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Zwanzigstes Kapitel.
Mamsel Mienchen


Als jenes in Schilda vorging, war eine sehr artige Mamsel, Namens Mienchen, die Nichte des Professors Fünfkäs, dort angekommen, und wohnte bey ihrem Onkel. Ihr Vater war Pedell in Kappershausen gewesen, war aber vor einiger Zeit gestorben, und hatte seiner Tochter weiter nichts hinterlassen, als eine sehr gute Erziehung. Das Mädchen verstand weder französisch, noch englisch, noch italiänisch, und noch weniger latein oder griechisch; konnte weder auf dem Klavier klimpern noch die Harfe spielen: ein bischen Singen machte ihre ganze Musik aus. Bey dem allen war sie nichts weniger als unwissend: ihre Muttersprache sprach sie rein und richtig, die vaterländische Geschichte hatte sie, wie die Erdbeschreibung und Naturgeschichte ziemlich inne; und da einer ihrer Pathen ihr mit der Schirachischen Uebersetzung des Plutarchus ein Geschenk gemacht, und sie dieses vortreffliche Werk mehrmals gelesen hatte: so war sie auch in der alten Geschichte gar nicht übel bewandert. Außerdem war sie eine treffliche Hauswirthin, verstand sich aufs Kochen, Backen, Nähen, Sticken, Stricken, und Waschen; hatte von Mutter Natur einen muntern Witz und ein kreuzbraves Gemüth: ich habe also nicht zu viel gesagt, daß ihr Vater sie gut erzogen habe.

Weil Mienchen obendrein sehr gut aussah, so hatten sich auch schon mehrere bey ihr eingefunden, welche Liebschaft anzeddeln wollten: allein Mienchen sah wohl, daß es auf eine Liebschaft zum Zeitvertreib abgesehen war, und wies die Herren alle ab. Mienchen hatte kein Geld, und war klug genug, um einzusehen, daß Geld erfodert werde, um einen Ehekontrakt einzugehen, und dann dachte sie viel zu solid und zu tugendhaft, als daß sie – nach Art der Universitäts-Koketten – eine Intrigue hätte einfädeln sollen, die doch am Ende auf ein Nichts hätte hinaus laufen müssen.

Indessen war es doch einem geglückt, ihr Herz schon in Kappershausen zu rühren, oder wie man in Schilda sagte, ihr steife Gedanken in den Kopf zu setzen. Dieser hieß Stein, und war ein junger Mediciner, welcher in Kappershausen schon seit sieben Jahren auf der Schule und seit zwey Jahren auf der Universität gewesen war, und bey Mienchens Vater die ganze Zeit über gewohnt und gegessen hatte. Er würde auch fernerhin da geblieben seyn, aber sein Vater starb, und nun schrieb ihm sein Onkel, der Doktor Günther, von Schobach folgendes:

Lieber Pathe und Vetter,

Dein Vater, mein lieber, nunmehro seliger Schwager, ist gestern gestorben: Du kannst ihn betrauren, aber ich bin doch froh, daß der alte Esel weg ist: denn nun sollst Du mir, wie ich längst vorhatte, nach Schilda, da ausstudieren und promoviren. Gleich angesichts dieses packe also deine Siebensachen zusammen und ziehe nach Schilda, und nimm dein Quartier beym Professor Simon, meinem guten Freund und Duzbruder. Grüße den fidelen Knochen! Kannst auch den Tisch da nehmen! Aber höre, Pathe Andres: daß Du Dich nicht unterstehst, mir Gegenvorstellungen zu machen! Ich weiß wohl, was Dein dummer Teufel von Vater gegen die gute Universität zu Schilda hatte: aber ich will doch nicht hoffen, daß Du auch so ein Büffel seyn wirst? Hör' Andres, packe Du nur gleich auf; oder weigerst Du Dich: so wisse, daß Du in Deinem Leben auch keinen Kreuzer von mir kriegen sollst: Bist Du aber folgsam und gehst hübsch nach Schilda: so erhältst Du post meam beatam mortem einmal mein ganzes Vermögen: da verlaß Dich drauf. In Schilda kannst Du erst was rechts lernen: ich bin auch da Student gewesen, hab alles mitgemacht, und bin doch so 'n gelehrter Mann geworden. Lebe wohl Pathe Andres, und denk fleißig an

Deinen
treuen Pathen,
Nicolaus Günther,
Med. Doct. et Phys.

