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17

An der Kammer Anna Pulchers standen die Fenster offen.

Es war ein einfaches Zimmer, mit freundlichen Gardinen verhangen. Der Blick ging auf den kleinen Garten und von hier auf die Giebel der Nachbarhäuser. Dem Bett gegenüber stand eine Kirschholzkommode, darauf eine gipsene Madonna, die einem Gemälde von Ernst Deger nachgebildet war. Daneben erhoben sich blaue Glasvasen, wie sie in Kirmesbuden und auf Jahrmärkten feilgeboten werden. Sie trugen keine frischen Sommerblumen, nur geweihte, jetzt eingeschrumpfelte Buchsbaumzweige, die Überbleibsel des letzten Palmfestes. Das einzige Schmuckstück hing in Gestalt eines Barockspiegels zwischen den Fenstern, ein Erbstück aus alten Tagen, das die verstorbene Frau Pulcher mit in die Ehe gebracht hatte.

Selten sah Anna in die spiegelnde Fläche. Heute tat sie es.

Die ersten Stunden nach dem Hochamt waren ihr ruhelos vergangen. Nicht, daß es ihr jemand angesehen hätte. Dafür war sie eine Pulcher, und die Pulchers hatten es von jeher verstanden, das, was sie bewegte, vor aller Welt zu verschließen. Ihren Schmerz hatte sie niedergehalten, obgleich sie unstet umherirrte, Schränke öffnete und wieder zuschloß und wie nach Verlorenem suchte. So ging das bis um die fünfte Nachmittagsstunde ... da traten ihr die Worte mit erneuter Gewalt in den Sinn, die Thres Seegers beim Verlassen der Kirche gesprochen hatte: »Heute tanzen wir den ersten Walzer im ›Blauen Anker‹ zusammen« ... Die Schnur einer knallenden Peitsche legte sich um ihren Leib ... Der Schmerz warf sie nieder.

Das Abendlicht stand bereits über den Dächern, als sie aufwachte. Die bittere Not drückte sie in einen Sessel hinein. Den Kopf zurückgelehnt, die Blicke weit geöffnet, sah sie in das verklärte Gesicht des scheidenden Tages.

»Wer so sterben könnte ...!«

Der Gedanke an den Tod war ihr wie ein Freund gekommen, und das gab Ruhe. Keine Pulchersche Ruhe, sondern wirkliche Ruhe, und in ihr wurden die kaum wahrnehmbaren Geräusche des Abends lebendig.

Jetzt hörte sie auch ...

Unter ihr gingen gleichmäßige, herrische Schritte. Deutlich vernahm sie, wie sie die Dielen des Zimmers nach Länge und Breite durchmaßen. Sie erinnerten an die eines eingekäfigten Wolfes. Ein unheimliches Hin und Her, ein stetiges Auf und Nieder. Unter solchen Schritten werden unerbittliche Gedanken geboren.

Dann brachen sie ab. Gleichzeitig aber fuhr eine geballte Faust auf irgendeinen Tisch oder eine Bettlade, und dann ... selbstbewußt und wie mit eisernen Bändern zusammengehalten knöchelte die Stimme ihres Vaters gegen die Decke. Teils Ausrufe, teils abgehackte Sätze klangen ihr zu. Es waren Glieder einer Rede, die noch einmal dem Gedächtnis eingeprägt werden sollte. Wie Hammerschläge setzte der Alte sie nebeneinander: »Meine Herren ... ohne Ansehn der Person ... über dreihundert Jahre sind vorübergegangen, und nach den Akten sind alle Präsidenten ehrenhafte Männer gewesen ... So einer muß sein wie jemand, der wie ein Mäher einhergeht, denn er hat goldens Korn umzulegen, Gotteskorn, Himmelskorn ... Meine Herren ... wer aber nicht rein ist und dereinstmals ein hartes Sterben zu erwarten hat ... ein solcher macht alles zuschanden und kloppt Strunk und Stiel auseinander ... Hände vom Tabernakel ... Ich will durch Licht gehn und nicht durch Finsternis ... wer nicht mit mir ist, der ist gegen mich ... so mein Herr und Erlöser ... Hände vom Tabernakel ... Wer da erscheint, der muß bestehen können vor Gott und den Menschen und den Nacken gerade tragen wie eine harzige Kiefer mitten im Walde ... der muß sein wie der alte Kaspar Christian Pulcher, der ein Großer war unter den Webern und vor dem hohen Rat und seinem Kaiser sprechen konnte, ohne mit den Wimpern zu zucken, mit blanken Augen und mit einer Weste, die keine Stockflecken hatte und aussah, als wäre sie frisch von der Bleiche gekommen ... Meine Herren ... da sind welche, die hauen das Glück einer Familie zusammen, wie wenn sie Holzkloben spalteten ... an ihrer Axt hängen blutige Tränen ... Mannestränen und solche von Frauen ... Jakob Verheyen, was willst du in unsrer Gemeinschaft ...? Jakob Verheyen, bist du jemals ein ehrlicher Mäher gewesen ...? Hast du jemals goldenes Korn umgesichelt, Gotteskorn, Himmelskorn ...? Lege die Hand auf die Fahne der Bruderschaft und schwöre, daß du es jemals getan hast ...«

