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Zweiundzwanzigstes Kapitel.
Orden


Stein und noch zwey andere von seinem Klub waren zwar fort, der Klub war auch bey Relegation verboten worden: allein die Verbindung hörte dennoch nicht auf. Es wurmte den noch übrigen Gliedern unvergeßlich, daß sie so viel Unrecht erlitten hatten, und dadurch der Spott der Bierhengste und der Fünfkäser seyn müßten; und wenn dem Studenten einmal etwas wurmt, so sucht er sich, so nach seiner Art zu rächen.

Der Student vom gewöhnlichen Schlage ist überhaupt eine eigensinnig dumme stolze Kreatur. Er hat einmal den Grundsatz, daß er besser sey, als alle andere Leute, und daß er folglich nicht beleidigt werden dürfe. Wirklich oder auch nur in der Einbildung beleidiget, hält er alle Mittel, sich zu rächen für erlaubt, und kennt selten Gränzen. Er treibt es hierin, wie alle dummstolze Menschen von den privilegirten Kasten, die alle ihr eigen crimen laesae haben, vom Fürsten bis zum Dorfjunker, und von diesem bis auf den zerlumptesten Sausewind von Cornuten.

Die Herren vom Klub hingen also strenge zusammen, und brüteten über Anschläge, die aber alle zu Wasser wurden. Bald wollten sie sämtlich fortziehen, vorher aber dem Prorektor, dem Kanzler und den Professoren, ihren Feinden, die Fenster einschlagen, was gewöhnlich feige und pöbelhafte Studenten zu thun pflegen, wenn sie Fehde haben. Bald wollten sie die ganze Sache einem rüstigen Theaterdichter, einem Herrn Plümecke, überschreiben, und für bares Geld eine Farze draus machen lassen, welche dann auf einem benachbarten Theater sollte gespielt werden – zur Beschimpfung der Schildaer Herren. – Bald sollte Spieß oder Vulpius sie in einen Roman bringen u. s. w. Endlich erschien ein relegirter Jenenser zu Schilda, und half ihnen aus aller ihrer Verlegenheit mit einem Mal.

Dieser Mensch hieß Philipp Stosser, hatte schon drey Jahre in Jena studiert, oder vielmehr, er hatte seit drey Jahren die Matrikel gehabt, aber die ganze Zeit über den Renommisten gespielt. Er war Senior der Mosellaner, Senior des Amicisten-Ordens und wer weiß, was sonst noch, gewesen, und war endlich wegen tumultuarischer Excesse relegirt worden. Ein Ohngefähr gab ihm den Gedanken ein, nach Schilda zu gehen, und sein Wesen da fortzusetzen. Denn als er von Jena nach Halle reiten wollte, begegnete ihm ein anderer Jenenser, welcher zu Halle war abgewiesen worden, weil man keine Relegirte dort aufnehme. Stosser erschrak über diese Nachricht, besann sich kurz, und rief: Ei dann zum Henker, ich reite nach Schilda!

Nach Schilda, auf die närrische Universität? fragte der Andere.

Was kümmerts mich, erwiederte Stosser, ob man gescheid oder närrisch zu Schilda ist! Ein braver Bursche sucht ohnehin keine Weisheit auf Universitäten: er ist schon zufrieden, wenn er nur sein Wesen treiben kann. Allons nach Schilda! Schilda ist doch überall, dort mehr, dort weniger!

Der Andere wollte nicht mit: Stosser rief ihm denn zu: nun, so geh' du an den Galgen, gab seinem Pferde die Sporen, und kam wohlbehalten an in Schilda.

Hier erfuhr er bald das Unrecht, welches man den Klubbisten angethan hatte, und fand sich in seinem Gewissen verbunden, diesen Unterdrückten hülfreiche Hand zu bieten. Er besuchte sie also, hörte von ihnen den ganzen Vorgang näher, und war hocherfreut, sie auf der Universität so aufgebracht anzutreffen.

