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Zehntes Kapitel.
Der Abends-Schmaus


Um seine Frau Gemahlin, die er zu ihrem großen Vergnügen von dem stattlichen und kräftigen Sekretär Schneller von seinem Landgut abholen ließ, feierlich in Schilda einzuführen, hatte der Herr Kanzler ein großes Souper veranstaltet. Er hatte einem Speisewirth aufgetragen, die Speisen zu einem großen Abends-Schmause zuzubereiten, und alles so einzurichten, daß man das Essen gegen eilf Uhr haben könnte. Er wußte, daß die vornehmen Schildaer das Abendessen erst um diese Zeit einnahmen, weil die Mittagsmahlzeit, zu der sie sich gewöhnlich gegen vier Uhr hinsezten, unmöglich eher verdaut war.

Die Ursache, warum der Kanzler sein Mahl auswärts bestellt hatte, war, daß er für eigene Oekonomie noch nicht selbst eingerichtet war, und darum bisher auch noch auswärts gespeist hatte. Sonst merkt der Verfasser im Vorbeygehen an, daß mancher Universitätsmann, deren viele, studentisch verwöhnt, sich mit einem Weibe behängen, das nichts weniger als die Oekonomie versteht, besser tun würde, sich vom Trätöhr speisen zu lassen, auch mit seiner ganzen Familie – um wenigstens auf diese Weise seine Ausgaben bestimmt berechnen zu können, welches ihm sonst unmöglich ist, da seine verschwenderische Frau die Haushaltung entweder nicht versteht, oder, was für Putz und Vergnügungen verschwendet wird, in die Fleisch- Brodt- Butter- Käse- und andere Rechnungen einträgt, oder sich und ihren Mann der Prellerey des Küchenmädchens preisgiebt.

Um den Gästen recht aufzutischen, hatte der Kanzler auch 50 Butelljen Burgunderwein beym Trätöhr mitbestellt: denn sein Trätöhr war der einzige, welcher noch erträglichen Burgunder in ganz Schilda führte, obgleich auch nicht selten viel Menschliches mitunterlief, wie z. B. daß er Naumburger- oder Seeburger-Brühe, mit Holunder-Beerensaft rothgefärbt, für ächten Côte d'or oder Burgunder ausgab, wobey er es dann freilich machte, wie alle seine Herren Brüder in Christo es in allen Bierländern zu machen pflegen.

Von den meisten Speisewirthen gilt das Nämliche. Diese haben kein Interesse an der Erhaltung der Gesundheit ihrer Tischgenossen, und speisen sie daher meist so, daß nur ihr Beutel dabey sich gut befinde. Sie kaufen gewöhnlich nur altes, mageres Fleisch, das weiter Keiner haben will, oder das an Markttagen übrig bleibt, und im Sommer halb faul ist, um einige Groschen wohlfeiler, machen es durch saure oder Rosinen-Brühe schmackhaft: und der hungrige junge Gaumen verschlingt es, so sehr es die Verdauungskräfte übrigens erschöpfen und verderben mag. Zur Schmelze wird Schöpsen- Rind- und Schweine-Fett in einem Topf aufbewahrt, und so ranzig es seyn oder werden kann, an die Speisen gethan. Dabey gerathen die Portionen so erbärmlich-klein, daß der junge hungernde Mann seinen Magen mit Butterbrodt überladen, oder des Abends oft einen halben Thaler dran wenden muß, um nur einmal gehörig satt zu werden. Der selige Goldhagen hatte daher wohl recht, wenn er den Grund der Hypochondrie der meisten Gelehrten von ihrer Nahrung auf der Universität herleitete, und öfters wünschte, daß der Student seinen Tisch bey seinem Hauswirthe nehmen mögte.

