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Neuntes Kapitel.
Der Komet


Der Kanzler von Ekolsbach hatte gleich den dritten Tag nach seiner Ankunft zu Schilda – den zweyten brachte er mit dem Ausschlafen des Rausches zu – Gelegenheit, eine höchst wichtige Sache zu entscheiden, die ich ihrer Seltenheit wegen meinen Lesern erzählen muß.

Eine Obsthändlerin zu Schilda, berühmt wegen ihrer ergiebigen und seltenen Fleischigkeit, Namens Fervente, hatte durch einen Musensohn eine Kollekte zur Errichtung einer neuen Obstbude sammeln lassen, und über zweyhundert Thaler zusammen gebracht. Man muß nämlich wissen, daß es zu Schilda dem Studenten niemals an Geld mangelte, wenn es drauf ankam, eine Lustdirne zu unterstützen, einen Kommers und Komitat mitzumachen, oder auf den Ball oder in die Komödie zu gehen. Es ging da, wie es auf allen deutschen Universitäten geht: Pferde-Verleiher, Billardeurs, Schenkwirthe, Kuchenbecker und Kuppler wurden reich: Schuhmacher hingegen, Schneider, Speisewirthe, und alle die, welche dem Studenten das Unentbehrliche machten oder verschafften, geriethen in Armuth. Das ist einmal so der akademische Komment!

Die Obstbude, oder nach der Sprache der Schildaischen Musen, welche auch einige andre deutsche Musen nachahmen sollen, die Gevatterbude, wurde mitten auf dem Markte errichtet, und von den Studenten feierlich eingeweihet. So eine Gevatterbude hatte man in Schilda noch nicht gesehen! Es wurde daher acht Tage lang in allen vornehmen und geringen Zirkeln, in allen Kneipen und Collegien, in den Kirchen und in den Spinnstuben von nichts gesprochen, als von der schönen Gevatterbude; und jede Frau, jedes Mädchen, beneidete die fleischige Gevatterin.

Aber oben auf der Bude stand ein vergoldeter Ananas, der ihr freilich zur Zierde gereichte, sie aber beynahe vernichtet hätte.

Das kömmt dem Leser wohl spanisch vor? Aber nur Geduld: es wird sich alles ganz natürlich aufklären.

Kurz nach der Errichtung der Bude erfuhr der Astronom zu Schilda, Herr Professor Astrophylar, daß nächstens ein großer Komet sichtbar werden würde. Er beschloß, dem Kometen aufzulauern, und ging deswegen alle Abende auf das Observatorium. Einen Abend, als er ohne etwas Besonderes gesehen zu haben, von der Sternwarte zu Hause ging, erblickte er, beym Laternenschein, den goldenen Ananas auf der Obstbude aus der Ferne. Er hielt ihn gleich für ein fremdes Gestirn, und schloß ganz natürlich, daß es der Komet seyn müsse, den man mit Furcht und Zittern schon lange erwarte. Ganz entzückt über diese Entdeckung, merkte er sich den Stand des seltsamen Kometen, und berichtete seine Beobachtung gleich den folgenden Tag an einen berühmten Astronomen.

Dieser wunderte sich außerordentlich über den jämmerlichen Unsinn des Sternguckers zu Schilda, und verwies ihm in einem Schreiben seine Unwissenheit nicht sehr erfreulich. Hierüber gerieth der Schildaer Herr Astrophylar in große Angst und Verlegenheit, und beschloß, dem Dinge besser nachzuspähen. Er ging wieder an seinen ersten Beobachtungsplatz, und fand nun, daß ihn der goldne Ananas auf der Gevatterbude in den lächerlichen Irrthum verführt habe. Allein anstatt sich seiner Ungeschicklichkeit und Uebereilung zu schämen, ergrimmte er über den Ananas, und schwur hoch und theuer, nicht eher zu ruhen, bis die Gevatterbude weggeschafft seyn würde. Es war ihm auch nicht sehr zu verdenken, daß er in vollem Ernste böse ward: denn, außer dem Schimpf und der Schande, konnte er nun auch seine wichtigen Beyträge zur Cometologie nicht herausgeben, worauf er sich schon vom Buchhändler Schmieder in Carlsruhe hatte voraus bezahlen lassen.

Herr Astrophylar stellte die Sache dem Prorektor vor; und dieser war um so williger, die Gevatterbude wegschaffen zu lassen, da eine andre Obsthändlerin ihm fünfhundert Stück Stettiner, drey Schock Borsdörfer und vier schöne Melonen versprochen hatte, wenn er die neue Bude würde einreißen lassen. Man hielt ein Concilium, die Sache wurde untersucht, und nach vielem Hin- und Herdebattiren endlich beschlossen, daß die neue Gevatterbude mit dem goldnen Ananas weggeschafft werden sollte. Es war den Tag vor der Ankunft des Kanzlers, als dieses Dekret gegeben wurde.

Die fleischige Obsthändlerin erfuhr alles, was vorging, und härmte sich darob gar mächtig. Sie wußte aus öfterer Erfahrung von mancherley Art, daß mit den Herren vom akademischen Senat gar nicht zu spaßen war, und rechnete nur noch auf den milden Beystand des angekommenen Kanzlers.

