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Fünfundzwanzigstes Kapitel.
Der Feldzug


Als früh Meister Cordan, der Carcer-Inspektor zu Schilda, aus seinem Arrest entlassen wurde, gab ihm derjenige, den er mit Hörnern Hörner aufsetzen kömmt von dem griechischen Kaiser Andronikus her. Dieser Fürst befahl, daß alle, welche Kaiserliche Privilegien, jagen zu dürfen, erhalten hätten, über ihre Thüren Hörner oder Geweihe pflanzen sollten von Hirschen oder Rehen. Weil nun Andronikus einem gewissen Patricier zu Chalcedon, dessen Frau er sich bedient hatte, solche Hörner schenkte: so sagte man nachher, statt eines Andern Weibes sich bedienen, κερατα επιτιδνα τινι, einem Hörner aufpflanzen. – Die Kreuzfahrer brachten die Redensart, nicht aber die Sache, nach Frankreich, Deutschland und sonst wohin. Denn, daß die Sache älter sey, weiß man. Juvenalis sagt in einer seiner Satyren:
Antiquum et vetus est, alienum, Posthume, lectum
Concutere, atque sacri genium contemnere fulcri.
L.
zu krönen gewohnt war, noch einige Tritte auf den Hintern, und jagte ihn mit der Weisung fort, daß wenn er sich jemals unterstehen würde, so wieder zu kommen, er ein gewisses Etwas verlieren sollte, ohne welches er bey ähnlichen Attentaten eine klägliche Figur machen würde.

Cordan schlich ganz still nach Hause, und erschrack nicht wenig, als er erfuhr, was wir schon wissen. Er eilte zum Prorektor, erzählte ihm Marefitzens Desertion, und bath um Vergebung, die ihm der Prorektor auch ohne weiteres zusagte, weil er ihn, wegen anderer Durchstechungen, nicht beleidigen durfte. Es wurde also abermals Concilium gehalten, und der Prorektor sprach also:

»Zwey gottlose Bösewichter, Brand und Kugel, haben diese Nacht sich hinterlistig ans Carcer-Haus geschlichen, mit Dietrichen die Schlösser geöffnet, und den arrestirten Studiosum Marefitz auf freyen Fuß gesetzt. Da diese Leute doch mit der Relegation gestraft werden müssen für ihren begangenen Frevel: so wäre meine Meynung, daß wir sie nicht weiter citiren ließen, auch nicht verhörten, sondern kurzum relegirten. Ein solcher Schlag dringt durch, sezt die Andern in Furcht und stört die so schädliche Gesellschaft des Kränzchens. Auch ist mein Rath, daß Marefitz sogleich mit relegirt werde.«

Weil niemand auf dem Concilium war, als der Kanzler, der Prorektor und der Professor Fünfkäs, indem Seine Magnificenz die andern Herren, nach dem Gebrauch mehrerer deutscher Universitäten, nicht hatte einladen lassen: so ging der Vorschlag durch, und schon Nachmittags um vier Uhr las man am schwarzen Brette eine gedruckte Relegation der Herren Marefitz, Brand und Kugel; und zwar nach akademischem Latein waren sie relegati in perpetuum.

Das Papier am schwarzen Brette erregte allgemeine Gährung in ganz Schilda. Die Fünfkäser jubelten laut; die Bürger freuten sich, daß sie auf diese Art doch einigermaßen Satisfaktion erhalten hatten; nur die Kränzianer hingen die Köpfe. Der einzige Marefitz verlohr den Muth nicht. Er ließ das Kränzchen versammeln, und sprach also:

Jezt, Brüder, ist die Zeit gekommen, zu beweisen, daß wir honorige Bursche sind. Tausend Sackerment, sollen wir uns so futtiren lassen? Ich mache mir den Teufel aus einer Relegation! Das ist nur Kleinigkeit, nur ein Popanz, womit man Jungens schreckt, die aber bey einem rechtschaffenen Kerl gerade so viel wirkt, als wenn ihm ein winziger Dorfjunker befiehlt, seine Staaten zu verlassen, die sich gerade fünfzig Schritt vor sein Dorf erstrecken. Aber das ärgert mich, daß die Kerls sollen ihren Willen haben! Wißt Ihr was, Brüder? Ich, Brand und Kugel ziehen heute noch aus, und Ihr alle, wie Ihr da seyd, zieht mit. Wir gehn auf ein nahes Dorf, wo uns die Universität keinen Pfifferling zu sagen hat. Da laßt uns so lange kampiren, bis uns die Schildaer mit allen Ehren recipiren müssen. Versteht Ihr mich? Ich habe schon einen Anschlag in petto, der gewiß durchgeht. Nun sagt: wollt Ihr mit uns nach Trippstädt?

