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Die Armenversteigerung

Ein Unglück kommt selten allein, es hat doch immer ein kleines Glück im Schlepptau, heißt es, und was Charlotte Löwensköld betrifft, so schenkte ihr das Liebesleid und das Verschmähtsein gerade das, was ihr noch fehlte, um wirklich liebenswert zu sein.

Die tiefe Schwermut verjagte für alle Zeiten aus ihrem Benehmen, was allzu keck, allzu ausgelassen gewesen war. Über ihre Stimme, ihre Bewegungen, ihre Gesichtszüge kam eine gewisse stille Würde. Den Augen schenkte sie jenen sehnsüchtigen Glanz, jene rührende, verhaltene Glut, die von verscherztem Glück erzählt. Dieses traurige, entzückende Geschöpf mußte, wohin es auch immer kam, Interesse, Teilnahme, Zärtlichkeit erwecken.

Am Dienstag vormittag waren Charlotte und Frau Forsius von Örebro zurückgekehrt, und schon an demselben Nachmittag kam die Jugend von dem naheliegenden Hüttenwerk nach der Propstei. Unter diesen liebenswürdigen Menschen hatte Charlotte Freunde, die ebenso wie Frau Nyman auf Gammalhyttan durchaus nicht an Charlottes Falschheit und Hinterlist glauben wollten. Jetzt brauchten sie sie nur zu sehen, um zu verstehen, daß sie von einem schweren Leid betroffen worden war. Sie stellten indes keine Fragen, erlaubten sich keine Andeutungen in Beziehung auf die bevorstehende Hochzeit, sondern suchten nur so freundlich und herzlich gegen sie zu sein, als es überhaupt möglich war.

Tatsächlich waren sie indes durchaus nicht gekommen, um ihr nach dem Aufgebot in der Kirche zu gratulieren, nein, sie hatten ein ganz anderes Anliegen. Als sie aber jetzt Charlottes schweren Kummer sahen, wußten sie kaum, ob sie damit herausrücken dürften.

Allmählich aber konnten sie es doch nicht verschweigen. Es handelte sich um die Elin des Häuslers Matt, das Mädchen mit dem Muttermal und den zehn Geschwistern. Elin war am Vormittag gleich nach dem Frühstück nach Holma gekommen und hatte der gnädigen Frau ihr Leid geklagt, weil ihre Mutter ihre kleinen Geschwister in der Gemeinde öffentlich ausbieten, d. h. durch eine Versteigerung dem zuschreiben lassen wollte, der von der Gemeinde den geringsten Preis für ihren Unterhalt verlangte.

Elin und ihre Geschwister hatten bisher vom Bettel gelebt. Was hätten diese blutarmen Tröpfe sonst unternehmen sollen? Jetzt aber waren die Menschen dieser großen Schar hungriger Mägen, die von Hof zu Hof zogen, überdrüssig geworden, und der Gemeinderat im Kirchspiel hatte beschlossen, die Kinder versteigern zu lassen, wodurch sie auf den verschiedensten Höfen untergebracht würden.

Man hatte also eine Art Versteigerung angekündigt, wo die, so eines oder mehrere der Kinder übernehmen wollten, ihr Angebot machen konnten.

»Und die gnädige Frau weiß schon, wie es dabei zugeht,« hatte Elin gesagt. »Man will nur herausbringen, wer die Kinder zu dem billigsten Preis übernehmen will, damit der Gemeinde keine großen Unkosten entstehen. Kein Mensch denkt daran, ob sie auch eine ordentliche Pflege erhalten und anständig erzogen werden.«

Die arme Elin, die bisher die Verantwortung für die Geschwisterschar gehabt hatte, war ganz außer sich gewesen. Sie hatte gesagt, wer bei solchen Auktionen Kinder ersteigere, das seien nur arme Kätner, die billige Hirten für ihre Schafe oder Ziegen brauchten, oder auch eine billige Hilfe im Hause zur Unterstützung der abgerackerten Hausfrau. Ihre kleinen Geschwister müßten dann ebenso schaffen und sich abschinden wie richtige Dienstboten, niemand schone solche Auktionskinder. Sie müßten für das, was sie erhielten, volles Genüge leisten. Eines der Geschwister, das jüngste, sei erst drei Jahr alt, diese Kleine könne ja natürlich weder die Schafe hüten noch im Haushalt helfen. Sie müßte wohl verhungern, denn sie könne sich ja unmöglich schon irgendwie nützlich machen.