Eine Pause folgte. Dann wieder: »Jakob Verheyen, tue es nicht ... Es könnte dir sonst passieren ... Wer die Ehe gebrochen ... Jakob Verheyen,« und die Stimme des Alten wurde schartig und trocken, »Hände vom Tabernakel ... sonst kommt das Unglück von der Mühle herunter ...«

Die Stimme riß ab, und abermals das unheimliche Schreiten eines eingekäfigten Wolfes.

»Hände vom Tabernakel ...«

Anna erhob sich.

»Er macht sich fertig für die Sitzung im ›Blauen Anker‹,« sagte sie hastig, »und dicht nebenan ... wird da nicht Thres Seegers tanzen ...? ... wird da nicht Hermann Verheyen ...?«

Ihr Blick fiel auf den Spiegel.

Draußen war das Tageslicht dünner geworden, aber immer noch stark genug, ihren Leib scharf und deutlich aus der blanken Fläche zu heben.

Sie fühlte sich freier. Unerwartet war dieser Zustand gekommen. Sie lächelte ihr Bild an, das wie ein Gemälde aus der eingedunkelten Scheibe herauswuchs. Die Hände gegen die Brust gepreßt, stand sie wie von einem inneren Feuer verzehrt und stierte in die matte Zelle des Spiegels: »Ja, sie wird tanzen ...«

Sie stellte Vergleiche an zwischen sich und Thres Seegers. Drüben das Weib mit den trägen Hüften und den gierigen Augen, und hier ...

Sie spann die Gedanken nicht weiter. Sie mußte sich selbst überzeugen, und was sie sonst nie getan haben würde, das tat sie heute. Mit einer schnellen Bewegung hatte sie die Bluse abgestreift und das Linnen von den Schultern gezogen ... und eine stolze Frauenherrlichkeit leuchtete ihr aus dem Glase entgegen. Früher war sie achtlos daran vorübergegangen. Jetzt tat sie es nicht mehr. Sie fühlte sich als Herrin über ungeahnte köstliche Schätze. Das letzte Abendlicht ging mit Schauern darüber hin – über die Schultern, die festen Arme und die harten Formen, die in ein sanftes Zittern gerieten: eine trunkene Selbstschau, die aber nicht um Haaresbreite das Keusche ihrer jungfräulichen Seele aus dem Gleichgewicht brachte. Nur – sie freute sich ihrer Schönheit und feierte sie und war glücklich, sie ihr eigen zu nennen.

Ihr Blick öffnete sich und wurde groß in seinem Erstaunen.

»Hermann ...!«

Ihre schmalen Hände legten sich um die jungen Zierden.

