Elisabeth Langgässer
Der Torso
Elisabeth Langgässer

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Fürchte Gott

Schön ist die Wiese, wenn rings in der Fülle
Blume um Blume uns kommt und vergeht.
Giftkraut fürs Grabscheit und Heilkraut zur Stille
Wuchern bewußtlos, indessen der Wille
Worfelt den Samen und wacht und besteht.
Schuppenwurz: Tagedieb,
Stechapfel: Niemand lieb.
Wär't ihr verweht –
Doch auf die Mauerkron
Schreibt ihr in Babylon:
Fürchtet den Samen, von ewig gesät!

Schön war die Wiese und schöner das runde
Antlitz des Mondes, dem nichts mehr gebrach.
Aber dann sonderte Stunde um Stunde
Ihn von den Sternen wie Flut von dem Sunde,
Und die Gestirne verdorrten ihm nach.
Fuhrmann und Reiterlein,
Bald muß geschrieen sein
Wehe und Ach.
Wolltet ihr schweigen auch,
Spräche der Feigenstrauch:
Fürchtet das Feuer im höchsten Gemach!

Schön ist der Mond und im Mantel des Fleisches
Ist es der Mensch voller Same und Licht,
Welchen von Hode zu Häupten ein Gleiches
Mehrt wie das Kraut und im Spiegel des Teiches
Tag und Nacht mindert an Glanz und Gesicht.
Scheitelbein, Schädeljoch,
Heute vernahtet noch,
Morgen zunicht –
Der euch geworfelt hat,
Heilt euch in Josaphat:
Fürchtet mit Freuden das letzte Gericht!

 


 


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