn weiteren Gefolgsmännern Audas. Er küßte Faisal die Hand, einmal für Auda und dann einmal für sich selbst, setzte sich und erklärte, daß er von Auda komme, um dessen Grüße zu bestellen und nach Befehlen zu fragen. Faisal, bei aller Höflichkeit, ließ nichts von seiner Freude merken und stellte ihn feierlich seinen Blutsfeinden, den Djazi Howeitat, vor. Ibn Zaal grüßte sie sehr gemessen. Später hatten wir mit ihm eine längere Privatunterhaltung; und Faisal entließ ihn mit reichen Geschenken, noch reicheren Versprechungen und der persönlichen Botschaft an Auda, daß sein Verlangen nicht eher gestillt wäre, als bis er ihn Auge in Auge in Wedjh begrüßt hätte. Die Ritterlichkeit Audas war hochberühmt, doch für uns war er eine unbekannte Größe, und in der letzthin entscheidenden Unternehmung gegen Akaba durften wir uns nicht den geringsten Fehlgriff leisten. Er mußte persönlich kommen, damit wir uns über ihn klar werden und in seiner Gegenwart, unter seiner Mitwirkung den zukünftigen Plan entwerfen konnten.

Als die Sonne ins Meer sank und Abendkühle heraufzog, entstieg den Hügelketten in Richtung von Abu Zereibat eine starke Kavalkade und näherte sich uns. Weit vor ihrer Front jagten drei oder vier Reiter, gleich dunklen Punkten, in voller Karriere aufeinander zu, durchkreuzten sich, ein Kampfspiel aufführend, und strömten wieder auseinander, indes die Hauptmasse ein schwermütiges Ateiba-Lied anstimmte. Es war Scherif Schakir, meine interessante Bekanntschaft aus Djidda, der in großer Begleitung von Scherif Abdullas Lager am Wadi Ais nahe Medina kam, um Faisal zu besuchen. Schakir galt in den Augen des großen Ateiba-Stammes als ein echter Fürst, dessen Schieß- und Reitkunst (er war zu Pferde ein wahrer Zentaur), dessen Mut, Unerschrockenheit und Reichtum gleichermaßen Bewunderung fanden. Zum Dank dafür gab sich Schakir ganz als Beduine. Die Einfachheit seiner Kleidung wie Lebensführung und seine ganze Art waren völlig die eines Nomaden, auch seine äußere Erscheinung, von den hornigen Füßen bis zum geflochtenen Haar; und sogar diese Haare selbst waren echt beduinisch reich bevölkert: »Ein Knauser nur«, meinte Schakir lachend, »möchte seinen Kopf ganz für sich allein haben.«

Abgesehen von all diesen erfreulichen Zwischenfällen verbrachte Faisal seinen Tag nicht viel anders als sonst. Mein Tagebuch schwoll an von der Fülle der Neuigkeiten. Auf der Straße nach Wedjh wimmelte es von Freiwilligen, Gesandtschaften und großen Scheikhs, die kamen, um Treue zu schwören. Durch den Anblick dieses ständigen Zustroms wurden auch die lauen Billi zu größerem Eifer für unsere Sache angespornt. Faisal ließ alle neuen Anhänger feierlich auf den Koran in seinen Händen schwören: »zu rasten, wenn er rastete, zu marschieren, wenn er marschierte, keinem Türken Gehorsam zu leisten, Freundschaft zu halten mit jedem Arabischsprechenden (sei er Bagdader, Aleppiner, Syrier oder reinen Blutes) und über Leben, Familie und Besitz die Freiheit zu stellen.«

Auch unternahm es Faisal, die einander feindlichen Stämme vor sich kommen zu lassen und ihre Fehden zu schlichten. Zwischen den Parteien wurde eine Gewinn- und Verlustrechnung aufgestellt. Faisal sorgte für einen maßvollen Ausgleich; und oft bezahlte er den verbleibenden Rest oder steuerte doch aus seinem Vermögen dazu bei, um den Streit möglichst bald aus der Welt zu schaffen. Während zweier Jahre arbeitete Faisal so daran, all die zahllosen Partikelchen, aus denen das arabische Volk bestand, in ihrer natürlichen Ordnung aneinanderzufügen und die Vereinigten mit seiner Idee des Kampfes gegen die Türkei zu beseelen. In keinem der Gebiete, das er durchzogen hatte, blieb eine Blutfehde zurück; er selbst galt in ganz Westarabien als oberste Instanz, letzthin gültig und unanfechtbar.