Wie das hämmerte und pochte! –- wie das Gedenken an ein gemordetes Glück ihre Sinne erregte! Aber hier war die Macht, das Hingewürgte wieder auferstehen zu lassen. Das fühlte sie jetzt. Ein verzehrender Rausch fiel über sie her. Es war wie ein schwüler Heuduft, der von den nahen Wiesen heraufkam. Ein Geruch nach toten Gräsern haftete ihm an. Er brachte den Rausch nicht zum Schweigen, verstärkte ihn nur und mit ihm den unterdrückten Schrei nach dem Manne.

Anna Pulcher schrie nach dem Manne. Sie sehnte sich in seine Arme hinein, nach der Liebe des Mannes, nach der Bestimmung des Weibes, und einer plötzlichen Eingebung folgend, warf sie ihren Körper noch einmal zurück. Das alles war sein ...! – »Hermann ...! – Hermann ...!«

Sie erschrak vor ihrer eigenen Stimme, so verändert war sie geworden, so ganz anders, so durchsetzt von den Schwingungen der Leidenschaft, die alles hinter sich ließ, was ihr sonst Fesseln angelegt hatte. Mit einem jähen Ruck schob sie die Hände unter den mächtigen Haarknoten, der ihren Hinterkopf wie eine stolze Krone umhegte.

Da wölbte sich ihre Brust in schwellendem Ebenmaß. Jede Muskel des schönen Leibes straffte und streckte sich. Alles und jedes in ihr war Sehnsucht und Anbetung.

So stand sie lange, ohne jede Bewegung. Ihre Lider senkten sich, berührten sich. Nur ein schmaler Streifen blieb übrig. In diesem Streifen spiegelte sich eine trunkene Welt, eine heiße Begierde ...

Sie horchte hinaus ... Sie glaubte Stimmen zu hören, ferne Akkorde ... Sie zählte die Takte ... Das war Tanzmusik ...! – Die kam aus dem ›Blauen Anker‹ ... Nein, nein! – Das war ausgeschlossen, und dennoch vernahm sie jede einzelne Note. – Sie tanzten ja bei offenen Fenstern ... Weit, ganz weit her, wie aus weichen Tüchern heraus, drangen ihr die süßen Klänge entgegen.

Ein Walzer!

Die ›Rosen aus dem Süden‹ ...

Ihr Herz klopfte hörbar, und mit einer raschen Bewegung hatte sie das weiße Linnen wieder über Brust und Schultern gezogen.

Sie wußte, was sie zu tun hatte.

Keine Gewalt der Erde hielt sie mehr zurück. Noch hatte sie Abendlicht, hell genug, sich fertig zu machen.

Sie riß die Tür des altmodischen Schrankes auf. In fliegender Hast entnahm sie der Tiefe, was sie gebrauchte. Sie wählte nicht lange. Unbewußt fiel ihr zu, was sie nötig hatte: in diesem Kleid hatte sie zuerst an der Brust Hermanns gelegen.

Und immer die ›Rosen aus dem Süden‹, immer die ›Rosen‹ ... und bei diesen Klängen tanzten sie jetzt: Hermann und das Weib mit den gierigen Blicken und den trägen Hüften ...

Sie mußte diesem Weib die Rosen zerpflücken.

Ach, Gott – ja! – sie tat ein Unrecht, ein himmelschreiendes Unrecht. Aber was half das alles? Nachdem sie sich mit ihm abgefunden, fühlte sie sich freier und wohler.

Sorgfältig ordnete sie ihr Sonntagsgewand, spreitete es über die gehäkelte Bettdecke und trat vor den Spiegel. Sie nestelte ihr Haar auseinander und ließ einen derben Kamm durch die duftige Fülle gleiten. Bläuliche Funken knisterten auf. Jede Strähne hatte dieses seltsame Leuchten.

Sie hörte das sanfte Knistern, und eine sinnliche Welle strömte über sie fort.

Dann warf sie den Kamm achtlos beiseite. Mit beiden Händen griff sie in die Haarflut, drehte und wellte sie, um sie wieder als Krone zusammenzuflechten.

Schön war Anna Pulcher in diesem köstlichen Schmuck, der fast ihren sanftgewölbten Nacken berührte.

Unter ihr waren die harten Schritte von eben.

Sie horchte.

Gleich darauf wurde eine Türe geöffnet und zugeschlagen.