»Ihr Herren, sagte er, alles, was Ihr da vornehmen wollt, ist nicht burschikos, nicht honorig genug. Fenster einwerfen, ist eine Lumperey: Pasquillen machen oder machen lassen, ziemt den Burschen nicht. Aber sitzen müßt Ihr das Ding nicht lassen: das wäre ewiger Schimpf für alle Bursche! Pfui, Professores sollten Bursche so en bagatelle behandeln können? – Hört, ich will Euch einen Rath geben! Errichtet einen Orden, und dann seyd Ihr im Stande, den Professoren und ihrem ganzen Anhang, den Fünfkäsern und Bierhengsten, zu widerstehen, und die Kerls samt und sonders in Ordnung zu halten. Aber – merkts Euch wohl! – haltet hübsch das Maul, daß nichts heraus kommt: denn sonst mögt es Euch gehen, wie uns in Jena: man mögte Eure besten Leute zum Teufel jagen. Also vorsichtig und klug!«

Die guten Leute zu Schilda hatten zwar schon von studentischen Orden gehört, aber sie mußten doch noch ihre Begriffe darüber von dem Herrn Stosser rektificiren lassen. Dieser that das auch mit solcher Suade, mit so eindringender Empfehlung, daß alle Klubbisten, die freilich Alle – Rache suchten, bald überzeugt wurden, ein Orden sey ihr einziges Rettungsmittel, sey die größte Zierde einer Universität, und ein rechter Phalanx gegen alle Fehden und Unbilden.

Ich glaube kaum, daß es nöthig sey, hier noch anzumerken, daß Herr Stosser der erste Senior des neuen Ordens zu Schilda geworden sey: denn kein Anderer schickte sich dazu wie Er, weil kein Andrer in die hohen Geheimnisse dieser Verbindungen eingeweihet war, als unser Herr Stosser.

Das erste, was er, als Senior, that, war, daß er das Zusammenlaufen der Brüder verbot, um die Universität nicht aufmerksam zu machen. Er erlaubte ihnen indeß, die Gesellschaft der Kränzianer und Societäter zu besuchen, doch aber bey Leibe nicht in deren Verbindung als Mitglied zu treten. Man folgte, und durch dieses Betragen wurden die Herren von der Akademie so sicher gemacht, daß sie auch von weitem nichts merkten, und die ehemaligen Klubbisten für die artigsten Leute auf der Universität hielten.

Da sie die Mittelstraße zwischen Petimäterey und Brutalität betraten, sich anständig kleideten, aber auch einen honetten Kommers nicht verachteten, und überhaupt nichts äußerlich affektirten: so waren ihnen sogar die Kränzianer und Societäter gewogen, und suchten sie zu ihrer Innung anzukirren. Die Brüder aber entschuldigten sich unter dem Vorgeben, daß gewisse Ursachen, und besonders die Liebe zur Unabhängigkeit, sie von Verbindungen abhielten, die es ihnen erschwerten, mit jedermann Freundschaft zu halten u. s. w. Man war damit zufrieden, und ließ sie machen, was sie wollten.

Nachher schrieb Herr Stosser nach Jena an den Senior der Amicisten, wie folget:

Ehrenvester, Getreuer,

Hiob hat, hohl mich der Teufel, recht, lieber Verbündeter, wenn er spricht: sie glauben, es sey aus mit dir, aber du gehst wieder auf, wie der Morgenstern. Die Signors in Jena haben geglaubt, unsern lieben Orden durch die Bank zu stürzen, wenn sie Einige von uns schaßten. Aber proßt die Mahlzeit: sie sind mit ihren Gedanken geprellt! Die Mosjehs bilden sich ein, wenn sie Einen entfernen, so fahren Alle auseinander, wie Spreu, die der Wind zerstreut: Aber ich höre mit Vergnügen, das der liebe Orden der Amicitia auch noch in Jena florirt, und Du wirst Dich nicht minder gaudiren, wenn ich Dir, lieber Bruder, berichte, daß ich hier in Schilda, eine Gesellschaft gestiftet habe, die mit Leib und Seele an unsern Instituten hängt. Vierzehn brave, rechtschaffne Jungens sind schon meine Verbündeten, und Gott straf' mich, Bruder, bald wird die Zeit kommen, wo wir hier das Prä spielen, so und noch besser vielleicht, als wir es jemals in Jena gespielt haben. Besser ist's denn doch auch, wir jungen Leute hängen uns an einander, als an Menschern oder an Schlampampen von Weibern! Aber daran denken diese Gänseköpfe nicht, die von engern Verbindungen auf Universitäten nichts wissen wollen. Junge Leute wollen und müssen sich an etwas enger anschließen, oder sie sind Schlafmützen, oder gehen verloren.