Und er zeigte sich würdig dieses Ruhmestitels. Niemals fällte er eine Entscheidung nur teilweise oder mit so unpraktischer Gerechtigkeit, daß daraus wohl oder übel neue Zwistigkeiten entstehen mußten. Nie, daß ein Araber sein Urteil anfocht oder seine Weisheit und richterliche Kompetenz in Stammesangelegenheiten anzweifelte. Durch sein geduldiges Abwägen von Recht und Unrecht, durch seinen Takt, sein erstaunliches Gedächtnis gewann er Gewalt über die Nomaden von Medina bis Damaskus und weiter. Man sah in ihm eine Macht jenseits des Stammes, höher als das Stammeshaupt und erhaben über Neid und Mißgunst. Die arabische Bewegung wurde im besten Sinne national, seitdem alle Araber in ihr geeinigt waren und jederlei Sonderinteresse um ihretwillen schweigen mußte. Und zum Haupt dieser Bewegung hatte sich kraft seiner Eignung und Fähigkeit rechtmäßig der Mann aufgeschwungen, der sich diesem Platz gewachsen zeigte in den wenigen Wochen des Triumphs, wie in den langen Monaten der Enttäuschung nach der Befreiung von Damaskus.

Die Beduinen waren ein eigenartiges Volk. Für den Engländer war es schwer, mit ihnen umzugehen, besaß er nicht eine Geduld, weit und tief wie das Meer. Sie waren völlig Sklaven ihrer körperlichen Begierden, ohne jede Hemmung; sie gossen ungeheure Mengen von Kaffee, Milch oder Wasser in sich hinein, verschlangen ganze Haufen von gesottenem Fleisch und waren die zudringlichsten Bettler um Tabak. Wochen vorher und nachher träumten sie von ihren seltenen sexuellen Erlebnissen, und in der Zwischenzeit kitzelten sie sich und ihre Zuhörer mit der Erzählung schlüpfriger Geschichten. Hätten es die Umstände erlaubt, so würden sie hemmungslose Sinnenmenschen gewesen sein. Ihre Stärke war die Stärke von Menschen, die lediglich durch die Natur ihres Landes vor Versuchungen bewahrt sind: die Kärglichkeit Arabiens machte sie mäßig, enthaltsam und ausdauernd. Hätte man ihnen die Zivilisation aufgezwungen, so würden sie deren Krankheiten, Niederträchtigkeiten, Lastern, Grausamkeiten und Verlogenheiten genau so wie jedes andere primitive Volk erlegen sein; und würden genau so, aus Mangel an Gegengiften, verheerend darunter gelitten haben.

Sobald sie merkten, daß wir irgendwelchen Zwang auf sie ausüben wollten, wurden sie störrisch oder liefen davon. Erst als wir ihre Art begriffen hatten und uns Zeit und Mühe nahmen, ihnen das Geforderte als ein höchst Verlockendes darzustellen, waren sie bereit, uns zuliebe sich gewaltig ins Zeug zu legen. Ob dann das erreichte Ergebnis der aufgewendeten Mühe entsprach, war freilich mitunter zweifelhaft. Als Engländer an ein entsprechenderes Verhältnis von Einsatz und Gewinn gewöhnt, wollte und konnte man nicht Tag für Tag, gleich den Scheikhs oder Emirs, Zeit, Gedanken und Nervenkraft um kärglicher Resultate willen verschwenden. Dies vorausgesetzt, war die Art, wie sie als Araber handelten und dachten, genau so klar und folgerichtig wie die unsere und im Grunde in keiner Weise unverständig oder fremdartig; und wenn sie manchmal undurchsichtig oder allzu »orientalisch« erschienen oder wir sie mißverstanden, so lag die Schuld immer nur an unserer eigenen Schwerfälligkeit oder Unwissenheit.

Militärisch waren wir in Wedjh nunmehr gut gesichert. Allenby hatte uns zwei Rolls Royce-Panzerautos geschickt, Veteranen aus General Smuts Feldzug in Deutsch-Ostafrika. Geführt wurden sie von verwegenen englischen Offizieren und Mannschaften, die sich eifrigen Übungen hingaben in der Kunst, durch tiefen Sand zu fahren. Aus Janbo wurden alle Vorräte und die Besatzung bis auf den letzten Soldaten geräumt.