Aber am allermeisten hatte Elin darüber geklagt, daß die Geschwister nach allen Seiten hin zerstreut würden. Jetzt hielten sie innig zusammen und liebten einander herzlich, aber in wenigen Jahren schon würden sie weder ihre Elin, die älteste Schwester, noch sich untereinander mehr kennen. Und wer würde ihnen von nun an Ehrlichkeit und Wahrheitsliebe einpflanzen, wie sie es bisher immer getreulich versucht habe.

Die gnädige Frau auf Holma hatte bei den Klagen des armen Mädchens eine tiefe Rührung überkommen; sie hatte sich jedoch außerstand gesehen, helfend einzugreifen. Auf den Hügeln des Hüttenwerks rings um Holma her gab es schon viel zu viele kleine Kinder, deren sie sich annehmen mußte. Aber sie hatte doch zwei ihrer Töchter zu der Armenversteigerung geschickt, die im Laufe dieses Tages noch im Kirchspiel stattfinden sollte, damit man doch wenigstens erführe, wer die armen kleinen Schelme ersteigere.

Als die beiden Mamsellen von Holma ins Gemeindehaus gekommen waren, hatte die Versteigerung eben begonnen. Auf einer Bank weit vorne in dem Raume saßen die armen Kinder, die älteste Schwester in der Mitte mit dem dreijährigen auf dem Schoß, die andern um die große Schwester her. Sie hatten nicht laut geklagt; nur ein leises ununterbrochenes Jammern war von ihrem Platze hergedrungen. Wie sie so zerlumpt und verhungert da auf der Bank saßen, mußte man unwillkürlich denken, sie könnten es kaum noch schlimmer bekommen, als sie es schon vorher hatten; aber was ihnen jetzt bevorstand, hielten sie offenbar für den Gipfel des Elends.

Ringsum an den Wänden saß allerlei armes Volk, wie man es bei einer solchen Versteigerung nicht anders erwarten konnte. Nur vorne an dem Tische des Vorstands sah man einige Mitglieder des Gemeinderats, ein paar Vollbauern und einige Hufenbesitzer des Hüttenwerks, die die Auktion beaufsichtigen sollten, damit alles ordentlich zuging und die Kinder wohlmeinenden bekannten Leuten übergeben würden.

Das älteste der Kinderschar, ein magerer, aufgeschossener Junge, stand eben am Tisch, zum allgemeinen Beschauen aufgestellt. Der Versteigerer hatte ihn als Hirtenjungen und Holzhacker ausgeboten, und eine, nach ihren Kleidern zu urteilen, sehr arme Frau trat nun vor, um besser zu sehen, was er wohl leisten könnte.

Weiter war man also noch nicht gekommen, als Karl Artur Ekenstedt eintrat. Er blieb auf der Schwelle stehen und schaute sich im Zimmer um, dann hob er die Arme zum Himmel empor und rief: »O mein Gott, wende dein Antlitz von uns ab! Sieh nicht an, was hier vorgeht!«

Dann trat er zu den gestrengen Männern am Vorstandstisch.

»Ich bitte euch, meine Mitchristen,« sagte er, »begehet keine solch große Sünde! Laßt uns nicht Menschen in Sklaverei verkaufen!«

Alle Anwesenden waren über dieses Auftreten aufs höchste bestürzt. Die arme Frau zog sich schnell vom Tische nach der Tür zurück. Die Männer vom Gemeinderat traten ein wenig vor, wichen aber auch verlegen wieder in die Bänke zurück. Es sah indes fast so aus, als ob sie die ungehörige Einmischung des Geistlichen in die Angelegenheiten der Gemeinde mehr mißbilligten als ihre eigenen Vorkehrungen. Schließlich stand einer von ihnen auf.