»Hände vom Tabernakel ...«

Die Worte zitterten durch den schmalen Hausflur,

»Jetzt geht er,« sagte sie hastig, wandte sich und schnürte ihr Leibchen. Gleich darauf rieselte ein weicher Stoff an ihrem herben Körper herunter.

Stolzer und siegfroher konnte ihn keine Fürstin tragen.

Vereinzelte Schläge klangen von der nahen Turmuhr herüber.

Sie zählte die einzelnen Schläge.

Sie mußte sich geirrt haben.

So spät war es noch nicht, und dennoch rückte bereits eine graue Wand in die Kammer hinein und umhüllte alle Gegenstände mit einem dunklen Gewebe.

Anna Pulcher beeilte sich, legte noch ein Goldkettlein an und sah noch einmal in die umdüsterte Scheibe.

Jetzt war sie fertig.

Die Stunde kam – und diese Stunde sollte über Tod und Leben entscheiden.

Mit einer raschen Wendung legte sie die Hand auf das Schloß, um eilig und ungesehen in den stillen Abend zu gleiten.

Die Tür öffnete sich.

Sie trat über die Schwelle, kam aber nicht weiter.

Einer stand vor ihr.

Lautlos war er gekommen; ein Schatten konnte sich nicht stiller bewegen.

Unter seinen Schritten knirschte der Estrich nicht, wagte keine Diele zu seufzen.

»Stephan ...!«

Mit einem leisen Schrei taumelte sie in ihre Kammer zurück.

Gütig wie immer, folgte er und nahm ihre Hände.

»Ich glaube,« sagte er in seiner gemessenen Ruhe, »es wird gut sein, daß wir den heutigen Abend gemeinsam verleben.«

Sie gab keine Antwort. Sie hatte anderweitig zu schaffen. Die Zeit drängte. Ihre Gedanken jagten sich. Wie verschlagene Vögel irrten sie unstet hin und wieder. Sie hatten die Richtung verloren und konnten ihr Ziel nicht mehr innehalten.

Er merkte es nicht, wie die Verzweiflung über sie herfallen wollte. Ihre Brust keuchte.

»Deine Seele ist des Friedens bedürftig. Ich will dir diesen Frieden geben und deine Seele geleiten, damit sie genese.«

Sie schwieg noch immer.

»Ich konnte keine gelegenere Stunde finden,« fuhr er zärtlich fort. »Der heutige Tag ist voller Trübnis für dich, und alle Freude ist von dir genommen. Es ist nicht gut, daß der Mensch allein sei, wenn er heimgesucht wurde – und du bist heimgesucht worden.«

Ihre Augen wurden groß, ihre Lippen öffneten sich.

»Heimgesucht worden ...?« fragte sie tonlos.

»Ich sollte doch meinen ...«

»Heimgesucht worden ...?«

Er begriff nicht, was sie mit dieser Frage bezweckte.

»Ich muß doch annehmen,« sagte er ebenso gütig wie vorhin, »daß die Umstände des heutigen Tages ...«

Sie unterbrach ihn.

»Was für Umstände?« fragte sie bitter.

»Nun – die in der Kirche. Es gibt Dinge, die sind schlimmer als alle Plagen der Hölle. Sie drücken einem die Schläfen auf den kalten Stein.«

»Ich verstehe dich nicht.«

»Aber ich bitte dich, Anna! Denke doch daran, welch großes Leid der heutige Tag auf deine Schultern legte.«

»Der heutige Tag ...?«

Sie griff hinter sich, um Halt zu gewinnen. Ihre Blicke nahmen einen grünlichen Ton an. Sie leuchteten selbst durch das immer größer werdende Dunkel. Ein helles Lachen schlug ihm entgegen.

»Du irrst, Brüderchen, du irrst. Er soll mir zum Freudentag werden!«

Stephans Gedanken waren nicht von dieser Welt. Sie hatten keine Gemeinschaft mit ihr; und wenn sie sich mit irdischen Dingen beschäftigten oder beschäftigen mußten, so umkleideten sie diese mit dem warmen Licht liebevoller Milde und köstlicher Einfalt. Hier aber ...