Ebenso aus Rabegh. Die dortigen Flieger waren nach Wedjh herübergeflogen und wurden hier installiert. Die ägyptischen Truppen, samt Joyce, Goslett und dem Rabegher Generalstab kamen zu Schiff nach und fanden in Wedjh Verwendung. Newcombe und Hornby waren im Innern und arbeiteten Tag und Nacht – meist eigenhändig – an der Unterbrechung der Bahn. So stand schon alles zum besten; und nun, eines Nachmittags, kam Suleiman, der Quartiermeister, ins Zelt geeilt und flüsterte Faisal etwas zu, worauf dieser mit leuchtenden Augen und mühsam beherrschter Erregung sich zu mir wandte und sagte: »Auda ist da.« Ich rief: »Auda abu Tayi!«, im gleichen Augenblick wurde die Zeltklappe zurückgeschlagen, und eine tiefe Stimme begrüßte schwungvoll »unsern erhabenen Herrn, den Beherrscher der Gläubigen«. Herein trat eine hohe, kraftvolle Gestalt, mit hagerem Gesicht, leidenschaftlich und düster. Es war Auda, und ihm folgte Mohammed, sein Sohn, der wie ein kleines Kind aussah, obwohl er schon elf Jahre alt war.

Faisal sprang auf. Auda ergriff seine Hand und küßte sie; beide traten einige Schritte zur Seite und blickten sich an – ein prächtig ungleiches Paar, die Verkörperung des Besten in Arabien: Faisal der Prophet und Auda der Krieger, jeder in seiner Art vollendet und auf den ersten Blick sich verstehend und liebend. Sie setzten sich nieder. Faisal stellte uns nacheinander vor, und Auda, mit einem gemessenen Wort, schien sich jeden einzelnen fest einzuprägen.

Wir hatten schon viel von Auda gehört. Mit seiner Hilfe wollten wir das Wagnis unternehmen, Akaba zu erobern; und schon nach wenigen Augenblicken ersah ich aus der Kraft und Geradheit dieses Mannes, daß unser Plan glücken werde. Wie ein fahrender Ritter war er zu uns gestoßen, ungeduldig über unser langes Zögern in Wedjh und nur von dem einen Gedanken beseelt, sich in seinen Gebieten um die Freiheit Arabiens verdient zu machen. Wenn seine Taten auch nur zur Hälfte seinem Eifer entsprachen, mußte das Glück uns hold sein. Keine Ungewißheit lastete mehr auf unsern Gemütern, als wir zum Abendessen gingen.

Wir waren eine heitere Gesellschaft: Nasib, Faiz, Mohammed el Dheilan, Audas staatskluger Vetter, Zaal, sein Neffe, und Scherif Nasir, der sich einige Tage in Wedjh von seinen Expeditionen ausruhte. Ich erzählte Faisal amüsante Geschichten aus Abdullas Lager und was für eine spaßhafte Sache es sei, Eisenbahnen zu zerstören. Plötzlich hastete Auda hoch, und mit einem lauten »Gott bewahre mich!« rannte er aus dem Zelt. Wir starrten uns an, und dann hörte man von draußen ein hämmerndes Geräusch. Ich ging nach, um die Ursache zu erforschen, und fand Auda, über einen Felsblock gebeugt und sein falsches Gebiß mit einem Stein in Stücke schlagend. »Ich vergaß«, erklärte er, »Djemal Pascha hat es mir gegeben. Ich habe meines Herrn Brot mit türkischen Zähnen gegessen!« Unglücklicherweise hatte er nur noch ein paar Stumpen im Munde, so daß ihm nun das Essen von Fleisch, das er sehr liebte, Schwierigkeiten machte und Magenbeschwerden verursachte. Er ging von da ab nur immer halb gesättigt herum, bis wir Akaba eingenommen hatten und Sir Reginald Wingate ihm einen Zahnarzt aus Ägypten schickte, der ihm ein alliiertes Gebiß machte.

Auda trug sich sehr einfach, nach der Art des nördlichen Arabiens, in weißen Baumwollkleidern und rotem Mossul-Kopftuch. Er mochte über fünfzig sein, und sein schwarzes Haar war weiß durchsetzt. Doch war er noch kräftig, aufrecht, gelenkig, schlank und beweglich wie ein Junger. Sein prächtiges Gesicht war hager und durchfurcht, und deutlich stand darauf der Kummer seines Lebens geschrieben über den Tod seines Lieblingssohnes in der Schlacht bei Annad, der seinem Traum, die Größe seines Namens auf kommende Geschlechter zu übertragen, ein Ende gesetzt hatte. Er hatte große, lebhafte Augen, mit einem Glanz wie leuchtend-schwarzer Samt. Seine Stirn war niedrig und breit, seine Nase stark vortretend, schmalrückig und kräftig geschwungen, sein Mund mehr voll und beweglich. Backen- und Schnurrbart waren nach Art der Howeitat in einer zusammenlaufenden Spitze geschnitten und das Kinn darunter ausrasiert.