Ich habe schon gesagt, daß dieser den Tag nach seiner Ankunft nicht ausging; und so konnte die bedrängte Gevatterin ihn auch nicht sprechen, so oft und dringend sie sich auch melden ließ. Seine Excellenz hatten die heftigsten Kopfschmerzen. Aber den dritten Tag früh gelang es ihr, vorgelassen zu werden. Der Herr Kanzler saß auf seinem Lehnstuhl, rauchte sein Pfeifchen, und fühlte etwas von jenem Reize, den man, bey sonstigem Wohlseyn, nach einem ausgeschlafenen Rausche so zu empfinden pflegt. Der Anblick der dickbusigen Madonne vermehrte diesen Reiz so lebhaft merklich, daß sie das merkte und nun alles aufboth, um sich eines gnädigen Gehörs vollkommen zu versichern.

Dieß gelang. Der Gefesselte erhob sich, nahm sie bey der Hand und führte sie neben sich zum Sopha. Die Supplikantin hiedurch beherzter gemacht, klagte ihre Noth, und bath ihn recht sehr, ihrer Bude ja zu schonen, und sie nicht um ihr Brodt zu bringen.

Der Kanzler hatte äußerst unruhige Hände, so unruhig, daß er nicht einmal auf ihren Vortrag, so geduldig sie sich auch in allem zeigte, noch zu achten schien. Na, dicke Trutschel, sagte er endlich, komm und folge mir, und deine Bude soll stehen bleiben! Hierauf führte er sie in sein Kabinet, nahm den Lohn seiner Gefälligkeit im voraus reichlich, und ohne Widerstand: und dieß machte denn, daß der Prorector den Befehl erhielt, den akademischen Senat den andern Morgen um eilf Uhr versammeln zu lassen.

Die Herren waren alle voller Erwartung, was doch der Herr Kanzler vorzubringen haben würde, und stuzten nicht wenig, als dieser sie folgender Maßen apostrophirte:

Aber hörens einmal, meine Herren: was ist dann das für ein Streich, daß Sie die Obstbude wollen abreißen lassen? Nicht wahr: weil sich der Professor Astrophylar am Ananas, der oben drauf steht, verguckt, und ihn für'n Kometen angesehen hat? Aber meine Herren, wenn ein Professor ein Esel ist: muß denn ein unschuldiges Weib drunter leiden? Sagen's selbst, Ihr Herren: ob das recht ist? Doch was brauchts hier des Fragens! Ich befehle im Namen Seiner Durchlaucht, daß es nicht geschehen soll, und damit holla! Die Gevatterbude bleibt stehen! –

Die Herren saßen da, wie vom Donner erschüttert, und fürchteten, das Ansehen des ganzen Senats mögte zu Grunde gehn, wenn der gegebene Befehl, die Bude einzureißen, aufgehoben werden sollte. Sie machten also Gegenvorstellungen, allein der Kanzler war unerbittlich. Endlich half die Klugheit des Sekretärs Schneller, den einen wie den andern, aus aller Verlegenheit.

Meine Herren, sagte dieser, die Ursache, warum Sie die neue Obstbude weggeschafft wissen wollen, ist, weil der darauf befindliche Ananas den Herrn Professor der Astronomie in einen Irrthum hat fallen lassen. An diesem Irrthum ist aber nicht die Bude, sondern allein der Ananas Schuld: wenn also Seine Excellenz geruhen wollen, daß man den Ananas wegthue, und Sie meine Herren zugeben, daß die Bude stehen bleibe: so ist alle Schwierigkeit gehoben.

Bravo! schrie der Kanzler, bravo, Herr Sekretär! Sind doch, mein Seel, ein Männchen wie 'n Braten! – Alle Professoren applaudirten gleichfalls dem klugen Sekretär, und ließen sofort folgendes Dekret durch dessen Feder abfassen.

Wir Kanzler, Prorektor, Direktor, und übrigen Professores der Universität zu Schilda ordnen und befehlen, daß der auf der neuen Obstbude, auf hiesigem Markt, sonst Gevatterbude genannt, stehende vergoldete Ananas, welchen unser Herr Collega, der hochgelahrte und kunsterfahrne Herr Professor Astrophylar, für einen Kometen angesehen, und dadurch sich und den guten Ruf der hiesigen Universität, obwohl ohne seine Schuld, auffallend kompromittirt hat, unverzüglich weggenommen werden soll. Auch ordnen wir, daß in Zukunft kein vergoldeter Ananas, oder sonst irgend eine vergoldete Frucht auf eine Obst- oder Gevatterbude gesezt werden soll, damit forthin niemand mehr verleitet werde, eine dergleichen vergoldete Zierrath für eine himmlische Erscheinung anzusehen, und den guten Ruf der Universität dadurch hämischen Spöttern preiszugeben. Gegeben Schilda in Senatu Academico, sub sigillo Academiae majori; u. s. w.

Der Befehl wurde angeschlagen: die Bude verlohr ihren vergoldeten Ananas, und ganz Schilda bewunderte die Weisheit des neuen Kanzlers.


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