N. S. Von Schilda aus schreib mir, wie viel Geld Du willst. Eher Du aber nicht da bist, kriegst Du auch keinen Spies. Vale!

Dieser Brief war dem guten Stein ein wahrer Donnerschlag. Kappershausen war zwar eben nicht die beßte Akademie, doch gab es einige gute Lehrer daselbst: und wo es diese nur giebt, da kann ein guter Kopf durch Fleiß viel lernen. Aber in Schilda? – Stein wußte, daß dort nicht viel zu machen war; daß besonders seine Fakultät, den einzigen Doktor legens Ackermann ausgenommen, in den traurigsten Umständen stand: was sollte er da nun machen! Und dieses alles abgerechnet: er liebte Mienchen! Und Mienchen war damals noch in Kappershausen.

Zwar hatte er sich gegen sie noch nicht erklärt: denn Mienchen gab ihm keine Gelegenheit dazu, wie manche Schönen. Aber es schien ihm doch, daß wenn er sich erklärte, Mienchen nicht zürnen würde. Liebende sehen in diesem Stück größtentheils scharf und richtig. Alle diese Gründe hätten ihn bewegen sollen, nicht nach Schilda zu gehen.

Aber er kannte auch seinen Onkel, den Doktor Nikolaus Günther. Dieser Mann war schatzreich und kinderlos. Stein war sein einziger Erbe und wurde von ihm aufs zärtlichste geliebt. Dabey war der Herr Doktor im höchsten Grade eigensinnig, und was er einmal haben wollte, das mußte durchgehen oder brechen. Stein schloß also ganz natürlich, daß wenn er dessen Wille nicht befolgen würde, dieser ihn enterben, und sein Vermögen einem andern Anverwandten, der ein Bruder Liederlich war, zuwenden könnte. Stein aber war ohne den Beystand seines Onkels nicht im Stande, jezt weiter fertig zu werden, denn sein Vater hinterließ ihm nichts. Er war also genöthigt, diesen überwiegenden Gründen nachzugeben und nach Schilda abzuziehen.

Traurig schlich er in den Garten, wo er Mienchen antraf, und ihr seinen Entschluß meldete. Mienchen ward blaß und konnte nicht antworten. Er ergriff ihre Hand: Mamsell Mienchen, sagte er, daß ich Sie verlassen muß, schmerzt mich – mich am meisten. Mienchen wurde roth: und nun entstand ein Gespräch aus einsylbigen Worten, und dann, damit ichs kurz mache, folgte eine Liebeserklärung von Steins Seiten, die nicht abgewiesen wurde. Beide gingen traurig-vergnügt ins Haus zurück.

Den andern Tag früh schwuren sich Stein und Mienchen ewige Treue, und ersterer zog ab von Kappershausen nach Schilda.

Stein kam nach Schilda, und logirte sich bey seines Onkels Freund und Duzbruder Simon ein. Ein Professor, mirabile dictu, hat allemal einen gewissen Nimbus um sich herum, der ihm bey dem Unkundigen ein Ansehn giebt; und dieser Nimbus ist sein Name. Höre ich: der da ist der Herr Professor: so denke ich gleich, wie mechanisch, der Herr müsse auch ein gelehrter Mann seyn, und als einem solchen erweise ich ihm äußerlich und innerlich Ehrfurcht.