Vor Hunderten von Jahren waren die Howeitat aus dem Hedjas nach Westen gewandert, und ihre nomadisierenden Klans rühmten sich, echte Beduinen zu sein. Auda war ihr vollendetster Typ. Seine Gastfreundschaft war überschwenglich und fiel einem, wenn man nicht eine sehr hungrige Seele war, einigermaßen zur Last. Dank seiner Freigebigkeit war er stets arm geblieben, trotz seinen Erträgnissen aus hundert Beutezügen. Er war achtundzwanzigmal verheiratet und dreizehnmal verwundet gewesen; auch von seinen Leuten war keiner unverwundet geblieben bei all den Angriffsschlachten, die er geschlagen, und die meisten seiner Verwandten waren gefallen. Er selbst hatte im Kampf mit eigener Hand fünfundsiebzig Mann erschlagen, das heißt Araber, aber nie einen außerhalb der Schlacht. Die Anzahl der getöteten Türken konnte er nicht angeben, die zählten nicht mit. Unter ihm waren die Toweiha die berühmtesten Kampfhelden der Wüste geworden, beseelt von einer sozusagen kommentmäßigen Tollkühnheit und einem sicheren Gefühl von Überlegenheit, das sie nie verließ, solange es zu leben und Taten zu vollbringen galt. Aber seit den dreißig Jahren ständigen Kriegs unter den Nomaden war ihre Zahl von zwölf hundert auf weniger als fünfhundert zusammengeschrumpft.

Auda ging auf Raub aus, wo und wie weit er immer konnte. Auf seinen Beutezügen war er bis nach Aleppo, Basra, Wedjh und dem Wadi Dawasir gekommen, und er ließ es sich angelegen sein, mit nahezu allen Stämmen der Wüste in Feindschaft zu leben, um möglichst großen Spielraum für seine Überfälle zu haben. Nach echter Räuberart war er ebenso kaltblütig wie draufgängerisch, und hinter seinen allertollsten Taten stand immer noch eine kühl berechnete Möglichkeit des Gelingens. In seinem Handeln war er von unerschütterlicher Festigkeit; und Ratschläge, Kritik oder Schmähung überhörte er mit einem ebenso beharrlichen wie bezaubernden Lächeln. Im Zorn verlor er die Herrschaft über seine Mienen, und ein Anfall schäumender Wut brach aus ihm hervor, der sich erst sänftigte, wenn er jemanden niedergeschlagen hatte; in solchen Augenblicken wurde er zum wilden Tier, und jeder entwich aus seiner Nähe. Nichts auf Erden konnte ihn bewegen, seinen Sinn zu ändern oder einem Befehl zu gehorchen oder das Geringste zu tun, was er nicht billigte; stand seine Meinung fest, so nahm er keinerlei Rücksicht auf das Gefühl anderer.

Sein eigenes Leben erlebte er wie einen Heldengesang. Alle Ereignisse darin wurden bedeutsam, alle Personen darin bekamen etwas Heroisches. Sein Kopf war angefüllt mit Gedichten und Sagen von einstigen Kämpfen und Raubzügen, und wer gerade neben ihm saß, mußte eine ganze Flut davon über sich ergehen lassen. Fehlten ihm Zuhörer, so liebte er es, sich derlei Dichtungen mit seiner gewaltigen, tiefen und volltönenden Stimme selbst vorzusingen. Er hielt seine Zunge nicht im Zaum und schadete dadurch sich selbst und verletzte beständig seine Freunde. Er sprach von sich in dritter Person und war so sicher seines Rufes, daß er sich einen Spaß daraus machte, Schimpfgeschichten über sich selber zum besten zu geben. Zuzeiten schien er von einem Schabernackteufel besessen zu sein und begann dann in aller Öffentlichkeit die unglaublichsten Fabeln über das Privatleben seiner Gastgeber oder Gäste zu erfinden und mit allen Eiden zu beschwören. Und bei alledem war er bescheiden, voller Einfalt wie ein Kind, aufrichtig, ehrlich, gutherzig und heiß geliebt, selbst von denen, die am meisten unter ihm zu leiden hatten – seinen Freunden.