Ich habe so viel von den Gesetzen unsers Ordens zusammen geschrieben, als mir davon einfiel. Die Essenz ist zwar bey uns, aber noch nicht die ganze Form. Schicke mir daher eine vollständige Abschrift unsers Gesetzbuchs, und zwar sobald als möglich, und schicke mir dabey auch ein Privilegium für unsere Loge, damit nämlich die Loge der Amicisten in Schilda für eine natürliche, germane Schwester der Mutterloge zum doppelten Kreuz in Jena gehalten werde. Uebrigens folgen hiebey vier Luidor, als Contribution und Homagium für die Mutterloge, wie auch die Namen unserer hiesigen Brüder mit ihren Ordensbenennungen. Lebe wohl, theurer Bruder, und antworte bald

Deinem
fidelen, und dem
bis in den Tod getreuen,
Philipp Stosser, Rolfo.

Schilda u. s.

N. S. Wenn jemand von den Unsrigen zu Jena sollte relegirt werden, so laß ihn nur hieher ziehen: hier nimmt man alles auf. Man ist hier so dumm, so dumm beynahe, wie in Gießen, wo relegirte Jenenser auch treiben dürfen, was sie wollen. Doch, das weißt Du schon. Leb' wohl, Bruder!

Drey Wochen nach Abgang dieses Schreibens erschienen vier relegirte Jenenser zu Schilda, und brachten die Gesetze mit. Gleich darauf wurde in aller Stille eine solenne Zusammenkunft auf einem ganz unbedeutenden, kleinen Dorfe angesagt, und alle Mitglieder begaben sich dahin, doch nicht truppweise, sondern so vorsichtig, daß die kurzsichtigen Herrn zu Schilda auch nicht das geringste merken konnten. Der Wein und das Uebrige zum Schmausen wurde aus einer benachbarten Stadt herbeygeschaft, und die Brüder lebten so hoch, als wenn sie im vornehmsten Gasthofe gewesen wären.

Der Senior verlas die Gesetze, und verpflichtete jedes Mitglied im Namen und aus Autorität der Mutterloge zum doppelten Kreuz Die Amicisten nennen sich auch Brüder vom doppelten Kreuz, wegen ihres Zeichens XX, welches aber nur V. A. oder Vivat Amicitia bedeuten soll. L. auf zwey übereinander gelegte Degen zur Treue, zur Beständigkeit und zur strengen Befolgung der Ordensregeln: an ein anderes Versprechen wurde damals unter den Amicisten noch nicht gedacht, noch weniger hatte man eine gewisse förmliche Eidesformel.

Als alle Brüder Pflicht geleistet hatten, verlas der Senior folgendes Diplom, welches von Jena aus geschickt, und mit dem großen Ordenssiegel bestätigt war.

Wir Senior, Subsenior, Sekretär, Verfechter und übrigen Brüder der Mutterloge des ehrsamen Ordens der Amicisten-Brüder zu Jena, erkennen und thun öffentlich kund in diesem Brief:

Nachdem uns die zu den Gesetzen unseres Ordens verbundenen Brüder zu Schilda, unter der Aufsicht und dem Seniorate unsers lieben Bruders, Philipp Stossers, genannt Rolfo, zu erkennen geben, wie sie gesonnen seyen, sich genau nach den Regeln unserer hiesigen Mutterloge zu richten, und sich in allem nach derselben zu konformiren, geziemend bittend und suchend, daß wir ihre Loge zu Schilda als eine ächte und wahre Amicisten-Loge anerkennen mögten.