Wir wollen, wir wollen, schrieen alle; ein Hunzfott, der nicht mitgeht!

Hierauf ging jeder zu Hause, versah sich mit dem Nöthigen, und begab sich wieder auf den Sammelplatz, wozu Herr Marefitz den Marktplatz bestimmt hatte. Der Prorektor ließ fragen, was das Zusammenlaufen bedeuten sollte? Wir wollen unsre relegirten Freunde begleiten, war die Antwort, und der Prorektor beruhigte sich.

Die Stadt-Musikanten wurden herbei geholt, mußten aufspielen, und der Zug ging unter Singen und Lärmen zum Thor hinaus nach Trippstädt, wo sie nach einer Stunde wohlbehalten ankamen. Der Pöbel aus ganz Schilda, durch das neue Schauspiel gereizt, zog mit, und einige barmherzige Schwestern blieben vollends gar in Trippstädt, damit den Herren die Zeit nicht lange werden mögte.

Die Kränzianer, an der Zahl sechszig, quartirten sich bey den Bauern ein, aßen und tranken aber zusammen in der Schenke, wo der Wirth schon lange mit dem Kränzchen bekannt war: denn die Herren zu Schilda machten es, wie man es auf andern Universitäten macht, nämlich, daß verbündete Gesellschaften auf den Dörfern in der Nähe immer einen Wirth haben, bey dem sie im Fall der Noth ihre Zuflucht finden können. So war zum Beyspiel Zacharias Schmidt in Riedeburg, eine Stunde von Halle, ehemals der Schuzengel der Unitisten, und Herr Hase in Schlettau der – der Constantisten. Eben deswegen brauchten auch die Kränzianer nicht zu sorgen, wenn einer und der andere keine Moneten hatte: denn da einer für den andern stand, so borgte der Wirth flott zu, und wurde niemals geprellt.

Marefitz schickte gleich den andern Tag einen gescheiden Bruder, welcher aber, ohne daß er's wußte, Amicist war, nach Colchis zum Sekretär Schneller. Er ließ ihm vorstellen, daß sie, die Kränzianer, emigrirt wären, weil die Gerechtigkeit in Schilda mangele, und alles nach dem Willen des Prorektors und des Professors Fünfkäs geschlichtet werde. Der Abgesandte mußte alles vergrößern, und die ganze Sache von allem Anfang auf eine dem Kränzchen vortheilhafte Art darstellen, und am Ende dem Herrn Sekretär zu verstehen geben, daß ein hübsches Präsent für ihn parat wäre, wenn er den Relegirten einen honorabeln Rückzug verschaffen würde.

Lassen Sie mich sorgen, hatte Schneller erwidert, nachdem er einige Zeit mit dem Finger auf der Nase nachgedacht hatte: Ich verspreche Ihnen schon im voraus die Erfüllung Ihrer Bitte. Kehren Sie immer nach Trippstädt zurück, und geben Sie keinem weiter ein gut Wort. Ich stehe für alles.

Unterdessen, als die Kränzianer auf weitere Verfügung warteten, vertrieben sie sich die Zeit mit Kommersiren, Karessiren, Saufen und Spielen, wie es alle Universitäter machen, die auf den Dörfern sich herum treiben. Von den Schnurren, welche sie während der Zeit getrieben haben, will ich nur folgende anführen.

Die Tochter eines benachbarten Edelmanns, ein süßes gutes Geschöpf, war plötzlich gestorben. Die ganze Gegend bedauerte sie, und da sie gegen Abend in dem Garten ihres Vaters begraben werden sollte: so kam die ganze Nachbarschaft zusammen, um dem Leichenbegängniß beyzuwohnen. Der Vater hatte sich dazu die Erlaubniß vom Consistorium erbeten, um täglich eine Thräne auf das Grab seines guten Kindes weinen zu können. Unsere Bierhengste hörten von dieser Cerimonie, und zogen auch hin. Da sie aber zu frühe kamen: so kehrten sie einstweilen in die Schenke ein, und benebelten sich in Schnapps. Endlich wurden die Glocken geläutet, und die Leiche sollte eingesenkt werden. Unsere Herren standen nicht weit vom Grabe, und schäkerten sehr laut: doch die ganze Versammlung war gerührt, und gab nicht auf sie acht. Endlich fing eine Trauermusik an, und Hölty's »Schwermuthsvoll« und Klopstocks »Auferstehn« wurde recht rührend gespielt. Kaum hörten unsre Wildfänge Musik, als sie auf einmal die Kehlen aufrissen, und zu gröhlen anfingen:

Lustig sind wir, lieben Brüder,
Li, la, lieben Brüder,
Heute schmausen wir u. s. w.

Die Musik und der Trauergesang verstummte, aber die Bierhengste schrieen: Aufgespielt! aufgespielt! Die Musikanten gehorchten nicht, und einige der saubern Herren, welche ein wenig kratzen konnten, rissen ihnen die Violinen und Baßgeigen aus der Hand und spielten selbst auf. Nun gings aus allen Kehlen:

Will ich zum Schätzel gehn,
Hop, sa, sa, sa!
Frag ich: wo mag es stehn,
Hop, sa, sa, sa!

Mag es im Garten seyn?
Liegt's schon im Bettelein?
Rei, ra, ra, sa, sa, sa.
Gilt mir gleich viel,
Gilt mir gleich viel!

Die Anwesenden ärgerten sich alle über die gräuliche Impertinenz der Kränzianer, und einige rüstige Bauernbursche griffen zu, und prügelten die Menschenkinder dermaßen durch, daß einige vor Angst in einen Fischteich sprangen, und nur mit Mühe herausgeholt werden konnten.

Wohl zerbläut kamen unsre Herren in Trippstädt wieder an, und schämten sich gar sehr wegen der unglücklichen Expedition. Sie wußten damals noch nicht, daß eben diese Expedition und ihre Impertinenz die Wiederaufnahme ihrer Kameraden bewirken würde, wie man gleich sehen soll.

Sekretär Schneller schrieb an den Kanzler von Colchis aus, und beschwerte sich über das unzeitige Verfahren des Senats zu Schilda gegen die Kränzianer: dergleichen Verfahren, meynte er, würde der Akademie Schande machen, und sie in übeln Ruf, und um den Zuspruch von Ausländern bringen. Er bäte also, daß man die ganze Sache redressiren mögte; und wenn Seine Excellenz dieses gesonnen wären, so wollte er im Namen der Universität um die Reception der Relegirten bey seiner Durchlaucht anhalten.

Der Kanzler empfing diesen Brief eben, als man ihm die Schnurre mit dem Begräbnisse der Tochter des Hrn. von Nußdorf erzählt hatte. Dieser war ehemals Hauptmann in fürstlichen Diensten gewesen, hatte sich bey mehreren Gelegenheiten brav gehalten, und war endlich bey einem Scharmützel des rechten Beins beraubt worden. Dafür hatte man ihm den Abschied und die Freiheit gegeben, zu seyn wo er wollte.

Einst war Nußdorf und unser Kanzler, damals noch blos Hr. von Eckolsbach, in einer Gesellschaft, wo lezterer beleidigend aufband, und auf die Gunst des Fürsten dorfjunkerisch trozte. Hauptmann Nußdorf ärgerte sich häßlich, und begegnete den Aufschneidereyen des Kanzlers so stark, daß dieser es endlich merkte, und mit einem tödtlichen Haß ihn von der Zeit an verfolgte.

Man kann denken, welche Freude es ihm jezt müsse gemacht haben, als er das Betragen der Studenten bey dem Grabe seiner Tochter erfuhr. Na, sagte er, es sind doch Blizjungens, meine Kränzianer! Haben die Kerls nicht einen Streich gespielt, von dem man noch reden wird, wenn die Welt schon lange untergegangen ist! Ja, mein Seel', sie sollen auch wieder kommen: ich will dem Sekretär nach Colchis schreiben, daß er beym Fürsten in meinem Namen um ihre Reception anhalten soll.

Die Sache wurde bey dem Senat vorgetragen; und so sehr Fünfkäs und der Prorektor dagegen waren, wurde doch eine Bittschrift ad Serenissimum aufgesezt und um gnädigste Wiederaufnahme der Studiosen Marefitz, Brand und Kugel angehalten.


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