Die lange Operationspause nach dem Fall von Wedjh bedeutete einen großen Vorteil für mich: ich hatte Zeit und Muße, um nachzudenken, und war den Dingen weit genug entrückt, um sie unbefangen zu betrachten. Zunächst galt unsere ganze Tätigkeit noch der Eisenbahn. Newcombe und Garland standen mit Scherif Scharraf und Maulud in der Nähe von Muadhdham. Sie verfügten über einen Teil der Billi, eine auf Maultieren berittene Infanterieabteilung, Geschütze und Maschinengewehre und hofften, das Fort Muadhdham und die dortige Station zu nehmen. Danach gedachte Newcombe die gesamten arabischen Streitkräfte möglichst dicht an Medain Salih heranzuziehen und durch Einnahme und Besetzung eines Teiles der Eisenbahnlinie Medina abzuschneiden und es zur raschen Übergabe zu zwingen. Wilson war bereit, bei dieser Operation mitzuwirken, und Devenport wollte von den ägyptischen Truppen heranschaffen, was sich heranschaffen ließ, um den arabischen Angriff zu verstärken.

Dies war das Programm, das ich nach der Einnahme von Wedjh zur weiteren Durchführung des arabischen Aufstandes für notwendig erachtet hatte. Und ich hatte bei seinem Entwurf und der Ausarbeitung teilweise selbst mitgewirkt. Doch jetzt, während meiner Mußezeit, kam ich zu der Einsicht, daß der Plan nicht nur in Einzelheiten, sondern in seiner Grundanlage falsch war. Es lag mir nunmehr ob, meine geänderten Ideen auseinanderzusetzen und, wenn möglich, die leitenden Stellen zu überzeugen, sich meinen neuen Vorschlägen anzuschließen.

Zu diesem Zweck begann ich mit drei Feststellungen: Erstens, daß irreguläre Truppen keine festen Plätze angreifen könnten und daher nicht imstande wären, Entscheidungen zu erzwingen. Zweitens, daß sie, ebenso wie zum Angriff, auch zur Verteidigung von Stellungen oder festen Plätzen ungeeignet wären. Drittens, daß der Wert irregulärer Truppen nicht auf der Stoßkraft ihrer Front, sondern auf ihrer weiten Tiefenausdehnung beruhe.

Beim arabischen Krieg war das Geographische die feste Gegebenheit, die türkische Armee das veränderlich Hinzutretende. Unser Ziel war, die materiell schwächste Stelle des Feindes ausfindig zu machen und auf diese allein einen ständigen Druck auszuüben, bis mit der Zeit die gesamte feindliche Linie zusammenbrach. Unsere ausgiebigsten Hilfskräfte, die Beduinen, auf die sich unsere Kriegführung einstellen mußte, waren an planmäßige Operationen nicht gewöhnt, waren dafür aber überlegen an Beweglichkeit, Ausdauer, Selbstvertrauen, Landeskenntnis und besonnenem Mut. Bei ihnen bedeutete Trennung Stärke. Wir mußten daher unsere Front bis zur äußersten Möglichkeit ausdehnen, um den Türken die denkbar längste Verteidigungslinie aufzuzwingen; denn das bedeutete für sie, dem Kräfteverbrauch nach, die kostspieligste Art der Kriegführung.

Es war unsere Pflicht, das Endziel mit möglichst sparsamem Einsatz von Leben zu erreichen, denn Menschen waren für uns kostbarer als Geld und Zeit. Waren wir geduldig und von nahezu übermenschlicher Geschicklichkeit, so konnten wir nach dem Beispiel des Marschalls von Sachsen den Krieg ohne Schlacht gewinnen, wenn wir nur unsern Vorteil rechnerisch und psychologisch bis aufs letzte auszunutzen wußten. Glücklicherweise waren unsere materiellen Hilfsmittel nicht so schwach, um uns zu lähmen. Wir waren an Transportmitteln, Maschinengewehren, Kraftwagen, Sprengstoffen reicher als die Türken. Wir konnten schnell bewegliche und vortrefflich ausgerüstete Stoßtrupps kleinsten Ausmaßes aufstellen und sie nacheinander an den verschiedensten Punkten der türkischen Linie einsetzen, wodurch der Feind gezwungen wurde, die einzelnen zerstreuten Posten über das Verteidigungsminimum von zwanzig Mann hinaus zu verstärken.