»Dies ist ein Gemeinderatsbeschluß,« sagte er.

Der junge Pfarrer stand da, schön wie ein Gott, mit zurückgeworfenem Kopf und glänzenden Augen. Er sah sicherlich nicht aus, als ob er vor einem Gemeinderatsbeschluß zurückzuweichen gedächte.

»Ich bitte den Hufenbesitzer Aron Månsson, die Auktion einstellen zu lassen.«

»Der Herr Doktor Ekenstedt hört ja aber, daß die Auktion durch Gemeinderatsbeschluß vor sich geht.«

Karl Artur wandte sich mit einem Achselzucken von dem Manne weg. Er legte seine Hand auf die Schulter des ausgebotenen Jungen.

»Ich kaufe ihn,« sagte er. »Ich mache ein so niederes Angebot, daß niemand unterbieten kann. Ich biete mich an, ohne irgendeine Vergütung von der Gemeinde für den Jungen zu sorgen.«

Der Hufenbesitzer Aron Månsson stand auf, aber Karl Artur sah nicht nach ihm hin.

»Es braucht nicht weiter ausgerufen zu werden,« sagte Karl Artur zu dem Versteigerer. »Ich biete auf alle Kinder auf einmal und zu demselben Preis.«

Jetzt standen alle Anwesenden auf. Nur Elin und ihre Geschwister blieben ganz regungslos sitzen; sie waren nicht fähig, zu begreifen, was hier vorging.

Der Hufenbesitzer Aron Månsson machte nun Einwendungen.

»Das ist dann die alte Geschichte,« sagte er. »Wir haben diese Vorkehrung getroffen, damit der ewigen Bettelei ein Ende gemacht wird.«

»Die Kinder werden nicht mehr betteln.«

»Wer bürgt uns dafür?«

»Jesus Christus, er, der sagte: Lasset die Kinder zu mir kommen! Er wird Bürge für alle diese Kleinen hier.«

Als er dies sagte, lag eine solch befehlende Kraft und Hoheit über der Person des jungen Geistlichen, daß der gestrenge Hufenbesitzer keine Worte der Erwiderung fand.

Nun trat Karl Artur zu der Kinderschar.

»Geht jetzt, Kinder!« sagte er. »Lauft nach Hause! Ich hab' euch ersteigert.«

Noch immer wagten sie sich nicht zu rühren. Doch da nahm Karl Artur das Kleinste von Elins Schoß, und mit dem Dreijährigen auf dem Arm und die andern zehn dicht hinter sich verließ er das Gemeindehaus.

Niemand legte ihm etwas in den Weg. Mehrere der Kauflustigen hatten sich beschämt und verschüchtert schon entfernt.

Aber als die beiden Schwestern nach Hause gekommen waren und ihrer Mutter den ganzen Vorgang berichtet hatten, war die gnädige Frau tief bewegt gewesen, und sie hatte erklärt, es müsse etwas geschehen, um dem jungen Pastor mit seinen vielen Schützlingen zu helfen. Sie meinte, man solle eine Sammlung veranstalten zum Bau eines Kinderheims, und das war der Grund, warum die beiden Fräulein in die Propstei gekommen waren. Sie hatten Charlotte erzählen wollen, wie alles zugegangen war.

In dem Augenblick, wo die Erzählung zu Ende war, stand Charlotte auf und verließ weinend das Zimmer. Sie mußte rasch in ihre eigene Stube gehen, um sich da auf die Knie niederzuwerfen und Gott zu danken.

Wovon sie so lange geträumt hatte, war also nun in Erfüllung gegangen. – Karl Artur hatte als ein Führer vor den Leuten gestanden, als ein Bahnbrecher, der die Menschen auf die Wege Gottes führt.


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