Zu der Schmauserey des Kanzlers war die ganze Noblesse von Schilda, die Herren von der Universität, und die vorzüglichsten Offiziere von der Garnison nebst Anhang von Damen und Töchtern eingeladen. Das Wort: Noblesse, ist noch sehr schwankend, und hat meist nur relative Bedeutung. Zu Wien z. B. gehören nur Fürsten und Magnaten zur Noblesse. Simple Edelleute sind davon ausgeschlossen. Und daher kömmt es, daß der gemeine Wiener beynahe jedem vornehm-gekleideten Mann mit einem Ihr Gnaden – lästig und lächerlich wird. – In Mainz, Salzburg, Trier, Coblenz und Worms machten vorzeiten die stiftsmäßigen Grafen und Baronen die Noblesse ausschließlich aus. Auch hier herrschte, wie in allen despotischen Gebieten, der verächtliche Misbrauch von Titulaturen, deren sich jeder rechtliche Mann jezt schon schämet. – In Berlin ist nobel, was Kutsche und Pferde halten kann; in Leipzig und Halle heißt Noblesse, was sich gut kleidet und dann und wann ein Diner oder Souper giebt. Auf den Dörfern macht der Herr Pastor, Schulmeister oder Schulze, auch wohl ein reicher, gastfreyer Bauer und Müller einen Theil der Noblesse aus, oder der ausgezeichneten Vornehmen. Zu Schilda gehörten nur die Herren von der Universität, die Offiziere von der Garnison, und die Justiz-Beamten zur Noblesse: und diese waren, wie gesagt ist, samt und sonders zum Herrn Kanzler eingeladen. Es sollten 66 Couverts servirt werden; und nach der Tafel sollte Ball seyn. Alles sollte hoch hergehen: denn der Herr Cancellarius hatte im Sinne, sich einmal in seinem ganzen Lüster zu zeigen.

Aber

O curas hominum! o quantum est in rebus inane!

rief ehedem der alte Dichter Persius aus, und der Verfasser ruft eben das mit ihm, da er erzählen soll, wie alle Anstalten des Herrn Kanzlers von Ekolsbach zu Grunde gingen.

Gerade an dem Tage, da das große Souper seyn sollte, war eine starke Caravane Studenten von der nahen Universität Kappershausen in Schilda angekommen. Denn da in Kappershausen die Kommerse streng verboten, in Schilda aber durch den Kanzler von Ekolsbach wieder erlaubt worden waren: so kamen die Musensöhne, welche ihre Kehle unter wildem Gebrüll einmal recht ausspühlen wollten, dahin, und trieben ihr Wesen, wie solche Herren es pflegen. Dießmal war die Truppe sehr ansehnlich gewesen: viele Schildaer Herren hatten sich zu ihnen gesellt, und so war ein ganz solennes Hospiz für die Nacht bestimmt worden.

Ehe noch der Kommers auf dem großen Keller seinen Anfang nahm, fiel es Einigen ein, daß man vorher essen müßte; und da der Kellerwirth nichts in Bereitschaft hatte: so wurde in alle Speisehäuser herum geschickt. Nirgends fand sich etwas, als nur in dem Hause des Trätöhrs, bey welchem der Kanzler das große Souper bestellt hatte. Die Kappershäuser Musen begaben sich also schaarenweise dahin, und forderten zu essen für ihrer Achtzig.

Ich habe, sagte der Trätöhr, zwar zu essen für so viel Herren; aber das ist alles für den Herrn Kanzler bestellt zum großen Souper.

Ein Student: Der kann sich schießen lassen, der Kanzler, mit seinem Souppeh! Wir sind heute gemarschiert, und gehen vor. Drum marsch, Kalaber: frisch aufgewichst!

Trätöhr: Bitte Sie um Gottes Willen, meine Herren: ich kann wahr und wahrhaftig nicht! Der Herr Kanzler –

Student: Was da, Kanzler! Wir zahlen so gut, wie der; und das in Lasten: Nur her damit!

Trätöhr: Aber um Gottes Willen, meine Herren, ich kann, Gott straf' mich, nicht: ich komm' auf den Hund!

Student: Und solltest du auf den Esel obendrein kommen: so hilft kein Ausreden. Genug, Wir stehen für alles: bring also nur her! Flugs, flugs!

