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Zwölftes Kapitel.
Der Student Marefitz


Der Schulmeister ging voller Erbitterung auf einen Bierkeller, wo viel Studenten versammelt waren. Da nun jeder, dem man eine grobe, unverschuldete Beleidigung angethan hat, seinen Aerger gern mittheilt: so ermangelte auch Bakelar Stax nicht, den Musensöhnen zu berichten, was ihr Oberhaupt für ein illegaler, meschanter Kerl sey. Die Studenten, sonst zwar sehr inkompetente Richter in Sachen der Moral, fühlten hier doch, daß der Prorektor höchst ungerecht gehandelt hatte. Es ging also an ein Kritisiren, welches für seine Magnificenz eben nicht vortheilhaft ausfiel. Der Schulmeister wurde von den theilnehmenden Zuhörern freygehalten, und ging gegen Abend aus Schilda, welches ihm wegen der Undankbarkeit seines Sohnes durchaus verhaßt seyn mußte.

Ein Student, Namens Marefitz, einer der lustigsten Brüder auf dieser berühmten Akademie, war auf dem Keller in einer Ecke gesessen, und hatte die skandalöse Historie von Anfang bis zu Ende mitangehört. Da er ein Pfiffkopf war: so beschloß er, den verachteten Vater zu rächen, und das Mitangehörte zu seinem eignen Vortheil und zum allgemeinen Jubel zu benutzen.

Schon längst hatte er Händel mit seinem Hauswirth, und lauerte immer auf Gelegenheit, ihn tüchtig durchzuprügeln; und er würde es lange gethan haben, wenn es incognito hätte geschehen können, oder wenn er sich nicht gefürchtet hätte vor der Strafe: denn in Schilda mußte ein Student, welcher seinen Hauswirth oder die Aufwärterin mishandelte, jedesmal zehn Thaler zahlen, und noch obendrein vier Tage ins Carcer wandern.

Marefitz blieb bis eilf Uhr des Abends auf dem Keller, und ging dann zu Hause. Er fand seinen Hauswirth ganz allein noch auf, und mir nichts, dir nichts ergreift er ihn, und maulschellirt ihn derbe, ohne ein Wort zu sagen, und geht dann wohlgemuthet schlafen.

Früh rannte der Mishandelte zum Prorektor, erzählte den Vorgang, und Herr Marefitz wurde vorgefordert. Als er erschien, hub der Prorektor also an: Herr, was hör' ich: Haben Sie gestern Abend Ihren Hauswirth mishandelt?

Marefitz: ( wie schüchtern) Kann's nicht leugnen, Ihre Magnificenz!

Prorektor: So? Sie gestehn es also ein? Wissen Sie dann, daß so was strenge verboten ist?

Marefitz: Weiß es recht wohl, Herr Prorektor!

Prorektor: Und thaten's doch? Waren Sie vielleicht besoffen?

Marefitz: Nicht im mindesten! Ich bin nie nüchterner gewesen.

Prorektor: So hat Ihnen wahrscheinlich Ihr Wirth Gelegenheit gegeben? Ich kenne sie schon, die Kreuzphilister, die –

Marefitz: Im geringsten nicht! Er hat mich gestern abend, für meine Person, ganz und gar nicht beleidiget.

Prorektor: Und doch hätten Sie ihn maulschellirt, und dieß so ganz ohne Ursache?

Marefitz: Ohne von ihm beleidigt gewesen zu seyn, ja!

Prorektor: ( fürchterlich protzig, mit dem Fuße stampfend) Nun dann, schon gut, mein Herr Marefitz: Sie sollen an uns denken! So eine Bosheit ist mir mein Tage nicht vorgekommen!

Marefitz: ( immer gelassen) Ich weiß, Ihre Magnificenz, daß ich Strafe leiden muß: ich weiß, daß ich Geld zu geben, und das Carcer zu beziehen habe.

Prorektor: Ja, das sollen, das müssen Sie auch: Zehn Thaler Strafe, und vier Tage aufs Carcer!

Marefitz: Ich unterwerfe mich dieser Ahndung, mit Gelassenheit. Warum mußte ich sie verdienen! Hier sind die zehn Thaler!

Prorektor: ( das Geld anschmunzelnd und wieder gelassen) Nun, lassen Sie sich's nur in Zukunft zur Warnung dienen, und begehen Sie derley Excesse nicht weiter mehr.

Marefitz: ( feurig) Bey ähnlicher Gelegenheit würde ich nicht einen Augenblick anstehen, dasselbe zu thun.

Prorektor: ( erhizt) Was? Und das sagen Sie mir? Mir, Ihrer Obrigkeit?

