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Zweytes Kapitel.
Die Relegationen


Ich heiße Carl Schneller, und bin im Badischen zu Hause. Zu Carlsruhe habe ich die Schulen besucht, habe alle halbe Jahre ein Prämium erhalten, und wurde, als ich eben von dem Gymnasium abgehen wollte, relegirt.

Pastor: Relegirt? nachdem Sie sich so gut aufgeführt hatten, daß Sie jährlich zwey Prämien bekamen?

Releg.: So war es: ich wollte eben abgehen, und hatte schon meine Testimonien, als ich Abends nach Hause kam, und meine Stube besezt fand. Ich beschwerte mich bey meinem Hauswirthe: dieser erwiederte: meine Stube sey der Mamsell Schäfern von Rastatt eingeräumt: ich mögte die paar Tage, die ich noch in Carlsruhe zu bleiben hätte, in dem Oberstübchen neben dem Taubenschlag zubringen. Das Ding ärgerte mich, und ich behauptete: ich hätte die Stube auf ein halb Jahr gemiethet, müßte und wollte sie folglich auch so lange bewohnen, und den sehen, der mir das wehren wollte. – Ich hatte etwas im Kopf, weil ich eben von einer Condition kam Studenten-Gelag., und wollte gerade nach meiner Stube; aber der Hauswirth und seine Leute hielten mich mit Gewalt zurück. Ich ging also voll Aerger aus, holte noch einige Mitschüler, und nicht lange, so waren seine Fenster eingeschmissen. Den folgenden Tag wurde ich relegirt.

Pastor: Ja, ja, das läßt sich hören. Pueri puerilia tractant!

Releg.: Mein Vater war todt, und mein Vormund lachte, als er erfuhr, daß man mich auf die Art fortgeschickt hatte. Ich ging nach Gießen, studierte fleißig die Rechte, und nannte den Professor Faber wegen eines höchst elenden Gedichtes einen Bänkelsänger. Man machte mir daraus einen Injurienproceß und relegirte mich.

Pastor: Hm, das war doch kuriös! Seitdem der Leipziger Musenalmanach erschienen ist, hat man ja in ganz Deutschland den Herrn einen Bänkelsänger geheißen.

Releg.: Von Gießen zog ich nach Jena, wo man mich nach vierzehn Tagen wieder relegirte, weil ich mich nicht duelliren wollte.

Pastor: Ei, ei, weil Sie sich nicht duelliren wollten? Sonst relegirte man ja den, der sich duellirte!

Releg.: Mit mir war der Fall umgekehrt. Ich ging eines Abends nach Hause, und wurde unterwegs von einem gewissen Herrn von Küsterheim insultiert. Ich zog ihm derbe Maulschellen, und ging meiner Wege. Früh schickte mir mein Gegner eine Ausfoderung, die ich nicht annahm, weil er – wegen schlechter Streiche im Verschiß war. Ist so viel als unehrlich, infam. Die Sache ward ruchtbar und ich als der Urheber des Streites wurde relegirt.

Pastor: Hätten Sie sich aber geschlagen?

Releg.: So wäre ich geblieben: denn der Prorektor, bey dem Hr. von Küsterheim logirte, wollte ihn gern wieder ehrlich haben. Einige Tage hernach schlug sich ein Anderer mit ihm, und kam nur auf zwey Tage ins Carcer. Von Jena zog ich nach Würzburg, wo man mich am Ende des ersten halben Jahres wieder relegirte.

Pastor: Was hatten Sie denn da versehen?

Releg.: Daß ich die Polemik docirte. Ich demonstrirte nämlich meinem Wirth, daß es unrecht sey, seine Tochter ins Kloster zu stecken, und überzeugte ihn: deshalben wurde ich als ein Verführer der Gläubigen angesehen, und weggejagt. Von Würzburg ging ich nach Erlangen, und bekam hier bald das Consilium abeundi, weil ich Collegia las.

Pastor: Wie ging denn das zu?

Releg.: Wills Ihnen erklären. Ich wohnte einem Commersch bey, wo die Füchse gewaltig pro poena saufen mußten, weil sie die Lieder nicht auswendig konnten. Ich nahm den folgenden Tag einige auf meine Stube, – gab ihnen Unterricht, und machte sie überhaupt mit dem Comment bekannt. Da hieß es, ich sey ein Verführer der Jugend, und ich mußte fort. Ich begab mich nun nach Halle.