Medina brauchten wir gar nicht zu nehmen. Die türkischen Truppen dort waren unschädlich. In ägyptischer Gefangenschaft würden sie nur Nahrung und Bewachung gekostet haben. Uns konnte es nur lieb sein, wenn der Türke in Medina, ebenso wie an anderen entfernten Punkten, in möglichst großer Stärke stehenblieb. Am vorteilhaftesten war es für uns, wenn er seine Eisenbahn gerade noch in Betrieb erhalten konnte, aber eben nur gerade noch, mit einem Maximum an Kräfteverbrauch und Schwierigkeiten. Die Ernährungsfrage mußte ihn an die Eisenbahnen fesseln; aber er mochte ruhig die Hedjasbahn, die Transjordanbahn und die Bahnen in Palästina und Syrien für die Dauer des Krieges behalten, solange er uns dafür nur die restlichen neunhundertneunundneunzig Tausendstel Arabiens überließ. Wenn er schon jetzt die besetzten Strecken räumte, in dem Bestreben, sich auf ein kleines Gebiet zu konzentrieren, das er mit seinen Kräften wirklich zu beherrschen vermochte, so konnte das seine Zuversicht nur wieder beleben und unsere Unternehmungen gegen ihn auf ein Mindestmaß beschränken. Es stand jedoch zu erwarten, daß seine eigene Torheit unser Verbündeter sein werde, und daß er tatsächlich oder vermeintlich soviel wie möglich von seinen alten Provinzen halten würde. Sein Glaube an seinen imperialistischen Herrschaftsanspruch würde ihn festbannen an seine jetzige unsinnige Stellung: nur Flanken und keine Front.

Ich kritisierte dann im einzelnen den bisherigen Plan. Die Besetzung eines mittleren Stückes der Eisenbahnlinie würde übermäßig viel Kräfte beanspruchen, denn eine derartige Stellung wäre von allen Seiten bedroht. Die Vermengung ägyptischer Abteilungen mit arabischen Stämmen bedeutete eine moralische Schwächung. Bei Anwesenheit einer aktiven Truppe würden die Beduinen beiseite stehen und froh, von entscheidender Mitarbeit befreit zu sein, den anderen zuschauen. Gegenseitige Eifersüchteleien, aus der Untätigkeit erwachsend, würden die Folge sein. Außerdem sei das Land der Billi sehr wasserarm, und die Versorgung einer großen Truppenmacht auf einer so langen Verbindungslinie würde technische Schwierigkeiten machen.

Doch weder meine allgemeinen Bedenken noch meine Einwände im einzelnen fielen groß ins Gewicht. Der Plan war gemacht und die Vorbereitungen im Gange. Ein jeder war zu beschäftigt mit seiner Aufgabe, um mir Gelegenheit zu geben, meine Ansicht zur Geltung zu bringen. Man hörte mich an, das war alles, und machte mir das bedingte Zugeständnis, daß meine Gegenoffensive vielleicht eine wirksame Ablenkung bedeuten könne. Ich hatte nämlich mit Auda abu Tayi den Plan zu einem Marsch nach den Frühlingsweideplätzen der Howeitat in der syrischen Wüste ausgearbeitet. Dort konnten wir aus den Howeitat eine bewegliche Kamelreitertruppe zusammenstellen und mit ihr Akaba von Osten her, ohne Geschütze oder Maschinengewehre, überfallen.

Die Ostseite von Akaba war ungedeckt und, als Linie des geringsten Widerstandes, für uns am günstigsten. Dieser Marsch dorthin bedeutete eine Umgehungsbewegung sehr gewagter Art, denn es galt, eine sechshundert Meilen lange Wüstenstrecke zu durchqueren, um die Schützengrabenlinie zu nehmen, die im Bereich unserer Schiffsgeschütze lag; aber es blieb keine andere Wahl. Auda war des Glaubens, daß mit Dynamit und Geld kein Ding unmöglich sei, und daß die kleineren Stämme rings um Akaba zu uns übergehen würden. Auch Faisal, der mit ihnen schon in Verbindung stand, war überzeugt, daß sie uns helfen würden, wenn wir nur erst einen Teilerfolg bei Maan zu verzeichnen hätten, um dann mit starken Kräften gegen den Hafen vorzurücken. Indes wir noch überlegten, hatte unsere Flotte die Angriffe auf Akaba eröffnet, und die von ihr gefangenen Türken gaben uns so wertvolle Auskünfte, daß ich mich entschloß, sofort aufzubrechen.


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