Elisabeth Langgässer
Der Torso
Elisabeth Langgässer

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Das Stilleben

Die Schneiderbüste, mit schwarzem Lüster straff und glatt überzogen, stand leer; die Form ihres drollig geschwungenen Beinchens glich einem von einem Zuckerbäcker mit der Spritze geformten Aufsatz einer süßen Kirschbaisertorte. Vor der Büste war ein niedriger Hocker mit allerlei Bric à Brac: einer hübschen kleinen Schale zum Beispiel von italienischer Herkunft, welche als Aschbecher diente, und im Fond einen springenden Hasen zeigte, dessen erdbrauner Leib von dem Ornament einer ringsum laufenden Thymianranke mit zierlichen Blättchen eingefaßt war, zwischen denen, immer in gleichem Abstand, eine blaurote Blüte saß. Die angerissene Packung bulgarischer Zigaretten und ein blaßblaues Schächtelchen aus Valencia mit kurzen Wachszündhölzchen lehnten gegen den Ascher; aus der Packung leckte die glänzende Zunge des harten Stanniolpapiers. Bunte Armbänder aus geschmolzenem Glas, ein paar schwere getriebene Silberringe, deren plumpe Fassung den tiefroten Tropfen sehr großer Korallen umschloß, und eine Kette, aus Kupferkugeln und Paranüssen zusammengestellt, waren übereinander geschoben und glichen üppigen, rohen Träumen, die liegengeblieben waren. Ein glasierter Tonteller, ockergelb mit dunkelgrünen Spiralen, stand mitten auf dem Tischchen. Er war angehäuft mit Paprikaschoten, welche noch unreif waren, rötlich getupften Mirabellen, die einen graublauen Überzug aus Atmosphäre trugen, und Frühsommerbirnchen, die Zipfelmützen durcheinandergepurzelter Gnome glichen und Stiele hatten, die doppelt so lang wie die blaßgelbe Mütze waren. Quer über dem Hocker – ein kräftiger Strich aus kalkweißem Ziegenleder – lag ein Paar Handschuhe, unten am Boden standen auf hohen Hacken die silbernen Sandaletten, das Kleid war über den Stuhl geworfen: ein Hauch wie Südsee – schwarzblauer Schaum mit großen Margeriten.

Das alles vor einem abgeschrägten, durch bleigefaßte Quadrate aus Glas unterteilten Atelierfenster; eine Scheibe war hochgestellt, 14 und das Viereck, von unwahrscheinlicher Helle erfüllt, sparte ein Stück des Morgenhimmels in seiner Öffnung aus.

Dieses Viereck, wie ein strahlendes Auge, stand unverändert und regungslos in dem diffusen, zartgrauen Licht des Schneiderateliers. Es stand an jenem heiteren Sonntag fast ohne Wolken und ohne die Zuckung vorüberschießender Schwalben über dem niedrigen Hocker und seinem Bric à Brac. Eine Flasche Bordeaux wäre noch zu erwähnen, welche ausgetrunken am Boden lag und die Aufschrift »Entredeux-Mers« gegen den Himmel kehrte.

Im übrigen war das Atelier leer; so leer und so unbeachtet von Menschen, daß die Schneiderbüste es wagen konnte, sich langsam um sich selber zu drehen – langsam und feierlich auf dem dünnen, drollig gedrehten Säulchen wie ein antiker Chor. Sie drehte sich in der Richtung des Uhrzeigers unermüdlich und ohne innezuhalten vom Morgen bis zum Abend an den hübschen kleinen Dingen vorüber, die, hätte die Schneiderbüste einen Kopf auf den Schultern getragen, in ihr Blickfeld gekommen wären: an dem Schälchen mit dem springenden Hasen, dem blaßblauen Schächtelchen aus Valencia, dem Teller mit den Paprikaschoten, den Mirabellen, den Frühsommerbirnen, den bunten Armbändern und den Ringen, die ab und zu winzige Feuerfunken und zornige kleine Blitze entließen, die wie aus dem Innern der Erde zurückgeschleudert waren. Sehr spät erst, mit Sonnenuntergang, kam die kreisende Büste zur Ruhe. Sie stand jetzt, gemessen an einer Welt, die sie umwandelt hatte, wie zu dem Pol der Nadir. Es wurde kühl, es wurde sehr dunkel . . . die Farben vergingen und auch die Formen – und endlich wurde es Nacht.

Man schrieb den 22. Juni des Jahres 41. 15

 


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