Pastor: Und wie lange sind Sie in Halle geblieben?

Releg.: Nicht gar lange. Ich hatte das Unglück, mit Contrebande erwischt und relegirt zu werden. Zu Göttingen ging mir's nicht besser, weil ich im Schnappsladen gepredigt hatte.

Pastor: Gepredigt hatten Sie, und wurden relegirt?

Releg.: Relegirt! Sehen Sie, ich schrieb des Superintendenten Luthers Predigten nach, und hielt sie hernach beym Schnappskonradi mit denselben Gebährden, womit der Superintendent Luther sie zu halten pflegte: und das zog mir die Relegation zu. In Helmstädt wurde ich wegen einer Schnupftabaksdose relegirt.

Pastor: Wegen einer Schnupftabaksdose?

Releg.: Ja Herr! Es war ein Heerführer mit einer langen Nase darauf abkonterfeiet. Man legte dieses als eine Satyre auf einen gewissen großen General aus, und schickte mich weiter.

Pastor: Und wo gingen Sie nun hin?

Releg.: Nun zog ich nach Marburg, lebte ganz stille und studierte recht fleißig: aber mein Schicksal war noch nicht müde, mich zu verfolgen: denn ich ließ mir ein Paar lange Hosen mit Bändern machen, und wurde deswegen zum Teufel gejagt.

Pastor: Kuriös, und neunmal kuriös: relegirt um ein Paar lange Hosen! das kann ich kaum glauben.

Releg.: Und doch ist es nicht anders! Ich wußte nicht, daß die langen Hosen mit Bändern ein Kennzeichen der Propagandisten waren, und erschrack daher nicht wenig, als man mich ohne weiteres aufs Carcer schleppte, und mich einen Jakobiner hieß. Ich mogte mich entschuldigen, wie ich wollte: es half mir alles nichts: denn man hatte meine Sachen untersucht, und unter meinen Büchern Mosers politische Wahrheiten und Rousseaus gesellschaftlichen Vertrag gefunden. Auch hatte man erfahren, daß ich aus Girtanners und Reichards Revolutions-Almanach Fidibus und aus Göchhausens Wanderung – Schnupftücher gemacht hatte. Was kann der Kerl noch anders seyn, als ein Jacobiner, hieß es: fort mit dem Bösewicht! – Nun schweife ich herum: mein Geld ist alle. Nach Hause mag und darf ich nicht: ich will also nach Colchis und da Soldat werden.

Der Pastor redete stark in unsern Ebentheurer, und kommentirte ihm bey oft wiederholten Zügen aus dem Bierkruge so artig über das Sprüchlein, nil desperandum, daß Schneller endlich versprach, noch einmal vier und zwanzig Stunden hingehen zu lassen, ehe er zur Ausführung seines fatalen Vorsatzes schreiten würde.

Der Pastor hatte sich indessen einen schweren Rausch angetrunken, und war eben im Begriff, sich nach Hause führen zu lassen, als ein Bauerwagen von einem Filial ankam, um ihn zu einem Kranken zu holen. Er zeigte sich sehr ärgerlich und meynte, der Kranke hätte wohl höflicher seyn können, und man müße ihn so spät in der Nacht nicht inkommodiren. Jedoch sezte er sich auf, nachdem er seinen Kragen und Mantel und die heiligen Gefäße hatte holen lassen. Den Herrn Schneller bat er auf den andern Tag zu sich. Morgen früh bin ich wieder hier, sagte er: so eine Kleinigkeit ist bald abgemacht.

Na, sagte der Wirth, als der Pastor fort war, ist unser Geistlicher nicht ein artiger Mann?

Allerdings, erwiederte Schneller. Der Mann ist hier recht an seinem Posten. Er hat noch viel verwöhntes Studentenfleisch. Da haben Sie ganz recht, versezte der Wirth: er ist auch mehr nach der Welt, als nach der Geistlichkeit. Sie habens ja gehört, wie er den Krankenbesuch auf die leichte Schulter nahm! Wenn er predigen soll, so nennt er das: Pauken; und wenn er das Nachtmahl hält, so spricht er: er füttere seine Schafe ab. Und saufen und fluchen kann er – Der Relegirte hörte nicht weiter auf den Wirth, und legte sich hin auf die Streue, wo er bis an den hellen Tag ausschlief.


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