Als haben wir, nach reiflicher Ueberlegung der Sachen, für recht und billig gefunden, die Loge der Amicisten-Brüder auf der Universität zu Schilda für eine wahre Loge und als eine germane Schwester der hiesigen Mutterloge in Jena anzuerkennen, und derselben die Freiheit zu ertheilen, Brüder aufzunehmen und überhaupt nach allen Privilegien zu handeln, welche sich der ehreveste Orden zuschreibt: Urkunds dessen haben wir auch gegenwärtigen Brief und Diplom ausgefertiget. So geschehen Jena den u. s. w.

(L. S.)
Nomine Ordinis Amicistarum,
qui Jenae floret, subscripsit
J. L. Balthasar p. t. Secr.

Jezt war der Amicisten-Orden auch in Schilda bestätigt, und die Brüder schwuren sichs zu, zur Erhaltung und Erweiterung desselben immer beyzutragen, was sie nur wußten und könnten.

Alles, was den Anstrich von Geheimniß hat, gefällt allemal sicher, und erhält Anhänger: wäre es öffentlich und nach allen seinen Theilen und Namen bekannt: so würde man sich wenig darum bekümmern. Ohne der christlichen Religion zu nahe treten zu wollen, glaube ich doch, daß der Grund ihres schnellen Wachsthums vorzüglich in dem Dunkel und in der heiligen Decke zu suchen ist, worin ihre ersten Lehrer dasselbe einzuhüllen wußten, oder womit sie es vielmehr zu verhüllen gezwungen waren.

Jedes versteckte Geheimniß macht diejenigen, welche nicht eingeweihet sind, neugierig, und die Eingeweihten macht es stolz. Neugierde aber und Stolz sind mächtige Triebfedern. Die Herren Freymaurer möchten auch gewiß nicht so vielen Anhang erhalten haben, wenn sie ihre Nullitäten nicht für Geheimnisse ausgäben; und dennoch ist es wunderbar, daß diese Nullitäten noch immer für Geheimnisse bey Unwissenden gelten können, da es doch beynahe augenscheinlich bewiesen ist, daß wenigstens in dieser ansehnlichen Gesellschaft kein Mysterium seyn kann.

In dem Orden der Amicisten zu Schilda that das Geheimnißvolle seine herrliche Wirkung: denn es erregte die Aufmerksamkeit aller derer, welche es von weitem merkten. Viele Studenten vermutheten, daß so etwas Arkanes dabey seyn müßte, aber da sie schlechterdings nichts zu entdecken vermochten: so schlichen sie um jene, bey welchen sie das Geheimniß vermutheten, herum, und versuchten etwas aufzuschnappen oder zu erhorchen. Alle Brüder hatten indeß die unverbrüchlichste Pflicht auf sich, ja noch nichts zu verrathen, und jedesmal ihren Mann aufs schärfste zu prüfen, bis sie ihm das Mindeste entdecken dürften. Fanden sie aber, daß der Erkundiger verschwiegen und sonst ein sogenannter honoriger Kerl war: so offenbarte man ihm, so viel er wissen sollte, und verwies ihn dann, im Fall er mehr zu erfahren verlangte, bald an diesen, bald an jenen Bruder, dem es gegeben sey, weiter zu sprechen.

Ueberhaupt versicherte man, daß man sich sehr glücklich bey seiner Lage schätze, und darum nichts mehr wünsche, als daß ein so lieber Freund auch dieses Glück genießen mögte u. s. w. So angekirrt ging der andere weiter, und ward Amicist, ehe er es noch selbst recht wußte. Auf diese Art nahm der Orden in kurzer Zeit so zu, daß er schon nach Verlauf von einigen Monaten mehr als funfzig Mitglieder zählte.


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