Die unverhüllten Blicke seiner Schwester machten ihn wissend.

Er sah ihren schlichten Aufputz, das frischgenestelte Haar, die Zeichen tiefster Erregung.

»Du willst doch nicht ...?«

Er vollendete den Satz nicht.

»Und wenn es so wäre ...!«

Sie stand regungslos. Hoheit umgab sie. Dann machte sie Miene, ihres Weges zu gehen: »Ich bin keinem Rechenschaft schuldig.«

»Du bleibst.«

»Das wollen wir sehen.«

Sie warf die Arme zur Decke: »Stephan, ich will ... ich will in das Leben hinein ... ich will auf den Tanzboden ... ich muß doch sehn, was sie tun ... wie das Weib aussieht, das mich zur Bettlerin machte ...«

Ihre harte Brust stürmte gegen den weichen Stoff, der ihre jugendlichen Formen umhüllte.

Da erschrak er bis in die tiefste Seele hinein. Alle Zuversicht, alle Hoffnung waren von seinem Antlitz gewichen.

»Ich beschwöre dich, Anna! Du sollst nicht richten, auf daß du nicht gerichtet werdest. Wer den Stein aufhebt ... Genug des Elends ist über unsere Familie gekommen. Willst du auch das Glück einer zweiten verderben?«

»Wo es bei mir um Leben und Tod geht ...?!«

»Denke an unseren Herrn und Erlöser.«

»Ich habe den Glauben verloren.«

»Du bist doch Christin.«

»Das schon ...«

Ihre Stimme lachte und gellte: »Aber auch ein Weib nebenher! –- und das Weib in mir ... Ich ertrag' es nicht länger ... Die andere ... Entweder sie oder ich ... Ich muß aus der Enge heraus ... Meine Rechte sind älter ... sind heilig ... Würge mich ... töte mich ... mache aus mir, was du willst ... Das Weib in mir kannst du nicht abtun ... und wenn du mich anspeist ...«

»Denke an Vater und Mutter!«

Er hob beschwörend die Hände.

»Es ist zu spät,« sagte sie dumpf vor sich hin und reckte sich in ihrer ganzen Größe und Kraft, um ihn beiseite zu schieben.

Er vertrat ihr den Weg. Er sah das nahende Unglück wie ein brünstiges Tier sich heben.

»Im Namen des dreieinigen Gottes ...!«

Langsam sank er in die Knie.

Da schritt das Weib über ihn fort, als wäre er ein nichtiger Strohhalm im Staube.

Er hörte noch das Rascheln ihres Kleides und den herrischen Schritt ihrer Schuhe.

So raschelte die Sünde, so nahm sie ihren Weg, und er gedachte der Worte, die da lauten: »Sie ist wie eine Kamelin in der Brunst, und die Wüste hat nicht Raum für sie. Sie ist wie eine heiße Flamme, die ins Wasser schreitet ... Herr, sei ihrer Seele barmherzig!«

Seine Stirne berührte die Dielen.

Unten wurde die Tür geschlagen.

»Großer Gott, heiliger Gott ...! und doch, du barmherziger Jesus, ich kann sie nicht verdammen, denn die Liebe ist ewig.«

Sie aber sog die reine, balsamische Luft ein. Sie sah weder rechts noch links. Viele Menschen begegneten ihr. Mochten alle es wissen, wohin sie ging. Sie hatte nichts zu verheimlichen und nichts zu verhehlen. Das Oval ihres Gesichtes zog sich sanft in die Länge. Eine große Mission war in ihr. Es fiel wie Binden von ihren Augen. Jetzt war Licht um sie, ein großes, zukunftsfreudiges Licht, und sie fühlte die Kraft in sich, dieses Licht zu umgreifen und nicht mehr von sich zu lassen.

Die Musik, die einige Zeit geschwiegen hatte, setzte von neuem ein.

Sie hörte auf sie, wie auf eine Offenbarung.

Es war der Walzer von vorhin: die ›Rosen aus dem Süden‹.

 


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