Marefitz: Ich kann Ihrer Magnificenz nichts anders sagen, als die reine Wahrheit.

Prorektor: Aber sagen Sie mir dann doch, warum Sie Ihren Wirth mishandelt haben? Ich kann mir doch nicht vorstellen, daß Sie so ganz ohne Ursache sich in Schaden und Strafe hätten bringen wollen.

Marefitz: Freilich, habe ich Ursache gehabt, die aber Ihre Magnificenz niemals erfahren sollen.

Prorektor: Ich will sie aber wissen.

Marefitz: Ich bitte Ihre Magnificenz um Ihrer eignen Ruhe willen, nicht weiter in mich zu dringen: denn ich mag durch mein Geständniß Ew. Magnificenz den Appetit zum Mittagsessen nicht verderben.

Prorektor: ( sehr protzig) Herr mit wem reden Sie? Wenn ich Sie frage, so antworten Sie: verstehn Sie mich?

Marefitz: Wenns Ihre Magnificenz durchaus wissen wollen –

Prorektor: ( spizt die Ohren) Freilich will ichs wissen, weil ichs wissen muß!

Marefitz: Als ich gestern Abend nach Hause kam, hörte ich meinen Wirth in seiner Stube sehr laut reden. Ich würde mich um dieses Gerede gar nicht bekümmert haben, wenn ich nicht gehört hätte, daß Ihre Magnificenz der Gegenstand seines Plauderns gewesen wären.

Prorektor: Wie, der Mann sprach von mir?

Marefitz: Ja, und zwar in den alleranzüglichsten Ausdrücken. Das muß, so sagte er, ja ein grober Esel seyn, der Prorektor: Ja, ein rechter Schlingel muß er seyn, der verfluchte Professor Stax. Ich stuzte und sprang in die Stube. Was haben Sie da mit unserm Herrn Prorektor zu thun? fragte ich. Ei, war die Antwort meines Wirthes, stellen Sie sich doch nur vor: da kommt der alte Schulmeister Stax von Dambach, der Vater vom Prorektor, und der Esel von Kerl will ihn nicht einmal sehen, vielweniger sprechen, und weiset ihn ab. Das muß ein schöner Prorektor seyn, der vertrackte Professor Stax, der seinen alten Vater, der seinetwegen so weit gekommen war, nicht einmal sprechen wollte! Pfui, der Schande! – Das ist nicht möglich, das ist nicht wahr, sagte ich: so ein elender Schurke ist unser Prorektor nicht! Doch, doch, schrie er, es ist alles wahr: ich habe es selbst aus dem Munde des alten Mannes. Nun gab ein Wort das andere: ich nahm mich Ihrer Magnificenz an, wie sichs gebührt; da nun schimpfte mein Wirth, und ich nicht links, und maulschellirte ihn: Und sehen Sie, Herr Prorektor, dieß ist der ganze Vorgang der Sache: Bitte nur nicht übel zu nehmen, daß ich eine so verdrüßliche Historie habe erzählen müssen!

Prorektor: ( ganz kleinlaut) Wissen dann mehr Leute noch von diesem Vorfall?

Marefitz: Ich bin heute noch nicht weiter ausgegangen: Von mir hat niemand etwas erfahren.

Prorektor: Hören Sie, mein lieber Herr Marefitz, Sie können mir glauben, daß an der ganzen Sache, sofern sie mich angeht, nicht ein Wort wahr ist: Hoc pro primo. Und dann würde ich pro secundo den Philister gewiß zur Strafe ziehen lassen, wenn ich anders mich gern mit diesem Grob abgäbe. Pro tertio bitte ich Sie, den ganzen Handel zu verschweigen, und pro quarto Ihr Geld wieder zu nehmen; auch die vier Tage Carcer schenke ich Ihnen pro quinto.

Marefitz: Danke unterthänigst, Ihre Magnificenz!

Marefitz strich sein Geld ein und empfahl sich dem Prorektor, der ihn nochmals und recht angelegentlich zum Stillschweigen ermahnte. Aber kaum war er zum Hause des Prorektors hinaus, als er auf den großen Bierkeller ging, und da unter lautem Jubel allen Anwesenden haarklein berichtete, wie er den Prorektor recht nach Noten geprellt, und seinen Hausphilister mir nichts dir nichts maulschellirt habe; und das obendrein gratis. Das Histörchen beschäftigte viele Tage lang alle Toiletten und Bürgergelage in Schilda und in der herumliegenden Gegend; und jedermann bewunderte die Schalkheit des Studenten Marefitz.


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