Der Trätöhr machte zwar noch Einwendungen, und wollte die Herren bewegen, mit Holländischem Käse, Schlackwurst und Butterbrodt fürlieb zu nehmen: aber die Herren verstanden das unrecht, wurden impertinent, legten selbst Hand an und wirthschafteten so pandurisch, daß von den Gerichten zum großen Souper – in weniger als einer Viertelstunde auch kein Bissen mehr übrig war.

Sie erfuhren beyher auch, daß eine Anzahl Burgunder-Butelljen für den Kanzler parat stand, und zwangen den Wirth, auch diese herzugeben: und so schlich der liebe Wein, der für die noble Gesellschaft bestimmt war, durch die Kehlen der Kappershäuser.

Als die Mahlzeit so verzehrt war und der Burgunder Wein eben so verschlungen: zahlten die Herren, was der Speisewirth foderte, und zogen ab, wie im Triumphe.

Man bemerke, daß es den Herren zu Kappershausen ging, wie es den Herren zu Halle, Jena und Göttingen geht. Denn auch diese, sobald sie ihre Wechsel bekommen, gehen, reiten oder fahren von Halle nach Leipzig, von Jena nach Weimar, und von Göttingen nach Cassel, renommiren da wie die Hanswürste, in Reitjacken und mit Hiebern und Hetzpeitschen und Federbüschen; verjubeln ihr Geld, das oft ihre Eltern borgen oder sich abdarben müssen, lassen sich auslachen, prellen, bespotten und verlachen; ziehen dann mit leerem Beutel wieder nach Hause, legen sich krumm, und lassen ihre Schuldner warten, daß mancher darüber zum Bettler wird, oder mit Weib und Kind bittere Noth ertragen muß. Und gerade so machten's dießmal die Herren von Kappershausen zu Schilda. Sogar Herren, die kaum 150 Rthlr. Wechsel hatten, sahen dort einen Louisd'or an, wie zu Hause einen Groschen.

Nun zog der Schwarm über die Straßen nach dem großen Keller, wo der Kommers auf sie wartete, unter lautem Jubel und unter Abbrüllung des studentischen Kernliedes:

Ça donc, ça donc::
So leben wir alle Tage –
in der allerschönsten Saufkompagnie.

Ihre Köpfe waren von dem Burgunder schon merklich heroisch geworden; und die Freude, den Kanzler um das Souper geprellt zu haben, vermehrte ihren Jubel. So muß man die Kerls über'n Kochlöffel balbieren – ertönte es in der urbanen Studenten-Sprache unter dem ganzen Haufen.

Die Musikanten, welche zum Balle beym Kanzler bestellt waren, begegneten dem Haufen auf der Straße, weil sie sich bey Zeiten an Ort und Stelle verfügen wollten, indem sie nicht ohne Grund vermutheten, daß etwas für sie vom großen Souper abfallen würde.

Wer da? riefen die Studenten.

Gut Freund! war die Antwort.

Was für gut Freund? Antwortet Kerls, oder der Teufel soll euch frikassiren!

Lassen Sie uns, Ihr Herren! Wir sind Musikanten, und wollen zum Herrn Kanzler: da sollen wir zum Ball aufspielen.

Bravo! Kommt nur mit uns! Wir wollen kommersiren! und zahlen so gut, wie der Kanzler!

Das geht unmöglich, meine Herren! Wir haben uns beym Kanzler zugesagt!

Was da, zugesagt! Ihr sollt und müßt mit auf den Kommers! Ihr seyd doch keine teke Prinzen, die die Kommers-Lieder nicht können?

Die Musikanten fühlten ihr point d'honneur hiedurch beleidiget, und versicherten, daß sie sie alle könnten, und, um nicht für Stümper in ihrer Kunst gehalten zu werden, ließen sie Ball Ball seyn, und gingen mit auf den großen Keller, um zum Kommersiren aufzuspielen.

Indessen hatte es Zehne geschlagen, und der Kanzler befahl, das große Souper zu inkaminiren. Es wurden daher die Tische in Ordnung gestellt, gedeckt, mit Lichtern, Tellern und allem übrigen Geräthe versehen, und nichts fehlte weiter, als die Speisen.