So ging es unserm Stein auch: er hegte Achtung gegen den Professor Simon: und da Simon ein Jurist, Stein aber ein Mediciner war: so konnte er dessen große Armseligkeit nicht einmal kennen lernen; und als er ihm vollends seine Inauguraldisputation, Commentatio in quaestionem: an textores sint infames ad L. 3. ff. de iis, qui inf. not. vorzeigte und dabey behauptete, daß er zuerst klar und deutlich bewiesen habe, daß die Leinweber jura veteri germanico infam und unehrlich seyen: so fing er an, den Herrn Simon für einen Matador in der Juristerey zu halten. Matador ist spanisch, und bedeutet einen Straßenmörder, Meuchelmörder, auch Ochsenmörder bey den Stiergefechten. Einige Haupttrümpfe im L'Homberspiel heissen auch les matadores. Ein Spanier würde es sehr übel nehmen, wenn man zu ihm sagen wollte: Vuestra merced es un matador. L.

Simon that sehr freundlich gegen seinen neuen Gast und nach einigen Tagen machte er ihn mit dem Kränzchen der Fidelität bekannt. Ein lebhafter, junger Mann, wie Stein war, fand an der fidelen Verbindung Geschmack, und trat in dieselbe um so lieber, da er selbst ein Erzfeind aller Petimäterey war:

Sint procul a nobis juvenes, ut femina, comti:
Barba viros hirtaequae decent in Corpore fetae,

schrieb er gewöhnlich in die Stammbücher. Stein war zwar nicht liederlich und wurde es sogar in seiner neuen Verbindung nicht, wie man denn oft sieht, daß es in den liederlichsten, ausschweifendsten Gesellschaften einige recht ordentliche Leute giebt. Das sind freilich nur Ausnahmen von der alten sonst sehr gründlichen Regel:

Noscitur ex socio, qui non cognoscitur ex se.

Stein mogte wohl sechs Wochen in Schilda gewesen seyn, als ihm Mienchen schrieb: ihr Vater sey gestorben, und sie werde nun auch nach Schilda zu ihrem Onkel, dem Herrn Professor Fünfkäs ziehen. Stein war sehr froh, daß sein Mädchen nach Schilda kommen, und er dann Gelegenheit haben würde, sie in der Nähe zu sehen und dann und wann zu sprechen: aber auf der andern Seite ärgerte es ihn, daß sie gerade beym Professor Fünfkäs wohnen sollte: denn dieser war, wie wir wissen, der Obervorsteher der Antagonisten seines Kränzchens.

Endlich kam Mienchen, und Stein besuchte sie, als ein alter Bekannter und Tischgenosse ihres verstorbenen Vaters. Der Professor Fünfkäs, welcher wußte, daß Stein Geld hatte, oder nach Burschensprache, daß er in Lasten auf den Strümpfen war und Linsen besaß, wollte bey dieser Gelegenheit ihn von der wüsten Verbindung, wie er sagte, abziehen, und ein würdiges Glied der polirenden Societät aus ihm formiren. Er behielt ihn daher, als er gerade an einem Societätstag Mienchen besuchte, zum Thee und Abendessen.

Aber der faselnde Ton, die erbärmliche Vorlesung über die wichtige Frage: ob der Haarzopf, weit oder nahe am Kopf gebunden besser stehe; die traurige Musik, wodurch Benda's Ariadne abscheulich verhunzt wurde; die drastischen Tischgespräche über zugespizte Schuhen und Stiefeln: kurz, alles was er sah und hörte, erregte ihm Ekel vor der Politur dieser Herren und er schwur hoch und theuer, sich niemals in eine so elende Verbindung einzulassen, so sehr auch der Professor Fünfkäs auf den Busch klopfte und ihn ankirren wollte.

Indessen war doch seine Geliebte in dessen Hause, und er besuchte sie öfters, welches Fünfkäs gern zugab, da er allemal dies oder jenes mitbrachte, oder schickte, bald einen Aal, dann einen Karpfen, frisches, rares Obst und Melonen, oder einen Schawl, oder des etwas für dessen Frau und Töchter. Mienchen wußte, warum dieß geschah, und ward nicht eifersüchtig.


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