Da jedermann wußte, daß es hoch hergehen würde, so hatte niemand stark zum Mittag gegessen, und der Appetit war bey männiglich sehr ansehnlich; besonders versicherten einige Fähnriche, daß sie Hunger hätten, wie die Flegel-Drescher. Begierig schauten also alle nach der Thüre, ob man das Essen bald bringen würde; und alles wurde munter, als man die Fußtritte der Bedienten auf der Treppe hörte, die zum Speisewirth waren geschickt worden, das Bestellte herzuholen.

Aber man hätte die Gesichter sehen müssen, als die Bedienten das Unglück erzählten, welches dem großen Souper widerfahren war! Jeder ließ seinen Unmuth durch eine besondere Exklamation hörbar werden, und die Interjektionen: Verflucht! verdammt! Hohls der Teufel! Das ist die Möglichkeit! Mord Sakkerment! Pfui! u. s. w. machten ein Concert, worin der Satan selbst nicht das Mindeste von einer feinen Harmonie hätte finden können.

Der Kanzler ärgerte sich am meisten: er hatte sich recht en lustre zeigen wollen, und mußte so hunzföttisch in den Dreck fallen, wie er sein malheur zu nennen beliebte. Aber es war einmal geschehen, und die Gäste konnten doch, ohne gespeiset zu seyn, nicht nach Hause geschickt werden, wie Seine Magnificenz, der Herr Prorektor, richtig anmerkten.

Was sollte man thun? Warmes Essen war nicht mehr herzuschaffen: dazu war es, selbst in Schilda, schon zu spät. Es wurde also nach den Kramläden und Fleischern herum geschickt, und ein Quasi-Souper mit holländischem Käse und geräuchertem Fleisch und Wurst veranstaltet; und die hohen Gäste langten so gestrenge zu, als wären es eitel Puter und Kapaunen gewesen. Statt des Burgunders, den die Kappershäuser gesoffen hatten, wurde sogenannter Franzwein und Schnapps aufgetischt; und da hieran kein Mangel war: so wurde die ganze Gesellschaft endlich lustig und guter Dinge, und konnte sogar über das Malhör selbst lachen und Anmerkungen machen.

Na, sagte der Kanzler, das Scheißmalhör ist doch noch zu etwas gut! Die Herren und Damen haben heute so müssen aus der Noth eine Tugend machen: aber sie sind darum noch nicht quitt. Auf künftigen Sonntag Abend gebe ich wieder großes Souper, und bitte Sie sämmtlich, mich mit Ihrer Gegenwart zu beehren.

Tiefe Knixe und Bücklinge von allen Seiten waren das Zeichen der Annahme.

Aber, wenn ich bitten darf, fing der Major Schnittlauch an, werden dann Ihre Excellenz das Essen wieder bey einem Trätöhr zurechte machen lassen?

Natürlich, erwiederte der Kanzler, denn ich bin hier noch nicht eingerichtet, und kann es bis zum Sonntage auch nicht seyn.

Wohlan, antwortete der Major, so werde ich das Haus des Trätöhrs auf den Sonntag mit Soldaten besetzen lassen, damit nicht wieder so ein Malhör arrivire.

Die Damen und die jungen Herren, sobald sie gesättigt waren, wünschten meist alle, daß man nach aufgehobener Tafel den Ball eröffnen mögte: aber auch dieser konnte nicht vor sich gehen, weil die Studenten die Musikanten auf dem Keller bey ihrem Kommers hatten. Das war wieder ein Vorfall, worüber sich die zierliche Gesellschaft noch mehr ärgerte, als über das verdorbene große Souper. Da aber, nach dem Sprichworte, dem gut geigen ist, der gerne tanzt: so ließ die Gesellschaft es sich auch schon gefallen, daß man aus der nahen Schuster-Herberge einige Bierfiedler herbey holte, welche zum Tanze spielen mußten, da die Studenten auf dem Kommers durchaus nicht zu bewegen waren, ihre Musikanten herauszugeben.


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